Internet Statement 2021-32

 

Zur Räumung des größten Obdachlosencamps Deutschlands an der Berliner Rummelsburger Spreebucht

Wassili Gerhard 11.02.2021     

Vor ca. einer Woche, in der Nacht zum 6. Februar, wurde das Camp im Bezirk Berlin-Lichtenberg in einer Nacht-und Nebel-Aktion geräumt, mit noch ca. 100 Bewohnern, von denen manche seit mehr als einem halben Jahrzehnt dort wohnen. Sie wurden ohne Vorwarnung aus dem Schlaf geholt und bekamen eine halbe Stunde Zeit, die nötigsten Dinge zusammen zu packen. Angeblich sollten sie so vor der erwarteten Kältewelle geschützt werden, hieß es in den Nachrichten.

Am nächsten Tag sollten sie, sagte man ihnen, noch einmal zurück gehen können, um weitere Habe zu sichern. Aber da waren bereits Bauarbeiter mit Baggern dabei, alles zusammen zu schieben und zu zerstören. Der stellvertretende Bürgermeister des Bezirks Lichtenberg Hönicke (SPD) meinte dazu, er könne da nichts tun, er habe das zwar versprochen, aber das liege jetzt in der Hand der Grundstückseigentümer. Er wäscht seine Hände also in bekannter Manier in angeblicher Unschuld.

Angeblich geschehe alles aus Sorge um die Campbewohner, weil es kalt würde. Viele hatten aber längst Öfen und Vorräte an Brennmaterial und schliefen warm in ihren Betten. Es gab dem Vernehmen nach auch einen gerade erst für 5000 Euro angeschafften Wohnwagen, alles wurde – aus reiner Fürsorge natürlich – sofort zerstört. Die Bewohner wurden ihrer Habe beraubt. Dann hieß es, daß die Brandgefahr zu groß gewesen sei. Aber die Bauarbeiter machen sich unbehelligt, inmitten der Trümmer, aus den Brennstoff-Vorräten der Bewohner ein wärmendes Feuer, bewacht von der Polizei und Wachschutz.

Die Sozialsenatorin Breitenbach (Linkspartei) verkündete, die linken Proteste, wie eine Kundgebung am Mittwoch vor dem Roten Rathaus, würden sie aufregen, es sei doch im Sinne der Obdachlosen verfahren worden. Auch der Initiator der Aktion Kevin Hönicke sagte, daß nur Leib und Leben der Bewohner gesichert wurden. Bei Nacht und Nebel aus den Betten geholt zu werden und seiner Habe beraubt zu werden, das ist wahrlich sehr fürsorglich. Nun sind die Campbewohner durch diese „Fürsorge“ schlechter dran als vorher.

Campbewohner, die auf der Kundgebung vor dem Berliner Rathaus sprachen, berichteten außerdem, daß sie in ein Hostel, in ein Vierbettzimmer gekommen waren, aber dort habe man ihnen vorher alles abgenommen: Feuerzeuge, Tabak zum Zigaretten-Drehen, Essen, Getränke (auch alkoholfreie). Einer beklagte den Verlust seines einstmals teuren Feuerzeuges, das er nicht wiederbekommen hatte. Tatsächlich sind auch viele Campbewohner nicht in die Unterkünfte gegangen, auch nicht in die Traglufthalle oder angeblich angebotene Unterkünfte am anderen Ende der Stadt. Das Camp hatte einen gewissen Schutz geboten, war sogar über Jahre hinweg Familienersatz. Sich völlig an die Behörden auszuliefern, die in Jahren aufgebaute Gemeinschaft völlig auseinander reißen zu lassen, ist für manche undenkbar.

Obwohl sich massiver Protest von unten vorher dagegen geregt hatte, wurde auf diesem Gelände vom Bezirk der Bau einer Touristenattraktion namens „Coral World“ beschlossen. Und für die entsprechende Investorengruppe unter Einschluß der Padovicz-Gruppe, die in Berlin schon mehrere Häuser mit günstigen Wohnungen entmietet hat und teilweise seit Jahren ungestraft leer stehen und verrotten läßt, sollte das Camp beseitigt werden. Das ist doch völlig klar, daß die angebliche Fürsorge einfach eine dicke Lüge ist. Faktisch wurde die Situation genutzt, um unter Vorwänden Menschen, die in Selbsthilfe ihre Lage verbessert hatten, da weg zu bekommen, wieder zu zerstreuen und dem Leben auf der Straße auszuliefern.

Sinnigerweise entmietet die Padovicz-Gruppe in Sichtweite des Camps gerade Mietshäuser und beseitigt wiederholt günstigen Wohnraum, vertreibt die Bewohner, die teilweise schon lange dort leben, arbeitet also weiter an der Schaffung von neuer Obdachlosigkeit. Häuser sind für sie vor allem Anlageobjekt, und ein leeres Haus, wo langjährige Mieter nicht die Verwertung behindern, ist mehr wert als ein bewohntes. Das ist in dieser Gesellschaft kein Problem und gehört zum Schutz des Eigentums, das faktisch eines der höchsten Güter des Grundgesetzes ist – aber eben nur bei den reichen Kapitalbesitzern, während bei Armen wie den Campbewohnern das Eigentum einfach mal zum Müll erklärt wird. Und selbst Sperrmüll oder ein altes Auto darf eigentlich nicht so zerstört werden, solange nicht geklärt ist, wessen Eigentum das ist. Und der Mietwucher ist auch nur Enteignung, aber Umverteilung von unten nach oben, und genießt deshalb Rückendeckung und Schutz des Staates.

Das gegenwärtige Gesellschaftssystem ist schon immer ein brutales, das auf Hunger, Tod und Elend von Millionen in der ganzen Welt aufgebaut ist. Solche Räumungen, wie die hier angeprangerte, sind in manchen Ländern der Dritten Welt lange an der Tagesordnung. Diese Brutalität kommt auch hier bei uns wieder zunehmend zum Tragen. Die gesellschaftlichen Widersprüche verschärfen sich, denn das kapitalistische System wird immer widersinniger und kommt immer weniger mit seiner Unzulänglichkeit klar. Längst stecken wir wieder in einer brutalen Wirtschaftskrise, die aber als Folge von Corona verkauft werden soll. Und die herrschende Klasse wird auf Dauer keinen Ausweg finden, sich weiter in die Sackgasse gedrängt sehen und immer noch mehr um sich schlagen. Bevor sie alles zerstören, muß ihnen das Ruder aus der Hand genommen werden.


 

 

www.neue-einheit.de     www.neue-einheit.com