Internet Statement 2020-46

 

Mea Culpa und kein Ende?

Maria Weiß  26.06.2020    

Digitalisierung , der darin bestehende Fortschritt der Produktivkräfte, erzwingt eigentlich ein neues Gesellschaftssystem, welches den Bedingungen dieses Fortschritts der Entwicklung der Produktivkräfte entspricht und sich auch in sozialer Hinsicht im Sinne dieses Fortschritts entwickelt. Das ist aber hier mitnichten der Fall.

Wie kann das angehen, daß Arbeiter und Arbeiterinnen aus Rumänien beispielsweise, die in Deutschland arbeiten, nicht selten wie der letzte Dreck behandelt werden? Jüngstes Beispiel dafür sind die niedersächsischen Fleischbetriebe, aber sicher nicht nur diese. Das kann doch nicht angehen. Sind das etwa „EU-Standards“ oder was soll das? Ich bin der Ansicht, daß die Arbeiter und Werktätigen in Deutschland das nicht akzeptieren können. Dagegen muß vorgegangen werden. Es muß erzwungen werden, daß diese vielen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Staaten –das gilt natürlich auch für andere Staaten außerhalb der EU- hierzulande gleichberechtigt behandelt und auch entlohnt werden. Nicht aber eingepfercht werden in irgendwelche Löcher – zum Beispiel was ihre Wohnsituation betrifft - und hier ausgebeutet werden zu unwürdigen Bedingungen. Ausbeutung ist das Grundprinzip dieser gegenwärtigen Gesellschaftsordnung. Das stimmt. Aber die Bedingungen, unter welchen diese stattfindet, auf die kommt es eben auch an. Und da gibt es große Unterschiede.

II.
Eben lese ich in der Faz mal wieder so ein Zitat von Wolfgang Schäuble, welches da lautet „Wir haben günstig gelebt.“ Wer damit gemeint ist, wird nicht gesagt. Der ganze Tenor ist wieder mal ein einziges „ mea culpa“, was sich natürlich nicht auf die oben beschriebenen Arbeits- oder richtiger gesagt Ausbeutungsbedingungen bezieht, sondern auf die deutsche Geschichte. Und hier ist es wie immer: Statt Analyse und das Ziehen von Konsequenzen aus den Fehlern der Vergangenheit wird ein riesengroßer Kotau vor dem Oberherrn –jeder weiß, wer das ist- vollzogen.
Unsere Organisation hat auch versucht, aus den Fehlern der Vergangenheit Konsequenzen zu ziehen. Das haben wir von Anfang an vertreten und dabei auch den Nazifaschismus zutiefst verurteilt. Aber daß man immer nur von der Schuld spricht und zugleich den größtmöglichen Kotau vor dem Oberherrn, dem USA-Imperialismus, vollzieht, das ist wirklich lächerlich. Wie wäre es denn, wenn man aus den Ursachen für das Entstehen des Nazismus in Deutschland Konsequenzen ziehen würde? Davon ist aber nur sehr selten etwas zu hören. Und mit den Ursachen meine ich selbstverständlich sowohl die inneren, als auch die äußeren, nebenbei bemerkt. Von letzteren ist zumeist absolut nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. Die offizielle Politik, die hier betrieben wird, hat wieder die Rechten aufs Tapet gebracht. Schon mal gemerkt, Herr Schäuble?

III.
Die Entwicklung der osteuropäischen Staaten seit der sogenannten Wende, wie ist die eigentlich zu bewerten? Welche Staaten haben eigentlich eine eigene Würde, eine gewisse ökonomische und soziale Eigenständigkeit entwickeln können? Mit Ausnahme von Polen oder auch Ungarn fällt mir dazu eigentlich nichts ein. Bei den übrigen Staaten kann man bislang aber mehr oder weniger drauf warten. Deren Regierungen neigen eher dazu, sich an den Westen zu verkaufen, was mit eigener Würde oder auch einem Streben nach ökonomischer Unabhängigkeit nicht viel zu tun hat. Das ist die Kehrseite der ganzen Entwicklung der Loslösung aus dem Warschauer Pakt. Staatsbürger dieser Staaten brauchen sich nicht zu wundern, wenn sie dann in den Westen gehen, um mehr Geld zu verdienen, wenn sie dort zum Teil nicht würdevoll behandelt werden. Ausnahmen gibt’s natürlich auch. Warum sollten sie denn auch, wenn sie ihre eigene Würde aufgeben und als Bettler hier die miesesten Jobs für das Kapital, das westliche wohlgemerkt, verrichten müssen. Das ist jedenfalls auch eine Seite, die man nicht außer Acht lassen kann. Respekt kann man letztlich nur vor einem Menschen haben, der seine eigene Würde aufrecht zu erhalten bestrebt ist. Das gilt sogar auch für Staaten. Warum kommen sie denn alle in den sog. „goldenen Westen“, um dort Sklavenarbeit zu übernehmen? Haben sie das nötig? Warum bauen sie nicht selbst etwas auf, im eigenen Land, leisten dort Widerstand? Was zwingt sie denn, in den Westen zu gehen und sich dort als Sklaven zu verkaufen? Warum machen sie keinen Aufstand in ihrem eigenen Land? Warum fegen sie nicht ihre Regierungen, die sie ausnutzen und der Weiterentwicklung im Weg stehen, nicht davon? Die Frage stellt sich doch, angesichts einer solchen Entwicklung.

Aus diesem Grund kann ich mich auch nicht gemein machen mit einem einseitigen Eintreten für die armen Osteuropäer, die ja so schlecht behandelt werden und deswegen alle hierher, in den angeblich so goldenen Westen kommen. Der Mensch hat eine Wahl. Jeder Mensch, egal aus welchem Land er kommt, welche Sprache er spricht und welcher Gesellschaft er angehört. Und eine solche Anforderung muß man auch an jeden Menschen stellen. Tut man das nicht, fördert man im Grunde Sklavenmentalität, welche eben dieser Form der Ausbeutung zugrunde liegt, der sie dann im Westen ausgesetzt sind. Jedenfalls ist das in der Mehrzahl der Fälle zu bemerken. Einige Staaten Osteuropas haben dieser unterwürfigen, sich dem Westen anbiedernden Mentalität Widerstand entgegen gesetzt. Dazu zählt vor allem Polen, aber auch Staaten wie Ungarn und einige weitere vielleicht in schwächerer Form. Dazu zählt heute aber auch vor allem Russland selbst. Das muß man heute an solchen Punkten durchaus einmal betonen. Von nichts kommt nichts. Auch und erst recht keine Weiterentwicklung. Letztere vor allem setzt voraus, daß der Mensch zur Umwandlung, zur bewussten Umwandlung der eigenen Erkenntnisfähigkeit bereit ist. In dieser Hinsicht kann ich auch das Mitleidsgetue gegenüber den armen Osteuropäern, denen es dort so schlecht geht und im Westen jetzt so viel besser geht – wie man gegenwärtig sieht, gilt das aber keineswegs für Alle – nicht einstimmen. Alles hat eben auch eine Kehrseite. Und es ist diese Kehrseite, welche die einzige ist, die verspricht, daß eine Veränderung in Richtung sozialer Revolution einmal wieder möglich wird. Als auch eine Veränderung in Richtung Emanzipation. Was sollen wir denn hier über das Schicksal der armen Rumänen, die alle hierher kommen und arbeiten wollen und dabei so schlecht behandelt werden, nur klagen, wenn wir gleichzeitig die Zustände in den Herkunftsländern nicht unter die Lupe nehmen? Jedes Phänomen hat seine mindestens zwei Seiten, und man geht mit Sicherheit fehl, wenn man nur die eine betrachtet.

Auch die Linke in Europa tut nicht gut daran, eine solche Einseitigkeit zu pflegen. Es wird überhaupt viel zu wenig den historischen Erfahrungen Rechnung gezollt. Die Menschen in Osteuropa haben doch auch ihre eigenen Erfahrungen, und die sind keineswegs ausschließlich negativ zu sehen. Es gab auch mal einen Umsturz in diesen verschiedenen Gesellschaften, welcher Fortschritt bedeutet hat. Daß es dabei nicht stehen geblieben ist, ist auch kein Wunder, denn den Fortschritt, den man erreicht hat, den muß man tagtäglich weiter erkämpfen. Wir sollten also unser kritisches Bewusstsein erhalten und mit diesen Menschen über die Bedingungen der Entwicklung Osteuropas, aber auch Russland uns auseinandersetzen. Und nicht nur das, auch über die Bedingungen in dem Zielland sollte gesprochen werden, die Bedingungen in Mitteleuropa, Deutschland, der EU. Es ist doch nicht so, als wenn es hier nichts zu kritisieren gäbe. Deutschland, das „gelobte Land“? Das mag glauben wer will, die Realität, wie man sieht, spricht eine andere Sprache. Und die nächste Krise, ökonomischer Natur wohlgemerkt, wird das ans Tageslicht befördern, Corona hin oder her. Jedes Phänomen, egal um was es sich handelt, hat mindestens seine zwei Seiten. Wenn man aber nur eine sieht und die andere außer Acht lässt, dann wählt man mit Sicherheit den falschen Weg.

IV.
Die materialistische Dialektik, die dialektische Methode ist unabdingbar, um die gegenwärtige Situation richtig zu beurteilen. Ohne das Eins teilt sich in zwei können wir dem Fortschritt nicht den Weg bahnen. Jedes Phänomen, egal um was es sich handelt, hat seine mindestens zwei Seiten. Sieht man nur eine, geht man fehl. Leider ist Mao Zedong mit dieser seiner fundamentalen Erkenntnis momentan nicht „in“. Vielleicht sollten wir daran arbeiten, das zu ändern. Und nebenbei würde das auch den chinesischen Revisionisten ein bisschen mehr Druck machen - und nicht nur denen. Mao Zedong und seine Ideen sind keine Galionsfigur zur Absicherung der Herrschaft revisionistischer Cliquen. Im Gegenteil sollte man diese Ideen von ihrer Substanz her anwenden. Dann wird man sehen, wie sich das entwickelt und wer sich dann zu was bekennt.

Die revolutionäre Jugend- und Studentenbewegung der 1960er Jahre hat das versucht, jedenfalls deren revolutionärer Teil. Die grüne Bewegung, die auch ihre Wurzeln in der damaligen Bewegung hat, aber spricht diesen Prinzipien Hohn und tritt sie mit Füßen. Vielleicht sollte man versuchen, diese Verirrung wieder vom Kopf auf die Füße stellen und den grünen Mist hinaussäubern. Die grüne Richtung war und ist eine Falle der Bourgeoisie, welche von Anfang an versucht hat, in der damaligen Bewegung Fuß zu fassen. Man sollte sich mal Gedanken machen, was die Substanz dieser grünen Bewegung ist und ob das überhaupt irgend etwas mit Fortschritt zu tun hat, weder von ihrer Zielsetzung her als auch von der Methodik. Diese Mühe sollte man sich machen, wenn man gesellschaftlich im Richtung Fortschritt kämpfen will. Tut man das nicht, legt man sich Fesseln an und macht sich unglaubwürdig.

V.
Die gegenwärtige Bewegung in Berlin und diversen anderen Großstädten in Deutschland für bezahlbaren Wohnraum für Alle ist ein Beispiel, wie man das angehen muß. Bezahlbaren Wohnraum für alle gibt es nur, wenn das Grundeigentum, auch das des Staates, geschliffen wird, was aber nicht im Interesse der herrschenden Klasse liegt. Die Grünen tun so, als wollten sie das unterstützen, machen aber praktisch in Wirklichkeit das Gegenteil, indem sie genau diesen Faktor außer Acht lassen und damit den Wohnraum verteuern. Die „energetische Sanierung“ – was ist das eigentlich? Es ist nichts weiter als um den Preis der Schließung von ein paar Windlöchern den Wohnraum bis ins Unendliche zu verteuern. Was ist denn eine Sanierung, wenn sie nicht den Nutzern zugute kommt, sondern diese obdachlos macht? Da wird doch der ganze Wohnungskampf in sein Gegenteil verkehrt, indem er auf die Betroffenen zurückfällt. Eine energetische Sanierung, welche die Mieten noch weiter in die Höhe treibt, ist ein Widerspruch in sich. Warum ist das so? Weil ein angeblicher Fortschritt, der das Leben verteuert, kein wirklicher Fortschritt ist. Fortschritt besteht darin, daß man um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, weniger Aufwand machen muß. Was aber hier als Fortschritt verkauft wird, ist genau das Gegenteil. Eine Sanierung, welche die Wohnungen noch teurer macht als sie eh schon sind, ist das Gegenteil von dem, was erreicht werden soll.

 

 

 

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