Internet Statement 2017-126

 

Wieviel Armut heute zumutbar ist? Null! Die Beseitigung von Armut ist überfällig

Wassili Gerhard  2.12.2017  

Ein offenherziges Statement findet sich im Tagesspiegel vom 22.09.17. Diese Zeitung begünstigt, wie auch andere, erheblich die grüne Richtung, die längst „Mainstream“ ist. Sie tat es ganz besonders in den Zeiten, als alles auf Jamaika hinauszulaufen schien. Gerade in dieser Zeit haben wir da ein ziemlich offenherziges Bekenntnis zur wachsenden Armut in dieser Gesellschaft in einem herausgehobenen Kommentar:

„Darum bräuchte es eine gesellschaftliche Debatte über Armut. Was sie ausmacht, wie viel Armut zumutbar ist, was Menschen haben müssen und was nicht. Was ist mit den Punkten aus der EU-Liste: Auto, Telefon, Fernseher, Fleisch? Die klingen doch seltsam genug, wenn zugleich die öffentlichen Debatten das Auto verteufeln, Fisch- und Fleischkonsum als Raubbau an Fauna und Klima geißeln und den Fernseher abschreiben, weil ins Smartphone geschaut wird, was auch die Telefonfrage veraltet wirken lässt. Ist vielleicht eher der Smartphonebesitz unerlässlich für eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben? („Wovon wir reden, wenn wir von Armut reden“ Tagesspiegel vom 22.09.17, Seite 8, Hervorhebungen von mir.) - Es folgt noch eine Menge an Beispielen, die die Sache immer mehr vernebeln.

Auto, Fernseher, Fleisch als Raubbau an der Natur verteufelt, das sind in der Tat typische Erscheinungen der grünen Richtung. Anm.1Sie hat eine Lanze für solche Senkungen des Lebensstandards gebrochen, die zuvor einige Jahre von den bürgerlichen Parteien hierzulande zu einem Problem von gestern erklärt worden war. Als der Kanzler Ludwig Erhard schon 1965 die Losung vom „Maßhalten“ ausgab, kostete ihn schnell erheblich an Popularität. Er sagte: "Wir müssen unsere Ansprüche zurückstecken oder mehr arbeiten". 1966 mußte der „Vater des Wirtschaftswunders“ abtreten. Heute will ihn übrigens die Linkspartei politisch wieder ausgraben.

Das war in den Zeiten, als der Kapitalismus noch durch eine Gesellschaft mit sozialistischem Anspruch herausgefordert wurde, der deshalb seinen brutalen, Menschen verschleißenden und verelendenden Charakter hierzulande als eine Kinderkrankheit hinzustellen versuchte, vor allem in Westdeutschland und Westberlin, wo die Konfrontation besonders nah war. In der Schule wurde mir erzählt, daß wir demnächst die „postindustrielle Gesellschaft“ haben werden, wo alle Arbeit von Robotern gemacht wird und das Hauptproblem sein wird, wie man seine viele Freizeit verbringt. Die Automatisierung werde uns demnächst eine Befreiung von allen Übeln der Vergangenheit bringen. Schon damals war die Überlegung, zu recht, wie das ohne die Beseitigung der Herrschaft des Bourgeoisie möglich sein sollte. Die Richtigkeit dieser Überlegung hat sich bestätigt.

Die Grünen markieren einen radikalen Umschwung in der herrschenden öffentlichen Meinung, öffentliche Meinung im Sinne veröffentlichte Meinung der Herrschenden, als man damit rechnete, die Herausforderung durch den Sozialismus zukünftig in den Griff zu bekommen, sie sind der Vorreiter für eine Politik der Rückabwicklung der sozialen Zugeständnisse, kaschiert und angeblich gerechtfertigt durch die angebliche Dringlichkeit der „Rettung des Planeten“, weshalb die sozialen Fragen angeblich zweitrangig werden. Dabei haben sie es außerdem verstanden, den vorher politisch besonders agilen Teil der Jugend zu großen Teilen unter ihre Führung zu bringen und von den sozialen Fragestellungen und dem Ziel der Erkämpfung einer anderen Gesellschaftsordnung wegzubringen. Am Anfang erforderte das noch ein gewisses Maß an scheinbar antikapitalistischer Demagogie und Ausmalung utopischer Entwicklungen. Aber heute ist Grün so weit auf dem Boden der Tatsachen angekommen, daß diese Ausrichtung kapitalistischer Mainstream geworden ist.

Es ist noch keine 50 Jahre her, daß manche Dinge, die noch zu Zeiten meines Vaters ein Traum in vielen Arbeiterhaushalten waren,Anm.2 hierzulande erst relativ selbstverständlich wurden, so daß das auch einen Einfluß auf die Definition des Mindestbedarfs hatte, der eben seine gesellschaftliche Relativität besitzt. Aber nach dem Sieg über das sozialistische Lager, das seit langem schon dabei war, wieder in eine Ausbeutergesellschaft, wenn auch noch unter sozialistischem Aushängeschild, zurückzufallen, war das so für die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr erforderlich. Der Umsturz in China nach dem Tode Mao Zedongs spielte da eine große Rolle als Wendepunkt. Man propagierte dann in den Neunzigern, als im Osten die sozialistische Fassade offiziell fallen gelassen wurde und in China der Kapitalismus blühte, das „Ende der Geschichte“ und die „Alternativlosigkeit“ des Kapitalismus. Und so sollte es auch wieder offen nach den Notwendigkeiten des Kapitals gehen. Und so baute man ab, was vorher im Dienste des grundsätzlichen Überlebens der kapitalistischen Ordnung an Zugeständnissen für notwendig gehalten worden war. Das war nie als eine dauerhafte neue Ordnung gedacht. Das Zurückkehren da hin ist eine Illusion.

Materiell wurde der Boden dafür auch vorher schon vorbereitet, indem die große Industriekonzentration zunehmend Richtung andere Erdregionen verlagert wurde, die hier für ein ständig wachsendes Industrieproletariat gesorgt hatte. Gerade dieses ständige Wachstum, das heute auf der internationalen Ebene weiter stattfindet, hatte für die Siegesgewißheit der sozialistischen Bewegung eine wichtige Rolle gespielt. Einem Teil der Bevölkerung, gerade einem Teil der industriellen Arbeiterbevölkerung, wurde hierzulande die materielle Lebensgrundlage unter den Füßen weggezogen, was ihn seiner vorherigen Durchsetzungskraft beraubte. Es entstand eine strukturelle Dauerarbeitslosigkeit. Auch bei der Schaffung der entsprechenden öffentlichen Meinung in diesem Zusammenhang spielte die grüne Anti-Großindustrie-Propaganda eine wichtige Rolle. Anfangs wurden die Folgen, vor allem im öffentlichen Bild, durch Aufblähen des öffentlichen Dienstes, Frühverrentung und Aufstockung der Arbeitslosenversicherung abgemildert, aber mittlerweile haben wir Hartz IV, nicht zufällig unter einer „rot-grünen“ Regierung durchgesetzt, und das reicht anscheinend noch nicht. Es zeigt die Kontinuität der grünen Politik im richtigen Licht, daß die „öffentlichen Debatten“, für die die Grünen den Vorreiter gespielt haben, heute für derartige Argumentationen zur Rechtfertigung weiterer Verarmung herhalten.

Die Frage „wie viel Armut zumutbar ist“ ist ganz klar zu beantworten, wenn man sich auf den Standpunkt des Entwicklungsstandes der heutigen materiellen Möglichkeiten stellt: Armut ist heute garnicht zumutbar, weder hierzulande noch sonst irgendwo in der Welt, denn die materiellen Mittel, um Armut weltweit zu beseitigen, sind längst vorhanden und müssen nur richtig angewendet werden, es sind gesellschaftliche Hindernisse, die dem im Wege stehen, und diese sind zu beseitigen. Und ja, die Definition, was Armut ist, ist wirklich eine relative, was einmal als befriedigend galt, kann heute als Armut definiert werden, aber das kann nicht von den Herrschenden beliebig bestimmt werden. Marx faßte das im Prinzip so zusammen:

„Ein Haus mag groß oder klein sein, solange die es umgebenden Häuser ebenfalls klein sind, befriedigt es alle gesellschaftlichen Ansprüche an eine Wohnung. Erhebt sich aber neben dem kleinen Haus ein Palast, und das kleine Haus schrumpft zur Hütte zusammen. Das kleine Haus beweist nun, daß sein Inhaber keine oder nur die geringsten Ansprüche zu machen hat; und es mag im Laufe der Zivilisation in die Höhe schießen noch so sehr, wenn der benachbarte Palast in gleichem oder gar in höherem Maße in die Höhe schießt, wird der Bewohner des verhältnismäßig kleinen Hauses sich immer unbehaglicher, unbefriedigter, gedrückter in seinen vier Pfählen finden.“
Eine solche Absenkung, wie sie in dem Tagesspiegel-Kommentar gefordert wird mit Verweis auf grün eingefärbte „gesellschaftliche Debatten“, folgt dem Motto: die herrschende Meinung ist die Meinung der Herrschenden. Diese Herrschaft wird nicht unbegrenzt bestehen, und sie sorgt selbst dafür, daß das so ist. Eine Gesellschaft, durch die das Leben der Menschen weit hinter das heute Mögliche zurückfällt, hinter den Stand der materiellen Möglichkeiten, die gehört durch eine bessere ersetzt.

Es geht dem Kapital heute einerseits um eine Senkung des Lebensniveaus der breiten Masse in den entwickelten kapitalistischen Ländern, auch wegen dem Konkurrenzdruck der billiger produzierenden Kapitalisten, die auch bereits in vollem Gange ist, andererseits will man auch den Milliarden in der Welt, die für bessere Lebensbedingungen kämpfen und dabei teilweise auch Erfolge errungen haben, nicht nachgeben. So haben zum Beispiel die chinesischen Arbeiter, gerade die in großen Fabriken zu vielen Tausenden konzentrierten, teilweise auch schon Verbesserungen und Lohnsteigerungen durchgesetzt, so daß mittlerweile auch chinesische Firmen mit der Produktion z.B.nach Eritrea oder anderswo in Afrika gehen, weil ihnen die chinesischen Arbeiter zu teuer geworden sind. Ist es da ein Zufall, daß auch die chinesische Bourgeoisie eine auffallende Sympathie für grüne Politik entwickelt? Nicht zuletzt im Rahmen der sogenannten Klimapolitik wird auch längst von den großen imperialistischen Mächten, zu denen auch China heute gehört, global dagegen agiert, daß weltweit die arbeitenden Massen für die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse kämpfen und auch vorher zurückgebliebene Länder sich zu Industriestaaten entwickeln wollen.

Damit wird eine Politik im internationalen Rahmen verfolgt, die man schon vor 100 Jahren im europäischen Rahmen praktiziert hat, und die Antwort darauf war die internationale Solidarität der Arbeiter, die Gründung der ersten Arbeiter-Internationale und die Koordinierung der Kämpfe über die nationalen Grenzen hinweg. Zu etwas derartigem müssen wir auch heute wieder hin kommen. Die internationale Bourgeoisie zieht heute die Völker, die damals noch zurückgeblieben waren, in das globale kapitalistische System hinein, sie haben, den Raubtierkapitalismus auf der ganzen Welt verbreitet, als sie ihn hierzulande für ein Relikt der Vergangenheit erklärten, viele Millionen neu in die kapitalistische Mühle hineingezogen, und so werden sie sich letztlich die gleichen unlösbaren Probleme auf einer globalen Ebene wieder in einem ganz anderen Umfang bescheren, denen sie einst in den alten Industrieländern entkommen wollten.

Anm.1

Das Smartphone ist natürlich etwas Anderes, denn es dient auch der Überwachung oder den Konzepten der bargeldlosen Zahlung. Es werden sich schon irgendwo in der Welt diese Smartphones mit extrem ausgebeuteten Billigarbeitern billig produzieren lassen, oder abgelegte Smartphones von Wohlhabenderen finden lassen.

Anm.2

Er erzählte mir zum Beispiel, daß es das ganze Jahr kein Fleisch zum Mittag gab, daß ein Suppenhuhn zu Weihnachten etwas Besonderes war. Hin und wieder wurde ein Topf Blut auf dem Markt gekauft und selbst Blutwurst gemacht. Die hieß bei manchen „Proletarierschnitzel.

 

 

   

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