Internet Statement 2020-90
Den Mietendeckel als einen Anfangserfolg verteidigen. Damit ist der Kampf aber noch lange nicht zu Ende, er fängt erst richtig an
Wassili Gerhard 27.11.2020 Mitten in die Zeit des neuen Corona-Lockdowns fällt ein wichtiger Stichtag des Mietendeckels in Berlin. Seit 23.11. können Mieter die Absenkung ihrer Mieten verlangen, wenn sie die Begrenzungen des Mietendeckels überschreiten und die Vermieter sie noch nicht freiwillig gesenkt haben, was auch schon vielfach geschehen ist. Das ist ganz klar ein Erfolg der Bewegung gegen den Mietenwahnsinn, die man mit diesem Zugeständnis abschwächen wollte, und der strahlt auch weiter aus. In anderen Städten fordert man auch zunehmend so einen Mietendeckel. Ein zufriedenes Nachlassen in Berlin könnte jetzt diesen Erfolg der Bewegung auch wieder verspielen. Die Möglichkeiten des Mietendeckels müssen, soweit noch nicht geschehen, voll ausgeschöpft werden, um Fakten zu schaffen. Wer kämpft, kann gewinnen, wer nicht kämpft, hat schon verloren. Diese einfache Wahrheit bestätigt sich immer wieder.
Klar, der Deckel macht den Mietenwahnsinn nur zu einem kleinen Teil rückgängig, bremst den weiteren Mietenanstieg, aber er bringt diejenigen nicht zurück in ihre Wohnungen, die schon Opfer von Zwangsräumungen waren, die in Notquartieren wohnen, die aus der Stadt wegziehen mußten. Er bringt denen keine Wohnungen, die auf der Straße brutalen Lebensverhältnissen und einem früheren Tod ausgeliefert sind. Immer noch geht in vielen Fällen ein viel zu großer Anteil des Lebensunterhalts für Miete drauf, so daß weitere Mietsteigerungen aber auch Einkommensverluste oder Verteuerung des Lebensunterhalts existenzbedrohend werden können. Auch den kleinen Geschäften, die ihre Mieten nicht mehr zahlen können, hilft er nicht. Der Kampf muß weitergehen, der Deckel ist nur ein Anfangserfolg.
In dieser Gesellschaft sind Grund und Boden und Immobilien in der Regel Privatbesitz und ein Mittel zur Erwirtschaftung von Rendite. Immobilien- und Grundbesitz als Gewinnerwerb hat seit jeher den Charakter, die Verfügung über ein unverzichtbares Gut der Grundversorgung zu nutzen, um Wirtschaftsertrag für sich abzuschöpfen. Dabei wird der Wohnzweck der Immobilien bisweilen zur Nebensache gegenüber der Spekulation. Wenn der Finanzwert der Immobilie mit leeren Wohnungen größer ist als vermietet, zeigt sich die Perversion dieses Systems. Gerade in Krisenzeiten und nach der Verlagerung von Industrie in andere Weltregionen gehört das Geschäft mit unverzichtbaren Gütern des Grundbedarfs wie Wohnungen zu den immer noch relativ sicheren Kapitalanlagen, also wird Wohnraum verstärkt interessant für die Finanzspekulation. Das gilt inzwischen auch für andere Bereiche der Grundsicherung wie etwa die medizinische Versorgung, was sich derzeit besonders bemerkbar macht.
Nach neuesten Schätzungen unterliegt der Mietwohnungssektor Berlins, der in den letzten Jahren den steilsten Preisanstieg erlebte, bereits zur Hälfte Finanzinvestoren, was durch verschachtelte Firmengeflechte und Briefkastenfirmen oft verdeckt wird. Das wird in anderen großen Städten ähnlich sein, aber hier kommt auch noch ein besonders großer Anteil ärmerer Mieter dazu. Da durch die Corona-Krise, die vor allem eine Wirtschafts- und Finanzkrise ist, das Geschäft mit Gewerberäumen abwärts geht, hat das Geschäft mit Wohnungen eine um so größere Bedeutung. In großen Städten war Wohnen im September neun Prozent teurer als im Vorjahr. – Nur in Berlin ist da der Mietendeckel vor! Da heulen die Investoren und der Anhang, der sich Hoffnungen macht, in deren Schatten mit abzusahnen. Sie werden den Politikern in den Ohren liegen, daß das nicht so bleiben darf.
Als Ersatz zur Renditesteigerung nimmt deshalb die Umwandlung in Eigentumswohnungen enorm zu. Schon in den letzten Jahren wurden in Berlin 80.000 Mietwohnungen umgewandelt. Im wohlhabenden Charlottenburg-Wilmersdorf sind schon 40 Prozent der Wohnungen Eigentumswohnungen, jedoch in der Stadt insgesamt wohnen immer noch 85 Prozent zur Miete. Das Angebot an Mietwohnungen wird offenbar gegenwärtig noch zusätzlich durch Zurückhalten von Wohnungen verknappt, was auf den Mietendeckel geschoben wird, aber der ist es nur indirekt, die Gier nach größerem Absahnen ist es vor allem. Gegen Zweckentfremdung von Wohnraum gibt es Gesetze, und absichtlicher Leerstand gehört auch dazu. Aber Justitias Augenbinde ist nicht auf beiden Seiten gleich undurchsichtig.
Wer Eigentumswohnungen als Lösung verkaufen will, will tatsächlich eine brutale Lösung im Sinne der Spekulation, die einen Teil der Bevölkerung wie Dreck behandelt, der sehen soll, wo er bleibt. Sie passen anscheinend nicht in die Zukunft, die man für diese Stadt anstrebt. Die meisten heutigen Mieter können doch ihre Wohnung gar nicht kaufen, schon gar nicht zu den jetzigen von der Spekulation hochgetriebenen PreisenAnm.1. 30 Prozent der Berliner Mieter müssen gar mit einem Haushalts-Nettoeinkommen von unter 1.500 Euro auskommen. Wenn es um die Rendite geht, ist manchen jedes Mittel recht, da geht man auch über Leichen. Einige Vermieter vereinbaren auch viel höhere sogenannte Schattenmieten, die im Fall des gerichtlichen Verbots des Mietendeckels rückwirkend gelten sollen. Auch die kurz befristete möblierte Vermietung mit völlig überhöhten Mieten (20 €/qm und mehr) gibt es. Jüngst sind mehrere Häuser mit solchen Gangstermethoden in Friedrichshain bekannt geworden, wo doch angeblich nur die Liebigstraße die Idylle gestört haben soll.
Heftiger Gegenwind aus der Politik hatte schon gleich am Anfang Abstriche und Verwässerungen beim Mietendeckel zur Folge. Das ist kein Wunder, hatte sich doch in den neunziger Jahren ein beträchtlicher Teil des Berliner Filzes von Politik und Immobilienwirtschaft in Erwartung eines großen Booms in der Stadt selbst im Rahmen der Berliner Bankgesellschaft als Immobilienspekulanten versucht, und in dieser Zeit Berlin einen Großteil der Schulden aufgehalst, an denen der öffentliche Haushalt auch heute noch knabbert. Nach dieser Pleite gingen viele Wohnungen im kommunalen Besitz an Finanzinvestoren, um Lücken in den Finanzen zu stopfen. Erst seit 2011, seit Berlin als „arm aber sexy“ angesagt ist, sind die Schulden wieder etwas weniger geworden. Jetzt haben diejenigen großen Einfluß, die an dem neuen Boom beteiligt sind, und das sind eben auch die großen Investoren. Ist es wirklich der Grund, daß man nur die Hälfte des vorgesehenen Personals für die Bewältigung des Mietendeckels eingestellt hat, beim Senat und bei den Bezirken, daß so viele Vermieter die Mieten schon von sich aus gesenkt haben? Das wird sich noch zeigen. Auf die Idee, daß bei freien Kapazitäten dann vielleicht die Zweckentfremdungsverordnung durchgesetzt werden könnte, die doch angeblich wegen fehlendem Personal und fehlenden Mitteln nicht durchsetzbar ist, kommt man natürlich nicht.
Jedenfalls kann infolge der Änderungen des ursprünglichen Konzepts jetzt die Miete nur auf Antrag des Mieters abgesenkt werden, wenn sie 20 Prozent über den Deckelwerten ist. Die daraus folgende Ungerechtigkeit, daß bei Neuvermietung jetzt unter Umständen die Miete 20 Prozent niedriger ist als bei alten Mietverträgen, wird von interessierten Kreisen scheinheilig nur dem Deckel angelastet, statt dem Einfluß seiner Gegner. Ein System von weiter verteuernden Zuschlägen kommt dazu. Neubau ist ausgenommen und ist in einem Jahr wieder 6,7 Prozent teurer geworden. Aber das schränkt die Freiheit der Investoren und derer, die in ihrem Windschatten mit absahnen wollten immer noch zu sehr ein. Dabei haben sie ihre Parteigänger in der Politik, offene und weniger offene.
Die CDU tönt aktuell, der Mietendeckel schüre nur falsche Hoffnungen und versucht alles, um die geplante Erschwerung der Umwandlung in Eigentumswohnungen in einem neuen Bundesgesetz zu verhindern. Sie vertreten also die Hoffnungslosigkeit der Gegenwehr. Da ist offensichtlich der Wunsch der Vater des Gedankens! Auch die designierten Spitzenkandidaten der SPD kündigten bereits an, den Mietendeckel nach Ende der Laufzeit nicht zu verlängern. Man müsse eben bis dahin genügend bauen. Bitte? Was gebaut wird, liegt meistens nicht unter 10 Euro pro Quadratmeter Miete. Selbst der ursprünglich vorgeschriebene Anteil weniger teurer Wohnungen bei Neubau wird oft verringert oder gar erlassen, während die alten Sozialwohnungen in schnellerem Tempo auslaufen und weniger nachkommt. Der vorherrschende Trend zur Verdichtung der Stadt, ein Mantra der internationalen Finanzkreise, führt weiter zur Verteuerung des Bodens, was zur intensiveren Nutzung führt, was weiter verteuert, usw. ... Im Neubau können sich weniger Betuchte zunehmend nur noch kleine Wohnungen im Kaninchenstall-Format leisten. Und Familien?
Widerstand ist also gerechtfertigt und notwendig, zunehmend heißt es, wie in der Habersaathstraße in Berlin Mitte, mit günstigem Wohnraum sei keine angemessene Rendite mehr möglich. Man läßt dort 85 moderne, sogar „energetisch sanierte“ Wohnungen leer stehen, die einst für die Beschäftigten der Charité gebaut wurden, weil man den Neubau von Luxuswohnungen durchsetzen will. Die „energetische Sanierung“ hat ihren mietensteigernden Zweck schon erfüllt, die Mieter haben sie inzwischen schon bezahlt, für weitere Renditesteigerung hilft angeblich nur noch Abriss und Neubau von Luxuswohnungen, um eine Rendite zu bekommen, die dem inzwischen enorm gestiegenen Preis des Grundstücks entsprechend ist. Das ist ein beredtes Beispiel.
Mit bewunderungswürdigem Mut hält ein Teil der Mieter dort trotz Kündigung und Drohungen aus, obwohl mit Schikane oder Herauskaufen schon die meisten der Mieter, die nur noch stören, hinausgedrängt worden sind. Sie erwarten, daß der Bezirk Mitte endlich konsequent gegen den gesetzlich illegalen Leerstand dringend benötigten Wohnraums vorgeht und die – 2018 noch verschärften aber nicht durchgesetzten – Gesetze bzw. Verordnungen anwendet. Als nun Wohnungs- und Obdachlose zur Selbsthilfe griffen und in ein paar der leeren Wohnungen einzogen, da kam prompt die Räumung. Im Gegensatz zur Durchsetzung der Mieterschutzbestimmungen, kam die binnen Stunden. Kann man so noch behaupten, „der Allgemeinheit zu dienen“? Aber der Kampf geht weiter. Erst kürzlich hat es eine Kundgebung dort gegeben, an der auch Nachbarn aus der Straße und auch Obdachlose selbst teilnahmen und das Wort ergriffen. Sie erzählten vom Sterben auf der Straße und wie sehr es sie gefreut hatte, daß man ihnen sogar Wohnungen zugestehen wollte und sie im Haus willkommen geheißen wurden.
Es ist nach wie vor richtig und immer notwendiger, daß die Mieter sich zusammenschließen und ihre Interessen in die eigenen Hände nehmen, nicht darauf warten, daß andere das für sie tun, auch wenn die Corona-Maßnahmen die Kommunikation behindern, die für eine solche Bewegung lebensnotwendig ist. Der politische Widerstand ist zwar nicht „systemrelevant“, aber gerade deshalb unverzichtbar gegenüber einem System, das nach Verwertbarkeit für das Kapital Lebenschancen zuteilen will oder auch nicht. Und auch die Möchte-gern-Global-City Berlin wird nicht ohne Menschen auskommen, die viele schlechter bezahlte Arbeiten machen. Viele Osteuropäer gehören heute dazu, von denen manche im Zelt schlafen! Das darf nicht zur Normalität werden. Wir müssen es uns nicht gefallen lassen, wegen dem Abbau der Industrie, wo viele ihre Arbeit verloren haben, wie ein Nichts behandelt zu werden und aus der Wohnung, aus der Innenstadt oder gar ganz aus der Stadt verdrängt zu werden.
Statt wie beim BER so mit den Milliarden herumzuwerfen, wobei die großen Firmen ihre Gewinne gerade auch durch die Verzögerung vervielfacht haben (!) – die Firma Siemens hat in dieser Zeit ihr Auftragsvolumen verzehnfacht – kann grundsätzlich auch für ausreichenden bezahlbaren Wohnraum gesorgt werden. Nach dem Kriege, als das Land viel ärmer war, aber durch ein anderes System nebenan der Druck da war, sozialer zu erscheinen und sich „soziale Marktwirtschaft“ zu nennen, konnten in Westdeutschland Millionen bezahlbare Wohnungen im „gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbau“ mit einer Begrenzung des Gewinns auf vier Prozent gebaut werden. Wenn der Druck weg ist, geht es plötzlich nicht mehr, ja die Welt geht angeblich sonst unter. Wenn diese Gesellschaftsordnung das nicht mehr zustande bringt, zeigt sie umso mehr, daß sie auf den Müllhaufen der Geschichte gehört.
„Dass das nur in den seltensten Fällen tatsächlich geschieht, [daß Mieter die eigene Wohnung kaufen können, W.G.] zeigen jetzt Zahlen, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen auf parlamentarische Anfragen hin mitteilte. Demnach wurde in 58 sozialen Erhaltungsgebieten zwischen 2015 und 2019 die Umwandlung von 18.382 Mietwohnungen in Eigentumswohnungen genehmigt. Die allermeisten, nämlich 17.926, sind mit der Selbstverpflichtung der Eigentümer verbunden, zunächst nur an Mieter zu verkaufen. Tatsächlich verkauft wurden allerdings nur 54.“ (Hervorhebung von mir)
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