Internet Statement 2017-95
Anmerkungen zur derzeitigen Wohnungsnot, unter spezieller Berücksichtigung von Berlin
Wassili Gerhard 10.09.2017 In Berlin fehlen immer mehr Wohnungen, was die Immobilienpreise in die Höhe treibt. Worüber so gut wie nicht mehr geredet wird ist, daß man sogar eine Zeit lang, als der Wohnungsmarkt entspannter war, billigen Wohnraum abgerissen hat, weil Leerstand natürlich zum Sinken der Mieten führt. Auch im Umland von Berlin wurden Millionen dafür ausgegeben, leerstehende Wohnungen abzureißen. Das betrifft insbesondere in der DDR-Zeit gebaute Wohnungen, preisgünstige einfache Wohnungen, die man aus politischen Gründen wohl am liebsten alle abgerissen hätte, was aber natürlich nicht gingAnm.1. Für die notleidende Klientel im Immobiliensektor konnte man schon mal solche Wohnungen zum Abriß freigeben, dabei gibt es sogar heute manchen Experten, der deren leichte Wandelbarkeit und Modernisierungsfähigkeit rühmt. Genaue Zahlen über den Abriß sind für den Normalsterblichen schwer zu finden, schon der Fakt wird fast nicht mehr erwähnt. Jetzt würden diese Wohnungen wieder gebraucht werden, angesichts der neuen Wohnungsknappheit und der Notwendigkeit, Flüchtlinge in normalen Wohnungen unter zu bringen. Da hat man wieder einmal ein konkretes Beispiel, was Klassenherrschaft ist. Dieser Kommentar fällt einem auch im Folgenden immer wieder ein. Wenn wir die Worte von Friedrich Engels von vor über 130 Jahren lesen, dann könnte man denken, sie seien für heute geschrieben:
„Die Ausdehnung der modernen großen Städte gibt in gewissen, besonders in den zentral gelegenen Strichen derselben dem Grund und Boden einen künstlichen, oft kolossal steigenden Wert; die darauf errichteten Gebäude, statt diesen Wert zu erhöhn, drücken ihn vielmehr herab, weil sie den veränderten Verhältnissen nicht mehr entsprechen; man reißt sie nieder und ersetzt sie durch andre. Dies geschieht vor allem mit zentral gelegenen Arbeiterwohnungen, deren Miete, selbst bei der größten Überfüllung, nie oder doch nur äußerst langsam über ein gewisses Maximum hinausgehn kann. Man reißt sie nieder und baut Läden, Warenlager, öffentliche Gebäude an ihrer Stelle.“ (Friedrich Engels. „Zur Wohnungsfrage“. Im Internet unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/zur-wohnungsfrage-5094/1 )
Im ganzen Osten hatte man die Industrie platt gemacht und so viele Arbeitsplätze weg gestrichen, daß ein umfangreicher Exodus auch noch viele Jahre nach der Vereinigung stattfand. Viele wanderten der Arbeit hinterher und verließen das Gebiet der ehemaligen DDR. Daß eine Zeit lang deshalb die Mieten fielen, war nicht im Interesse des Immobiliensektors, der heutzutage, wegen der Wegverlagerung großer Teile der Industrie in andere Regionen der Welt, eine besonders wichtige Stellung als Investitionssektor einnimmt, und dafür müssen die Immobilienpreise möglichst steigen. Und so sahen das auch die Banken. Die leer stehenden Wohnungen mußten weg.
Die Abwanderung betraf zunächst auch das mittendrin liegende Berlin als Ganzes. In West-Berlin verschärften sich die Dinge, weil vor 1990 große Teile der noch existierenden Industrieansiedlungen nur wegen der Subventionen da gewesen waren und dementsprechend nach 1990 auch alsbald wieder weg waren. Den Immobiliensektor in West-Berlin betraf die Entwicklung doppelt: Zum Einen, weil er das Abgreifen von Subventionen perfektioniert hatte und das eine wichtige Einnahmequelle war, wenn nicht sogar manchmal die wichtigste, zum Anderen war in West Berlin in besonderem Maße dieser Immobiliensektor ein wichtiger Ersatz für die wegziehende Industrie gewesen. Im Rahmen der Berliner Bankgesellschaft erfolgte der Versuch, einen Ersatz für die ehemals reichlicher sprudelnden Subventionsquellen zu finden, indem man Immobilienfonds schuf, mit den bekannten Sonderkonditionen zu Lasten des Steuerzahlers. Dafür waren auch DDR-Plattenbauten zunächst noch gut genug, um sie zu einem überhöhten Wert in diese Immobilienfonds einzubringen. Das Desaster, das daraus folgte, auch weil die Hoffnungen auf eine „Drehscheibe“ Berlin im Ost-West-Handel, die den großen Boom hervorrufen sollte, vergeblich waren, ist bekannt. Auch die Folgen davon lasten noch auf den Einwohnern dieser Stadt.
Jetzt, wo die Stadt seit einiger Zeit in Mode ist und ganze Viertel einen Boheme- und Touristentouch bekommen, werden die Wohnungen wieder knapp, manche werden sogar wegen der Wertsteigerung als Anlageobjekte gekauft und wenig oder garnicht genutzt, wie auch Grundstücke. Jetzt könnte man die abgerissenen billigen Wohnungen wieder gebrauchen. Aber für die einfachen Einwohner dieser Stadt etwas zu tun, die nicht zum Filz oder zu der bevorzugten Klientel gehören, dazu noch für die dazukommenden Flüchtlinge, ja das ist nun einmal etwas schwieriger, nicht wahr? Für die jetzt Wohnungen bauen, das ist nicht so leicht wie Abreißen, um die Gelegenheit zu schaffen, teurere Bauten hinzusetzen, selbst wenn die vor dem Touristenboom noch leer standen. Die Kapitalbesitzer, die Anlagen suchen, sehen das nun einmal nicht als so eine lukrative Anlage an. Es schießt sogar die Obdachlosigkeit in die Höhe, von einem Rekord zum anderen. Muß es in einem Land, das angeblich so reich ist, wo angeblich „gut leben“ angesagt ist, wirklich sein, daß wir in Berlin nach neuesten Zahlen 20.000 Obdachlose haben, die zum Teil mal hier und mal da unterkriechen? Von denen sollen 6.000 sogar direkt auf der Straße leben.
Die Kapitalbesitzer, die profitable Anlagen suchen, sind denn auch sehr froh über den Berlin-Hype, wie man das heute nennt, mit dem Motto „arm aber sexy“. Niemand denkt daran, daß so ein Hype auch mal zu Ende sein kann. Und wer spielt dabei die Rolle des Armen, der angeblich so sexy ist? Das sind die übrig gebliebenen ursprünglichen Einwohner der Stadt, die häufig ihre Arbeit in der Industrie, die inzwischen weggezogen ist, verloren haben, und das ist die so genannte alternative Subkultur, die auf den Trümmern des Niedergangs ihre selbstgenügsamen Projekte wachsen ließ, mit viel unbezahlter Arbeit und Leben von Staatsknete. Bei Letzteren versucht man noch die Erhaltung, dafür haben sogar die Investoren bisweilen Verständnis, weil ohne sie der „Armen-Zoo“ hier weniger Anziehungskraft hat. Erstere sollen doch sehen, wo sie bleiben.
Für wessen Interesse hier regiert wird, das wissen schließlich auch die Parteien, die in der Regierung sind. Die normalen Einwohner durften vielleicht noch in Zeiten des großen Leerstands teurer Immobilien für diesen Leerstand mit ihren Steuergeldern mit aufkommen - wer dagegen genug Geld hatte, durfte sie zeitweilig auch benutzen, um über Abschreibungen weniger Steuern zu zahlen. Aber nun in Zeiten der Wohnungsknappheit billigen Wohnraum verlangen? Vielleicht gar den Neubau davon? Aber wir leben doch in einer Marktwirtschaft! Jedenfalls solange der Markt nicht die herrschende Klasse trifft, wie zum Beispiel beim Leerstand.
Dabei wäre es heute keineswegs unmöglich, rationell und in schneller Folge billige Wohnungen zu bauen. Die materiellen Voraussetzungen existieren allemal. Es gibt auch schon Befürworter einer billigeren Bauweise mit standardisierten, in Fabriken hergestellten Fertigteilen, die auf der Baustelle zusammengesetzt werden. Warum auch nicht? Das hat allerdings irgendwie Ähnlichkeiten mit den Plattenbauten. Auch da ging es um schnelles und billiges Bauen von Wohnungen, auch weil das billiger war als Sanieren. Damit kann man aber auch sehr wohl gute Wohnhäuser bauen und die erhaltungswürdigen älteren kann man trotzdem sanieren. Aber da machen die Investoren dann weniger Profit, genauso wie die herkömmlichen Baufirmen, denn die Arbeit würde mehr in die Fabrik verlagert und auf der Baustelle würde weniger kleinteilig gearbeitetAnm.2. Anwendung von fabrikmäßiger Großtechnik ist auch nicht im Sinne der Grünen, und heute sind ja alle großen Parteien grün.
Nun gibt es Schlaumeier, die auf einen ganz tollen Gedanken kommen. Schließlich leben wir doch im Land von Maß und Mitte mit einer selbst erklärten Kanzlerin von Maß und Mitte. Warum nicht nach einer Lösung suchen, bei der die Profite hoch bleiben und trotzdem mehr Wohnungen entstehen. Warum also die Wohnungen nicht viel kleiner machen? Dann kann man mehr pro Quadratmeter verlangen und die Wohnungen bleiben trotzdem insgesamt noch bezahlbar. (Daß man sogar kleine Wohnungen unbezahlbar machen kann, dafür kommt gleich ein Beispiel.) In den Medien werden derzeit ausgetüftelte Wohnungen von der Größe eines Bauwagens als Lösung der Zukunft vorgestellt. Wohnküche mit Hochbett und kleiner Naßzelle. Beim Camping nennt man das Wohnwagen.
Gerade hat der Immobilienkonzern „Cresco Capital“ am Frankfurter Tor seine neuen schicken „Studentenappartements“ mit 18 Quadratmeter für 635 Euro Miete vorgestellt. Damit kann man einen noch größeren Reibach machen als mit Luxuswohnungen, man rechne mal die Miete pro Quadratmeter aus. Dafür gibt es schicke Einbaumöbel dazu. Die Kinder von Eltern, die nicht stinkreich sind, sind dabei nicht eingeplant. Im Bafög sind z. B. gegenwärtig sage und schreibe 250 Euro für Wohnkosten eingeplant, das reicht heute in der Regel nicht mal für ein WG-Zimmer. Da wundert man sich, warum immer weniger Studenten mit Bafög studieren? Wenn so neue Maßstäbe gesetzt würden, wie viel kriminelle Energie würde das freisetzen, die langjährigen Mieter aus den großen Wohnungen rauszubekommen, um da solche aufgemotzten Kaninchenställe draus zu machen? Man denke nur daran, welche Methoden früher in Sanierungsgebieten angewandt wurden, um Häuser leer zu bekommen und an die Sanierungstöpfe zu kommen. Daß der Senat in Berlin gegen solche Entwicklungen viel tut, ist nicht auszumachen, genauso wie auch dagegen, daß Hartz IV-Empfänger in immer größerer Zahl Geld von der Lebenshaltung abzwacken müssen, um es bei der Miete drauf zu zahlen, weil auch da die Pauschalen immer öfter nicht mehr ausreichen und eine neue billigere Wohnung nicht zu finden ist.
Am ehesten wird noch versucht den Eindruck zu erwecken, mit Millieuschutz die Bestandsmieter zu schützen, aber dieser Schutz erweist sich oft genug als löchrig. In manchen Gegenden wird auch regelrecht der Neubau und die Modernisierung behindert, um damit die Umwandlung von Wohnungen und die Gentrifizierung zu behindern, aber das geht auch gleichzeitig nach hinten los, denn damit wird wieder der Bau neuer Wohnungen gebremst, der weit hinter den Notwendigkeiten angesichts des ständigen Zuzugs zurückbleibt. Das sind zwar meistens teure Wohnungen, aber Mangel an Wohnungen führt zur Verteuerung und dazu, daß billige in teure Wohnungen umgewandelt werden. Das wird also nicht viel helfen. Außerdem sollen angeblich besonders die städtischen Wohnungen dafür herhalten, den Mietanstieg zu begrenzen. Warum hat man dann in der Vergangenheit massenweise städtische Wohnungen an so genannte Heuschrecken verkauft? Da kann doch niemand gedacht haben, daß die etwas anderes im Sinn haben, als damit auf steigende Mieten zu spekulieren.
Beim Wohnungs-Neubau dagegen wird mittlerweile schon eine Miete von 10 Euro pro Quadratmeter als niedrige Sozialmiete gefeiert, also viel teurer als die Miete in vielen Altbestandswohnungen. Natürlich überlegen dort die Vermieter, wie sie auch teurere Mieten nehmen können, und bei Neuvermietungen wird kräftig zugelangt, auch über die Spanne des Mietspiegels hinaus. Und die so erpreßten Mieterhöhungen gehen in Zukunft mit in den Mietspiegel ein und treiben ihn insgesamt in die Höhe. Angesichts des Wohnungsmangels und der Konkurrenz, die sich die Wohnungssuchenden machen, funktioniert das. Die Bestandsmieter, die man beruhigen will, sitzen also auf einer abschmelzenden Eisscholle. Mit allerlei Tricks wird ein Teil nach dem anderen ihres Wohnungsbestandes umgewandelt, und daß dafür Möglichkeiten bestehen, dafür ist schon vorgesorgt worden. So wurden noch unter dem alten „rot-roten“ Senat Gesetze zum sogenannten „Klimaschutz“ vorangetrieben, die gute Möglichkeiten zum Hochtreiben der Miete über sogenannte Klimaschutzsanierung bieten und die Mieter dabei zum Stillhalten verpflichten. Die gleiche Senatorin Lompscher, die heute manchmal über die Folgen klagt, war da bei der Einführung führend beteiligt. Das ist heute der häufig genutzte Hebel, den langjährigen Mietern die Wohnungen so teuer zu machen, daß sie ausziehen müssen.
So ist das eben, wenn man die Probleme des Kapitalismus innerhalb des Kapitalismus lösen will. Sehen wir uns doch einmal die „Linkspartei“ an, aus der die Frau Lompscher kommt, die in einem gewissen Nachfolgeverhältnis zur Regierungspartei der DDR steht. Sie tut heute alles, um ihre Kompatibilität mit der kapitalistischen Ordnung zu beweisen und bestätigt damit auch noch einmal im Nachhinein die Kritik an der DDR, denn wo sind denn revolutionäre Kräfte daraus hervorgegangen? Engels charakterisiert in dem hier angeführten Artikel den von ihm so bezeichneten bürgerlichen Sozialismus, wie er schon zu seiner Zeit sich in der damaligen SPD breit zu machen suchte:
„Es ist das Wesen des bürgerlichen Sozialismus, die Grundlage aller Übel der heutigen Gesellschaft aufrechterhalten und gleichzeitig diese Übel abschaffen zu wollen.“ (Friedrich Engels, „Zur Wohnungsfrage“)
Sehen wir uns das Wirken der Frau Lompscher an, wie sie sich bemüht, dieser Charakterisierung zu entsprechen. Es hat schon einen Grund, warum sie wieder für diesen Posten prädestiniert war. Der zu offensichtlich verfilzten SPD, deren Ex-Spitzenvertreter heute zum Teil offen als Lobbyisten der Immobilienbranche in Erscheinung treten, nimmt man soetwas schwerer ab.
Es mehren sich auch die Stimmen, daß ältere Mieter aus ihren großen Wohnungen ausziehen sollen. Da hat man noch eher Verständnis für ältere Millionäre, die sich noch das X. Haus dazukaufen, weil das für sie Leben bedeutet. Die werden in den Medien gleichzeitig zum „Kult“ gemacht. Was bedeutet das für manche Alten wohl, in ihrer Wohnung bleiben zu können? Es paßt zum Trend insgesamt, daß allgemein soziale Fragen zur Nebensache erklärt werden gegenüber einem angeblichen Notstand der natürlichen Umwelt, der für das Herunterhalten und Herunterdrücken des Lebensniveaus instrumentalisiert wird. Der Mensch mit seinen Lebens- und Entwicklungsbedürfnissen wird zum Feind der Erde erklärt, und so soll der Feind der Weiterentwicklung der Gesellschaft als Vertreter übergeordneter Interessen erscheinen. Ja, ein zurück in eine brutalere Klassengesellschaft, denn der Verzicht soll natürlich die breite Masse betreffen, soll gar in perverser Weise als Fortschritt deklariert werden. Mit angeblich göttlichem Gebot oder Vertröstung auf das Leben nach dem Tode kann man ja heute nicht mehr allen kommen. Man versucht allerdings auch das wieder zu beleben. Da sind und waren die Parteien, die heute hier regieren, einschließlich der Partei unserer Maß und Mitte-Kanzlerin doch seit langem engagiert, das hier als neuen Maßstab durchzusetzen, darin sind sie zum Beispiel grüner geworden.
Ein Beispiel für die Brutalität der Verwaltung: So war im Fernsehen in der Serie „Schnäppchenhäuser“ gerade das Beispiel einer Familie mit acht Kindern zu sehen, wo das neunte unterwegs ist. Diese Familie lebte in einem alten Haus in der Nähe von Berlin, das ihnen zu klein wurde, und hatte sich Hilfe von der Familienfürsorge erhofft. Angesichts der viel zu wenigen Kinder, die hier geboren werden, wäre das doch ein Fall, wo größte Unterstützung angebracht wäre. Diese half ihnen damit, daß sie ihnen die Pistole auf die Brust setzte, sie müßten eine größere Wohnung oder ein größeres Haus finden, sonst würden ihnen Kinder weggenommen. (Dagegen leben bei Flüchtlingen in Sammelunterkünften manche in Verschlägen die mit Doppelstockbetten vollgestopft sind, die würden sogar tauschen.) Bei ihrer Suche nach Häusern oder Wohnungen suchten sie dann nicht nur in der Umgebung von Berlin, weil dort ebenfalls die Mieten und Hauspreise in die Höhe gehen, denn viele versuchen bereits der Berliner Wohnungsverteuerung zu entkommen, indem sie ins Umland ziehen, sondern gingen bis Cottbus, nicht mehr weit von der polnischen Grenze, wobei es tatsächlich in manchen entfernteren Ecken von Brandenburg noch große und billige Wohnungen gab, die sie sich hätten leisten können, wo aber die Vermieter wieder keine so große Familie haben wollten. Das Jugendamt hätte die Größe akzeptiert, aber die Vermieter meinten, die Wohnungen wären zu klein für so viele Personen. So werden große Familien hierzulande geschätzt. Die werden doch teilweise regelrecht ins Umland vertrieben. Wenn sie dann von da aus vielleicht zur Arbeit nach Berlin müssen, bekommen sie wieder die grüne Verkehrsschikane zu spüren, denn natürlich ist da oft das Auto die erste oder vielleicht sogar die einzig sinnvolle Wahl.
Gegenwehr ist gerechtfertigt. Das steht schon einmal fest. Aber eine wirklich durchschlagende, sozusagen „nachhaltige“ Gegenwehr muß auch dieses Gesellschaftssystem grundsätzlich in Frage stellen. In diesem kapitalistischen Gesellschaftssystem ist das Wohnungselend etwas, was seit jeher dazugehört. Wir konnten das auch an dem schon weit über 100 Jahre alten Zitat von Friedrich Engels sehen. Aber in diesem Teil der Welt, in dem wir leben, war das eine Zeit lang nicht mehr so deutlich. Maßgebliche Kreise wollten den Anschein erwecken, als seien das nur Kinderkrankheiten gewesen, weil zeitweilig, die sozialistische Bewegung in Ländern mit mehr als der Hälfte der Menschheit die Oberhand hatte, die die Abschaffung des Kapitalismus und die Umwandlung der Gesellschaft in Richtung einer klassenlosen Ordnung vertrat. Dieser Sozialismus ging vor allem an eigenen Schwächen zugrunde, mit der Bekämpfung und Unterwanderung der Gegner muß er lernen, fertig zu werden, denn die wird zwangsläufig nicht ausbleiben. Das Lernen aus den Fehlern bleibt eine unverzichtbare Aufgabe. Es ist notwendig, es das nächste Mal besser zu machen, denn der Kapitalismus wird seine eigenen inneren Widersprüche nicht lösen können, dafür müßte er sich selbst abschaffen. Heute ist es deutlicher denn je: Sich mit den Zugeständnissen hierzulande zufrieden zu geben, rächt sich jetzt, denn genau deswegen gehen sie verloren, weil sie ihren Zweck erfüllt haben. Da man den Sozialismus im Sack zu haben glaubt, fallen auch hierzulande die Hemmungen zunehmend.
Wenn wir uns weltweit umsehen, sind die Lebensverhältnisse in anderen Regionen der Welt noch weit schlimmer. Da war das Kapital fleißig und hat sich für die Zugeständnisse, die es hierzulande machen mußte, im Gegenzug woanders schadlos gehalten. Im Zuge der Angleichung der Lebensverhältnisse auf globaler Ebene, die wegen der Konkurrenz gesetzmäßig ist - die politischen Gründe dies abzumildern sind geschwunden und schwinden weiter - können wir im Rahmen des Kapitalismus keine Verbesserung erwarten, auch kein Halten des jetzigen Standards. Einfach wegducken und hoffen, daß es nicht so schlimm wird, ist keine Lösung. Und wenn man auf Demagogen hereinfällt, die eine Lösung auf Kosten anderer Länder versprechen, wie bei „America first“, dann wird das in ein neues Desaster, in Kriege führen. Wenn wir wirklich weiterkommen wollen, dürfen wir nicht allein die eigenen Interessen im Blick haben und sie im Gegensatz zur breiten Masse in der Welt sehen, sondern wir müssen nach Einheit mit den Kämpfen dieser breiten Massen streben. Wenn in den hochentwickelten Ländern der Widerstand wächst, dann nützt es aber auch diesen.
Die großen internationalen Kapitalisten, wenn sie anderswo die Wohnungen der Armen mit Bulldozern platt walzen, werden auch hier weniger Hemmungen haben, solange sie damit durchkommen, so wie auch die viel niedrigeren Löhne, die sie woanders zahlen, längst dazu führen, daß sie die Lohnkosten hierzulande als Zumutung empfinden. Und wenn in Indien Arbeiter in der Ecke eines Treppenhauses leben oder in China in einem Wohnheim über der Fabrik, wenn in China diejenigen, die die neuen Glas- und Stahlpaläste bauen, selbst in Erdhütten wohnen, wie manche sogenannten Wanderarbeiter, so werden hier die Kapitalisten die hiesigen Wohnkosten, die sich hier auf die Höhe des zum Leben notwendigen Lohnes auswirken, eben im Vergleich als zu teuer ansehen. Das hat aber auch eine Kehrseite: Wenn die Arbeiter anderswo sich organisieren, um bessere Lebensverhältnisse durchzusetzen, dann ist das nicht nur in ihrem eigenen Interesse allein. Indem zum Beispiel die Angleichung der Lebensverhältnisse in vielen Ländern und Regionen zu ähnlichen Interessen der arbeitenden Bevölkerung führt, entstehen neue Kräfte, die dem globalisierten Kapitalismus Widerstand leisten können. Und es entsteht das Bewußtsein für die Gemeinsamkeit der Interessen von Milliarden. Parolen wie „living wages“, das heißt Löhne, von denen man leben kann, nach menschenwürdigem Wohnen, werden zu Forderungen, die riesige Menschenmassen hinter sich vereinen. Wenn die Menschen hierzulande nicht dem Verlorenen nachtrauern und dahin zurück wollen, sondern sich mit ihren Kämpfen in die neuen globalen Kämpfe einreihen, dann können neue erfolgreiche Bewegungen entstehen.
Anm.1 Schon frühere Versuche, derartige Projekte zu starten, wie den Abriß des Neuen Kreuzberger Zentrums am Kottbusser Tor oder der gigantischen Wohnanlage an der Stelle des früheren Sportpalastes, um mit dem Abriß und Neuaufbau dem Immobiliensektor mal einen schönen leckeren Happen servieren zu können, erwiesen sich als zu konfliktträchtig. Anm.2 Das Handwerk soll anscheinend auch in seiner Zahl konserviert werden, weil es in dieser Gesellschaft ein konservatives Element bildet, obwohl heute dort auch immer öfter einfach genormte industriell gefertigte Teile zusammengesetzt werden. Wer sagt, daß nicht wirklich einmal Häuser von großen 3D-Druckern gebaut werden, z.B. in Teilen in Fabriken, die dann vor Ort zusammengesetzt werden? So wären dank Computerdesign auch viele Variationen heute möglich und die Häuser müßten nicht einförmig aussehen. Das würde den Hausbau sicher auch langfristig enorm verbilligen. Da werden aber diejenigen, die am jetzigen Stand der Entwicklung gut verdienen, erst einmal erheblichen Widerstand leisten, wie es überhaupt auch grundsätzlich der grünen Richtung widerspricht. Auch die anderen Erzrechten werden sicher dagegen sein. In einer Gesellschaft, in der nicht mehr der Profit der Maßstab ist, wird das sicher in ganz anderem Maße entwickelt werden.
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