Internet Statement 2018-55

 

 

 

 

Berlin „Failed State“

- Und geht man in die Tiefe, ist es bemerkenswert, wo das hinführt

 

 

Wassili Gerhard  15.06.2018

Es vergehen keine paar Tage, daß nicht in Berlin Meldungen von völligen Unzulänglichkeiten kommen. Hier bricht was zusammen, da wird etwas nicht zustande gebracht, Fehlplanungen rächen sich, Pflichten des Staates werden nicht erfüllt. Es gibt nicht genug Lehrer, Kindergärtner, Fachkräfte in Ämtern, Kinderärzte, Beamte im Bauämtern, um halbkriminelle Machenschaften zu bekämpfen, Wohnungen für Wohlhabende, Ärmere, Familien mit Kindern, eigentlich für Jedermann, aber auch Unterkünfte für Obdachlose...ich möchte die Liste hier nicht fortsetzen, jeder kann wahrscheinlich einiges hinzufügen. Aber der Senat und der höhere Beamtenapparat sitzt auf dem Hohen Ross, hat alles schon immer vorhergesehen aber nicht verhindert, wofür es immer Entschuldigungen gibt, gefällt sich aber weiter selbstgerecht in der Pose des Erziehers, der dem normalen Bürger die elementaren Dinge beibringen muß. Bestimmt würde man erst einmal bemängeln, daß ich in der Aufzählung keine gendergerechten Bezeichnungen benutzt habe, also meine Sprache falsch sei. Natürlich meine ich auch die weiblichen Vertreter. Das war einmal selbstverständlich, aber auf diesem Gebiet muß man ja zum Ausgleich Erbsenzählerei einführen, Papier ist ja genug da und sowas lenkt von den wirklich drängenden Problemen ab.

 

Manchmal wünsche ich diese Stadt zum Teufel, wenn einmal wieder nichts funktioniert. Insbesondere scheint man nicht damit klar zu kommen, daß sie vielleicht in ein paar Jahren wieder den Bevölkerungsstand von vor dem zweiten Weltkrieg erreicht, also die Folgen von Nazizeit und zweitem Weltkrieg und langer deutscher Teilung zwischen zwei befeindeten Machtblöcken bezüglich dieses Teilaspekts zumindest überwindet. Daß diese Stadt auch einmal die größte Industriestadt war, kommt allerdings erst einmal nicht wieder, was ein riesengroßes Manko dabei ist. Die große Ansammlung von Industriearbeitern war schon den Nazis ein Dorn im Auge, die in dieser Stadt bei freien Wahlen nie ein Bein auf den Boden bringen konnten. Sie wollten ihr „Germania“ daraus machen, gingen Rückwärts zur Sklaverei und überzogen die Stadt mit einem Netz von Sklavenarbeiterlagern. Der Schwund der Industrie wurde im Westteil nach dem Krieg und der strikten Teilung der Stadt verstärkt, weil die abgeschnittene Insellage ungünstig war, das wurde im Ostteil nach dem Ende der Teilung durch die Deindustrialisierung der ehemaligen DDR an den Weststandard angepaßt.

 

Diese katastrophale Entwicklung wurde von einer grünen Strömung zum Kult erklärt, die es sich lange in der verfallenden Substanz gemütlich machte und sie am liebsten samt Ruinen und Ratten unter Naturschutz gestellt hätte. So wie die ungeheuren Subventionen aus dem Bund bis Anfang der Neunziger eine wirtschaftliche Scheinkulisse am Leben hielten, die nach dem Ende der Teilung und dem teilweisen Versiegen der Geldströme wieder weitgehend verschwand, so hat sie auch diese Erscheinung mit subventioniert. Neuerdings hält jetzt die Vermarktung des geschichtsträchtigen und „malerischen“ Umfelds mit seinen vielen Facetten und Brüchen einen Aufwärtstrend in der Bevölkerungszahl aufrecht, der auch irgendwann sein Ende haben wird, wenn man nur darauf setzt. Irgendwann wird eine neue Sau international durchs Dorf getrieben und Berlin wird wieder weniger angesagt sein. Wie die Industrie, die hier nur wegen der Subventionen da war, wird dann auch vieles von Heute wieder weiterziehen zum nächsten Event.

 

Womit die Stadt aber anscheinend ganz und garnicht zurecht kommt, das ist gerade dieser gegenwärtige Aufwärtstrend. Zu lange hat man sich in der Rolle der Frontstadt eingelebt, wo man nur nach Hilfe rufen mußte, und schon flossen die Milliarden aus dem Bund. Ansonsten mußte man nur eine verfallende Stadt verwalten und einige Prestigefassaden hinbekommen. Seit den Siebzigern wurde auch Einiges an Modernisierung angegangen, aber mit dem Füllhorn der Subventionen im Rücken und mit den entsprechenden abstoßenden Erscheinungen von Korruption und Bereicherung und - passend dazu - auch jeder Menge Pfusch. Vieles damals Geplante ist aber auch im Sande verlaufen, obwohl es heute vielleicht Früchte tragen würde. Aber man hat ja die verfallende eingemauerte Stadt als Maßstab genommen. So geht das heute nicht mehr, und daß man nicht zum Umlernen fähig oder gewillt ist, das ist ein wesentlicher Hintergrund dafür, daß man z.B. keinen Flughafen zustande bringt, wie eben überhaupt wenig klappt, während das übermäßige Geldausgeben noch recht gut klappt. Diese Stadt als Hauptstadt ist alles Andere als ein gutes Aushängeschild.

 

Und jetzt hat man eine steigende Bevölkerungszahl, mehr Geburten - igitt! Wer soll denn mit sowas klarkommen? Das ist doch verkehrte Welt oder die Welt von vor hundert Jahren, längst vergessen und verdrängt. So kommt einem jedenfalls die Einstellung auf vielen Ebenen in dieser Stadt vor, keinesfalls nur ganz oben, wo es sich am krassesten auswirkt. Auch mancher moderne Spießer - also nicht der alte offen rechte Typus mit Gartenzwerg, Kuckucksuhr und Eichenschrankwand - sondern modern, demonstrativ undeutsch und umweltbewußt und der Beschäftigung mit elementaren sozialen Fragen entwöhnt. Den alten Typus gibt es auch noch, auch der will nicht das Ungewohnte und ist deshalb auch nicht soviel anders gegenüber diesen Veränderungen eingestellt.

 

Wobei es auch Erscheinungen gibt, die wirklich nicht wünschenswert sind, zum Beispiel der Verfall der Disziplin im öffentlichen Raum, der natürlich auch Menschen, die aus Kulturen kommen, wo Selbstdisziplin höchstens im eigenen Familienverband üblich ist, zur Teilnahme daran einlädt. Keiner traut sich das einzufordern, denn das erscheint als „zu deutsch“, und das will keiner sein, da macht er sich zur Zielscheibe. Nicht deutsch sein wollen, das ist tatsächlich heute typisch deutsch. Und sich auf alles einschießen, was vermeintlich „typisch deutsch“ ist, das gehört zum sogenannten „Mainstream". Man überläßt das Feld so faktisch besonders der AfD und trägt beispielsweise so zu deren Überleben und Erstarken bei, indem man ihr wichtige Themen überläßt, wobei sie das natürlich verdreht und nur auf die Einflüsse der Ausländer und der Linken schiebt (Anmerkung). Damit fördert diese wiederum die Demagogie der anderen Seite. Der vernünftige Standpunkt gerät so zwischen beide Seiten.

 

Daß der brutale Einbruch aufgrund der Nazibarbarei dabei ein elementarer Faktor ist, der eben mehr als nur ein „Taubenschiß“ von der aktuellen Bedeutung her ist, weil man die Dinge eben aus der konkreten heutigen Situation sehen muß, daß diese Barbarei am meisten die Fehlentwicklungen und die Verteufelung alles Deutschen ohne notwendige Differenzierung gefördert hat, das gehört unverzichtbar zur Wahrheit. Die Differenzierung zwischen guten und schlechten Seiten der deutschen Geschichte sollte als eine Errungenschaft erhalten bleiben, das ist im Grunde etwas, was gut in positive deutsche Traditionen paßt. Dagegen „Right or wrong - my country!“, das ist eben nicht vorbildlich und wird irgendwann eine Erscheinung von Gestern werden. Daß andere imperialistische Mächte und ihre Lakaien im Inneren im Grunde „völkisch“ argumentieren und alle schlechten Eigenschaften des Imperialismus zur deutschen Eigenart erklären, weil sie unter dem Nazifaschismus, der eben zeitweilig die konzentrierte Speerspitze eben dieses gesamten Imperialismus verkörperte, in besonders konzentrierter und abscheulicher Form hervorgetreten sind, daß sie dabei sich selbst im Gegensatz dazu von derartigen Abscheulichkeiten reinwaschen wollen, obwohl auch seit 1945 die Abscheulichkeiten nicht aufgehört haben und nicht weniger Millionen an Toten und Gequälten gekostet haben, als der ganze zweite Weltkrieg, das ist kein Vorbild, das ist nicht zu akzeptieren. Und das würde auch in unserem Land nicht mehr funktionieren, das würde die Welt Deutschland nicht durchgehen lassen. Es ist erstaunlich, wo man ganz schnell hinkommt, wenn man bei den Problemen in die Tiefe geht. Aber wir wollen zurück zu den Berliner Verhältnissen.

 

Ein wichtiger Hintergrund des Verkehrschaos ist also auch der Verfall der Kultur, der ursprünglichen Fähigkeit zur Selbstdisziplin, die in der modernen Soziologie als Teil der „autoritären Persönlichkeit“ (Adorno und Andere) und damit zur Mitursache des Faschismus erklärt wird. In Verbindung mit Untertanengeist und Kritiklosigkeit gegenüber dem Staat kann sich unangebrachte Disziplin bekanntlich tatsächlich negativ auswirken, aber in der deutschen revolutionären Bewegung war sie auch wichtig und trug zur Stärke dieser Bewegung bei. Und jede revolutionäre Bewegung, die erfolgreich sein will, braucht sie. Die „re-education“ der USA sah diese Seite natürlich auch als negativ, aber in den heißen Zeiten des Kalten Krieges, als man auf die deutschen Rechten mit zurückgreifen wollte, machte man mit der rechten Seite Kompromisse. Bis heute werden die Ultrarechten als Reserve der Reaktion heimlich gefördert, wie gerade wieder beim NSU deutlich wurde, aber auch in Solingen vor 25 Jahren war das rechte Nest, aus dem die Täter kamen, von einem V-Mann behütet.

 

Aber wieder zurück zum Verkehr, wenn man einmal in die Tiefe geht, kommt man da schwer wieder los. Mit disziplinierteren Verkehrsteilnehmern wären viele Probleme weniger gravierend. Aber der Verkehr soll ja garnicht flüssig und auch nicht diszipliniert laufen. Stattdessen wird die Anarchie ja noch angeheizt, indem z.B. garnicht versucht wird, ein verkehrsgerechtes und diszipliniertes Verhalten aller zu fördern und zu belohnen, sondern es werden Straßen verengt, Parkplätze nicht in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt, die Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmer vorwiegend da aufgegriffen, wo sie dazu genutzt werden können, die Verkehrsteilnehmer gegeneinander zu hetzen. Auch der zunehmende Lieferverkehr ist doch nicht wie jedes Jahr der Winter unvorhergesehen hereingebrochen. Aber er bricht herein über einen Verkehr, der bewußt auf Kante genäht ist. Und jüngst hat man schon einem Vertreter des Wirtschaftsverkehrs ein Forum geboten, der der Verbannung des motorisierten Individualverkehrs aus der Stadt das Wort redete. Hintergrund ist die Feindschaft gegenüber dem motorisierten Individualverkehr. Man will den Autofahrern die Nutzung ihrer Fahrzeuge so vergällen, daß sie endlich aufgeben und sich auf den viel zu schlecht funktionierenden Nahverkehr oder auf das Fahrrad verlassen. Dann haben die Bonzenschlitten und der Wirtschaftsverkehr endlich freie Bahn. Vorwärts in die Vergangenheit! Auch auf diesem Gebiet sollen wieder „normale“ Klassenverhältnisse herrschen und das Auto soll wieder zum Privileg der Oberschicht werden. Und hier fördert man wieder das Untertanendenken, wenn auch im moderneren Gewand als die angeblich wahre Freiheit.

 

Und diese Haltung gegenüber der breiten Bevölkerung, dieses moderne Obrigkeitsstaatsdenken, steht völlig im Gegensatz zum allgemeinen Entwicklungstrend, wie er sich unterschwellig weiter durchsetzt: Heute gibt es objektiv viel bessere Voraussetzungen für selbstverantwortliches Handeln. In der normalen Bevölkerung gibt es tatsächlich immer mehr Menschen, die vielfältig kompetent sind und mit den heutigen Kommunikationsmitteln einen viel größeren Horizont haben, in ihrem Beruf Verantwortung für umfangreiche Werte tragen und die Gängelung von Oben eigentlich immer mehr entbehren können. Aber sie sind auch geübter darin, sich gegen eine Obrigkeit durchzusetzen, insbesondere im ehemaligen Westen, wo die Jugend- und Studentenbewegung viele darin geschult hat. Deshalb will man auch lieber von Woanders her Menschen herholen, die noch in rückständigen Verhältnissen verwurzelt sind, statt den Nachwuchs der eigenen Bevölkerung zu fördern. Aber man will die Immigranten nicht wirklich hier integrieren, sondern aus ihnen ein möglichst separates Bevölkerungselement heranziehen, das im Gegensatz zur ursprünglichen deutschen Bevölkerung steht. Deshalb unterscheidet man auch so wenig zwischen Menschen, die sich hier gut integrieren wollen und können, und solchen, die es nicht wollen oder können. Im Gegenteil, man nimmt das Ergebnis der eigenen Vorgehensweise noch mit als Vorwand, einen Repressionsapparat nach Innen weiter auszubauen, der sich natürlich gegen alle richtet, wenn gegen die unmöglichen Verhältnisse endlich die fällige angemessene Rebellion kommt.

 

 

Anmerkung. Die Berliner CDU kommt so auch immer wieder mal hoch, bringt sich mit ihrer provinziellen Unfähigkeit und Unmöglichkeit aber immer wieder in die Opposition zurück und ist der eigentliche Garant dafür, daß die SPD immer wieder hochkommt, die nach einer Koalition mit der CDU immer alles Schlechte auf diese schiebt und Quasi so tut, als wenn sie die Opposition auch gegen sich selbst war. [zurück]

 

 

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