Internet Statement 2017-61

 

 

 

 

Worum geht es der gegenwärtigen Bewegung in Rußland?

 


Maria Weiß  12.06.2017      

In Russland finden zur Zeit wieder mal Demonstrationen statt von sehr jungen Menschen, 18- bis 20jährigen, und zwar in vielen Städten des Landes. Sie finden unter der Leitung von Alexey Nawalny statt und richten sich vorwiegend gegen die Korruption, was sicher ein sehr berechtigtes Anliegen ist. Diese Menschen, die dort demonstrieren, sind überwiegen solche, die Mitte bis Ende der 1990er Jahre geboren wurden. Sie haben die elende Zeit nach dem Zusammenbruch der früheren Sowjetunion unter der Ägide vor allen Dingen von Gorbatschow oder Jelzin nicht bewusst mitbekommen, als es den Menschen dort äußerst dreckig ging und man ganz elementar um Überlebensfragen zu kämpfen hatte. Sie haben dies höchstens als Kleinkinder oder Babys mitbekommen, und dies spielt bei dieser jetzigen Bewegung natürlich durchaus eine Rolle, denn sie können daher gewisse Verdienste von Putin nicht würdigen, welche allerdings inzwischen in dem allgemeinen Sog der unsäglichen Korruption in der Oligarchenherrschaft in diesem Land untergegangen sind.

 

Nun gibt es eben eine neue Entwicklung, und es ist sehr interessant, was diese Entwicklung anstrebt, was diese Menschen wollen. Was sind ihre Forderungen? Davon erfährt man leider recht wenig in den hiesigen Nachrichten. Das einzige, was man erfährt ist, dass Alexey Nawalny wieder mal verhaftet wurde. Aber was die Leute fordern, diese vielen jungen Menschen, was ihnen stinkt außer der Korruption dort und was sie selbst sozial denken und fordern, davon erfährt man hier fast gar nichts. Und das ist sehr bedauerlich. Darüber müsste man eigentlich viel mehr erfahren, so weit es denn überhaupt schon so weit ist, dass es formuliert werden kann. Sollte Letzteres nicht der Fall sein, ist natürlich wieder zu befürchten, dass der so genannte Westen sich dieser Sache bemächtigt und versuchen wird, sie in seinem Sinne umzukehren, den Expansionsgelüsten des Kapitals unter zu ordnen, wie schon in der Ukraine geschehen.

 

Letzteres wird natürlich Putin zu verhindern bestrebt sein, dazu ist er zu intelligent und zu erfahren, so daß bei solchen politisch unerfahrenen Bewegungen es schwer ist, etwas Vernünftiges dabei heraus kommen zu lassen, obwohl sie es allemal verdient hätten.

 

Allerdings hat Putin ein relativ drastisches Problem, nämlich auf der einen Seite wird er sicherlich so intelligent sein, dass er die Gründe für den Protest im Grunde anerkennen muß, auf der anderen Seite ist er aber von seiner Machtstellung her gezwungen, diesen zu unterdrücken, weil er ihn natürlich selbst bedroht, mitsamt seiner ganzen Kaste von Oligarchen und Bürokraten. Man darf gespannt sein, wie er aus diesem Quadrat herausspringen wird. Obendrein kommt dazu, dass der Westen natürlich darauf lauert, dass die gegenwärtige Regierung in Russland geschwächt wird oder am besten sogar verschwindet, damit sie selber daraus die Früchte ziehen können. So wird also Putin, sofern er klug ist, letztendlich nichts anderes übrig bleiben als in gewisser Hinsicht auf diese Bewegung einzugehen. Letzteres hängt allerdings stark davon ab, inwieweit er nicht selbst mit diesem ganzen korrupten System so tief verbunden ist, dass er da nicht heraus kann.

 

Es wäre interessant, sich mit diesen ganz jungen Menschen dort auszutauschen, denn sie sind jetzt ungefähr so in dem Alter, in dem wir auch gewesen sind, zum Ende der 1960er Jahre, und ich bin eigentlich sicher, es gäbe Einiges an Erfahrungen auszutauschen. Die damalige Jugend- und Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre in Berlin (dem damaligen West-Berlin vor allem) als auch in anderen Teilen des damaligen Teilstaats Bundesrepublik richtete sich vor allem gegen das alte westdeutsche, personell vom Nazismus noch geprägte Regime, als auch gegen Korruption, eben gegen das damals von den USA angeführte und dominierte System des Kapitalismus und Imperialismus als auch gegen den damals in besonderer Weise hervortretenden Sozialimperialismus der damaligen Sowjetunion. Man darf gespannt sein, was diese neue Jugendbewegung im gegenwärtigen Russland als Stein des Anstoßes betrachtet. Personen sind dabei, wie immer, ein bisschen wenig.

 

Die Geschichte hat in diesen letzten 50 bis 60 Jahren einiges an Windungen und Wendungen erlebt. Letztendlich kehrt sie aber immer wieder zum Ausgangspunkt zurück, dem Widerspruch zwischen der Unterdrückung einiger Weniger gegenüber der breiten Mehrheit des Volkes, zurück zu dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung. Das ist weder in Russland noch in Europa noch irgendwo sonst auf er Welt von einander verschieden. Ganz im Gegenteil. Die Auswirkungen dieser Gegensätzlichkeit werden sich solange zeigen, bis diese eines Tages weltweit gelöst sein wird. Korruption gibt es in jedem Ausbeutungssystem, egal welcher Nationalität, aber nicht selten fängt die Bewegung damit an, sich von äußeren Erscheinungen bis zum Kern weiterzuentwickeln und damit dem Fortschritt der Gesellschaft sukzessive Tür um Tür zu öffnen. Geschichte vollzieht sich in Windungen und Wendungen, aber blickt man zurück, dann kann man sehr deutlich erkennen, dass die generelle Tendenz insgesamt betrachtet immer Richtung Fortschritt gelaufen ist und nicht etwa umgekehrt.

 

 

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