Internet Statement 2017-85

 

 

 

Die Frage der Flüchtlinge, die über Libyen nach Europa wollen

 

 

Wassili Gerhard  18.08.2017    

Warum sollten die Flüchtlinge in nicht seetüchtige Boote steigen und sich aufs Meer hinaus schicken lassen? Weil draußen die Rettungsschiffe kreuzen. Was denn sonst? Die Flüchtlinge wollen doch nicht an der libyschen Küste Suizid begehen, sondern nach Europa und dort besser leben. Also ist die Aussicht auf Aufnahme durch die Schiffe der NGOs der eigentliche Grund, warum man sich mutwillig in Seenot bringen läßt und noch dafür bezahlt. Das hat sich natürlich hochgeschaukelt. Je mehr Schiffe, desto einfacher das Handwerk der Schlepper und umso mehr Profit mit kleinerem Aufwand kann man machen. Diese nehmen aber auch in Kauf, daß die Flüchtlinge ertrinken, wenn es nicht klappt, und ein gewisses Risiko ist da, was ja auch die Zahl der Ertrunkenen zeigt. Man muß doch voraussetzen, daß bei den Schleppern Gewinnstreben und nicht Humanität der Antrieb ist und ein gewisses Maß an „Kollateralschäden“ in Kauf genommen wird. Aber völlig in ihrem Interesse kann das nicht sein, denn es würde doch keiner in diese Boote steigen, wenn das der sichere Tod wäre. Eine gewisse Koordination zwischen Schleppern und Rettungsschiffen ist daher naheliegend. Ich finde es nicht so abwegig, wenn italienische Behörden den Verdacht auf eine solche Zusammenarbeit haben und auch gegen Schiffe vorgehen, wo sie soetwas vermuten.

 

Nun wird die Unterbindung dieses Vorgehens durch die italienische Regierung, indem sie die libyschen Kräfte mit Schnellbooten ausgerüstet hat und versucht, diese Methode zu unterbinden, entrüstet damit kommentiert, man nehme den Tod von Flüchtlingen in Kauf. Hat man bei dem bisherigen System etwa nicht den Tod von Flüchtlingen in Kauf genommen? Wenn es sich rumspricht, daß man nach Europa kommt, wenn man sich in einem seeuntüchtigen Boot aufs Meer hinaus schicken läßt von der libyschen Küste aus, dann werden das eben auch mehr Leute versuchen, je mehr Leute das schaffen. Und eine Rate an Kollateralschäden bei dieser Methode ist eben auch vorhersehbar. Es ist also jetzt eher von weniger Ertrunkenen auszugehen.

 

Eine andere Frage ist, wie es denjenigen Flüchtlingen geht, die jetzt schon in Libyen sind und nicht mehr übers Meer kommen. Die Zustände in den Lagern dort, wo diese interniert werden, sind ja offenbar wirklich grauenhaft, und eine halbwegs humane Behandlung ist nicht gewährleistet. Berichte sprechen von Mißhandlung, Zwangsarbeit, Folter, Vergewaltigungen, Raub, fehlender medizinischer Versorgung. So ist das eben oft: Wenn man nicht an die Wurzel des Problems geht, bekommt man bei Beseitigung des einen Mißstandes einen anderen neuen dafür.

 

Das ist eigentlich auch nicht anders zu erwarten, daß die Flüchtlinge dort so behandelt werden. Wie sieht es denn gegenwärtig in Libyen aus? Mit Hilfe der Nato hat man in Libyen die funktionierenden Strukturen dort zerstört und einen buntscheckigen Mix von Kräften ans Ruder gebracht, von rebellierenden Militärs der alten Armee Ghaddafis, über Al Quaida- und IS-Anhänger zu buntscheckigen Stammesmilizen. War Lords beherrschen das Bild und die von Frankreich und Italien anerkannte Regierung hat nicht wirklich die Kontrolle. Die Küstenwache, die von Italien mit Schnellbooten ausgerüstet wurde, soll auch schon wieder die Domäne eines bestimmten War Lords sein. Diese Kräfte haben sich zum Teil dadurch ausgezeichnet, daß sie die schwarzen Arbeiter in Libyen, die dort anscheinend für die besonders unangenehmen Arbeiten zuständig waren, in arabisch-islamischer Tradition, brutal massakriert und gelyncht haben, und das wie gesagt mit den Nato-Flugzeugen als ihrer Luftwaffe. Sie warfen ihnen vor, mit ihrer Arbeit das politische System Ghaddafis mit ermöglicht zu haben. Daß sie nun die schwarzen Flüchtlinge human behandeln, konnte niemand erwarten, der nicht allen Realismus verloren hat.

 

Wenn man an die Wurzel des Problems geht, muß man zuerst festhalten, daß das Problem ein hausgemachtes europäischer Regierungen ist. Die Politik zum Sturz Ghaddafis und die Installation der jetzigen Zustaände in Libyen schlägt jetzt auf ihre Urheber zurück. Oder zumindest auf einen Teil davon. Vor allem ist Italien betroffen gewesen, das allerdings auch am Zustandekommen beteiligt war. Ohne diese Intervention würden diese Menschen jetzt vielleicht zumindestens zu einem Teil in Fabriken oder anderen Unternehmungen in Libyen oder in Afrika arbeiten. Obama und Clinton dagegen produzieren sich weiterhin als die großen Menschenfreunde und überlassen anderen das Erbe ihrer Taten. Und Trump interessiert es mit seiner „America first“ Devise auch nicht sonderlich, was da angerichtet wurde. Es gibt zu seinen Vorgängern nicht nur Gegensätze, sondern auch Gemeinsamkeiten. Und das läßt sich garantiert nicht nur in Schwarz und Weiß aufteilen.

 

Die entwickelten kapitalistischen Länder hätten eigentlich die Pflicht, sich über Möglichkeiten der Hilfe Gedanken zu machen. Man hat diese Länder in Afrika in den Weltmarkt hineingezogen und vor allem jede Menge Ressourcen herausgeholt, materielle und sogar menschliche mit dem Sklavenhandel, mit denen man die eigene Wirtschaft aufgebaut hat. Diese wurden zumeist entweder über recht ungleichen Handel oder gar über koloniale Ausplünderung dort herausgeholt. Die Länder haben zwar auch etwas zurückbekommen, aber trotzdem ist das Verhältnis ungleich. Es ist natürlich klar, daß das nicht so toll damit werden kann, so lange die Klassenspaltung existiert und das Profitstreben regiert, umso wichtiger ist es einmal mehr, daß an die abgebrochene Entwicklung in Europa zur sozialen Revolution wieder angeknüpft wird, aber da gibt es schon noch graduelle Unterschiede.

 

Ganz kraß wird es mit der grünen, antiindustriellen Politik, die die aufgehäuften Reichtümer der vergangenen industriellen Entwicklung nun dazu ausnutzt, jetzt auf Kosten der Produktivität woanders zu leben und hier zu verkonsumieren, was ursprünglich auch (wenn auch nicht ausschließlich) mit auf Kosten der Ausbeutung Afrikas aufgehäuft wurde. Und diese Politik will auch den Afrikanern verbieten, eine Entwicklung wie bei uns in der Vergangenheit einzuschlagen, weil sonst angeblich die Welt kaputt geht. Man beachte die Drohung dahinter, denn würde die „Rettung der Welt“ nicht auch vieles rechtfertigen, wenn es denn tatsächlich so wäre? Dabei ist es gar nicht gesagt, daß sie einfach alles nachmachen. Sie können aus unseren Erfahrungen lernen, aber wir haben nicht das Recht, ihnen das unnötig zu erschweren, indem nun plötzlich keine Späne fallen dürfen, wenn gehobelt wird. Afrika ist aber auch weiterhin noch ein Gebiet für die internationale Ausbeutung. Inzwischen stößt man dort auch vermehrt auf Konkurrenz aus China, das sich in großem Stil in Afrika engagiert und dort eine Fabrik nach der anderen baut, Kapazitäten aus China nach dort verlagert, weil ihnen inzwischen die Arbeiter in China zu teuer sind. Ganz schlimm fand ich auch das sogenannte „Sunstream“-Projekt, bei dem in der Wüste Solarstrom für Europa produziert werden sollte. Vielleicht ist das dort effektiver als bei uns, aber können die selber keinen Strom gebrauchen, daß sie noch welchen für uns produzieren? Solch ein Kraftwerk müßte für den Bedarf vor Ort gebaut werden, sonst wird ja der Entwicklungsunterschied als ewig gegeben vorausgesetzt. Wenn man den Afrikanern wenigstens den Zugang zu den hoch entwickelten Produktionsmitteln auf modernstem Stand und dem dazu passenden kulturellen Niveau erleichtern würde, damit sie ihren Entwicklungsrückstand aufholen können und mit uns in dieser Hinsicht auf Augenhöhe verkehren können, dann fielen auch die Ursachen für einen Exodus nach Europa weg und man hätte einen normalen Austausch in beide Richtungen.

 

Fürs Erste sollte man alles dafür tun, daß die Flüchtlinge, die jetzt noch im Land sind, human behandelt werden, statt das nur als Propagandamittel zu nutzen, daß die alten Bedingungen im Mittelmeer wieder hergestellt werden sollen. Das größte Problem ist wahrscheinlich, daß eine Hilfe auch bei denen ankommt, die sie wirklich brauchen. Man wird aber auch darauf achten müssen, daß die Hilfe auch Libyen selbst zugute kommt.

 

Und grundsätzlich muß es darum gehen, wie das Leben der Menschen in den afrikanischen Ländern so verbessert werden kann, daß sie nicht gezwungen werden, von da weg zu gehen. Auffanglager, in denen die Einwanderer „vorselektiert“ werden, werden an der Grundursache nichts ändern, sondern vor allem die Folgen für die Zielländer handhabbarer machen. Zumal gar nicht diejenigen, denen es wirklich am schlimmsten geht, auch diejenigen sind, die mobil und liquide genug sind, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Gegenwärtig sieht es aber immer noch danach aus, daß in dem Bestreben, an die afrikanischen Rohstoffe zu kommen, innerafrikanische Widersprüche geschürt werden, Konflikte mit einer Flut von Waffen hochgerüstet werden und gerade diejenigen inneren Kräfte, die sich um eigene Entwicklung bemühen, untergraben werden, also die Verhältnisse verschlechtert werden. Ich kenne den Spruch von den Despoten mit den goldenen Wasserhähnen, die doch in Wahrheit Schuld seien, aber in der Regel haben ausländische Mächte ihren Anteil daran gehabt, solche Kräfte in die Positionen zu bringen und zu hofieren, weil man mit denen auch besonders gut ungleiche Geschäfte zu Ungunsten der Bevölkerung dort machen kann, wenn sie an den Erlösen beteiligt werden. Und man hat sich in dem Sinne eingemischt, die Kräfte auszuschalten, die eine Entwicklung des Landes wirklich im Sinn hatten, denn diese wollten meist auch die Ressourcen nicht billig verschleudern. Deshalb ist es auch nicht zu erwarten, daß militärische Interventionen wie in Mali etwas Gutes bewirken. Dort haben teilweise Kräfte gewirkt beim Anheizen der Gegensätze, die man vorher in Libyen gestärkt hat und die nach dem Sieg dort weiterziehen, um ihr Handwerk woanders weiter zu betreiben. So kann man mit einer Intervention die Vorwände für die nächsten schaffen. Also raus da.

 

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