Internet Statement 2020-06
Die Bewegung gegen den Mietenwahnsinn
in Berlin ist völlig berechtigt und muß unbedingt fortgesetzt
werden
Mietendeckel reicht nicht. Mieten runter, und zwar drastisch!
Maria Weiß 23.01.2020 „Eine Stadt, die allen gehört“? Wie bitte? Wie kann das angehen in einer Gesellschaft wie der, in der wir hier leben? Eine Gesellschaft, in der es einen gewaltigen Widerspruch gibt zwischen einer kleinen Minderheit von Besitzenden und einer übergroßen Mehrheit derjenigen, die nichts besitzen? Wo soll denn das herkommen, eine Stadt, die Allen gehört?
Nun gut. Es wird die Vergesellschaftung von Grund und Boden und der Wohnungen gefordert. Aber das läßt sich nicht auf der Ebene einer Stadt durchsetzen. Auf der gegnerischen Seite gibt es Kräfte, denen gehören Fabriken, Bergwerke, Wälder und Felder in der ganzen Welt. Und die werden sie nicht freiwillig hergeben – und eben auch nicht die Wohnungen, die sie in ihrem Besitz haben, höchstens wenn sie genug Rendite herausgeholt haben und ihr Kapital wieder rausziehen wollen für ein anderes Investment – und dann der Preis stimmt. Ihnen die wieder abzukaufen, wie das der Senat macht, muß im Einzelfall nicht unbedingt ihrer Geschäftspolitik widersprechen. Aber einer generellen Enteignung werden sie sich widersetzen und auch die Kräfte dafür finden.
Das Privateigentum an Grund und Boden und an den Produktionsmitteln ist Grundlage des bestehenden Gesellschaftssystems. Spekulation ist ein wesentlicher Bestandteil eines Systems des Privateigentums an Grund und Boden. Und in einem solchen System leben wir zur Zeit. Das ist keine Reform, da ranzugehen. Das geht an die Wurzel, und da wird der Widerstand entsprechend sein. Glaubt man etwa, daß Diejenigen, die diesen Grund und Boden hier besitzen, sich diesen freiwillig nehmen lassen werden? Und wenn sie die formale Demokratie dafür abschaffen müssen, werden sie auch das tun. Und sei es unter Vorwänden, die sie selbst geschaffen haben, – wie etwa ein Reichstagsbrand – wenn es nicht anders geht. Etwas anderes zu erwarten ist eine Illusion, die alle geschichtlichen Erfahrungen ignoriert.
Zurück zur Bewegung gegen den Mietenwahnsinn. Es ist zweifelsohne völlig richtig, dagegen vorzugehen. Aber man muß sich trotzdem im Klaren sein, wie man das machen kann, wie man erreichen kann, daß die Mieten hier drastisch gesenkt werden. Und das ist eben nicht ganz einfach.
Zweifellos hat die Bewegung des letzten Jahres hier einiges in Bewegung versetzt, was auch völlig richtig und berechtigt ist. Aber man muß doch sehen und sich fragen: Was können wir erreichen und mit welchen Mitteln? Und daß der Senat, Teile davon, die sich jetzt angeblich so rührig machen und sich scheinbar des Problems annehmen, kann einen eher misstrauisch machen als daß da wirklich etwas herauskommt in punkto einer drastischen Mietensenkung. Was haben sie denn zu bieten? Was haben sie denn für Angebote zu machen? Mietendeckel? Auf die völlig übersteigerten Mieterhöhungen der letzen Jahre? Die sind doch jetzt schon unerträglich hoch. Gibt es irgendwelche konkreten Angebote, diese wirklich drastisch zu senken?
Davon hat man bislang nichts vernommen. Ein Mietendeckel allein reicht bei weitem nicht, wenn – und das ist in vielen Fällen der Fall- die Mieten bereits jetzt nicht mehr oder kaum noch bezahlbar sind, was in vielen Fällen und mit steigender Tendenz der Fall ist und Menschen in die Obdachlosigkeit zwingt. Was erreicht man denn da mit einem Deckel? Sollen die sich den Gullideckel über die Ohren ziehen, um ein Dach über dem Kopf zu haben, wenn sie mal ruhig schlafen wollen? Die korrekte Losung kann daher nicht anders lauten als Mieten runter! Und zwar drastisch! Und dann wird man sehen, ob unsere lieben Senatsvertreter(innen) von der Linkspartei und den Grünen – die SPD lass ich ehrlichkeitshalber lieber gleich weg – dann so bereitwillig die Bewegung gegen den Mietenwahnsinn unterstützen werden. Daran kann man berechtigte Zweifel haben und deswegen ist es wichtig, daß die Bewegung gegen den Mietenwahnsinn ihre Selbständigkeit nicht aufgibt.
Die Forderung muß daher weiterhin lauten: Mieten runter! Und zwar drastisch! Sonst wird es keine Ruhe in dieser Stadt – vielleicht auch noch anderswo in der Republik- mehr geben. Dann wird man sehen, wie sich Grüne und Linkspartei – von den SPD-Vertretern mal ganz zu schweigen – dann dazu stellen werden.
Die Wohnungsfrage ist eine Frage, die zwar jeden betrifft, aber zugleich tendenziell das soziale System spaltet und sprengt. Das ist es, was man versuchen sollte zu verstehen. Versucht man dies nicht, droht man sich im Kreis zu drehen und zufrieden zu geben mit ein paar Bröckchen, die einem vom gedeckten Tisch der herrschenden Klasse herunter geworfen werden. Das kann aber keine wirkliche Veränderung in der Wohnungsfrage für Millionen von Menschen, nicht nur in dieser Stadt zustande bekommen. Die Wohnungsfrage ist für jeden Menschen eine existenzielle Frage, denn jeder Mensch braucht eine Wohnung. Entsprechend scharf sind hier die Gegensätzlichkeiten in der Gesellschaft. Entsprechend radikal müssen auch die Forderungen in dieser Hinsicht aussehen. Kompromisse kann man immer noch machen, wenn sich das als geboten heraus stellt.
Wen jetzt Einge vielleicht denken: Oh, das sprengt ja das bestehende System, dann muß man antworten: Ja. Das ist eben so. Und das ist nicht das erste Mal und auch nicht in der neueren Geschichte so gewesen. Die Forderungen der Studentenbewegung der 1960er und siebziger Jahre waren teilweise ebenfalls „systemsprengend“, wie es damals lautete und wurden von den Herrschenden entsprechend bekämpft. Und nebenbei, das kapitalistische System der Ausbeutung ist inzwischen auf der ganzen Welt unter Beschuß, selbst wenn es zwischendurch und auch immer noch Rückschläge gegeben hat und gibt.
Unser Ziel sollte doch sein, daß jeder und jede eine angemessene, würdige Wohnung zur Verfügung hat. Oder wollen wir Menschen ausgrenzen? Ich denke Nein! Man sollte daher die Forderungen so stellen, daß sie der Zukunft eine Perspektive bieten, nicht aber sich damit zufrieden geben, wenn es die Gegenwart gerade mal erhält wie sie ist oder vielleicht etwas erträglicher gestalten. Wer etwas verändern will, der muß über das Ziel hinausgehen, sonst verändert sich gar nichts. Im Gegenteil, dann verliert man auch das, was man hat.
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