Internet Statement 2017-67

 


 

Pauschale Aufhebung von Urteilen nach § 175

Gleiches Recht für alle oder Privilegierung?

 

 

Wassili Gerhard  22.06.2017   

Jetzt soll die pauschale Rehabilitierung der Verurteilten nach dem Paragraphen 175 in der Bundesrepublik diese Woche beschlossen werden. In letzter Minute haben Kräfte aus der CDU darauf bestanden, Fälle dabei auszuklammern, bei denen ein Beteiligter unter 16 Jahre alt war. „Hierdurch soll dem Gedanken des Jugendschutzes möglichst umfassend Rechnung getragen werden“, war die garnicht so abwegige Begründung.

 

Da gibt es sofort einen einfühlsamen Kommentar im Tagesspiegel unter der Überschrift „Rehabilitierung von Schwulen in letzter Minute eingeschränkt“. Man gibt eine SPD-Stimme wieder, dies enthalte "die Gefahr erneuter Ungleichbehandlung", weil das „allgemeine Schutzalter“ bei 14 Jahren angesetzt sei. Daß man mit Ungleichbehandlung weniger Probleme hat, wenn es keine Homosexuellen betrifft, werden wir noch sehen. Und ob es wirklich so unbegründet ist.

 

»Eine Anhebung des Schutzalters auf 16 ist eine knallharte Diskriminierung“, postete Petra Nowacki, die Chefin von „SPDqueer“ auf Facebook. Es sei eine „Unverschämtheit“, dass die CDU/CSU-Fraktion angedroht habe, den Gesetzentwurf sonst ganz fallen zu lassen. Sie sei aber auch von der eigenen Fraktion „enttäuscht“, dass sie sich darauf eingelassen habe.« (Tagesspiegel vom 22.06.17)

 

Es gibt aber noch die heute noch gültigen Paragraphen 182 und 182 StGB, wo es heißt:


»
§ 180 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger

(1) Wer sexuellen Handlungen einer Person unter sechzehn Jahren an oder vor einem Dritten oder sexuellen Handlungen eines Dritten an einer Person unter sechzehn Jahren

1. durch seine Vermittlung oder

2. durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit

Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.«

»§ 182 Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen

[...,]

Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch mißbraucht, daß sie

1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder

2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,

und dabei die ihr gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.«


Hier geht es in der Tat um Jugendschutz. Möglicherweise möchten manche kein Sonderrecht für Homosexuelle schaffen, ihnen nachträglich pauschal erlauben, was anderen bis heute verboten wird? Eine aufwendige Prüfung jedes Einzelfalles ist ja wohl nicht vorgesehen, zumal die gesamte Rechtsauffassung zu jener Zeit eine ganz andere war. Eigentlich ist das niedrige Schutzalter von 14 Jahren vor allem damit begründet, sexuelle Handlungen von so jungen Menschen untereinander einfühlsam behandeln zu können und nicht mit dem Strafrecht ahnden zu müssen, aber nicht als „Freie Fahrt für Knabenliebhaber“ gedacht. Oder will jemand damit kommen, daß es die nicht gibt? Sind die Kindesmißbrauchsskandale der letzten Jahre schon wieder vergessen? Ist die Odenwaldschule schon vergessen?

 

Wer redet aber von der eigentlichen Diskriminierung?

 

Zu jener Zeit gab es allgemein ein sehr viel restriktiveres Sexualstrafrecht, das auch von manchen Juristen mit Hinweis auf kirchliche Gebote gerechtfertigt wurde, und vor allem auch eine gesellschaftliche Praxis, wo generell Sexualität außerhalb der Ehe als „Unzucht“ bezeichnet und verfolgt wurde. Das Modell der bürgerlichen Ehe sollte allen aufgezwungen werden. Allein lebende Frauen, denen Sexualkontakte nachgewiesen wurden, wurden wie Prostituierte zur regelmäßigen Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten gezwungen. Es gab bei der Polizei eine Kartei „HWG“.(Personen mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern), in der sie festgehalten wurden. Natürlich gab es Prostitution, dafür sorgten wohlhabende und einflußreiche Männer schon, das gehörte zur Doppelmoral und begleitete die bürgerliche Ehe stets. Zusätzlich zu der gesetzlichen Verfolgung gab es eine kleinliche gemeine Schikanierung und Sanktionierung. Es sind damals viele verfolgt worden für Handlungen, die heute niemand ernsthaft bestrafen wollte, keineswegs nur Homosexuelle.

 

Aufhebung von Urteilen nach dem damaligen Kuppeleiparagraphen!

 

Es gab auch. den sogenannten „Kuppeleiparagraphen“, der schon unter Strafe stellte, wenn jemand zwei unverheiratete Erwachsene verschiedenen Geschlechts bei sich übernachten ließ und nicht sicher stellte, daß es zwischen ihnen zu keinen einvernehmlichen sexuellen Handlungen kam, sie nicht überwachte, oder ihnen einen Autoschlüssel überließ, etc.! Ein besonders kurioses Urteil war die Verurteilung eines Ehemannes, der vom Seitensprung seiner Frau wußte und ihn nicht zu unterbinden versuchte. Bei Wikipedia hieß es u.a. zum Thema Kuppeleiparagraph :

 

 »In der Bundesrepublik wurde durch die Große Strafrechtsreform von 1969 mit Geltung ab 1. April 1970 die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte abgeschafft und die Gefängnis- und Zuchthausstrafe durch Freiheitsstrafe von grundsätzlich gleicher Dauer ersetzt, die Mindeststrafe für die schwere Kuppelei aber auf sechs Monate gesenkt. Seit 1973 ist im § 180 (n.F.) nur noch die Kuppelei mit unter 16-Jährigen als Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger unter Strafe gestellt und mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedroht. Sorgeberechtigte machen sich nur strafbar, wenn sie dadurch gleichzeitig ihre Erziehungspflicht gröblich verletzen.« (Hervorhebung von mir, W.G.)

 

Es gab nicht nur die Unterdrückung der gleichgeschlechtlichen sexuellen Betätigung. (Nebenbei: die war sogar angesichts der strengen Geschlechtertrennung bei Unverheirateten des gleichen Geschlechts einfacher zu praktizieren, wenn geheim gehalten.) Es gab auf diesem Gebiet allgemein eine enorme Unterdrückung, gegen die nicht zuletzt die Jugend- und Studentenbewegung, (die neuerdings vielgescholtenen 68er) damals auch Sturm gelaufen ist. Zweifellos war es auch nicht akzeptabel, daß Homosexuelle allein wegen einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen sexuell Mündigen außerhalb der Öffentlichkeit bestraft wurden, das sogar wenn die Erkenntnis darüber aus heimlicher Schnüffelei in ihrem Privatleben gewonnen wurde. Es gab regelrechte professionelle Erpresser, die sich auf so etwas spezialisiert hatten. Das gehörte abgeschafft. Aber das war garnicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

 

Manch einer, der heute auf diese Jugend- und Studentenbewegung schimpft, nimmt selbstverständlich für sich in Anspruch, was diese erkämpft hat, nicht zuletzt dadurch, daß sie einfach massenhaft sich nicht an diese Gesetze hielt, so daß deren Durchsetzung schon vor ihrer offiziellen Abschaffung nicht mehr allgemein möglich war.

 

Die Opfer damaliger, heute nicht mehr nachvollziehbarer Unterdrückung zu rehabilitieren, ist sinnvoll. Warum aber macht man dann einen solchen Unterschied? Warum soll das eine Unrecht rückgängig gemacht werden, ursprünglich sogar in Fällen, wo das nicht völlig eindeutig ist, aber das Unrecht, das im Prinzip alle betroffen hat, wird als weniger Schlimm angesehen, wird nicht einmal thematisiert? Dieses Mal werden zur Abwechslung nicht ungleiche Dinge mit gleichem Maß gemessen, sondern (tendenziell) Gleiches mit ungleichem Maß.

 

 

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