Internet Statement 2021-150
Grüne „erhaben“ gegenüber bestimmten Vorwürfen? – Niemand ist über Kritik erhaben, und schon gar nicht die Grünen
Wassili Gerhard 15.06.2021 Da gab es doch auf dem gerade stattgefundenen Parteitag der Grünen einen Vorfall, der ernste Fragen aufwirft und zum weiteren Nachdenken anregen sollte. Die Publizistin Carolin Emcke sagte als Gastrednerin per Video: „Es wird sicher wieder von Elite gesprochen werden. Und vermutlich werden es dann nicht die Juden und Kosmopoliten, nicht die Feminist:innen und die Virolog:innen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscher:innen.“ Wenn andere sich mit den verfolgten Juden vergleichen, weil sie wegen ihrer Positionen kritisiert werden, dann wird ihnen gerade auch von Grünen oder ihren Anhängern vorgeworfen – und mittlerweile ist das bis in die CDU hinein üblich geworden – daß sie den Holocaust verharmlosen, was dann sogar bei Vorwürfen enden kann, antisemitisch zu sein. Das passiert heute ständig.
Aber für die Grünen selbst darf das natürlich nicht gelten, die bestimmen nur, wer verdächtig ist oder wer nicht. Deshalb hat der Bundesgeschäftsführer der Grünen Michael Kellner dazu gesagt: „Carolin Emcke ist über jeden Verdacht des Antisemitismus erhaben und hat in ihrer Rede die Logik der Demagogie aufgedeckt“. (Hervorhebung von mir.) Dabei gelten sonst nicht einmal Juden selbst als „erhaben“. Dazu ist festzuhalten: Besagte Rede ist objektiv betrachtet sogar ein besonders krasser Fall, denn die Juden werden als ethnische oder religiöse Gemeinschaft verglichen mit Elite und zum Teil sehr angesehenen Menschen, die die Segnung der herrschenden Klasse des reichen Westens haben, bis hin zum US-amerikanischen Oberboss Biden. Das erfüllt sogar den oft gemachten Vorwurf der „antisemitischen Stereotype“ in krasser Weise, weil die Juden quasi als Ethnie oder Religionsgemeinschaft mit den höchsten kapitalistischen Kreisen in Verbindung gebracht werden.
Vermutlich ist Frau Emcke wirklich keine Antisemitin, sondern will die grüne Richtung nur unangreifbar machen, indem sie versucht, eine Analogie mit der Verfolgung der Juden herzustellen, wie das auch andere versuchen, die sich dafür aber dann den Vorwurf der Verharmlosung des Holocaust einhandeln. Aber erstens liegt Frau Emcke wirklich völlig daneben in diesem Fall und zweitens sind es gerade die Grünen und verwandte Richtungen, die in einem solchen Fall bei einem Gegner den Vorwurf des Antisemitismus erheben würden – und gerade dieses Messen mit zweierlei Maß macht den Fall noch schlimmer. Grüne als unantastbare Elite, als eine Art Ayatollahs? Und übrigens beweist die Art, wie da argumentiert wurde, wirklich nicht gerade eine besondere Sensibilität für die Frage des Antisemitismus, der hier schnöde instrumentalisiert wird. Und schließlich hat die Probe aufs Exempel, nämlich die Beteiligung an der Bundesregierung in der Zeit der Rot-Grünen Koalition, für jeden, der sehen will, gezeigt, daß den Grünen in Wahrheit grundsätzlich alles zuzutrauen ist.
Es ist gerade für Grüne symptomatisch, daß sie versuchen, sich als die Verfolgten und Unterprivilegierten zu inszenieren, obwohl weder die Partei noch der Großteil ihrer Anhänger heute verfolgt oder unterprivilegiert ist, sondern im Gegenteil Grün-Sein bis in höchste Kreise hinein „in“ ist. Da protestieren jetzt sicher manche Menschen und machen mir den Vorwurf, ich würde nicht zwischen Grün und „Greenwashing“ unterscheiden. Was ist denn aber Grün im Wesen anderes als „Greenwashing“ des Kapitalismus? Im Kapitalismus in die Praxis umgesetzt kommt eben genau das heraus. Genau deshalb ist es ja bis in die höchsten Krise hinein populär. Die Grünen wollen schließlich erklärtermaßen den Kapitalismus auch gar nicht abschaffen und haben darauf hingewirkt, Linke wieder in den Hafen der „Marktwirtschaft“ zu führen. Und wenn sie dann mitregieren, können sie eben nicht alles, was sich in der Opposition leicht dahinsagen läßt, auch wirklich in der Praxis verwirklichen. Darum kann eine grüne Regierung eines kapitalistischen Landes eben nichts anderes tun als „Greenwashing“. Und damit deckt sie eben auch bestimmte Züge des modernen Kapitalismus, der heute nur noch als internationales System zu verstehen ist.
Naive Anhänger glauben noch daran, daß es einen besseren „grünen“ Kapitalismus geben kann, gerade auch in einem Land wie unserem, wo die Realitätsferne gezüchtet wird, weil einfach alles das, was zum Leben notwendig ist, aber grüne Vorgaben nicht erfüllt, meistens einfach in andere Regionen der Erde verlagert wird – und wegen der Hungerlöhne dort ernähren dann die Waren von dort zu Spottpreisen die Menschen hier, die für die Produktion dieser Güter nicht mehr gebraucht werden. Das ist eine Voraussetzung für das grüne Theater hierzulande, das vor allem den Klassenkampf in einem hoch entwickelten Industrieland abschwächen soll und ihn deshalb auf die internationale Ebene verschiebt. Das findet zwar schon seit über 100 Jahren statt, aber es hat heute eine neue Qualität erreicht.
Alle diese Traumtänzer verstehen auch nicht, daß so dieses Land geradewegs in den nächsten großen Krieg hinein geführt wird, denn die Oberhoheit über die Menschen, über die Rohstoffe und die Produkte in anderen Ländern und anderen Regionen ist heute essentiell dafür, die besonderen Verhältnisse hierzulande aufrecht zu erhalten. Und das führt eben zu Krieg um die Ressourcen mit anderen Ländern und Völkern, die sich nicht mehr in dieses System einspannen lassen wollen, damit hier die Schimäre aufrecht erhalten werden kann, und natürlich auch mit Konkurrenten. Und deshalb will man auch China nicht im Club der reichen Ausbeuterstaaten haben, denn China ist in diesem System ursprünglich eine andere Rolle zugedacht worden seit dem bürgerlichen Umsturz dort, und stattdessen entwickelt es sich inzwischen zu einem Konkurrenten. Der Kampf um die Neuaufteilung der Einflußsphären und damit der tatsächlichen und potentiellen Gewinne aus der internationalen Ausbeutung hat bereits in der Vergangenheit zum Krieg geführt.
Also: Sollen jetzt auch noch an die Spitze des Imperialismus Politiker gewählt werden, die angeblich von vornherein „erhaben“ gegen den Vorwurf rechter und reaktionärer Politik sind? Die die rechte Geschichte der Naturschutzverbände, und damit ihre eigene Vorgeschichte, systematisch verdrängenAnm.1 genauso wie die rechten Gründungsväter bei der Gründung der Grünen verdrängt werden? Ich werde auch nie vergessen, mit welcher Verschlagenheit und Verlogenheit Frau Göring-Eckert damals die Einführung von Hartz-IV verteidigte. Soll es wieder so kommen wie mit dem Vizekanzler Fischer, der den ersten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, an dem die Bundesrepublik nach dem zweiten Weltkrieg teilnahm, als „Lehre aus der Geschichte von Auschwitz“ rechtfertigte? Nur dieses Mal vielleicht in einer völlig anderen Dimension? Und der war nicht von Vornherein ein „Transatlantiker“ mit einem entsprechenden Parteiprogramm im Rücken, wie es inzwischen eine Annalena Baerbock ist.
Wir erleben doch jetzt schon, wie die Bundesrepublikanische Führung, angeblich „aus Fürsorge“, ihre Vollmachten immer stärker erweitert, immer diktatorischer in die Grundrechte eingreift, die Militarisierung im Inneren vorantreibt. Der Schulterschluß mit den USA wird vorangetrieben, obwohl, wie zu erwarten, keineswegs alle Änderungen unter Trump rückgängig gemacht werden sollen. Und auch Linke, soweit es sie noch gibt, sollten manches überdenken, auch wenn es schwerfällt zuzugeben, daß man da vielleicht auch mal auf dem Holzweg war. Fehler sind nie zu vermeiden, aber rechtzeitig daraus lernen muß man, denn sonst wird man „vom Leben bestraft“, wie das mal hieß.
Anm.1 So stellten wir schon im IS2018-102 fest: „Der grüne Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter scheint sich da sehr sicher zu fühlen, wenn er bei einer Darstellung der Geschichte der „Ökologiebewegung“ in einer Grundsatzrede erst vom neunzehnten Jahrhundert spricht, wo man mit „klassischem Objektschutz“ angefangen habe (also die damalige Naturschutzbewegung, die das damals nicht selten als „Bewahrung des Volkscharakters“ oder gar der „Volksseele“ bezeichnete, was bei ihm natürlich vornehm übergangen wird) und dann gleich in die 1970er Jahre springt: „... Dann in den siebziger Jahren ist einem bewußt geworden...“ Das ganze Kapitel der Verstrickung mit den Rechten und unter der Naziherrschaft fällt weg. Das würde man keinem nicht grünen Verein, keinem Großunternehmen so durchgehen lassen. (siehe Rede Toni Hofreiter - BDK Berlin Oktober 2013 https://www.youtube.com/watch?v=QZwqN7EU6R0 entsprechende Passage etwa ab min. 8:39.“ |