Internet Statement 2019-76
Es lebe Großbritanniens Extrawurst Ein paar spontane Bemerkungen zu dem Ausgang des Referendums in Großbritannien
Maria Weiß 14.12.2019 Den Ausgang des Referendums in Großbritannien kann man nicht begrüßen, denn er ist dazu geeignet, die Spaltung Europas, der Europäischen Union zu verschärfen, wenn es auch erst mal zunächst dazu geeignet ist, diese wieder zu beleben – ja Letzteres reicht eigentlich schon – denn die Entwicklung der Widersprüche auf der Welt zeigt, daß es in der Zukunft nicht annähernd so friedlich zugehen wird, jedenfalls was Europa betrifft, wie in den letzten siebzig Jahren.
Mit der Herauslösung Großbritanniens aus der Europäischen Union sind für andere Großmächte auf der Welt die Möglichkeiten gewachsen, dieses Land als eine Art Spaltpilz in Europa zu benutzen, im eigenen hegemonialen Interesse, versteht sich. Nicht umsonst sieht man diesen Ausgang in Schottland sehr skeptisch.
Allerdings stellt sich die Frage, ob damit nun wirklich denjenigen Kräften in Großbritannien, in England und Schottland, vor allen Dingen denjenigen in England, die diesen Austritt befürwortet haben weil sie sich eine bessere Existenz davon erhoffen, gedient ist. Daß dieses wirklich eintreten wird. Das steht noch sehr in Frage, weil diese Unterschiede sowohl in England als auch in Schottland ebenso wie überall in Europa nicht staatlicher Natur, sondern sozialer, klassenmäßiger Natur sind. Und dieser Widerspruch, der ändert sich in Großbritannien überhaupt nicht mit dem Austritt aus der Europäischen Union. Im Gegenteil, er kann sich sogar verschärfen. Wem aber an diesem Austritt liegt, das sind vor allen Dingen gewisse internationale Großmächte, namentlich die USA, welche dadurch bessere Chancen sehen, Großbritannien in ihrem Sinne gegen die übrige Europäische Union auszuspielen, egal wie deren gegenwärtige Regierung heißt, ob es Donald Trump ist oder mal wieder die andere Clique – ein solches Interesse vereint alle beide. Das sollte man nicht unterschätzen.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern an das Jahr 1973, als Großbritannien der EU beigetreten ist. Wir, obwohl wir keine bürgerlich sondern eine anti-bürgerliche revolutionäre kommunistische Organisation sind, haben damals diesen Beitritt begrüßt, und zwar genau aus den Gründen, die oben dargestellt wurden.
Unsere Organisation wurde zum damaligen Zeitpunkt, in der damaligen Teilrepublik Deutschlands, der alten Bundesrepublik, verfolgt, weil wir in deren Augen Staatsfeinde waren, das heißt konkret gesprochen weil wir ein anderes Gesellschaftssystem angestrebt haben. Aber ich kann mich sehr gut daran erinnern, daß wir damals von Schweden aus diesen Beitritt Großbritanniens in die EU durchaus positiv gesehen haben.
Was nunmehr alles zu dem Gegenteil, den Austritt, beigetragen hat, das müsste man mal im Einzelnen analysieren. Allerdings hat es auch durchaus starke Kräfte in Großbritannien gegeben, die diesen nicht befürwortet haben. Man nehme nur das Beispiel Schottland. Dort ist man überhaupt nicht besonders glücklich darüber, verständlicherweise. Gestärkt wird vor allen Dingen die angelsächsische Clique im Süden, und die ist diejenige, welche am meisten mit den US-amerikanischen Hegemonialbestrebungen auf der ganzen Welt verschwippt und verschwägert sind. Daß man darüber nicht glücklich ist, kann man sich denken. Donald Trump allerdings, mit seiner internationalen Hasardeurpolitik wird sicherlich ganz zufrieden sein über den Ausgang, denn er hat damit ein weiteres Pfund in der Waagschale für seine aggressiven hegemonialen Bestrebungen in der Tasche. Allerdings wird auch die andere Clique in den USA nicht traurig darüber sein, denn sie hat dieselben Bestrebungen, versucht dies nur auf andere Weise durch zu setzen.
Sicherlich hat auch die Klassenwidersprüchlichkeit, die sozialen Unterschiede in Großbritannien, dazu ihren Beitrag geleistet, was man auch nicht einseitig verurteilen sollte. Man muß aber sehen, daß alle Staaten, nicht nur in Europa, inzwischen eingebettet sind in eine internationale Situation sowohl der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Staaten und Kontinente, wobei es teilweise ein ganz extremes sozialen Gefälle sowohl der verschiedenen Staaten als auch innerhalb derselben als auch unter den Mächten selber gibt. Und daß man von jeder Bewegung, die sich entwickelt und in eine bestimmte Richtung zeigt, analysieren muß, welche Kräfte damit begünstigt werden und welche nicht. Das ist selbstverständlich.
Nachtrag: Wir haben damals den Beitritt Großbritanniens zur EU unter anderem deswegen befürwortet, weil es diese Möglichkeit des Ausspielens desselben gegen die übrigen europäischen Staaten einschränkt und dem internationalen Hegemonialunwesen in gewisser Weise Schranken entgegen setzt. Wer weiß, vielleicht ist diese Wendung in die entgegengesetzte Richtung ein Auftakt dazu, Gegenteiliges wieder zu begünstigen. Man kann nur hoffen, daß das nicht der Fall ist und daß in Großbritannien auch der Verstand die Oberhand behält und sieht, was das für eine Falle sein kann.
Man muß allerdings hinzufügen, daß für unterdrückte Klassen innerhalb eines solchen Staates es immer ganz besonders schwierig ist, eine internationale Betrachtungsweise sich zu eigen zu machen, sondern man stattdessen erstmal die eigene Misere zu betrachten geneigt ist und man sich erhofft, daß diese sich verbessert. Das ist aber in den allerseltensten Fällen der erfolgreiche soziale Weg. Ich denke, man kann heutzutage keine einzige Situation in irgendeinem Land noch vollständig beurteilen, ohne den internationalen Hintergrund, den Aspekt der internationalen Ausbeutung mit zu beachten.
Lezteres ist übrigens auch besonders für gewisse osteuropäische Staaten von Interesse, und diese sollte sich darüber mal Gedanken machen. Sicherlich kann man auch bestimmte Staaten verstehen, vor allem in Osteuropa, die sich fragen, was sie verdammt noch mal eigentlich von der EU haben. Sie haben nur Nachteile, sie müssen bezahlen, aber wo sind die Vorteile? Sicher ist da was dran, aber in der heutigen Welt, wo die hegemoniale Befindlichkeit eine unwiderrufliche Rolle spielt, muß man sich doch überlegen, wie sich das einbettet in den Gesamtzusammenhang. Und wie es mit den Nachteilen aussieht, auch das bedarf einer konkreten Abwägung. Bislang hat allerdings noch kein einziges osteuropäisches Land, welches in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren der EU beigetreten ist, den Wunsch geäußert, sich aus dieser heraus wieder zu entfernen. Auch das muß man mal als bemerkenswert betrachten, obwohl die Differenzen sicher manchmal sehr lautstark zu Wort kommen. Was aber dieser Coup in Großbritannien jetzt beutet, das wird man in der Zukunft noch sehen.
Die Europäische Union in ihrer heutigen Gestalt ist in gewisser Weise auch eine Art Antwort auf den Hegemonismus, allerdings trägt sie manchmal selbst hegemonistische Züge. Das kann man aber kritisieren.
Tatsächliche Hegemonisten gibt es gegenwärtig allerdings nur drei. Das sind erstens die USA, zweitens China und drittens vielleicht, in einer eingeschränkten Weise auch noch Russland. Ob Großbritannien jetzt ohne die EU gegenüber dem Hegemon USA besser fährt als zuvor, das steht ehrlich gesagt in den Sternen. Und ob das irgendeinen positiven Einfluß auf die soziale Gegensätzlichkeit in Großbritannien selbst haben wird, erst recht.
Irgendwie wackelt es sowieso im Gebälk sämtlicher europäischer kapitalistischer Staaten. Und mit welchen Auswirkungen Großbritannien sich aus dieser bisherigen Eingeflochtenheit entziehen kann, ist erst erst recht zweifelhaft. Was soll man davon halten? Glaubt man dort etwa, daß man deswegen in diesem Land den Kapitalismus zum Überleben bekommt? Ich sehe da keine besonders guten Karten in dieser Hinsicht. Großbritannien, das Land indem die ersten Theorien der modernen kapitalistischen Produktionsweise entwickelt wurden (Adam Smith) – vielleicht wird es ja das Land, in dessen Nachbarland die Theorien der sozialen Umwälzung des Kapitalismus entwickelt wurden, und das wird zu konkreten und praktischen Konsequenzen der Umwälzung führen. Wer wie? Man sollte niemals sich den Blick in die Zukunft durch einen oder mehrere Rückschritte vergällen lassen. Venceremos! (Pardon, das wär ja dann schon wieder ein weiteres europäisches Land!)
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