Internet Statement 2019-13

 

 

Hart aber Fair: „Menschenrecht Wohnen – in Deutschland leider unbezahlbar?“

Wer hat denn hier die ganze Zeit wen enteignet?

 

 

 

Wassili Gerhard 16.03.2019    

Bei Hart aber Fair am 11.03. ging es um die Wohnungsnot und um die Forderung nach Enteignung von Deutsche Wohnen und Co., also Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen in Berlin.

 

Vorneweg halten wir mal fest: Wer hat hier bisher wen enteignet? Die wahren Enteigner seit Jahrzehnten sind die regierenden Parteien bzw. das Finanzwesen, das von diesen Parteien massiv begünstigt wird. Die haben doch die Bevölkerung dieses Landes in einer massiven und unverschämten Weise enteignet, indem sie günstige Wohnungen in öffentlichem oder gemeinwirtschaftlichem Besitz verscherbelten und zu Spekulationsobjekten des Finanzsektors machten. Die Privatisierung öffentlichen Eigentums war lange wie ein Glaubensgrundsatz. Das war kein Unfall, sondern wurde spätestens ab den achtziger Jahren als Übergang zu einem besseren Wirtschaften gepriesen. Auch die Versorgung mit Wohnraum sollte so angeblich besser funktionieren. Heute sehen wir die Wahrheit.

 

Die Gezieltheit, mit der Gemeineigentum und gemeinwirtschaftliches Eigentum, wie auch gewinnbringende öffentliche Unternehmen, um jeden Preis privatisiert wurden, und damit die Allgemeinheit - eben die Bürger, die jetzt in erheblicher Zahl unter den Folgen leiden - um viele Milliarden enteignet wurden, gehört zunächst einmal aufs Tapet. Eine Enteignung der größten Profiteure davon wäre nur ein Akt des Ausgleichs für frühere Enteignungen der Eigentümer von Hunderttausenden Wohnungen allein in Berlin, die aus gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, aus städtischen Wohnungsgesellschaften, aus ehemaligen DDR-Wohnbaugesellschaften in Gemeinbesitz stammten, die privatisiert oder an Finanz-Heuschrecken verscherbelt wurden. Das waren in Berlin die Berliner Bürger, das waren die ehemaligen DDR-Bürger. Im Falle der gemeinwirtschaftlichen Neuen Heimat, mit Millionen Wohnungen bundesweit, wurden die Gewerkschaftsmitglieder enteignet, denen dieses gemeinwirtschaftliche Unternehmen eigentlich gehörte. DGB-Funktionäre und -Manager tragen eine erhebliche Mitschuld daran und haben das Unternehmen schon vorher wie ihren Privatbesitz behandelt. Das sind besonders gravierende Beispiele für das, was bundesweit im großen Maßstab passierte.

 

Um das Fallen der Mieten und Immobilienpreise um die Jahrtausendwende aufzuhalten, wurden ab Ende der neunziger Jahre sogar 300.000 Wohnungen abgerissen, die die DDR gebaut hatte. Heute werden in Berlin an der gleichen Stelle ähnliche Häuser wieder gebaut. Auch zwang der Staat mit dem Hebel der sogenannten Altschulden die ehemaligen staatlichen Wohnungsgesellschaften, die Mieten auf das Mehrfache zu erhöhen und Wohnungen zu verkaufen. Die Schulden der DDR wurden bei der Umrechnung in DM mindestens verdoppelt und mit hohen Zinsen auf fällig gestellt. Westdeutsche Banken, die billig die DDR-Banken übernahmen, stießen sich daran gesund. Hätte man das mit der damals erheblich stärker verschuldeten Bundesrepublik so gemacht, wäre diese erst recht desaströs in die Pleite gefallen. Diesen Hebel setzte man auch für den Abriß an, indem dafür Schuldenermäßigung winkte. Fallende Mieten, das durfte ja wirklich nicht sein! Das hätte die heilige Finanzbranche getroffen. Es wurde behauptet, daß der Markt schon für genügend Wohnungen sorgt, wenn es den Immobilienunternehmern nur gut genug geht. Steigende Mieten waren dafür angeblich nötig.

 

Statt Neubau war die Sanierung von Altbauten das große Geschäft, weil so die Mieten steigen, ohne daß die Wohnungen vermehrt werden. Billige neue Wohnungen zu bauen ist für Unternehmen, denen es nur um kurzfristig hohe Renditen geht, einfach kein besonders profitables Geschäft. Es sei denn, man bringt viele kleine Wohnungen auf wenig Bodenfläche unter, wie bei den Mietskasernen der Gründerzeit. Dann kann man Wohnungen mit hohen Quadratmeterpreisen auch an Finanzschwache verkaufen. Investorenkreise reden schon länger von notwendiger Verdichtung und manche Publikationen propagieren „Tiny Flats“ als Lösung. Das paßt dann auch zum neuen Ökokapitalismus. Aber erst einmal muß die Wohnungsnot so groß werden, daß auch hohe Mieten für Miniwohnungen bezahlt werden. Das steckt vermutlich auch hinter der zu geringen Bautätigkeit heute, obwohl wieder viele Neubauten gebraucht werden. Aktuell geht die Zahl der Neubauten in Planung1 sogar zurück und zusätzlich werden frühere Planungen nicht umgesetzt, denn die Wertsteigerung der Grundstücke bedeutet einfacher und sicherer verdientes Geld als Bauen. In Berlin liegen gegenwärtig über 30.000 genehmigte Bauvorhaben auf Eis. Das kam auch bei Hart aber Fair zur Sprache.

 

Ich will hier übrigens nicht alles in der DDR schön reden, aber in punkto Wohnungsbau, schnelles und massenhaftes Bauen günstiger Neubauwohnungen mit einer Mark Miete pro Quadratmeter, hat man unter den ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen auf diesem Sektor wirklich etwas geleistet. Noch 1973 beschloß man den Neubau von 3 Millionen Wohnungen bis 1990, was man auch in Relation zur Einwohnerzahl sehen muß. Und der Wohnungs-Neubau auch im Westen wurde mit unter Druck gesetzt, der mit den gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften, die nicht gewinnorientiert arbeiten durften, eine Anleihe beim Sozialismus nehmen mußte, um nicht zurückzufallen. Nach dem Krieg wurden im Westen fast 5 Millionen Wohnungen von gemeinwirtschaftlichen Unternehmen gebaut!

 

Es ist ganz sicher kein Zufall, daß die gesetzliche Beseitigung der gemeinwirtschaftlichen Gesellschaften in den achtziger Jahren erfolgte, als für politisch gut Informierte das kommende Ende der DDR absehbar wurde und mit dem bürgerlichen Umsturz in China überhaupt das Ende der sozialistischen Herausforderung auf globaler Ebene, wie sie bis dahin gewirkt hatte. Zwar war der derartig schnelle Zusammenbruch der DDR wohl nicht vorhergesehen worden, aber über eine künftige Konföderation mit der Bundesrepublik wurde schon lange verhandelt, und das hätte über kurz oder lang eine offener kapitalistische Ordnung auch für die DDR gebracht, die bereits immer mehr zur „verlängerten Werkbank“ für westliche Unternehmen geworden war. Über geplante harte Einschnitte im Sozialwesen in diesem Fall sickerten schon vorher Informationen durch.

 

Daß unter dem neuen Berliner Senat bisher zu wenig neue Wohnungen auf den Weg gebracht wurden, das stimmt durchaus. Das trifft nicht nur Menschen, die neu in die Stadt ziehen, denn wenn das Angebot immer weiter hinter der Nachfrage hinterherhinkt, dann steigen in einer Warengesellschaft die Preise. Das wirkt sich auch auf den Altbestand aus, das ist kleines Einmaleins der Privatwirtschaft. Man sollte natürlich die Vorschriften vereinfachen und auch die Abzocke mit der energetischen Sanierung beenden. Aber es ist die Frage, ob dann die billigen Wohnungen gebaut würden, die der einfache Berliner braucht. Mit ausreichend großen Wohnungen für Mieten, die auch Wenig- und Normalverdiener bezahlen können, läßt sich aus der Sicht der Immobilienspekulanten nicht genug verdienen. Deshalb ist die Behauptung der FDP, der Markt werde es schon richten, wenn man der Privatwirtschaft nur freie Bahn läßt und sie genügend Profit machen läßt, nicht überzeugend. So hat man in der Vergangenheit auch argumentiert, und das Resultat sehen wir heute. Der Markt soll es schon richten? Das kennen wir doch schon. Und vollends lächerlich machen sie sich mit der Behauptung, mehr Wohneigentum könne die Lösung bringen. Als wenn diejenigen, die keine bezahlbare Mietwohnung finden, sich wunderbarerweise aber eine kaufen können! Bei denen zählen die weniger Betuchten offensichtlich einfach nicht!

 

Gemeinwirtschaftlicher Wohnungsbau wäre heute wieder notwendig: gut, schnell, preisgünstig, mit preisgünstigen modernen Methoden. Aber das gesellschaftliche Umfeld, das die herrschende Klasse zu einem solchen Zugeständnis zwingt, wäre dafür notwendig, nämlich die grundsätzliche Infragestellung des Kapitalismus, so daß der Kapitalismus lieber Zugeständnisse macht, als seine Existenz zu gefährden. Dabei ist diese Infragestellung so naheliegend wie nie, und die ständige Versicherung bei vielen Linken, daß man daran nicht denken würde, man wolle alles im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung lösen, geht nach hinten los. Am Ende wird man auch wirklich den Kapitalismus beseitigen müssen, um das Problem wirklich zu lösen, da die Wohnungsnot systemimmanent ist. Und zeitweilige erzwungene Zugeständnisse wird man immer wieder zurückfahren. Und dafür wird jedes Mittel recht sein. Heute ist das Umfeld so, daß z.B. eine Ratingagentur, also ein Organ der Finanzwirtschaft, dem immer noch mit über 50 Milliarden verschuldeten Senat damit droht, daß die Kreditwürdigkeit im Falle von Enteignungen leiden wird. Das zeigt, wieviel Macht dieser Finanzsektor hier hat, wie sehr er sich aber auch bedroht sieht, nicht zuletzt auch wegen der großen gesellschaftliche Zustimmung für die Enteignungsforderung.

 

Die vergangene Politik in der der Bundesrepublik hat die jetzige Lage gebracht, denn viele Maßnahmen zur Beschwichtigung der sozialen Verhältnisse in der Vergangenheit sind eben mit Schulden finanziert worden oder führten dazu, denn das Kapital wollte das natürlich nicht finanzieren. So ging letztlich in der Folge nicht zuletzt des Schuldenmachens ein großer Teil des gemeinschaftlichen Vermögens in die sogenannte Finanzindustrie über, an die die Schulden gezahlt werden mußten. Wie oft haben die wohl schon in der Vergangenheit direkt in die Politik hinein regiert, wie sie das gerade gegenwärtig ausnahmsweise öffentlich getan haben, indem Ratingagenturen mit geringerer Kreditwürdigkeit drohen, wenn die Enteignungen ernsthaft angegangen werden? Diese Verhältnisse und ihre vielfältigen Auswirkungen sind das eigentliche Desaster, das an die junge Generation weitergegeben wird. Die Klimapanik soll davon nur ablenken.

  


1  Die Zahl der geplanten Vorhaben sagt mehr über die aktuelle Entwicklung. Wegen einer Vorlaufzeit von mehreren Jahren sind z.B. in Berlin die jetzt tatsächlich gebauten Häuser noch unter dem vorherigen Senat geplant worden.

 

 

 

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