Internet Statement 2017-111

   

     

Es führt kein Weg darum herum zu versuchen, in wichtigen Fragen weiter zu kommen und heiße Eisen anzupacken

 

 

Maria Weiß  21.10.2017    

Zivilisation ist Überbau, nicht Basis. Basis ist das System Reproduktion. Das sollte man nicht verwechseln. Das ist eigentlich gar keine Frage, denn ohne Reproduktion entsteht gar nichts, auch keine Zivilisation. Das ist die Grundlage, und das darf man nicht auf den Kopf stellen. Wenn ich nichts zu fressen habe, kann ich auch keine schönen Ideen produzieren. Das heißt natürlich nicht, daß nicht zwischen beiden Ebenen eine Wechselwirkung besteht.

 

Das Kleinbürgertum ist reaktionär, es kann gar keine sozialistische Gesellschaft aufbauen, weil es immer die eigenen Interessen an die erste Stelle setzt.

 

Aber was heißt eigentlich sozialistische Gesellschaft? Es heißt doch eigentlich nur, daß das Interesse der Gesamtheit an der ersten Stelle steht, und nicht das des einzelnen Individuums. Dazu zählen natürlich auch die Besitzverhältnisse. Solange der Besitz oder das Eigentum an den Produktionsmitteln, aber auch an Grund und Boden (nur) das von Individuen ist, kann so etwas wie Sozialismus nicht verwirklicht werden. Deswegen ist die Eigentumsfrage auch eine Kernfrage einer jeden Gesellschaftsordnung.

 

Was aber repräsentierte die russische Dorfgemeinde in diesem Zusammenhang? Gab es ein Gemeinschaftseigentum an Grund und Boden? Und wie war die Nutzung strukturiert?

 

Unser Prinzip ist es immer gewesen, daß man alles hinterfragen darf und dürfen können muß, und dieses genau nehme ich für mich in Anspruch.

 

Was ist eigentlich Zivilisation? Zivilisation im elementaren Sinn heißt eigentlich nichts anderes, als daß die Stellung des einzelnen Menschen innerhalb einer Gemeinschaft damit gemeint ist und wie dieses Verhältnis organisiert ist, wie das Verhältnis beider gegenüber einander aussieht.

 

Was ist eigentlich Zivilisation? Zivilisation ist vor allen Dingen Gestaltung, sowohl der Reproduktion als auch der Gemeinschaftlichkeit einer Gesellschaft. Oder eben auch der Trennung(en) oder anders ausgedrückt der Gegensätzlichkeiten innerhalb der Gesellschaft.

 

 

Hartmut Dickes Schrift über Leninismus und Zivilisation [1] erschien im Jahr 1989. Das Jahr 1989 war zugleich das Jahr der Wende in Europa, das Jahr des Aufbrechens des sogenannten Eisernen Vorhangs, welches eine Entwicklung in Gang setzte, die schließlich in der Wiedervereinigung Deutschlands mündete. Um die Qualität dieser damaligen Bewegung richtig zu fassen, bedarf es einer differenzierten Analyse. Und so wie es mir vorkommt, ist es kein Zufall, daß diese Schrift „Leninismus und Zivilisation“ ausgerechnet im Sommer 1989 erschienen ist, denn sie greift bestimmte Probleme auf, die aus der unterschiedlichen sozialen, kulturellen und geschichtlichen Entwicklung Deutschlands sowohl auf der einen als auf der anderen Seite resultieren. Im Unterschied zu Russland, der damaligen Sowjetunion. Da aber diese beiden Bewegungen, oder wie auch immer man das bezeichnen will, gerade zu diesem Zeitpunkt aufeinander trafen, oder, wenn man es anders ausdrücken will, zueinander fanden – in welcher Weise, das sei noch mal dahin gestellt – deswegen ist das besonders interessant, das auch in seiner Tiefe zu erfassen.

 

Der Zeitraum der Jahre 1985/86 bis zum Jahr 1990 stellt in gewisser Weise immer noch eine Art wenig erforschtes Blatt dar. Wie soll man die Periode Gorbatschow in Russland beurteilen? Was war das? Welche Elemente hatten dort Vorrang? Das ist mir bis zum heutigen Tag ehrlich gesagt immer noch nicht ganz klar. Was für eine Art Erneuerung Russlands wollte Gorbatschow? Was ist Glasnost und was ist Perestroika? Und worin hat das Ganze gemündet? Letzteres darf man eben auch nicht ganz außer Acht lassen, denn das ist immer wichtig, in was eine Bewegung hinein mündet.

 

Sicherlich brach diese Bewegung eine gewisse Erstarrtheit unter dem revisionistischen Regime nicht nur Chruschtschows sondern vor allen Dingen dessen Nachfolgern wie Breschnew und Co. auf. Das ist gar keine Frage. Aber wie das aufgebrochen wurde, das ist allerdings eine Untersuchung wert, vor allen Dingen wenn man die heutigen Ergebnisse dieser Entwicklung in Betracht zieht.

 

Bekanntlich mündete die Bewegung des Michail Gorbatschow Anfang der 1990er Jahre zunächst in eine Jelzin-Gesellschaft, welche dann schließlich von Putin übernommen wird. Was dabei von Glasnost und Perestroika übrig geblieben ist, kann sich jeder selbst überlegen. Und auch vielleicht, ob man diese Begriffe nicht selbst möglicherweise in Frage stellen sollte. Wenn man sich das heutige Ergebnis in Russland ansieht, dann kommt es mir eher so vor, als hätte auch damals schon, Mitte der 1980er Jahre, der westliche, vor allen Dingen amerikanische Imperialismus in dieser ganzen Bewegung in Russland als auch etwas später in der DDR seine Finger mit drin gehabt, und zwar gar nicht mal so wenig. Putin allerdings hat dann schließlich für Russland den Karren zunächst gerade noch rechtzeitig in seinem Sinne wieder umgedreht. Aber es ist immer eine schwer zu beantwortende Frage, wenn man im Nachhinein eine Bewegung beurteilen soll.

 

Fakt aber ist, daß diese Art der Wiedervereinigung, wie sie dann vonstatten gegangen ist in Deutschland, die Linke, vor allen Dingen die revolutionäre Linke, vor ganz erhebliche Probleme stellte. Sollten sie an früheren revolutionären Prinzipien festhalten oder nicht, wo doch angeblich nun diese Prinzipien auf einmal in eine ganz andere Ecke gestellt wurden? Das war gar nicht so einfach zu bewältigen damals. Eins allerdings muß man sagen, wenn man sich das Ergebnis heute anschaut: Heute ist es so, daß all Diejenigen, die an bestimmten prinzipiellen Dingen festgehalten haben, immer noch ihre Prinzipien verteidigen können, wohingegen Diejenigen, die einer gewissen vom Kapitalismus und Imperialismus voran gepuschten Aufweichung nachgegeben haben, heute mehr oder minder auf der Gegenseite stehen. Man nehme nur die so genannte Linkspartei in Deutschland, welche sich inzwischen mehr oder weniger vollständig in den Westen eingepasst hat..

 

Nun ja, Probleme sind zum Anpacken da und vor allen Dingen zum Lösen. Und deswegen ist es notwendig, über diese Fragen eine Diskussion zu führen. Nicht nur im kleinen Kreis bei uns, sondern auch mit anderen Menschen, die ähnlich denken wie wir und ähnliche Probleme damals gesehen haben und sie vielleicht auch heute noch nicht gelöst haben.

 

Die Frage der sogenannten Wiedervereinigung sieht auf Seiten der Bourgeoisie und der herrschenden Klasse zum größeren Teil ganz erheblich anders aus, als auf der Seite großer Teile der Masse der Bevölkerung vor allen Dingen in der ehemaligen DDR. Das ist etwas, was sich bis zum heutigen Tag bemerkbar macht und was unter anderem in der allerjüngsten Zeit dazu geführt hat, daß dort die so genante AfD Einfluß gewann, eine Rechtspartei, die mit sozialen Floskeln ihre Pfründe zieht, aber mit Sozialismus, mit materialistischer Herangehensweise an Fragen der Gesellschaft oder gar Revolution überhaupt nichts am Hut hat, sondern im Gegenteil die alten, überkommenen Verhältnisse früherer, verworfener Gesellschaften wieder herstellen möchte. Daß dies überhaupt so weit kommen konnte, liegt auch daran, daß viele Fragen, die in den 1980er und Anfang der 1990er Jahre aufgebrochen sind, nur mangelhaft verarbeitet und in ihrer Konsequenz beurteilt worden sind. Das sollten wir nachholen. Dazu gehören auch grundlegende Schriften zur Kritik wie „Lenins Stellung zu Alexander I. Herzen“[2] als auch vor allem „Leninismus und Zivilisation“, in denen vor allem wesentliche Fragen der Kultur und der Entwicklung von Zivilisation behandelt werden, welche nicht genug, vor allem über den kleinen organisatorischen Rahmen hinaus, diskutiert werden konnten und können..

 

Es gab zu Beginn der 2000er Jahre in Deutschland eine durchaus fortschrittliche, die sozialen Rechte für sich in Anspruch nehmende und dafür kämpfende Bewegung, die sogenannte Anti-Hartz-Bewegung. Der allererste Aufruf grundsätzlicher Art stammte nebenbei von unserer Gruppe. In dieser Bewegung vereinigten sich die verschiedensten Kräfte und Gruppierungen, u.a. auch solche aus der früheren kommunistischen Bewegung. Mit diesen gab es einen heftigen Disput über Fragen der Beurteilung der russischen revolutionären Geschichte oder eben auch nicht revolutionärer Anteile und der Degeneration und sozialimperialistischer Ambitionen und Handlungen. Das machte sich an verschiedenen konkreten Ereignissen fest, zum Beispiel an der Beurteilung des Einmarsches in die CSSR durch Truppen des Warschauer Paktes unter russischer Führung im Jahr 1968, aber auch an anderen Fragen, u.a. der Beurteilung des revolutionären China unter Mao Zedong. Daß solche Fragen diskutiert werden müssen, steht allerdings außer Frage. Und daß auch die Rolle des russischen, sagen wir mal Sozialismusverständnisses als auch vor allem der daraus folgenden Praxis einer historischen Aufarbeitung bedarf, daß der Revisionismus und teilweise Chauvinismus einer historischen Aufarbeitung bedarf, daß der Revisionismus kritisiert werden muß, das steht ebenfalls außer Frage.

 

Aber daß auf der anderen Seite auch die versuchte Wiedervereinnahmung von diesem Rußland über Vertreter wie Gorbatschow und andere ebenfalls diskutiert werden muß und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen sind, das liegt ja wohl ebenso auf der Hand. Genau das möchten wir mit solchen Anstößen in Gang setzen. Daß dabei unter anderem auch die Frage der menschlichen Zivilisation und ihrer Entwicklung eine wichtige Frage ist, die auch behandelt werden muß, in ihren verschiedenen gesellschaftlichen Formationen, steht auch außer Frage, und Hartmut Dicke hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet, u.a. mit seiner Schrift „Leninismus und Zivilisation“. Ich bin der Ansicht, daß dies noch viel zu wenig diskutiert worden ist und möchte hier dazu eine Anregung liefern, es im Weiteren zu tun. Gerade das heutige Putinsche Russland beinhaltet viele Widersprüche, so daß die Notwendigkeit einer solchen tiefgehenden Zivilisationsdebatte wieder auf der Tagesordnung steht.

 

Probleme müssen angegangen werden und nicht etwa umgangen werden, sonst kommt man nicht voran. Bedauerlicherweise macht es sich eine große Zahl sich als links verstehender Gruppierungen in unserem Land in dieser Hinsicht viel zu einfach.

 

Sicherlich gibt es auch neue Fragen. Zum Beispiel die Entwicklung Chinas. Die ist auch nicht ohne in dieser Hinsicht und das muß auch diskutiert werden und eine Stellung dazu erarbeitet werden, die nicht an der Oberfläche stecken bleibt, insbesondere zumal Xi Jinping, der jetzige Führer, sich in Worten auf die Tradition Mao Zedongs zu stellen bemüht ist. Aber was er in Taten vollbringt, das sollte man wirklich mal einer näheren Beurteilung unterziehen. Man kommt nicht umhin, den proletarischen Internationalismus auch in dieser Hinsicht unbedingt an die erste Stelle zu setzen. Nicht umsonst ist die kommunistische Ideologie und Zielsetzung eine der Befreiung der ganzen Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung. Daran müssen sich sämtliche konkreten Versuche, welche in der Praxis existiert haben oder existieren, messen lassen.

 

Heiße Eisen anpacken ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der revolutionären Entwicklung

 

Noch ein Punkt nebenbei. Es muß damals, zu Beginn der 1990er Jahre, eine ganzer Stoß von neuen Einwanderern aus der Türkei und Arabien nach Deutschland gegeben haben. Das sieht man an einigen Bezirken in Berlin, zum Beispiel im Wedding oder Neukölln. Dort konnte binnen weniger Jahre schlagartig die ganze Bevölkerungsstruktur umgewandelt werden. Das war sicherlich kein Zufall. Da haben sich einige herrschende Kreise wohl gedacht, das puschen wir mal schön voran, damit ja nicht wieder unter der deutschen Bevölkerung sich revolutionäre Entwicklungen breit machen können. Zugleich wurden Theorien wie der sogenannte Genderismus vor allen Dingen unter der deutschen Bevölkerung verbreitet und hofiert. Das Ergebnis davon kann man heute sehen. Und mit dem kleinen Baby-Boom unter der deutschen Bevölkerung von Anfang der 1980er Jahre war auch wieder Schluß.

 

Die Großindustrie und die damit verbundene Konzentration von vielen tausend Arbeitern in dieser Industrie ist doch gerade eine ganz wesentliche Triebkraft für den Sozialismus. Wie verhält sich denn das zu der Bedeutung der russischen Dorfgemeinschaft und deren „Springquellen“ für die soziale Erneuerung? Wie verhält es sich denn in China? Dort spielen die Bauern bekanntlich doch eine ganz erhebliche Rolle in der revolutionären Entwicklung. Aber industrielle Großindustrie und Bauernschaft, das sind eben doch noch zwei verschiedene Dinge, und die Frage stellt sich: was erwächst aus dem einen und was aus dem anderen an sozialer Einstellung und Konzeption?

Eine ganz wesentliche Springquelle des Sozialismus ist die Großindustrie, die massenhafte Konzentration von Arbeitern in derselben. Wie sieht es aber demgegenüber auf dem Land aus? Welche Bedeutung hat denn die Dorfgemeinde in Russland? Oder auch die Mark in Mitteleuropa für die Entwicklung von Zivilisation gehabt? Ohne Frage hatte sie eine wichtige Bedeutung, aber kann man denn dabei stehen bleiben, wenn das Gefüge einer Gesellschaft sich insgesamt wandelt, zum Beispiel durch die Entwicklung von Großindustrie? Die Marxsche Theorie ist ja nicht ohne Grund im 19. Jahrhundert entstanden, als sich diese Entwicklung abzeichnete und vollzog, zum Beispiel vor allen Dingen auch in England. Das hat doch eine große Rolle gespielt. Warum meinte denn Mao Zedong: „nur der Sozialismus kann China retten“? Allerdings war China zum damaligen Zeitpunkt sehr stark landwirtschaftlich geprägt, und zum Beispiel die Bildung von Volkskommunen, die sich dann entwickelt haben, stellten auch eine Art Keimzelle für den chinesischen Sozialismus dar. In dieser Hinsicht könnte ich mir vorstellen, daß es auch in Russland so etwas hätte geben können, als Ergebnis dieser Dorfgemeinschaften. Daß das System des Zarismus diese zerstört hat, ist unbestritten. Aber Gorbatschow hat sie auch nicht aufgebaut, ganz im Gegenteil, noch nie war die Lage auf dem Land so elend wie zu dessen Endzeit.

 

__________________________________________

1 (- zurück-) Die Schrift Leninismus und Zivilisation - Einführung zur Kritik ist erhältlich bei Verlag NEUE EINHEIT (Inh. H. Dicke),   Mallinckrodtstr. 177, D-44147 Dortmund - oder - Postfach 360 309, D-10973 Berlin.  E-mail: verlag@neue-einheit.com

2 ( - zurück-) Die Schrift W.I. Lenins Stellung zu Alexander I. Herzen  ist ebenfalls beim Verlag NEUE EINHEIT (Inh. H. Dicke) erhältlich.

 

 

 www.neue-einheit.com               www.neue-einheit.de