Internet Statement 2021-115
Zu den erneuten Unruhen in Jerusalem, den Raketen aus Gaza und Luftangriffen mit Flugzeugen und Drohnen auf Gaza
Wassili Gerhard 16.05.2021 In der Berichterstattung über die Vorgänge müssen auch alle Fakten herangezogen werden, sonst entsteht ein schiefes Bild und die Vorgänge können nicht richtig beurteilt werden. Die Presse hierzulande berichtet teilweise sehr einseitig. Über die Anfänge wird kaum noch gesprochen. Es ist aber offenkundig, daß Kräfte in den USA und in Israel genau gewußt haben müssen, was für eine Wirkung sie erzeugen, wenn sie bestimmte „Knöpfe drücken“, wie das offensichtlich getan wurde. Jetzt über die Auswirkung zu jammern und sich als Opfer darzustellen, ist eigentlich ein sehr durchsichtiges Manöver, das auch unsere Presse erkennen sollte. Aber am blindesten ist der, der nicht sehen will.
Mehrere Häuser in Ost-Jerusalem, in denen arabische Einwohner heute teilweise in der dritten Generation wohnen, sollten zwangsgeräumt werden, dem Vernehmen nach weil eine jüdische Organisation aus den USA dies verlangt hat. Das sind nicht einmal die Nachfahren der früheren Besitzer, sie gehen einfach nach ethnizistischen Kriterien und betrachten sich dazu als berechtigt. Es geht im Grunde um ethnische Säuberung, um die Annexion dieses Teils von Jerusalem, um ihn „araberfrei“ zu machen.
Die betroffenen Häuser sollen vor 1948, also vor fast einem dreiviertel Jahrhundert, jüdischen Besitzern gehört haben, die diese Häuser verlassen haben, als der Versuch scheiterte, diesen Teil Jerusalems für Israel zu erobern, der auch im UN-Teilungsplan, sofern man sich auf den überhaupt berufen kann, nicht als Teil Israels vorgesehen war. Bei der militärischen Verhinderung der Besetzung spielte übrigens die „Arabische Legion“ eine wichtige Rolle, eine von Briten aufgebaute und trainierte jordanische Militärformation. Offenbar wollte man damals auch den neuen Staat Jordanien vor der Existenzunfähigkeit schützen.
Rund zwanzig Jahre später, 1967, eroberte dann Israel doch diesen Teil, aber erst heute sollen diese Häuser zwangsgeräumt werden, nach einem halben Jahrhundert. Heute will Israel diesen Teil ganz offiziell annektieren, was gegen das Völkerrecht ist, also soll er langfristig von arabischer Bevölkerung gesäubert werden, um Fakten zu schaffen. Das reiht sich in die Politik ein, die Palästinenser in einem abhängigen Status im Stil eines Apartheidregimes zu halten und auch weiter zu vertreiben. Rechtsradikale fanatische Zionisten, auch in Israel bisweilen als Faschisten benannt, die auch in der aktuellen Regierung sitzen, sagen das auch ganz offen.
Solche Kräfte terrorisieren die arabischen Bewohner dort schon seit Langem, weil sie dort keine Araber mehr wollen. Ein Lichtblick sind Proteste dagegen, die teilweise auch mit Beteiligung jüdischer Menschen durchgeführt wurden. Diese sind aber nicht sehr zahlreich bisher. Gegen die aktuellen Proteste von Palästinensern wird mit brutaler Gewalt vorgegangen, wobei auch der Platz vor der Al-Aqsa-Moschee einbezogen wurde und sogar von „Sicherheitskräften“ Tränengas in die Moschee geworfen wurde. Das wiegt umso schwerer, als zur Zeit ein wichtiges muslimisches Fest gefeiert wird und diese Moschee zu den wichtigsten für Muslime gezählt wird. Wer derartiges tut, weiß auch, daß er eine Bombe in ein Pulverlager wirft.
Der Widerstand gegen eine soche Zwangsräumung ist umso berechtigter, als 1948 Hunderttausende der palästinensischen Einwohner auf dem Territorium des dann gegründeten Israel, die Angaben gehen bis zu ca. 900.000, mit Massakern, Terror und Drohungen aus dem Land vertrieben wurden und dann ihre Rückkehr zu ihrem Land und zu ihrem Besitz verboten wurde, bis heute. Das ist auch nichts Anderes als ethnische Säuberung. Vor 1948 gehörten nur 7 Prozent des Landes jüdischen Eigentümern. Heute sind es 93 Prozent, während nur noch 4 Prozent Palästinensern gehören.
Und mit der Zwangsräumung geht dies auf eine besonders provokative Art weiter gegenüber den Palästinensern, wie das auch in anderen besetzten Gebieten passiert, wo die palästinensischen Siedlungsgebiete allmählich in einen Flickenteppich kleiner Gebiete verwandelt werden, umgeben von stetig wachsenden Territorien von Siedlern und dazu gehörenden Verbindungswegen in die sich Palästinenser nur nach einer gründlichen Kontrolle, wenn überhaupt, begeben können, völlig der Willkür der Soldaten am Checkpoint ausgeliefert, selbst wenn ihr Garten oder ihr Feld nun plötzlich dort liegt. Und schließlich sollte die Hälfte Jerusalems ursprünglich Hauptstadt eines palästinensischen Staates werden, dem sie auch seit jeher von der UNO zugesprochen wurde. Was wundert es also, daß im ganzen Land die Palästinenser auf die Barrikaden gehen, selbst solche, die sich schon mit dem Leben als Bürger zweiter Klasse abgefunden zu haben schienen, weil selbst das auch schon in Frage gestellt ist. Sich darüber zu wundern ist doch pure Heuchelei.
Daß die Hamas ihre Raketen abschießt, ist vorhersehbar gewesen, denn die Vorgänge in Jerusalem setzen die Islamisten der Hamas praktisch unter Zugzwang, reagieren zu müssen, wollen sie nicht schwächer dastehen, als sie sich selbst versuchen darzustellen. Dieser Beschuß ist allerdings eine ziemlich hilflose Reaktion, denn er richtet wegen der guten Luftverteidigung auf der anderen Seite vergleichsweise viel geringeren Schaden an, während die dann unweigerlich folgenden Luftangriffe der israelischen Armee in dem dicht besiedelten Gebiet von Gaza eher eine verheerende Wirkung für die dort lebenden Menschen entfalten.
Grundsätzlich ist folgendes nicht zu akzeptieren: Wer nach bestimmten Kriterien der israelischen Rabbis als Jude geboren wurde, egal wo, hat Anrecht auf die israelische Staatsbürgerschaft, während Einwohner, deren Familien dort seit Generationen ansässig waren, nicht dort wohnen dürfen, und wenn sie es noch tun, sind sie Bürger zweiter Klasse, weil sie „falsch“ geboren sind. Und sie schweben jederzeit in der Gefahr vertrieben zu werden, genauso im besetzten Westjordanland. Der Raub von Land ist ihnen gegenüber vielfach legalisiert und vom Staat geschützt, wenn er von Angehörigen der „richtigen“ Ethnie begangen wird, oder wird vom Staat selbst begangen. Das sind rassistische Gesetze, die ein Apartheid-Regime errichten, die derart mit zweierlei Maß messen. Darum sind die Demonstrationen der Palästinenser und ihre Rebellion gerechte Handlungen, deshalb ist das gerechter Widerstand.
Getrübt wird das Bild allerdings durch islamistische Kräfte, die den Konflikt in einen religiösen umdefinieren, wie das auf der palästinensischen Seite teilweise passiert. Ein „islamischer Staat“, der wiederum Bürger zweiter Klasse zur Folge hätte, weil sie die falsche oder gar überhaupt keine Religion haben, oder einen anderen Umgang damit als die Regierungskräfte, ist keine Lösung. Richtiger wäre es wenn, wie bis 1982 von der damaligen PLO vertreten, die Schaffung eines säkularen modernen Staates angestrebt wird, in dem jeder, der dort lebt, die gleichen Rechte hat, egal ob er Palästinenser, Jude oder eingewanderter Mensch von anderswo, auch anderer Hautfarbe ist, wie zum Beispiel Flüchtlinge aus Afrika, die Israel vertrieben hat. Und es muß egal sein, ob jemand Moslem oder jüdischen Glaubens ist, oder auch mit einem anderen oder keinem religiösen Bekenntnis ausgestattet ist.
Natürlich darf man auch Menschen, die dort inzwischen ebenfalls schon lange leben, nicht vertreiben, sofern sie mit den anderen friedlich und gleichberechtigt zusammenleben wollen. Dann würde es wirklich ein moderner bürgerlich-demokratischer Staat. Man kann nur hoffen, daß in der Zukunft soetwas normal werden wird, denn vorher wird es keine Lösung der Probleme geben. Gemeinsame Demonstrationen mit jüdischen und arabischen Teilnehmern machen da Hoffnung.
Vorher wird es keine Ruhe dort geben, denn ein expansionistisches Israel, das die Verdrängung der arabischen Einwohner betreibt, das sich quasi per Eroberung eine Art palästinensische „Apartheidghettos“ angegliedert hat, das Anspruch auf Territorien von Nachbarstaaten erhebt, wird immer ein Fremdkörper in dieser Region bleiben, ein Stachel im Fleisch der dort lebenden Völker, und damit von der Protektion imperialistischer Großmächte abhängig bleiben. Damit wird es auch keine sichere Heimat der Juden sein, was es zu sein vorgibt. Dabei könnte ein säkularer moderner Staat in dieser Region auch einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung leisten. Die israelischen herrschenden Kräfte wissen schon, warum sie selbst die Gründung der Hamas gefördert haben, indem sie wichtige spätere Anführer aus ihren Gefängnissen freigelassen und ins Ausland abgeschoben haben. Ein Gegner, der einen säkularen modernen Staat zum Ziel hätte, hätte auch mehr internationale Unterstützung. Dagegen sähen sie mit ihrem eigenen ethnizistischen Programm dann wesentlich schlechter aus.
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