Internet Statement 2020-235

 

Weshalb geht der Staat zuweilen so streng gegen die Hausbesetzer vor. Und warum tut er dies aber keineswegs immer?

Maria Weiß  09.10.2021 


Man sollte sich mal die Frage stellen, warum von staatlicher Seite zuweilen so außerordentlich hart gegen Haus- oder Wohnungsbesetzungen vorgegangen wird. Härter als gegen Demonstrationen, welche auch des öfteren darunter zu leiden haben, selbst wenn es sich nicht um Themen handelt, welche man als staatsgefährdend einzuordnen hätte.
 
Es liegt zum einen daran, daß der bürgerliche Staat generell äußerst sensibel auf Demonstrationen reagiert, welche unangenehme – für den Staat, versteht sich - Themen aufgreifen. Ein besonders hervorstechendes Merkmal sind Demos gegen die Wohnungsnot. Letztere ist zwar seit langem eine völlig offensichtliche Schwäche des Staates, der ebenso offensichtlich nicht im Stande ist, gegen dieses Problem, welches inzwischen viele Tausende von Menschen im Land belastet, auch nur annähernd erfolgreich vorzugehen – wenn denn überhaupt.
 
Das liegt vor allem an den Eigentumsverhältnissen in dieser Gesellschaft, in welcher das Eigentum an Grund und Boden und somit auch an Häusern und Wohnungen geschützt ist. Da aber in dieser Gesellschaft die Spekulation mit Grund und Boden und damit auch mit Wohnungen offiziell nicht nur erlaubt, sondern sogar besonders geschützt wird, liegt es auf der Hand, daß dieser eigentlich längst überholte gesellschaftliche Zustand immer wieder zu Zusammenstößen vor allem mit jenen Teilen der Bevölkerung führt, welche nicht so betucht sind, daß sie sich den Kauf einer Wohnung leisten können. Letzteres ist jedenfalls der Normalzustand, welcher nur sehr selten durch ganz bestimmte objektive Umstände und auch nur zeitweilig Änderungen erfahren kann, infolge derer dann für kurze Zeit auch für nicht so betuchte Schichten der Bevölkerung den Kauf einer Eigentumswohnung möglich wird.
 
Der bürgerliche Staat schützt das Privateigentum an Grund und Boden. Das ist per Grundgesetz festgelegt, und es darf daher im Allgemeinen keine Ausnahme in dieser Hinsicht gemacht werden, will der bürgerliche Staat seine Glaubwürdigkeit gegenüber der herrschenden Klasse oder Schicht, wenn man so will, nicht verlieren. Es ist daher unter diesen Voraussetzungen auch nicht verwunderlich, daß es immer wieder zu Konfrontationen zwischen Hausbesetzern oder auch Wohnungsbesetzern und dem Staat kommt. Das ist erstmal eine der Grundvoraussetzungen, mit denen jede und jeder konfrontiert ist, welcher sich über dieses grundlegende Verhältnis hinwegsetzt.
 
Zeitweilig werden derartige Durchbrüche oder Missachtungen vom bürgerlichen Staat geduldet, zum Beispiel dann, wenn es diesem darauf ankommt, bestimmte Massenbewegungen abzumildern oder zu befrieden. Das ändert sich aber meistens recht schnell, und zwar dann, wenn es von der Gesamtlage der Gesellschaft her möglich erscheint. Gibt es zum Beispiel eine große Massenbewegung für bezahlbaren Wohnraum, dann wird man dann nicht gerade von staatlicher Seite gegen Besetzungen einschreiten. Flaut die Bewegung aber wieder ab, dann gibt es auch alle Erscheinungen der Unterdrückung wieder verstärkt. Kommt noch eine zusammenfantasierte angebliche Seuche hinzu, dann nutzt man dieses obendrein für das Ziel, Massenbewegungen fortschrittlichen Charakters möglichst unter Kontrolle zu halten und möglichst zu minimieren.
 
Es kommt daher für die Massen darauf an, die diversen Anliegen möglichst miteinander zu verbinden, damit ein Vorgehen staatlicherseits möglichst erschwert wird, da die öffentliche Meinung ja auch immer eine Rolle spielt und der Staat, jedenfalls der, welchen wir haben, daran interessiert ist, die öffentliche Meinung möglichst unversehrt auf seiner Seite zu behalten.
 
Nun ist die Kombination der verschiedenen Anliegen aber zuweilen nicht unproblematisch. Eine Bewegung mit dem Ziel „Mieten runter“ lässt sich nicht ohne weiteres mit der Verteidigung von Hausbesetzungen kombinieren. Auch stellt sich die Frage, ob eine solche Kombination überhaupt Sinn macht. Letztere sind zumeist relativ isolierte Aktionen, welche von Menschen initiiert werden oder worden sind, welche ganz bestimmte gesellschaftliche Vorstellungen haben, die nicht immer von allen anderen Menschen, die ein Miet- oder Wohnungsproblem haben, geteilt werden.
 
Die Hausbesetzerbewegung, welche zu einer bestimmten Zeit solche Ideen hierzulande propagiert hat als auch praktiziert hat, ist keineswegs von allen Menschen, welche ein Mietzahlungsproblem hatten, geteilt worden. Dies ist verständlich, denn eine solche Bewegung wie die der sog, Hausbesetzer, welche sich vor allem in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhundert in Berlin, aber auch in anderen zumeist großen Städten dieses Landes entwickelte, ist nur zu einem sehr geringen Teil von der großen Mehrheit geteilt worden. Ein Umstand, welcher vor allem kulturelle aber auch materielle Gründe hatte, denn Menschen, welche tagtäglich einer bestimmten Arbeit nachgehen müssen, um überhaupt in die Lage zu kommen, eine der ortsüblichen Mieten zu bezahlen, haben einfach nicht die Zeit, sich mit den Umständen einer Besetzung zu beschäftigen. Da letzteres aber im Allgemeinen die Lage der weitaus größten Mehrheit der Menschen in diesem Land charakterisiert und bestimmt, ist es nicht verwunderlich, daß die Hausbesetzerbewegung sich auf einen relativ begrenzten Bereich beschränkt hat.
 
Auch stellt sich hier die Frage, ob dieses ganze Konzept einer Besetzung überhaupt eines für die Mehrheit sein kann, oder ob nicht andere Voraussetzungen gesellschaftlicher Art geschaffen werden müssen, welche es ermöglichen, Mieten so zu halten, daß sie für die Mehrheit bezahlbar sind. Derartige Überlegungen sollten meiner Meinung nach auch in Hausbesetzerkreisen Eingang finden. Es bringt doch letztlich nicht viel, wenn nur ein ausgewählter Kreis sich eine Wohnung leisten kann, welche mittels einer Besetzung erkämpft wurde.
 
Man muß doch immer die Frage stellen: Ist das ein Konzept für die Mehrheit? Sonst setzt man vielleicht, ohne es zu wollen, die soziale Ungleichheit fort, indem man für sich selbst eine Position erkämpft, welche für die Mehrheit gar nicht verwirklichbar ist. Eine Art negativer Privilegierung würde ich so etwas bezeichnen. Und eine solche kann keinesfalls ein Konzept für die Mehrheit sein. Im Gegenteil, sie basiert auf einer sozialen Duldung, welche zeitweilig vielleicht funktioniert, weil der Staat darin einen Vorteil für sich sieht, indem die Bewegung für bezahlbaren Wohnraum auf diese Weise geschwächt oder gar gespalten wird. Vielleicht lasst ihr euch das ja mal durch den Kopf gehen.
 

   

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