Internet Statement 2017-37
Zu dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien Kein Vorwand für
eine Militärintervention
Wassili Gerhard 14.04.2017 Das Giftgasverbrechen in Syrien im Ort Chan Schaichun war kaum vorbei, da wußten manche bereits genau was passiert war. Daß dieser Ort im Gebiet der sogenannten Al-Nusra Front liegt, bzw. Dschabhat Fatah asch-Scham, wie sie sich nennen, seit sie sich wenig glaubwürdig von ihrer Verbindung mit Al-Qaida losgesagt haben, ficht da manche nicht an. Das ist eine extrem fanatische Gruppe, der selbst sehr wohl jedes Täuschungsmanöver und Giftgasverbrechen zuzutrauen ist und die auch selbst im Besitz von Giftgas sein soll, auch Sarin. Letztlich ist es nicht völlig klar erwiesen, was da von wem genau getan wurde, alles stützt sich auf Informationen aus dieser Quelle und von mit diesen alliierten Kräften, die gleichzeitig gewöhnlich Verbrechen der eigenen Seite zu decken pflegen.
Und wie schon richtig bemerkt wurde, kommt diese neue Eskalation im Zusammenhang mit dem Giftgasverbrechen überhaupt am wenigsten Assad gelegen. Sie kommt genau zu einer Zeit, als es so aussah, als könnte es eventuell Fortschritte in Richtung einer Reduzierung der Kriegshandlungen und in Richtung einer Lösung geben, denn IS und Al-Nusra und Satelliten scheinen augenblicklich sehr geschwächt zu sein. Auch stand eine wichtige Konferenz der EU zu diesem Thema an. Kurz vorher hatten USA und andere Assad als Verhandlungspartner anerkannt, was sie vorher lange ausgeschlossen haben. Das ist nach diesem Vorfall wieder vom Tisch. Das muß doch unbedingt mißtrauisch machen bei der ganzen Sache. Auf keinen Fall gibt es Kräften, die diesen Krieg jahrelang geschürt und am Leben gehalten haben, gebombt und für Milliarden Waffen und Ausrüstung hineingepumpt haben, jetzt das Recht zur Verstärkung ihrer direkten militärischen Intervention und zu sogenannten „Vergeltungsschlägen“. Schon gar nicht Trump, der sich für das Versprechen, das nicht zu tun, hat wählen lassen.
Andere Stimmen werden dagegen nicht gehört oder abgewertet. Gerade ist ein offener Brief der US-amerikanischen Vereinigung "Veteran Intelligence Professionals for Sanity" erschienen, ehemaliger Geheimdienst-Mitarbeiter der USA, der Trump vor einer Eskalation in Syrien warnt und die Urheberschaft Assads für einen Angriff mit Giftgas bestreitet. Sie berufen sich auf ihre Kontakte in den Geheimdienst hinein und da auf Leute vor Ort. Also die altbekannten „Whistleblower“, die der USA-Administration immer wieder zu schaffen machen. Diese Gruppe warnte 2003 vor einem Militäreinsatz im Irak und bestritt zurecht den damaligen Vorwand. Inzwischen ist sie mit mehreren ähnlichen Warnungen hervorgetreten. Das ist eine Stimme, die die offiziellen Medien nicht einfach abtun können.
Zumindest ist die Frage nicht so eindeutig geklärt, wie manche hier, z.B. der Bild-Journalist Julian Reichelt letzte Woche bei „Hart aber fair“, glauben machen wollen. Dort war auch ein ehemaliger Kampfpilot und Offizier, Ulrich Scholz, der offenkundig nicht so Propaganda-geschult war und mit seinen eigentlich wertvollen Hinweisen aus der Praxis, die die Realität hinter schönen Worten deutlich machten, vor allem von Reichelt routiniert niedergemacht wurde. Auch Scholz berief sich auf eigene Kontakte vor Ort, die ihm mitgeteilt hatten, daß die „Rebellen“ verantwortlich gewesen seien. Reichelt und andere demonstrieren auch bezüglich des Giftgasverbrechens von 2013, das fast zu einer Intervention geführt hätte, eine angebliche Sicherheit, die sie nicht haben können, wo doch selbst manche ausgesprochenen Assad-Gegner heute davon sprechen, daß diese Vorgänge bis heute „im Nebel“ seien. Z. B. waren mit Saudi-Arabien zusammenhängende Kräfte ebenfalls dringend verdächtig, die auch über die Mittel dazu verfügen können, was auch nicht so unplausibel wäre. Assad willigte immerhin daraufhin einer Vernichtung der syrischen Giftgasbestände unter internationaler Kontrolle zu.
„Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“, und nach allen Erfahrungen, die es mit der Schaffung von Vorwänden für Krieg gibt, gerade auch seitens der USA, ist es durchaus angebracht, erst einmal eine wirklich genaue Untersuchung durch möglichst unparteiische Instanzen zu fordern. Und eine Berechtigung für eine groß angelegte Militärintervention kann es sowieso nicht geben, denn die massive Einmischung von außen war es schließlich, die Syrien in diese heutige verzweifelte Lage gebracht hat. Oder sehen wir uns doch an, was im Irak oder in Libyen bei so etwas herausgekommen ist. Kräfte wie der IS wären ohne ein solches Vorgehen nicht groß geworden. Die Zeitung „Le monde diplomatique“ brachte jüngst die Überschrift „Libyen ist nicht mehr“. Und um das Gebiet des Irak streiten heute auch mehrere Mächte.
Es handelt sich um Länder, wo die gesellschaftlichen Voraussetzungen ganz andere sind, als, sagen wir, hierzulande (manchmal hat man allerdings den Eindruck, daß Europa heute nach diesem Vorbild umgestaltet werden soll), diese Länder und Völker müssen die Gelegenheit bekommen, ihren eigenen Entwicklungsweg zu finden, der wie überall auch zeitweilig über Um- und Irrwege geht. Die Völker dort müssen aus ihrer Mitte die Kräfte hervorbringen, die damit fertig werden. Das müssen wir unterstützen. Wir müssen immer die Interessen der Massen in diesen Ländern im Auge behalten. Die imperialistischen Länder handeln anders. Dort den Militärschrott abzuwerfen oder die inneren Konflikte mit modernsten Waffen hochzurüsten, weil man im Falle des Sieges einer Seite mit erhöhtem Einfluss in diesem Land rechnet, manchmal auch einfach alles zu zerstören, damit der Rivale nicht von den Reichtümern des Landes profitieren kann, oder auch alle gegeneinander zu hetzen, um von der Schwäche und Hilfsbedürftigkeit des Landes zu profitieren, wie z.B. im Kongo, so sind schon viele Millionen in den früheren kolonialen Gebieten umgebracht worden. Das ist heutiger Neokolonialismus, der natürlich meist unter anderen Parolen auftritt. Die Schärfe der Krise des Kapitalismus steckt in Wahrheit hinter der Schärfe vieler dieser Kriege heute.
Natürlich ist es insgesamt schwer, in dem Geschehen durchzublicken. Das politische System in Syrien war auch vor dem gegenwärtigen Krieg dort nicht unbedingt völlig demokratisch zu nennen, aber in mancher Hinsicht nicht unbedingt das schlechteste in der Region. Dieses Land, das in der Geschichte lange an der Nahtstelle verschiedener Großreiche, Religionen und Kulturbereiche lag, hat seit jeher das Zusammenleben sehr unterschiedlicher ethnischer und religiöser Bevölkerungsgruppen gekannt, und ein relativ tolerantes und modernes Zusammenleben in seinen entwickelteren Gebieten, wo auch heute noch überwiegend die Assad-Regierung die Kontrolle ausübt. Die Lage im Land ist vor allem aus den Fugen geraten, seit das Nachbarland Irak destabilisiert wurde, aus dem Syrien Millionen an Flüchtlingen aufnahm, und dort nach dem Irakkrieg die Religionen aufeinander gehetzt wurden. Man nehme dagegen manche andere Länder der Region, die zu den Verbündeten des Westens gehören. Eine unvollständige Aufzählung: Man denke nur an Saudi-Arabien mit seiner barbarischen Ordnung, wo Atheismus gesetzlich als Terrorismus bestraft wird, oder Ägypten mit seiner grausamen Militärdiktatur, oder Israel, das trotz seiner permanenten „ethnischen Säuberung“ als die Demokratie in der Region gelobt wird. Aber auch das barbarische System des Iran sollte nicht unerwähnt bleiben.
Es gab auch innerhalb Syriens erhebliche gesellschaftliche Widersprüche und auch berechtigte Opposition gegen das Assad-Regime. Aber es gab auch gleichzeitig eine nicht unterstützenswerte Opposition, die eine Diktatur im Namen des sunnitischen Islam anstrebte und bis heute anstrebt, womit Syrien mit seinen ethnischen und religiösen Minderheiten und mit seinem Bevölkerungsanteil, der einen relativ modernen und weltoffenen Lebensstil pflegt, vom Regen in die Traufe käme. Diese teils in archaischen Verhältnissen wurzelnden Kräfte haben Verbindungen zu Saudi-Arabien, Qatar, Türkei, Al Qaida - und aus denen wurde auch ein erheblicher Teil der Kräfte des IS rekrutiert. Von den genannten Unterstützern bekamen diese Kräfte Waffen und Ausrüstung, teilweise hochmodern, teilweise ausgemusterter Militärschrott, aber auch nicht zuletzt als Primärquelle aus den USA oder auch aus der EU, klammheimlich über denn Balkan, (siehe auch Links unten), die dabei eine sogenannte „gemäßigte Opposition“ als Vorwand hochhalten, die in Wahrheit immer mehr von den radikalen islamistischen Kräften geschluckt oder untergebuttert wurde, und wo der Löwenanteil von Waffen und Ausrüstung ankommt.
Auf diese Kräfte, die sich teilweise auch dadurch deutlich diskreditierten, daß sie mit den Erfahrungen von Irak und Libyen vor Augen ihr Heil in einer Intervention von Außen suchten, setzte man für die Beseitigung des Assad-Regimes, das wegen seiner Unbotmäßigkeit gegenüber den USA weg sollte - es hatte auch beim Irakkrieg 2003 nicht an der „Koalition der Willigen“ teilgenommen - denn für die USA ist die Kontrolle über diese ölreiche Region unabdingbar. Man brachte Milliarden für die Unterstützung der Gegenkräfte auf. Assad wurde der Ölexport verboten, der bewaffneten Opposition wurde er erlaubt, gerade als Al-Nusra und IS dabei waren, sich in den Besitz der Ölfelder zu bringen. Nach wie vor sind die Wege, auf denen dieses ÖL verkauft wurde, und an wen, nicht zweifelsfrei aufgeklärt. Am Ende landete ein riesiger Teil der Unterstützung im Wert von Milliarden, wenn nicht der Löwenanteil, beim IS (früher ISIL) und bei der mit Al Qaida verbündeten „Al-Nusra-Front“ und ihren Satelliten (oder wie sie jetzt heißt, nachdem sie sich umbenannte - laut Wikipedia aktuell Dschabhat Fatah asch-Scham ‚Front für die Eroberung der Levante’ - um den Westen nicht zu sehr zu kompromittieren, wenn er sie unterstützt, oder sich in erheblichem Maße auf Meldungen aus dieser Richtung stützt) Und diese verfügen mit Sicherheit auch über Giftgas, erbeutet, von äußeren Unterstützern, oder eventuell sogar selbst hergestellt.
Assad wurde völlig in die Enge getrieben, obwohl er sich in diesem religiös und ethnisch in großen Teilen segmentierten Land immer noch auf große entwickelte Gebiete stützen kann, deren gemischte Bevölkerung in seinen Gegnern das größte Übel sehen dürfte, nämlich Menschen mit einem Lebensstil, der von den fanatisch islamistischen Kräften nicht geduldet würde, weshalb sie die Bevölkerung dort mit Terrorakten wie Autobomben überziehen. Assad wurde aber auch immer mehr von der Unterstützung Rußlands abhängig, und auch von Iran, um sich halten zu können gegen diese geballte ausländische Intervention mittels innerer Kräfte. Somit findet heute in weiten Teilen ein Stellvertreterkrieg statt, und ja, was die Syrer selbst wollen, spielt mittlerweile oft keine Rolle mehr. Sie sollen für fremde Interessen zur Schlachtbank geführt werden.
Der Krieg wird seit Jahren von außen weiter am Leben gehalten, die Syrer allein hätten ihn nicht so lange und nicht in diesem Umfang durchhalten können. Und deshalb ist auch die angebliche Betroffenheit mancher Kräfte hierzulande, die auch immer wieder selektiv ist, wenn man das genau verfolgt, äußerst heuchlerisch. Da war die jüngste „Hart-aber-fair“-Sendung mit dem arroganten Bild-Reporter wieder ein Beispiel. Furchtbare Fotos mit toten Kindern kann man mit Sicherheit auch da machen, wo die „Anti-IS-Koalition“ bombt, oder da, wo gewisse Kräfte ihre Autobomben hochgehen lassen, von denen immer nur aus ihrem Herrschaftsgebiet die anrührenden Fotos von Opfern, die von der Gegenseite getötet wurden, gezeigt werden (und nicht die von ihnen abgeschlagenen Köpfe). Kinder sterben auf allen Seiten, man sollte mal darauf achten, wie mit der Auswahl, welche Fotos gebracht werden, bewußt die öffentliche Meinung manipuliert wird, wie in der Regel in jedem Krieg. Wenn dieser Krieg ein Ende finden soll, dann muß vor allem die Einmischung von außen beendet werden, die ihn erst in diesem Ausmaß möglich gemacht hat..
Links: Trump
Should Rethink Syria Escalation (Veteran Intelligence Professionals
for Sanity) Wikipedia
(Deutsch) Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS) Mutmaßlicher
Giftgas-Angriff - Amerika will Syriens Diktator Assad ablösen FAZ 06.04.2017
The
airstrike in Mosul was potentially one of the worst U.S.-led civilian
bombings in 25 years washingtonpost 28.03.2017
|