Internet Statement 2019-33

 

Zu Joachim Gauck kürzlich im Spiegel

Maria Weiß  20.06.2019      

Er vertritt dort in einem Interview: „Es empört mich, wenn Leute so tun, als könne man sich unkritisch in eine deutsche Tradition stellen, die Verbrechen begangen hat.“ [1]  Das ist allerdings ziemlich daneben. Es ist doch nicht „die deutsche Tradition“, welche Verbrechen begangen hat, sondern der Nazifaschismus, welcher dieses tat. Beides so einseitig und blauäugig gleichzusetzen indem man es in eine Tradition stellt, zeugt von Ignoranz und wird obendrein sicherlich eher das Gegenteil von dem bewirken, was vielleicht beabsichtigt ist. Im Gegenteil muß man sagen, daß durch derartige blauäugige und einseitige Behandlung von Geschichte rechte Kräfte in diesem Land eher indirekt gefördert als bekämpft werden. Den Nazismus zu einem Teil der deutschen Tradition zu erklären, ist selbst ein Verbrechen. So pauschal jedenfalls geht es nach hinten los und fördert indirekt neonazistische Kräfte eher als es diese bekämpft.

Der Nazismus hatte sicherlich auch gewisse Wurzeln in bestimmten Eigenschaften, welche in diesem Land geschichtlich und auch noch aktuell vor allem in kleinbürgerlichen und rechten Kreisen in der Bevölkerung immer noch existieren und ans Tageslicht gezogen und bekämpft werden müssen. Mit einer solch pauschalen Aussage, wie hier von Gauck vertreten, erreicht man meines Erachtens allerdings eher das Gegenteil.

Man muß sich auch fragen, was derart pauschale Aussagen eigentlich bewirken sollen. Herr Gauck ist damit allerdings keineswegs der Einzige. Merkel zum Beispiel ist in dieser Hinsicht durchaus eine Konkurrenz mit ihrer Aussage, daß der Staat Israel, welcher durchaus von seiner Entstehungsgeschichte als auch seiner aktuellen Wirksamkeit äußerst problematische Seiten aufweist, in Bausch und Bogen einfach mal eben als „Teil der deutschen Staatsräson“ deklariert wird. Ein politisches Vorgehen, was ganz ähnliche Probleme aufweist und obendrein von historischer Ignoranz zeugt, indem es einfach historische Fakten, welche in dieses Postulat überhaupt nicht hineinpassen, unterschlägt. Ganz davon abgesehen, daß man nebenbei mit solchen im Grunde sich selbst disqualifizierenden Aussagen obendrein die Rechten stärkt, scheint derartigen Vertretern dieses Landes offensichtlich egal zu sein. Oder haben sie sich diese Frage noch gar nicht gestellt? Manchmal fragt man sich, ob man nicht besser daran täte, derartige Ämter einzusparen. Den Nazismus als Teil der deutschen Tradition zu betrachten liegt fast schon auf dem Niveau von gewissen Äußerungen gewisser offen rechter Vertreter in punkto „Vogelschiß“, nur von der anderen Seite her betrachtet, was natürlich eine ebenfalls unmögliche und selbstdisqualifizierende Äußerung gewesen ist. Besser kann man in Wirklichkeit die Rechten kaum fördern, und zwar gilt das für beide Varianten.

Wenn man sich allerdings gewisse andere Vertreter im Ausland gegenwärtig anhört und liest, wie beispielsweise Herr Trump einfach bestialische Verbrechen des Saudi-arabischen Geheimdienstes klein redet, weil sie bei seiner aggressiven Strategie gegenüber Iran im Wege stehen, dann weiß man auch, was die Stunde geschlagen hat. So „einzigartig“ scheint der Nazifaschismus wohl doch nicht gewesen zu sein. Es zeigt auch, daß Wiederholungen in dieser Hinsicht durchaus möglich sind. Und warum sind sie möglich? Weil das System der Ausbeutung auf der Welt immer noch nicht verschwunden ist. Weil die sozialen Widersprüche immer noch existieren und sich verschärfen, weil es immer noch und sogar zunehmend wieder eine massive Ausbeutung vor allem der vielen Staaten der Dritten Welt gibt, welche von imperialistischen Kräften verschiedenster Natur an ihrer Weiterentwicklung gehindert werden. Man sollte sich daher davor hüten, einzelne Verbrechen, und seien sie auch noch so bestialisch, schwupp di wupp zur „Einmaligkeit“ zu erklären. Es kann auch noch schlimmer kommen. Nazismus als „Teil der deutschen Identität“? Was haben Sie sich dabei eigentlich gedacht, Herr Gauck?

Mao Zedong hat zu recht vertreten: Um einen Fehler zu korrigieren, muß das Maß überschritten werden. Das ist richtig. Aber das Maß zu überschreiten bedeutet nicht, die Seite zu wechseln.

 

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[1]  Es handelt sich um ein Interview mit Altbundespräsident Gauck im SPIEGEL-Gespräch "Wir müssen lernen, mutiger intolerant zu sein", Spiegel vom 15.06.2019

 

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