Internet Statement 2022-06

 

 

Erhöhung der Verbraucherpreise für Lebensmittel. Wen trifft das wohl vor allem?

 

 

Wassili Gerhard  08.01.2022

Höhere Erzeugerpreise wären für viele Bauern richtig, die gehen reihenweise bankrott. Aber warum sollen vor allem die Endverbraucher dafür aufkommen? Was ist mit den Profiten der Lebensmittelindustrie, der Spekulation mit Lebensmitteln und den Handelskonzernen, die ihre Einkaufspreise drücken? Was ist mit der Energieverteuerung, die zur Verteuerung aller Waren führt, oder den steigenden Preisen für Ackerland durch Spekulation mit Landflächen? Lebensmittel werden durch solche Faktoren schon längst teurer, ohne daß die Bauern mehr bekommen. Warum spielt man wohl vor allem Bauern und Endverbraucher gegeneinander aus?

 

Der neue grüne Agrarminister Özdemir fordert höhere Verbraucherpreise für Lebensmittel. Lebensmittel müßten den Menschen so wichtig sein wie ihr Auto, sagt er, routiniert in Demagogie. Wen trifft das am meisten? Die Ärmeren, die sich sowieso kein Auto leisten können, und Özdemir gehört ganz sicher nicht dazu. So hat er aber schon gleich eine Spaltungslinie bei den Gegnern seiner Maßnahmen markiert. Doch viele der Wohlhabenden kaufen längst teurer, denn sie können es sich leisten. Ökolandbau und teurere Lebensmittel sind vor allem ein Thema für diese Klientel der Grünen, für die ihre Ausgaben für Lebensmittel ein kleinerer Anteil an den Gesamtausgaben sind, und man sich etwas Besseres schon mal was kosten läßt. Wer aber zum Beispiel mit Hartz IV auskommen muß, der muß, insbesondere wenn Kinder mit versorgt werden müssen, ganz scharf auf die Preise sehen. Manche müssen auch schon vom Geld für Essen oder andere Grundbedürfnisse den Anteil an der Miete oder anderen Kosten, die vom Amt nicht mehr gedeckt werden, bezuschussen. Will Özdemir denen sagen, daß sie so viel ausgeben sollten, wie für ihr Auto? In wessen Interesse argumentiert er wohl, wenn man es mal von der Stellung in der Klassengesellschaft her sieht?

Kann wirklich nur wahlweise auf Kosten der Landwirte oder auf Kosten der Endverbraucher agiert werden? Was ist denn mit der Lebensmittelindustrie, die uns bei günstigen Lebensmitteln verdicktes Wasser mit Aromastoff als Lebensmittel verkauft, mit möglichst wenig natürlichen Zutaten, oder mit den großen Handelskonzernen, die die Preise ihrer Zulieferer mit ihrer Marktmacht drücken? Daß Menschen mit wenig Geld nach den günstigsten Angeboten sehen, ist doch reine Selbsterhaltung und quasi „alternativlos“. Wenn die Bauern mehr für ihre Erzeugnisse bekommen, dann ist das ja da nicht verkehrt, wo wirklich zu wenig gezahlt wird. Und auch unnötige Tierquälerei muß nicht sein, aber das Wohl der Tiere muß gegen das Wohl der Menschen abgewogen werden, und der Mensch muß zuerst kommen.

Teurere Lebensmittel, damit sie mehr gewürdigt werden? Das ist doch gegenüber Menschen, die an allen Ecken und Enden knapsen müssen ein Akt der Nicht-Würdigung. Und auch wenn ein Habeck sagt, Hartz-IV-Empfänger würden heizen und die Fenster dabei aufreißen, wenn für sie Heizen zu wenig verteuert wird - das sind übelste Klischees wohlhabender Spießer, für die die Ärmeren immer selbst schuld an ihrer Lage sind. Eine Ökoproduktion für die Wohlhabenden, die sich diesen Luxus leisten können, die teures Biofleisch oder gar Kunstfleisch essen wollen oder Gemüse von Feldern, die nur einen Bruchteil der Ernte erbringen wie bei konventioneller Landwirtschaft, und die mehr dafür bezahlen wollen etc., das ist zumindest gegenwärtig Luxus, und den können sich die meisten Menschen auf der Welt - Milliarden von Menschen, von denen viele nicht genug zu essen haben - nicht leisten. Massenproduktion ist erforderlich, um (Milliarden-)Massen ausreichend und gut zu ernähren. Die Qualität wird nicht durch den Umfang der Produktion verschlechtert, sondern durch das Streben, Profit über den Wert für die Ernährung zu stellen. Gourmetküche mag dabei nicht herauskommen, aber die ist sowieso zu teuer für die meisten.

Hier sieht man, warum die dominierenden Kreise des Kapitals so unbedingt die Grünen in einer führenden Position in der Regierung haben wollen. Schon bei der Wahl 2017, als die Grünen nur knapp 9 Prozent hatten, haben sie monatelang versucht, eine Regierung mit Beteiligung der Grünen hinzukriegen. Der Schwanz soll mit dem Hund wedeln, wenn es Ober-Herrchen so gefällt. Keiner vertritt ihre Interessen so demagogisch noch als Weltrettung, Lernen aus dem Nazismus und Wohltat. Wenn die dominierenden Kapitalkreise besonders übel gegen die Masse der Bevölkerung vorgehen wollen, lassen sie solche Kräfte gerne ran, die solches demagogisches Potential haben. Die abgewirtschaftete CDU jedenfalls nutzt ihnen da in der Opposition gegenwärtig mehr. Die Grünen in der Regierung und die CDU und AfD als größte Oppositionsparteien – was wollen sie mehr an Möglichkeiten in ihrem Sinne, den Menschen Dinge aufzudrücken, für die sie ihre Stimme bei der Wahl nicht abgegeben haben.

Die Grünen können argumentieren, die Opposition, was eben zahlenmäßig überwiegend CDU und AfD sein wird, würde manches noch viel rigoroser umsetzen als sie. Die CDU ist unglaubwürdig, wenn sie plötzlich gegen sogenannte „Reformen“ auftritt, die sie unter Merkel selbst vorangetrieben hat. Das erinnert nicht wenig auch an den Übergang von Kohl zu Schröder/Fischer. Auch damals hatte Kohl „Reformen“ vorangetrieben, SPD und Grüne waren dagegen teilweise zu Felde gezogen, aber nach einer Schamfrist und der Rückgängigmachung z.B. von Kohls Abschaffung der sechswöchigen Lohnfortzahlung, die großen Widerstand hervorgerufen hatte, wurden dann die „Reformen“ um so schlimmer fortgesetzt aber auch geschickter: „New economy statt old economy“ = Verlagerung von Industriearbeitsplätzen in andere Gegenden der Welt, wo die Ausbeutung zunächst mit weniger Gegenwehr gesteigert werden konnte, und dafür hierzulande vor allem Ausweitung des Finanzsektors, wofür auch die rechtlichen Voraussetzungen verbessert wurden, (was auf dem Wohnungsmarkt passiert, wurde dadurch mit ermöglicht) damit auch Vergrößerung des Anteils der Menschen in struktureller Dauerarbeitslosigkeit. In diesem Zusammenhang wurde dann Hartz IV eingeführt. Eine Göring-Eckhard sagte allen Ernstes zur Verteidigung damals, wenn sie nicht wieder gewählt würde, müßte sie ja auch dann Hartz IV beziehen, ein Paradebeispiel völlig verlogener Argumentation.

„Energie muß teurer, Arbeit billiger werden“ (Originalton Schröder). Muß das in seinen negativen Seiten angesichts der heutigen Massen in schlecht bezahlten prekären Jobs und der wachsenden „Energiearmut noch erklärt werden? Auch die Untergrabung der gesetzlichen Rentenversicherung und Umleitung von Rentenmitteln in die Finanzkanäle, was jetzt aktuell wieder weiter verstärkt wird, wurde schon zu Kohls Zeiten vom Finanzsektor gefordert. Die Verscherbelung des Staatsvermögens, so auch Wohnhäuser, an Finanzinvestoren wurde verstärkt fortgesetzt. Die erste Teilnahme der Bundesrepublik an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg wurde von J. Fischer als „Lernen aus Auschwitz“ verkauft. Alles das haben sie mit weniger Widerstand umgesetzt, als es bei Kohl der Fall gewesen wäre, den die Bevölkerung allmählich satt hatte. Aber bei seinem Weiterregieren hätte er das wahrscheinlich auch umsetzen müssen, denn die Interessen der herrschenden Klasse, national wie international, hätte auch er nicht ignorieren können.

Die sozialen Fragen müssen wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Das Vorschieben angeblicher Welt-Umweltkatastrophen, wegen denen die sozialen Fragen angeblich zweitrangig oder nebensächlich seien, ist Zweckdemagogie. Wenn es wirklich heute zu Katastrophen kommt, beweist die herrschende Klasse zunehmend große Unfähigkeit sie zu verhüten, in den Griff zu bekommen oder die Folgen zu beseitigen, siehe das Ahrtal, wo eine mögliche Katastrophe vorher angekündigt wurde. Und das trotz all der modernen Mittel in Hülle und Fülle, die heute zur Verfügung stehen könnten. Aber Katastrophenprävention ist nicht sehr profitträchtig. Dafür wird mit Nebenfragen jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf getrieben, während die wirklich brennenden Fragen in den Hintergrund gedrängt werden. Schluß damit. Ohne die längst überfällige Beseitigung des Systems der Ausbeutung und der Herrschaft einer Ausbeuterklasse wird jedes Herumdoktern an irgendwelchen Einzelproblemen sie nicht „nachhaltig“ bewältigen, um einen heute modernen Ausdruck zu verwenden. Die Überwindung der Klassengesellschaft ist dringender denn je.

 

 

 

 

www.neue-einheit.com                                    www.neue-einheit.de