Internet Statement 2019-41

 

 

Vorbemerkung zu dem Artikel „Demagogische Verführung hat in diesem Land Tradition – Aber muß man denn nicht allmählich daraus lernen?

 

 

Wassili Gerhard   29.07.2019

Die folgende Darstellung ist entstanden aus der Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation und versucht, aktuellen Vorgängen auf den Grund zu gehen. Der dabei ins Blickfeld geratene „kleinbürgerliche Sozialismus nimmt in dieser Darstellung großen Raum ein. Denn die Frage erhebt sich: Warum kann dieser „kleinbürgerliche Sozialismus“, eine Strömung, die sowohl das Großkapital als auch den organisierten Klassenkampf der Arbeiterklasse ablehnt, heute wieder einen solchen Einfluß auf das Denken auch von Menschen, die sich subjektiv als Linke verstehen, gewinnen?

 

Die Antwort ist, daß dieses Land heute als Ganzes in erheblichem Maße von der internationalen Ausbeutung lebt. Dafür zur Illustration ein ganz aktuelles Zitat aus einem Zeitungsartikel:

„Deutschland hatte im Jahr 2018 einen Leistungsbilanzüberschuss von 7,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, oder mehr als 250 Milliarden Euro – den höchsten weltweit. [Trotz der massiv abgebauten Industrie] Dieses Geld wurde von deutschen Unternehmen, Investoren und Banken nicht in Deutschland ausgegeben, sondern ist ins Ausland geflossen. [und soll dort natürlich satte Gewinne bringen!] Der IWF schätzt, dass Deutschland durch seine wirtschaftliche Struktur und Ausgangslage – alternde Gesellschaft, hoher Wohlstand, geringere Produktivität – einen Leistungsbilanzüberschuss von etwa 2,5 Prozent pro Jahr haben sollte.
Dies bedeutet, dass der Überschuss um etwa fünf Prozentpunkte zu hoch ist. Unternehmen und Haushalte sollten jedes Jahr 150 Milliarden Euro mehr in Deutschland, statt im Ausland investieren. Wobei den Besitzern sicherlich auch 2,5 Prozent noch zu viel sind. (https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/iwf-praesident-zum-handelsueberschuss-trump-hat-recht-wenn-er-deutschland-protektionismus-vorwirft/24843388.html Hervorhebung und Einschub in eckigen Klammern, wie auch sonst, von mir.)

Eine Strömung, die Klassenfrieden will (früher "Volksgemeinschaft" genannt), die sich vor der Klassenauseinandersetzung drücken will und sich ein Reservat ohne „die Zwänge der Industriegesellschaft“ schaffen, findet da ihre materielle Basis. Oft genug heißt es „Geld ist genug da“, ohne zu fragen, wo es herkommt, wenn es nicht aus der Arbeit hier kommt. Auch das, was als „Wirtschaftsleistung“ bezeichnet wird, kommt großenteils aus anderen Quellen.

 

Die Abneigung gegen die moderne Technik und Wissenschaft, die im Kapitalismus ursprünglich wegen des Druckes der Konkurrenz massiv angewandt wird, die auch in einem Denken zum Ausdruck kommt, das die Erde am liebsten in einen Zustand wie vor der Industrialisierung zurück versetzen würde, richtet sich gegen die Tendenz, daß die Menschen tendenziell in eine immer kleinere Zahl von Kapitalisten plus Anhang und ein wachsendes Heer von proletarischen Lohnarbeitern aufgespalten werden. Während in Zeiten, als es mit der proletarischen Bewegung global offenbar aufwärts ging, viele Angehörige der Mittelschichten eher sich für eine vorwärts gerichtete Perspektive gewinnen lassen, suchen diese in Zeiten großer Niederlagen eher eine rückwärts gewandte Lösung. Und dieses Denken wurde, das wurde auch deutlich, auch schon von faschistischen Bewegungen der Vergangenheit zur Mobillisierung genutzt*). Dem wird hier nachgegangen.

 

Man fragt sich immer wieder unwillkürlich: Wie kann jemand etwas derart Unmögliches anstreben? Das werden auch die Menschen hier irgendwann in der Nachschau nicht begreifen. Wie sollte denn die heutige Menschheit von ca. sieben Milliarden Menschen auf einer solchen Basis mit allem Notwendigen – und darüber hinaus natürlich! – versorgt werden? Da wird doch aktuell viel mehr Industrie und mehr moderne Landwirtschaft gebraucht. Aber bei Greta und Co. herrscht da ein Denken, das einfach die Verhältnisse der Wohllhabenden in den wohlhabenden Ländern zum Maßstab nimmt, eine „Komfortzone“, von der Greta Thunberg wiederholt spricht, was ihre eigene subjektive Wahrnehmung widerspiegelt, wo „dreckige“ Industrie und industrielle Landwirtschaft weit weg sind, wo man doch einfach alles im Laden kaufen kann, aber natürlich möglichst „bio“, wenn man über das nötige Kleingeld verfügt – und das ist eben einfach da. Von der globalen Realität ist man da weit weg, wo und wie die nötigen Güter für die Milliarden von Menschen auf der Welt erzeugt werden, daß es genug und erschwinglich auch für die nicht so wohlhabenden Milliarden von Menschen sein muß, daß heute in anderen Regionen der Erde Hunderte Millionen an Hunger und den Folgen sterben, statt in der "Komfortzone" zu leben. Mit der Klimapropaganda wird das weiter vernebelt, indem eine künstliche Problemstellung die wirklichen Probleme der Menschheit verdeckt.

 

Und wenn man Kommunist ist und nicht nur die Lösung der dringendsten gegenwärtigen Probleme anstrebt, sondern ihnen an die Wurzel gehen will, und deshalb darüber hinaus eine klassenlose Gesellschaft auf der Grundlage eines hohen Entwicklungsniveaus anstrebt – und nur auf einem viel höheren Entwicklungsniveau, wo Ausbeutung und das Raffen von Privatbesitz zum abstrusen Widersinn werden, kann eine solche Gesellschaft dauerhaft errichtet werden – wo der Grundsatz „Jeder nach seinen Möglichkeiten und jedem nach seinen Bedürfnissen“ weltweit Realität werden kann, dann gilt das erst recht.

 

Auch wenn das Erreichen einer klassenlosen Gesellschaft noch viele Kämpfe und viele Windungen und Wendungen erfordern wird, muß man doch grundsätzlich die Entwicklung der Produktivkräfte befürworten, weil damit die materielle Basis dafür entsteht. Und die Förderung der grünen Richtung zeigt, daß auch die politisch denkenden Vertreter der herrschenden Klassen das zu einem Teil begreifen. Natürlich gilt ummso mehr, daß die beherzten Versuche, diese Gesellschaft unter der Herrschaft des organisierten Proletariats planmäßig aufzubauen, die Entwicklung bewußt voran zu treiben, prinzipiell gerechtfertigt waren, auch wenn das noch nicht fehlerlos war, erst einmal viele Kompromisse gemacht werden mußten, und es nicht in einem Zug zum Durchbruch geführt hat.

 

Es ist doch die beste Seite am Kapitalismus, daß er die materiellen Voraussetzungen und die Kräfte für seine Überwindung schneller hervorbringt, als in vorbürgerlichen Gesellschaften. Genau diese Seite am Kapitalismus will aber die grüne Richtung unterdrücken. In einer Zeit mit großen Rückschlägen im internationalen Klassenkampf scheidet sich in der Linken die Spreu vom Weizen. Es treffen sich Karrieristen, die auf der „marxistischen Welle“ Karriere machen wollten, mit alten schon vorher offen rechten „kleinbürgerlichen Sozialisten“ und die Grünen entstehen.

 

Und hier trifft sich eben der „kleinbürgerliche Sozialismus“ mit den reaktionärsten Teilen des Kapitals bzw. der Bourgeoisie, die ebenfalls diese innere Dynamik des Kapitalismus in den Griff bekommen wollen. Die Demoralisierung anläßlich des bürgerlichen Umsturzes in China hat hier dafür ihre Wirkung getan, was hier dargestellt wird. Die Verlagerung der Produktion in andere Teile der Welt – insbesondere Asien ist gegenwärtig der Schwerpunkt – diente auch dem Ausweichen vor einer verschärften Klassenauseinandersetzung in Ländern mit einem hohen Stand der Produktivkräfte, mit einem hochorganisierten und mit umfangreichen historischen Erfahrungen ausgestatteten Proletariat auf einem relativ hohen Kulturniveau. Ökonomie und Klassenkampf können nicht völlig getrennt werden, wirken aufeinander ein. Wenn die DDR auch Positives gezeigt hat, dann war das nicht zuletzt der Beweis, daß auch Arbeiter unter der Voraussetzung eines hohen Kulturniveaus zu Lenkern der Produktion und des Staates werden und auch ein hohes wissenschaftliches Niveau erreichen können. Das zeigt sich hier auch in eingeschränktem Maße in der modernen kapitalistischen Produktion, wo Arbeiter manchmal eine sehr hohe Verantwortung tragen. Das ist ein Unterschied zum Beispiel zur früheren Sowjetunion oder China.

 

Aktuell ist ein Versuch einer verstärkten Wiederbelebung der grünen Kampagne zu beobachten, während eine Zeit lang im Rahmen des Kampfes gegen Mietenwahnsinn in den großen Städten die grünen Themen wieter etwas mehr in den Hintergrund getreten waren. In zwei großen Demonstrationen 2018 und 2019 mit großer Beteiligung wurde über das Millieu hinaus, das für gewöhnlich von linken Demonstrationen erreicht wurde, eine Mobilisierung erreicht, die Zehntausende auf die Straßen brachte. Letztlich haben die ärmeren Teile der Bevölkerung in der Mehrheit auch in den wohlhabenden Ländern nichts Gutes zu erwarten, das zeigt sich immer wieder. Das heißt, daß die „grüne“ Perspektive für viele ein Betrug ist. Letztlich werden die niemanden ewig auf Kosten ihrer Profite durchfüttern wollen, der ihnen keinen Nutzen bringt. Alles andere ist traumtänzerisches Setzen auf Klassenversöhnung. Der droht ein böses Erwachen.

 

Weil das Kapital in den ehemaligen entwickelteren Industrieländern über große Mengen an ungenutztem Kapital verfügt, hat das Grundeigentum, für den Finanzsektor als Kapitalanlage und Spekulationsobjekt eine größere Bedeutung bekommen. Das Grundeigentum, das auch im Kapitalismus weiter ein sehr wichtiger Faktor ist, zieht seine Rente von allem ein, das in der Gesellschaft erwirtschaftet wird, weil es ein Gut sein Eigen nennt, das unverzichtbar für das Leben und auch für die wirtschaftliche Tätigkeit ist. Grund und Boden können nicht vermehrt werden und die Menschen leben immer mehr in Städten zusammengeballt, und so wurde eine enorme Mietsteigerung in Gang gesetzt, die nicht nur den traditionellen Immobilienbesitzern die Taschen füllt, sondern vermehrt auch dem spekulativen Kapital, das sich unter die Grundeigentümer gesellt.

 

Der Staat hat diesen Sektor seit etwa den achtziger Jahren auch mit vorher kommunalen und gemeinwirtschaftlichen Wohnungen massiv gefüttert und mit Gesetzesänderungen die Abzocke erleichtert, was natürlich auch dem Grundeigentum insgesamt zugute kommt. Alle großen Parteien haben daran mitgewirkt. Die Modernisierungsumlage ist eine gesetzliche Erhöhung der Grundrente unter dem Mantel des Klimaschutzes und der Subventionierung von Investitionen. Überhaupt ebnet die Klimakampagne einer Rentenschneiderei den Weg. Wenn auch noch mit CO2-Zertifikaten, also spekulativen Papieren, auf einen Teil der Atemluft gegründet, gehandelt werden soll, mit der man die „Sünde“ des CO2-Ausstoßes ausgleichen kann, das kommt das schon auf ein Niveau wie der Ablaßhandel des Papstes vor der Reformation. Sollten wir nicht gleich alle für die „Sünde“ Abbitte leisten müssen, beim Finanzkapital als Oberpriester von „Mutter Erde“, daß wir als Menschen auf die Welt gekommen sind und CO2 ausstoßen?

 

*)  Auch der Nazifaschismus versprach den Deutschen, als der Krieg gegen Osten geführt wurde, eine Zukunft, in der ein großer Teil der Menschen als Bauern leben sollte (wofür der sogenannte „Lebensraum im Osten“ da sein sollte), war dem „Schmelztiegel“ der Industriestädte feindlich gesonnen, wollte die größte deutsche Industriestadt Berlin in eine Repräsentationsstadt des Imperiums umwandeln, wo Arbeiterbezirke keinen Platz mehr gehabt hätten, und ersetzte dann einen großen Teil der Arbeiter im Land durch ausländische Zwangsarbeiter, sieben Millionen auf dem Höhepunkt. Natürlich waren das zum Scheitern verurteilte Hirngespinste, wie auch die heutigen Konzepte des Imperialismus, aber in der Zeit, in der das versucht wurde umzusetzen, wurden viele Verbrechen gegen die Menschheit begangen, weshalb ein Warten auf das unausweichliche Scheitern natürlich falsch wäre.

 

 

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