Internet Statement 2018-01
Eine dunkle Seite von Telepolis Zu dem Artikel „Kinder und Kinderkosten - einmal ernsthaft betrachtet“
Wassili Gerhard 05.01.2018 Dieser Artikel eines gewissen Karl Kollmann vom 23.12.2017 ( https://heise.de/-3914560 ) fängt an mit der Frage: „Welche Kosten verursachen Kinder Eltern, dem Staat und der Umwelt?“ Kinder seien gegen den „ökologischen Verstand“, es müsse „Geld und Zeit in die Hand genommen werden“, „zwanzig Jahre intensive Erziehung, Sozialisation und entsprechende Kosten“, wer das nicht sehe, sei „einfach nur naiv geblieben“. Nun, jener Autor Karl Kollmann hätte sich einmal die Frage stellen sollen, welche Kosten denn er selbst verursacht hat, und ob sich das gelohnt hat, ihn selbst groß zu ziehen und auszubilden, damit er dann Derartiges produziert. Jedoch, die Menschheit braucht zum Lernen, zu ihrer Entwicklung, auch negative Beispiele, um daraus zu lernen, insofern ist das vielleicht doch nützlich.
Manche tun so, als wenn sie sozusagen als Schiedsrichter oder Hohepriester in die Welt gesetzt wurden und außerhalb der Beurteilung stehen. Wie sonst kann er nicht sehen, daß er auch selbst, wie alle anderen, Teil einer langen Kette von Generationen ist und Dank der Mühen und der Opfer derer existiert, die Generation für Generation Kinder großgezogen haben und versucht haben, ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen, mit Sicherheit nicht immer wissend, ob diese Kinder überhaupt das Erwachsenenalter erreichen werden, ob Krieg, Hunger, Krankheit alle Mühen wieder zunichte machen wird. Nur deshalb, weil Menschen so sind, und weil sie damit auch über die eigene Existenz hinaus handeln, existiert z.B. auch das Forum Telepolis, sein Computer, auf dem er diesen Artikel verfaßt hat, oder die warme Stube, in der er jetzt im Winter sitzt. Es gäbe auch niemanden, der sich grüne Theorien ausdenkt. Und es existierte auch kein Staat, dem die Kinder angeblich ein Defizit bringen, wie er in dem Artikel vorzurechnen versucht. Meint er, er sei der Endpunkt dieser langen Entwicklung, nach ihm die Sintflut, mit ihm soll das zuende sein und er verfrißt jetzt endgültig die Früchte, Schluß? Da kann man sehen, was die Abkehr von einer Orientierung auf gesellschaftlichen Fortschritt zur Folge hat. Er bezeichnet Kinder ein Stück weiter im Text als ein merkwürdiges „Ego-Projekt“, ein Begriff, den er der NZZ (Neue Zürcher Zeitung) entnimmt, aus einem Artikel, der eher den Standpunkt des Bankkapitals einnimmt. Ja, dann ist er auch selbst eines und hat mit dem Tod seiner Eltern den Sinn seiner Existenz verloren nach seiner Logik.
Reihen wir einmal die größten weiteren Absurditäten dieses Artikels auf, die er „mit nüchterner ökonomischer Perspektive“, so seine eigene Beurteilung, vorbringt: „Menschenleben gehören dem Staat?“ ist die nächste Überschrift. Hier meint er, sich zunächst mit „dem Gegenteil - dem Freitod“ (so sein Wortlaut) beschäftigen zu müssen. Soll das logisch sein? Freitod als Gegenteil zum Kinder-Bekommen? Auch hier koppelt er sich wieder ab, bzw. vertritt eine solche Sicht. Auch der Freitod setzt zunächst die Geburt voraus. Das kommt eventuell dadurch zustande, daß er dieses komische Motto „Menschenleben gehören dem Staat“ zuvor gewählt hat. Dem Staat Leben schenken - dem Staat Leben nehmen, soll das das Gegensatzpaar sein? Da ist er in seinem Denken doch selbst Sklave dieses Staates und sollte sich wirklich ernsthaft Gedanken darüber machen, woher das kommt. Hat das etwas mit seiner Existenzgrundlage zu tun? Er sagt: »Der Selbstmörder nimmt sich seiner Gemeinschaft, früher hätte man das Volksgemeinschaft genannt, aber heute ist man da eher "Anti", also sagen wir: seiner Staatsgemeinschaft, einfach und ohne Erlaubnis weg.« Da steckt durchaus einiges drin, es ist sehr aufschlußreich, darauf näher einzugehen. Das fügt tatsächlich jetzt erstmal eine Ebene ein, die vorher in der Betrachtung weggelassen wurde. Da ließ er nämlich selbst außer acht, daß jeder Mensch durch seine Geburt Teil einer Gemeinschaft wird und nur als Teil einer Gemeinschaft existieren kann, daß er ohne diese Gemeinschaft garnicht erst auf die Welt kommt, was viel länger der Fall ist, als es Staaten gibt oder überhaupt jemand an soetwas wie einen Staat denken konnte. Das wird auch noch so sein, wenn es keine Staaten mehr gibt und die Menschheit als Ganzes diese Gemeinschaft sein wird, denn auch diese gesellschaftliche Einrichtung wird nicht in alle Ewigkeit bestehen. Das hat er übrigens mit Kapitalisten, die landläufig „Heuschrecke“ genannt werden, gemein, daß er diesen Umstand, daß ein Mensch auch immer Teil einer Gemeinschaft ist, selbst außen vor läßt. Der Verfasser Karl Kollmann meint anscheinend hier, wenn er das diskreditierte Wort „Volksgemeinschaft“ verwendet, habe er eine solche eigentlich selbstverständliche Sicht schon in die Naziecke gestellt.
Diskreditiert ist der Begriff „Volksgemeinschaft“ zu Recht heute, weil es solch eine „Volksgemeinschaft“ tatsächlich nicht gibt, wenn die Gesellschaft in Klassen mit entgegengesetzten Interessen zerfällt. Die Nazis, durch die diese Diskreditierung vor allem bewirkt wurde, führten diesen Begriff im Munde und besorgten in Wahrheit das Geschäft eines Teils der herrschenden Klasse im Kapitalismus, und nicht allein der im eigenen Land: Indem die Nazis im eigenen Land eine der ältesten und stärksten revolutionären Arbeiterbewegungen mit großer internationaler Ausstrahlung zu vernichten versuchten und ebenfalls den ersten sozialistischen Staat zu ihrer Kolonie und zum Reservoir ihrer Sklaven machen wollten, besorgten sie besonders auch das Geschäft der internationalen Bourgeoisie, die diesen revolutionären Staat durch eine Intervention aller imperialistischen Mächte nach der Oktoberrevolution nicht hatte beseitigen können, deren Rückendeckung er auch in der Anfangszeit in enormem Maße besaß und die ihm über manche Schwierigkeit hinweghalf, bis die Rivalität etwa ab 1938 wieder zu sehr durchschlug.
Hitler wollte eine fundamentalistische rassistische Klassenordnung errichten, in der auf der einen Seite die Herrscher, das sogenannte „Herrenvolk“ (tatsächlich jedoch Herrscher und ihre Kriegerkaste und Hilfstruppen, die nach Nützlichkeit verheizt werden sollten) und auf der anderen Seite die ausgebeuteten MassenAnm.1 jeweils verschiedenen ethnischen Gruppen angehören sollten, zwischen denen keinerlei menschliche Bande existieren sollten. Dabei phantasierte er von einer ethnischen Einheitlichkeit der Deutschen, die es garnicht gibt. Es hat der Entwicklung gerade in Wahrheit gut getan, daß Elemente von überall her aufgenommen wurden. Die Herrscher sollten die Beherrschten nicht einmal als biologisch gleichwertige Lebewesen anerkennen, sondern als eine Art von Nutztieren, die bedenkenlos ausgebeutet, gequält und getötet werden könnenAnm.2. Ihnen gegenüber sollte der „Herrenmensch“ zur gnadenlosen Bestie erzogen werden. Den Juden warf Hitler gemäß seiner abwegigen Rassentheorien in aberwitziger Weise vor, schon seit Moses für alle sozialen Übel verantwortlich zu sein, ohne sie gäbe es also innerhalb der Deutschen keine sozialen Probleme, phantasierte er. Die Versklavung der Angehörigen anderer Völker ist dagegen nach dieser Logik offenbar kein soziales Übel.Anm.3.
Einen solchen Rückfall in tiefste Barbarei als Nationalismus zu bezeichnen, ist dafür eine unpassende Beschönigung und nimmt die Nazi-Demagogie für bare Münze. Jeglichen gesellschaftlichen Fortschritt, der überhaupt erst die Entstehung von Nationen möglich macht, wollten die Nazifaschisten rückgängig machen. Die Großkonzerne nutzten diese Art der Ausbeutung ohne Schranken und den Raub für ihre Bereicherung, von Skrupeln ist wenig verzeichnet. Und die Hilfstruppen sollten ihre darüber stehende Stellung als Mittelklasse und als Teil der privilegierten Ethnie durch bedingungslosen Gehorsam und Grausamkeit verdienen. Natürlich sind solche irrwitzigen Vorstellungen heute zurecht geächtet, aber auf internationaler Ebene lassen sich heute Elemente davon in der imperialistischen Politik wiederfinden. Das war der Versuch, in einer Zeit, als der Gegenentwurf zu einer kapitalistischen Klassengesellschaft insgesamt einen Aufschwung erlebte, eine „tausendjährige“, gegen Revolutionen immune fundamentalistische Klassengesellschaft zu kreieren, was natürlich scheitern mußte. Als das Scheitern absehbar war, waren die fanatischen Nazis bereit, allen voran Hitler selbst, den Genozid ihrer ganzen „Volksgemeinschaft“ herbeizuführen, was ebenfalls bezeichnend ist. „Nach uns die Sintflut“ - aber dieses Motto könnte man ebenfalls den Vorstellungen Kollmanns zuordnen, wenn man sie zuende denkt.
Seit jeher leben die Menschen in Gemeinschaften, das war schon lange vor jeder Klassenspaltung eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz und Entwicklung, lange bevor es soetwas wie einen Staat gab. Es gibt sie nicht ohne Kinder und Kinder gibt es nicht ohne Gemeinschaften von Männern und Frauen, Alten und Jungen. Das wird auch nicht dadurch aufgehoben, daß diese Gemeinschaften heute Klassengesellschaften sind, aber manche in der herrschenden Klasse sind mittlerweile so reaktionär, daß sie diese Gemeinschaften auflösen und in ein einziges Reservoir frei und unbeschränkt verfügbaren „Humankapitals“ verwandeln möchten. Es besteht die dringende Notwendigkeit, für die Überwindung dieser Klassenspaltung zu kämpfen, heute mehr denn je, denn die materiellen Voraussetzungen für eine Gesellschaft ohne Klassen sind mehr denn je herangereift. Auch dazu braucht es neue Generationen, die dies in der Zukunft durchsetzen.
Daß gerade die Grünen und Ökologisten, oder sogar Menschen, die sich für Linke halten und in eine solche Richtung gehen, den Menschen keine quasi „artgerechte“ Lebensweise, um es einmal so auszudrücken, zugestehen wollen und stattdessen oft so argumentieren, als wenn die Menschheit nur aus lauter Singularitäten bestünde, führt ihren Anspruch einer angeblich naturverbundenen Denkweise ad absurdum, denn auch der Mensch ist Teil der Natur, wie auch die heutige Natur eine solche ist, die längst in erheblichem Maße durch die Existenz des Menschen mit geprägt ist, auch vieles, was angeblich gegen den Einfluß der Menschen konserviert werden soll. Sie tun dagegen so, als müsse es eine ideale (wessen Ideal, eines Gottes?) Natur ohne Spuren des Menschen geben, also nicht die heutige reale Natur, sondern eine fiktive Natur, wie sie angeblich zu sein hat. Es war ein wichtiger Fortschritt im Rahmen der Kritik der Religion, zu der Vorstellung zu kommen: Der Mensch sei das höchste Wesen für den Menschen. Sie machen daraus: Der Mensch ist eine Fehlentwicklung, was ein riesiger Schritt rückwärts ist.
Natürlich gibt es auch den Aspekt, daß Staaten zum Kriegführen Menschen brauchen. Jedoch holt man heute in zunehmendem Maße wieder Söldner und sogar ausländische Hilfstruppen heran und hat hierzulande beispielsweise die Wehrpflicht wieder abgeschafft. Vor 100 Jahren hat übrigens in Deutschland und in Rußland eine Wehrpflichtigenarmee die Waffen umgedreht in der Oktoberrevolution und in der deutschen Novemberrevolution! Ist das schon vergessen? Bei der Bourgeoisie sicher nicht. Der Nationalstaat war eine wichtige Basis für die einheimische Bourgeoisie, und so manche Sozialgesetzgebung, Beschränkung der Ausbeutung, Maßnahme der Fürsorge, Ausbildung und Erziehung ist auch ohne den Hintergrund, diese Machtbasis nicht ruinieren zu wollen, nicht denkbar. Der einzelne Kapitalist blendet bisweilen solche Gesichtspunkte aus und betreibt in kurzsichtiger Weise Raubbau, und da vertrat der Staat bisweilen auch die Stelle des ideellen Gesamtkapitalisten, der das Überleben der gesamten Klasse im Auge hat. Das hat zwei Seiten. Also muß man da sehr wohl im Einzelfall genau hinsehen und differenzieren, denn zu einem gewissen Grade müssen auch gesellschaftlich sinnvolle Maßnahmen getroffen werden, und gerade dazu wird dieser Staat heute immer unbrauchbarer. Bei sinnvollen Aufgaben werden Mittel gespart und vor allem Arbeitskräfte, während Millionen ohne Arbeit sind, was die offiziellen Arbeitslosenzahlen nur ungenügend wiedergeben. Die Förderung von Geburten gehört auch zu den sinnvollen Aufgaben, und gerade damit steht es heute hier relativ schlecht, da stimmt das Bild des Staates, der Kinder will, überhaupt so nicht mehr. Da ist es mit irgendwelchen relativ geringen finanziellen Leistungen nicht getan, dazu gehört eine die Zukunft bejahende Gemeinschaft, die das mit trägt, die in den Kindern ihre Zukunft sieht. Damit ist es bei uns leider nicht so weit her, im Gegenteil werden kinderreiche Familien in vielfacher Weise diskriminiert.
Das gibt auch Kollmann zu, wenn es bei ihm heißt: »Kinder zu haben, das war lange Zeit als eine harte soziale Norm Menschenpflicht, das hat sich inzwischen geändert.« Damit gibt der Autor indirekt zu, daß eben dieses positive Umfeld heute fehlt. Und warum? Vielleicht hat es ja auch damit zu tun, daß sich die herrschende Klasse in diesem Land lange Zeit gemütlich unter einer Oberherrschaft eingerichtet hat und gute Geschäfte gemacht hat, weil Westdeutschland als „Schaufenster des Westens“ begünstigt wurde. Kollmann gibt eine Erklärung wie ein echter Betriebswirtschaftler, der die Gesamtzusammenhänge ausblendet und mit Scheuklappen eine angebliche maximale Einsparung fordert, egal wie viel es kostet (nämlich die Gesellschaft als Ganzes): »Kinder sind mittlerweile ein Verlustgeschäft für den Staat, so ein Nebenergebnis der sogenannten Generationenbilanzen. Diese volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen werden heute meist - interessenspolitisch und mit liberalkonservativer und neoliberaler Perspektive - dazu benützt, um zu zeigen, dass die Staatsausgaben und die angesammelten Staatsverschuldungen zu hoch sind und deshalb die Staaten sparen müssten.«Anm.4 Dazu ist erst einmal grundsätzlich zu sagen: Ein Mensch ist im Regelfall in der Lage, mehr zu produzieren, als er selbst verbraucht. Das ist ein sehr simples Grundgesetz. Bei der heutigen Produktivität ist das das Vielfache des eigenen Bedarfs. Eine Gesellschaftsordnung, bei der mehr Menschen nicht mehr Entwicklung und mehr Wohlstand bedeuten, bei der Millionen in ihren kreativen und produktiven Fähigkeiten brach liegen, ist eben eine, die dringend durch eine andere, die Potenzen zur Entfaltung bringende ersetzt werden muß, und das gilt umso mehr, wenn man die Auswirkung dieser Ordnung auf der internationalen Ebene betrachtet. Die Umwälzung ist überfällig. Kollmann übernimmt da übrigens anscheinend einiges aus der Schweizer NZZ, worauf man in einem Land wie der Schweiz, wo bei einer relativ kleinen Bevölkerung der Finanzsektor dermaßen dominiert, eher noch kommen kann. Möglicherweise sieht dort der Finanzsektor die Bevölkerung als notwendiges Übel an, ohne das es eben keinen eigenen Staat gibt, aber dieses Modell ist für die meisten Länder nicht übertragbar. Die hier von Kollmann angeführte Staatsverschuldung ist bei uns insbesondere dem Umstand geschuldet, daß der Kapitalismus lange Zeit in der Auseinandersetzung mit einer revolutionären Gegenbewegung gestanden hat, daß Weltkriege und Naziherrschaft das nicht ausrotten konnten, und die Gegenbewegung sich zeitweilig sogar in Staaten mit einer neuen Gesellschaftsordnung manifestierte, zeitweilig sogar in einem Teil Deutschlands selbst, allerdings mit erheblichen Geburtsfehlern, denn die DDR war nicht durch eine eigene Revolution entstanden und konnte auch keine entsprechende Umgestaltung vollziehen, weil sie nur von Gnaden einer Besatzungsmacht existierte, die zwar einen entscheidenden Anteil an der schließlichen militärischen Niederschlagung des Faschismus gehabt hatte, aber selbst zunehmend auf einen revisionistischen und großmachtchauvinistischen Weg geriet. Im Zuge der Jugend- und Studentenbewegung entstanden aber neue revolutionäre Kräfte, auch vom China Mao Zedongs, der Kritik am Revisionismus und dem Aufschwung der antikolonialen Befreiungsbewegungen inspiriert, die diese Degeneration verwarfen und neu an die revolutionären Prinzipien anknüpften. Daß sich diese Bewegung erneut mit der Arbeiterbewegung verbindet, war die größte Horrorvorstellung der einheimischen wie der internationalen Bourgeoisie, wie auch der Revisionisten. Deshalb wurden hierzulande auf Pump vielfältige soziale Maßnahmen finanziert, um nicht zu viel soziale Unruhe aufkommen zu lassen. Das waren sozusagen Kriegskosten im Klassenkrieg, aber Kriegskosten werden später immer der breiten Masse präsentiert. Man hat nicht zuletzt die Industriearbeiterschaft hierzulande erheblich reduziert, letztlich um den inneren sozialen Konflikten zu entgehenAnm.5, und konnte aber unter den gegebenen Umständen die überflüssig gemachten Menschen, (Anfang der siebziger Jahre war bereits die erste Million erreicht) nicht sofort ins totale Nichts fallen lassen, sondern hat diesen Vorgang mit viel Geld abgefedert, über die regulären Leistungen noch hinaus: frühere Rente, Aufblähen des Öffentlichen Dienstes, längere Ausbildung, Aufhebungsverträge mit Abfindung, staatlich geförderte Subkultur ... Das waren die eigentlichen Gründe für die defizitären Staatsfinanzen. So stiegen von Ende der sechziger- bis Ende der siebziger Jahre die Staatsschulden auf das 4-5 Fache. Als das frühere sozialistische Lager offiziell zusammenbrach, das leider zum Schluß weitgehend nur noch einen sozialistischen Schein wahrte, hinter dem wieder eine Klassenherrschaft einer Ausbeuterklasse existierte, als sich auch dort die Klassenordnung wieder offen kapitalistisch etablierte, beeilte man sich mit dem Abbau sozialer Leistungen. Auch in China war inzwischen ein bürgerlicher Umsturz erfolgt. Öffentliche Mittel wurden nun hier in großem Umfang zur Privatisierung freigegeben. Seit der Einführung von Hartz IV und ähnlichem sind die Folgen noch offener hervorgetreten und die Stimmen wollen nicht verstummen, die das immer noch weiter verschärfen wollen. Die hohe Zahl von Menschen, die von öffentlicher Alimentierung lebt, ein künstlicher Menschenüberschuß, da die frühere Existenzbasis, die industrielle Konzentration, heute in andere Weltgegenden verlagert ist, ist nicht zwangsläufig, sondern das Resultat der Bemühungen, die Klassengesellschaft am Leben zu halten. Und Millionen Menschen werden daran gehindert, sich ihren Fähigkeiten entsprechend einzubringen, sich entsprechend zu entwickeln. Das sind die eigentlichen Probleme. Und die herrschende Klasse hat kein Konzept, wie dem abzuhelfen sei. Sie machen hohe Profite überall in der Welt und decken damit die Misere hier zu, aber das wird angesichts der Entwicklung auf der Welt immer schwerer. Das wird sich auch in vermehrter Bereitschaft auswirken, sich in einen Krieg zu stürzen und darin eine Lösung und einen Neuanfang zu suchen. Das wäre nicht neu. Diese längeren Ausführungen waren notwendig, denn diese Fragen kann man nicht ausblenden, da dies die Entwicklung ist, die zu der heutigen Lage geführt hat, die Entwicklung der Klassenauseinandersetzung in diesem Land, die von einer besonderen Schärfe gekennzeichnet ist. Dieses Land ist eines, in dem der Kapitalismus auf eine Höhe entwickelt wurde, die den Übergang zu einer neuen Gesellschaft eigentlich sehr nahe legt, denn offenkundig gerät er in einen immer schärferen Widerspruch zum Entwicklungsniveau der Produktivkräfte und sucht nach Wegen, diese Entwicklung zu bremsen. Rein mit ökonomischen oder gar ökologischen Betrachtungen blendet man diese entscheidenden Fragen weitgehend aus. Unvermeidlich kommt natürlich bei Kollmann die Fragestellung: „Kosten, die unsere Umwelt zu tragen hat.“ Das gipfelt dann in der Aussage: »Allerdings der Verzicht auf Flugreisen oder ein Leben ohne Auto, das würde zu wahrhaft wirksamen Entlastungen führen. Die sinnvollste und alles andere um Längen überragende klimafreundliche Maßnahme wäre jedoch der Verzicht auf ein (weiteres) Kind, denn ein in diese Welt gestelltes Kind verursacht im Schnitt sagenhafte 60 Tonnen CO2-Emission im Jahr im Westen. Offenbar war Chinas frühere Ein-Kind-Politik ziemlich hellsichtig (wenn auch brutal), irgendwie fällt einem da Afrika ein.« Hier wieder vergißt der Autor erneut, daß auch er ein „in die Welt gestelltes Kind“ ist. Aber er taugt auch hier wieder einmal gut als Lehrer durch negatives Beispiel. Flugreisen und Autofahren wieder als Privileg der „Oberen Zehntausend“ wäre das Resultat, der ersteren Forderungen. Da steckt einiges drin, denn Verkehr ist ein Fortschrittsfaktor, der die Kommunikation fördert und die lokale Abgeschiedenheit aufbricht, ohne den keine moderne Gesellschaft heute denkbar ist. Die feindselige Stellung zum Kinderkriegen ist bereits Thema gewesen. Interessant ist die Bejahung der chinesischen Ein-Kind-Politik, die noch katastrophale Auswirkungen zeitigen wird, was sich schon andeutet, die auch so ein „Nach mir die Sintflut“- Projekt und Merkmal staatlichen Despotismus ist.
Interessant und charakteristisch für die sogenannte „Klimaschutz“-Richtung ist der neokolonialistische Verweis auf Afrika in diesem Zusammenhang. Früher kam in diesem Zusammenhang immer das Beispiel Indien. Indien ist heute eine Macht in der Welt, die sich behauptet und mittlerweile viele Wirtschaftsunternehmen hervorgebracht hat, die sich auch auf dem Weltmarkt behaupten, so z.B. den weltgrößten Stahlkonzern. Das hängt auch damit zusammen, daß ein Land mit einer solchen Milliardenbevölkerung einfach große Potenzen besitzt, wenn es die Produktivität und Schöpferkraft dieser Milliardenmasse zur Entfaltung bringt. Das ist in Indien noch eher in ungenügender Weise der Fall, es gibt noch manches Rückständige zu überwinden, keinesfalls will ich da alles idealisieren, aber die Menschen dort werden Wege finden, dem Fortschritt weiter Bahn zu brechen. Modernes Proletariat wächst dort und wird seinen Einfluß geltend machen. Aber selbst so zeigt sich, daß die Bevölkerungs-Reduzierungs-Apologeten, die früher am liebsten alle Inder sterilisiert hätten, im Kern neokoloniale Rassisten waren. Nebenan in China hat sich in der Ära des Sozialismus die Bevölkerung in schnellem Tempo verdoppelt, während gleichzeitig die vorher fast alljährlichen Hungersnöte mit manchmal zweistelligen Millonenzahlen von Verhungerten überwunden wurden. Bis heute hat sich die Bevölkerung etwa verfünffacht, und China, obwohl es inzwischen offen kapitalistisch ist, profitiert immer noch von dem gewaltigen gesellschaftlichen Vorwärtssprung, den es unter dem Sozialismus gemacht hat, wo niemand auf die Idee gekommen wäre, so zu rechnen wie Kollmann. Nun will also unser ökologisch-ökonomisch Vernünftiger Kollmann den Afrikanern diese längst widerlegten neo-malthusianischen und neokolonialen Konzepte überstülpen oder befürwortet das zumindest. Da wären die Afrikaner allerdings wirklich schlecht beraten. Wenn die einfachen Menschen dort, die bisher oft viel Widerstandsfähigkeit und Erfindungsgabe gebraucht haben, um überhaupt ihr Überleben zu bewerkstelligen, die politischen Verhältnisse erkämpfen, wo ihre Fähigkeiten voll für den Fortschritt zur Entfaltung gebracht werden können, dann werden sie uns noch das Staunen lehren. Wir haben gegenüber ihnen eine besondere Verantwortung dafür, sie dabei zu unterstützen, denn der europäische Kolonialismus hat sie in den modernen Weltmarkt hineingerissen, man will sie aber nicht hochkommen lassen, um weiter ihre materiellen Ressourcen und neuerdings ihre menschlichen Ressourcen spottbillig auszubeuten. Statt ihnen die grüne Ideologie zu bringen, sollten wir ihnen die Mittel für ihre eigene Entwicklung in Gestalt moderner Produktivkräfte bringen, die auch mit auf ihre Kosten entwickelt wurden. Doch das erfordert eben auch eine gesellschaftliche Umwälzung, der leider solche Menschen wie Kollmann anscheinend abgeschworen haben.
Manch einer wird vielleicht auch wieder fragen, warum man sich mit einem solchen Artikel soviel Mühe machen soll. Aber das Lernen am negativen Beispiel, gerade an einem so krassen wie dieser Artikel von Kollmann, der dort nicht seinen ersten Artikel verfaßt hat, ist eben lehrreich, weil Ähnliches öfter in geschickterer Weise vertreten wird und sogar hier zum sogenannten „Mainstream“ gehört.. Und schließlich wurde dieser Artikel in Telepolis ernst genommen und zum Teil sogar zustimmend diskutiert. Ich zitiere aus Kommentaren: „Die Welt wäre ohne Menschen besser dran“, „Er trifft in etwa meine Ansicht zu dem Thema“, "’Die Grenzen des Wachstums’ sind da eine deutlich bessere Lektüre“, „Kinder(umwelt)kosten zu erwähnen ist ein Tabu. Da kann man auch gleich sagen: ‘Allah ist doof’“, „Recht vernünftig hat das der Club of Rome in den Grenzen des Wachstums diskutiert“ Ich höre hier auf, weiter zu zitieren, obwohl ich hier noch sehr am Anfang der Kommentare bin. Neo-malthusianische Reaktion ist also offenbar dort für (zu)viele gesellschaftsfähig. Man sucht doch vergeblich nach Artikeln, die Derartiges in der gebührenden Weise aufgreifen und verurteilen. Es gibt allerdings auch einige angemessene Reaktionen in den Kommentaren, wie z.B. :“Lesen Sie bitte noch einmal die letzten 2 Sätze ihres Artikels und erlösen Sie dann die Welt von Ihrem CO2- Ausstoß und uns von Ihren idiotischem Geschreibsel. Die Luft wird davon sicher nicht besser aber sauberer!“
Anm.1 Die Industriearbeit im Inland wurde zunehmend von einem Millionenheer ausländischer Sklaven verrichtet, allein in Deutschland selbst 7,5 Millionen auf dem Höhepunkt. So viele ausländische Arbeiter hat das Land bis heute nicht wieder gesehen. Fast überflüssig zu sagen, daß dabei die Kosten für Kinder auch gespart wurden, die Parallele sollte zu denken geben. Anm.2 Die „vernünftig ökonomische“ Sicht Kollmanns auf Kinder, also auf andere Menschen, kommt der Nazisicht näher, als ihm anscheinend selbst bewußt ist. Anm.3 In einer 1924 erschienenen Broschüre, „Der Bolschewismus von Moses bis Lenin“, die er und ein gewisser Erzrechter namens Dietrich Eckart gemeinsam verfaßten, wird Hitler wörtlich zitiert: „Alle, aber auch alle sozialen Ungerechtigkeiten von Bedeutung, die es auf der Welt gibt, gehen auf den unterirdischen Einfluß der Juden zurück.“ Und an anderer Stelle: Es dränge „den Juden“ „Über die Weltherrschaft hinaus zur V e r n i c h t u n g der Welt“. Anm.4 Nein, lieber sollen die ärmeren Länder das Großziehen der Kinder übernehmen, die dann zur Emigration aus Not gedrängt werden, und das hiesige Kapital übernimmt dann die fertigen Arbeitskräfte, was die Kosten der Arbeitskraft senkt und die Nachkommen der Arbeitergenerationen, die hier einst große Verbesserungen ihrer Lage erkämpft haben, weiter aus diesem Sektor verdrängt. Was aber mit dem eigenen Menschenüberschuß machen, der dadurch größer wird? Die wiederholten Forderungen nach einer größeren Rolle Deutschlands in militärischen Auslandseinsätzen sollte in diesem Zusammenhang hellhörig machen. Na, auf jeden Fall soll der sich nicht auch noch fortpflanzen. Und den gegen Kriege, Katastrophen und Krankheit schützen? Ist die Misere in diesen Bereichen Zufall? Anm.5 Es gab schon Versuche, in Westdeutschland z.B. die Löhne zu senken, wie die Zugeständnisse, die nach der Novemberrevolution hier gemacht wurden, so der Achtstundentag, gerade wieder aktuell, immer wieder für die Bourgeoisie Stein des Anstoßes waren, aber das löste große Streikbewegungen aus, sogar Wellen von sogenannten „wilden Streiks“, wenn die Gewerkschaft das bremsen wollte. So ging man schließlich daran, die Arbeit dorthin zu verlagern, wo man die gewünschten Arbeitsbedingungen durchsetzen konnte. Man hat seitdem systematisch die Stellung der Arbeiter in diesem Land ausgehöhlt, die früher mit einer wachsenden Industrie verbunden waren, was ihre Bewegung tendenziell unüberwindbar machte.
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