Internet Statement 2017-02

 

 

 

Learning by doing - das gilt auch für die Revolution

 

Maria Weiß  04.01.2017    

Wenn uns jemand fragt, warum wir gegen das kapitalistische System kämpfen, dann gibt es dafür eine ganze Reihe von Gründen. Wir tun es deswegen, weil Milliarden von Menschen von einem Leben in Wohlstand ausgeschlossen sind, und wer davon profitiert ist der Kapitalismus, der diese ausbeutet. Weil in unserem eigenen Land, in Deutschland, es auch sehr viele Menschen gibt, die von einem guten Leben ausgeschlossen sind, obwohl es natürlich weniger sind als international, weil diese Bourgeoisie hier eine internationale Ausbeutung betreibt und davon tagtäglich profitiert, so daß es ihr möglich ist, Teile der eigenen Bevölkerung mit zu bestechen und vom Kampf dagegen abzuhalten. Das kapitalistische System wäre längst am Ende, wenn es nicht den Ausweg in der internationalen Ausbeutung gefunden hätte, welche es ihm ermöglicht, in den eigenen Staaten eine solche Bestechung zu betreiben, die die Bevölkerung in ihrer Mehrheit davon abhält, einen erfolgreichen Kampf dagegen zu führen.

Diese Erfahrung ist auch gar nicht neu. Sie ist schon mindestens über hundert Jahre alt. Sie betrifft den sogenannten Arbeiteraristokratismus in den entwickelten kapitalistischen Ländern. Und dieser Arbeiteraristokratismus hat heute ein bislang unbekanntes Maß an Sättigung erlangt, und das hängt eben genau damit zusammen, daß die Ausbeutung inzwischen längst weltweit praktiziert wird und es hiesigen Konzernen, den Kapitalisten möglich ist, ihre hauptsächlichen Profite woanders zu scheffeln. Ohne das wäre die Situation in diesem Land als auch in ganz Europa eine völlig andere.

Es hängt zusammen mit den sogenannten Produktionsverlagerungen vor allen Dingen in die asiatischen Staaten, wo Arbeiter, Kolleginnen und Kollegen für einen ganz winzigen Bruchteil des Lohnes arbeiten, wie das hierzulande inzwischen üblich ist. Das macht man sich bloß nicht klar. Es wird einem auch gar nicht bewußt gemacht, weil das Kapital erstens natürlich daran kein Interesse hat und die hiesigen Gewerkschaften, ehemals ursprüngliche Arbeitervertretungen, ebenfalls bestochen werden und dies auch nicht klarmachen, im allgemeinen. Ab und zu passiert so was mal, taucht mal blitzartig so was auf, wenn in Bangladesh Arbeiter streiken oder eine Fabrik in Flammen aufgeht oder etwas Vergleichbares passiert und die Presse hier darüber berichtet. Dann dringt dies blitzartig in das Bewußtsein, aber das ist sehr schnell wieder vorbei und man geht hier zur Tagesordnung über und es folgt nichts draus.

Ein weiterer wesentlicher Punkt in dieser Frage ist, daß hier ein ganz beträchtlicher Teil der Arbeiterklasse, vor allen Dingen der unteren, ungelernten Arbeiter aus der Produktion herausgeworfen worden sind, sozusagen der Ausbeutung enthoben sind. Das betrifft die Masse von Kollegen, die heute zum Sozialamt gehen darf und sich dort ihre Stütze abholt. Aber da dies sich nunmehr seit Jahrzehnten hier so eingespielt hat, denkt man gewöhnlicher Weise vielleicht nicht mehr so stark darüber nach, sofern man selber eine Arbeit hat. Die Übrigen aber, die keine haben, die haben sich teilweise damit abgefunden, haben resigniert, sind dem Suff oder anderem erlegen und haben ihren Widerstand aufgegeben. Das kann man vor allem an denjenigen Gegenden in Deutschland sehen, von wo massenhaft Produktionsstätten verlagert wurden, beispielsweise im Ruhrgebiet, aber auch in anderen Gegenden ist das zu beobachten, und zwar nicht erst seit gestern.

Der Profiteur aus diesen Verhältnissen aber ist das Kapital, nicht nur das nationale sondern auch das internationale und deren Verquickungen. Diese machen sich darüber keine oder nur wenig Gedanken, solange das hier sozusagen „ruhig“ bleibt. Sobald aber irgendwo Unruhe auftritt, wird versucht, diese mit allen Mitteln wieder zu löschen. Wie viele Betriebe sind denn auf diese Weise in den letzten Jahren oder besser Jahrzehnten in diesem Land stillgelegt worden? Macht man sich darüber vielleicht mal Gedanken? Macht man sich darüber vielleicht mal ein Bild? Was ist aus diesen Kollegen geworden? Darüber sollte man vielleicht auch mal nachdenken, wenn man fragt, wie denn die kapitalistische Unterdrückung funktioniert. Aber wie das eben so ist: Sobald ein Mensch eine gewisse Besserstellung in dieser Hinsicht erreicht hat, lösen sich die Gedanken darüber langsam in Luft auf.

Dies ist auch eine Form von Arbeiteraristokratismus, obwohl das vielleicht gar nicht so in das Bewußtsein rückt. Materiell aber ist es so. Man macht sich einfach nicht mehr klar, daß in den anderen Ländern, in anderen Staaten das Lebensniveau der Masse der Bevölkerung weit unter demjenigen liegt, was in unserem Land üblich ist, selbst für Arbeitslose. Was natürlich auch ein Grund für Flüchtlingswellen aus solchen Staaten darstellt. Darüber denkt man vielfach einfach gar nicht mehr nach, empfindet den hiesigen Standard als normal, selbst wenn man nicht zu den sogenannten Besserverdienenden zählt oder gar arbeitslos ist. Das ist aber nicht normal, sondern das kommt irgendwo anders her und das geht auf die Knochen, auf die Existenz und die Zukunft von Millionen von Menschen in anderen Bereichen dieser Welt.

Das heißt, wenn man heutzutage den Arbeiteraristokratismus kritisieren will, muß man sich ein internationalistisches Denken zu eigen machen. Und genau dieses Denken, und nur ein solches entspricht doch eigentlich einer fortschrittlichen, revolutionären Arbeiterbewegung, oder etwa nicht?

Sicherlich ist es so, daß auch hierzulande es Schichten von Arbeitern gibt, die nicht so viel verdienen, deren Arbeit aber teuer erkauft wird mit ihrer Gesundheit, ihrem Leben oder ihren Vorstellungen. Trotzdem aber muß man dieses in Relation setzen zu dem, was in anderen Ländern zigtausend und millionenfach passiert. Das geht gar nicht anders, und nur daraus kann man die Kraft ziehen, die einem tagtäglich vorschreibt, daß man dieses System überwinden muß. Mit Individualismus, einem Denken nur von seiner eigenen Position her, kommt man da nicht hin, aber eine solche individualistische Position hat auch keine Perspektive. Wer heutzutage den Anspruch hat, den Fortschritt der Gesellschaft zu vertreten, kommt nicht umhin, internationalistisch zu denken. Anders geht es nicht.

Die riesigen internationalen Unterschiede im Lebensstandard machen dies unbedingt erforderlich. Anders kann man das überhaupt nicht erklären. Was käme denn dabei heraus, dies nicht zu tun? Was stellt man sich denn vor, warum diese ganzen Kriege stattfinden und nicht aufhören? Das hängt u.a. damit zusammen, daß es unendlich viele Menschenmassen in anderen Teilen der Welt gibt, die mit ihrer Lage nicht zufrieden sind, und zwar zu recht. Und daraus resultieren, diese ganzen Kämpfe, daraus resultiert letztlich der Gegensatz zwischen den internationalen Ausbeutercliquen und den Volksmassen in diesen Ländern und auf der ganzen Welt. Und die Schlußfolgerung draus kann eben nur eine sein:

Wer den Fortschritt heutzutage will, der muß internationalistisch denken und handeln. Die Frage wie ein Gesellschaftssystem der Zukunft aussehen kann, die bleibt in gewisser Weise natürlich offen. Sie wird in gewisser Weise eben auch ein Resultat der Kritik bisheriger revolutionärer Versuche sein, eine andere gesellschaftliche Ordnung aufzubauen. Aber dafür kann man kein Muster geben, sondern das muß man eben ausprobieren. Die Praxis ist entscheidend. Learning by doing – das ist es, was man machen muß. Learning by doing- das gilt auch für die Revolution. Es gibt mehr Gründe als je zuvor, den Aufstand zu proben.

Man sollte dies keineswegs moralisierend verstehen. Es ist einfach eine Frage der internationalen Solidarität, daß man eben nicht akzeptieren kann, nur weil es eben diese millionenfache internationale Ausbeutung gibt, daß man selbst hier ein etwas besseres Sklavendasein bekommt. Entscheidend ist doch, ob man eine Gesellschaft akzeptieren kann, in der nur einige Wenige den ganzen Reichtum, welcher von Millionen Menschen hervorgebracht wurde, sich aneignen oder ob man sich diesen gemeinschaftlich aneignet. Unbestritten gibt es hier noch eine ganze Reihe von Fragen zu beantworten oder Probleme zu lösen, auch solche welche sich aus den Erfahrungen der Vergangenheit ergeben, zu klären. Aber das ist doch normal. Keine einzige neue Gesellschaftsordnung in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit konnte sich entwickeln ohne Kritik an den vorherigen. Das gilt selbstverständlich auf für die ursprünglich mal revolutionäre Sowjetunion oder das revolutionäre China, welche beide einen anderen Weg gegangen sind. Aus Fehlern lernen, so kommt man weiter. Nicht jedoch, indem man Fehler zur Rechtfertigung für das eigene Nichtstun, für die eigene Bequemlichkeit heranzieht.

Arbeiteraristokratismus, die Bestechung eines kleinen Teils der Arbeiterklasse, um die übrigen ruhig zu stellen, das gilt heute für ganze Staaten oder gar Kontinente. Es bedeutet, daß man die geschichtliche Aufgabe aufgibt zugunsten tagtäglicher kleiner Besserstellung. Das Resultat einer solchen Einstellung sollte aber auch sein, daß man vor Versuchen der Bourgeoisie, einen aufgrund einer solchen Praxis aus dem Verkehr zu ziehen, nicht zurückschreckt. Daß Derartiges vorkommt, dazu genügt ein Blick auf die Ursachen und die Entwicklung der letzten beiden Weltkriege. Wollen wir dieses noch ein drittes Mal und zwar in noch ganz anderen Dimensionen als bisher? Ich denke wir sollten dazu beitragen, das zu verhindern.

Wer den Krieg verhindern will, muß für die sozialistische Revolution kämpfen.

Keine einzige neue Gesellschaftsordnung in der Geschichte ist fehlerlos entstanden. Das heißt aber nicht, daß man sich deswegen davor drücken kann, indem man auf die Fehler hinweist. Im Gegenteil, es heißt, daß man aus diesen Fehlern, und zwar ganz konkret sowohl aus denen der früheren Sowjetunion als auch aus denen Chinas und aller weiteren Versuche eine fortschrittlichere soziale Gesellschaftsordnung zu erreichen lernen muß und sich nicht feige davor drücken und es als Vorwand, die eigene Passivität zu rechtfertigen, heranzieht.
Soweit ein paar Argumente für die soziale Agitation.

Das kapitalistische System ist eigentlich schon lange an seine Grenzen gestoßen, aber es versucht durch immer wieder neue Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte in sein System diesen Punkt hinaus zu schieben. Das geht aber nicht ewig so weiter und der Widerstand weltweit wird wachsen. Die grüne Richtung, nebenbei, ist ein Ausdruck eben desjenigen Teils des Kapitals, welcher erkannt hat, daß der soziale Fortschritt mit dem Fortschritt der Produktivkräfte einhergeht und seinen Untergang hervorbringt und muß daher bestrebt sein, diesen zu bremsen oder gar zu liquidieren.

 

 

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