Internet Statement 2022-111
Das „Ende der Globalisierung, wie wir sie kennen“? Wenn das der Vorbereitung auf einen neuen globalen Krieg dient, ist das nicht zu begrüßen
Wassili Gerhard 16.06.2022 Globalisierung ist eine Begleiterscheinung des Kapitalismus von Anfang an. Schon früh begann das Kapital, sich Unterschiede zu Nutze zu machen, indem es zum Beispiel Arbeitskräfte oder Produktionsstätten von einem Land in das andere verlagerte, oft um dem organisierten Widerstand der Arbeiter zu begegnen und die Produktionskosten, vor allem die Lohnkosten zu senken. Je entwickelter der Kapitalismus wurde, desto wichtiger wurde das für das Kapital.
Das setzte sich bis heute fort, wo die Ausnutzung internationaler Unterschiede ein ungeahntes Ausmaß erreicht hat, arme Länder ausgesaugt und ruiniert werden, um in reichen Ländern, vor allem den ehemaligen besonders entwickelten Industrieländern, die sozialen Widersprüche zu dämpfen, was viele Menschen hierzulande völlig auf ein falsches Gleis bringt, als wenn soziale Widersprüche, Klassenwidersprüche ein Problem von gestern wären, „Klassismus“ im Sinne altmodischen Handelns, das einfach nur aus der Zeit gefallen sei, als wenn wir in keiner Klassengesellschaft mehr leben würden, was wirklich eine extreme Wirklichkeitsferne darstellt.
So wie es im Bilderbuchbetrieb des Kapitalismus Produktionshallen gibt, wo die harte Ausbeutung stattfindet, und Büros mit Zimmerpflanzen, in denen die Arbeitskräfte und die Produktion verwaltet und organisiert werden, gibt es im globalen Kapitalismus auch die Länder, wo die schwerste Lohnarbeit stattfindet, vor allem ausgebeutet und ausgeplündert wird, in Ländern, wo sozusagen die globalen Fabrikhallen ihren Platz haben, und es gibt jene Länder, wo die Produkte konsumiert werden und mehr die gehobeneren Funktionen konzentriert sind – wo es aber auch nicht völlig ohne Menschen geht, die einfache und schlecht bezahlte Arbeiten machen. Und das macht es in letzteren Ländern schwer, die gesamten Zusammenhänge zu erkennen, vor allem wenn es einem dort besser geht, als den meisten anderen Menschen auf der Welt. Auch wenn ein Teil der Menschen auch hierzulande inzwischen auch auf einen niedrigeren Lebensstandard gedrückt wurde – das sind eben nicht mehr jene, die den Produktionsapparat in den Händen halten und den Reichtum produzieren, somit unverzichtbar sind. Und die können den Kapitalismus auch stoppen. Sie sind potentiell eine immer stärkere Macht und verkörpern die Zukunft.
Soll man sich deshalb als jemand, der an dem Ziel der Beseitigung der Klassengesellschaft weiter festhält, darüber freuen, wenn es in der renommierten FAZ heiß, das Ende der Globalisierung, wie wir sie kennen, sei im Kommen? Eher nicht. Schon vor dem ersten und vor dem zweiten Weltkrieg hatte die Globalisierung eine hohe Stufe erreicht, aber für den kommenden Krieg mußte sie zurückgefahren werden, um diesen Krieg zu ermöglichen. Vor dem zweiten Weltkrieg setzte besonders Deutschland auf Autarkie. Gegen Länder, mit denen man zwingend zusammenarbeiten muß, kann man schlecht Krieg führen.
Heute steckt der Kapitalismus wieder weltweit in einer fundamentalen Krise, aus der er keinen Ausweg findet, und das macht die herrschende Klasse geneigter, in Krieg einen Ausweg zu suchen. Die Trennungslinie, an der die Verbindungen reduziert oder nach Möglichkeiten ganz gekappt werden sollen, verläuft heute offensichtlich zwischen der sogenannten „westlichen Welt“ mit den USA als Hegemoniemacht und auf der anderen Seite vor allem Russland und China als diejenigen Mächte, die der Welthegemonie der USA am meisten im Wege stehen. Und deshalb sollen wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen gekappt werden, die eigentlich dazu beitragen, die Welt näher zusammenrücken zu lassen und gegenseitiges Verständnis zu fördern. Die Globalisierung wird gegenwärtig „zurückgefahren“, um die Abschottung von Blöcken, Vorläufern von Kriegskoalitionen zu fördern, was das Führen von Kriegen erleichtert. Und schon gar nicht sollen die Völker sich verbinden gegen ihre Ausbeuter.
Es ist der Kapitalismus, das Ausbeutersystem, was vor allem die Lösung der internationalen Probleme verhindert. Vom Standpunkt des Klassenkampfes in den kapitalistischen Ländern betrachtet, ist die Globalisierung hierzulande katastrophal gewesen, aber global betrachtet wird der moderne Klassenkampf langfristig auf der ganzen Welt verbreitet. Und wenn das auch auf größere Schwierigkeiten stößt als innerhalb Europas, kann daraus eine neue internationale Bewegung entstehen. Und diese Verbindung muß auch unbedingt hergestellt werden in der heutigen globalisierten Welt, damit wir dem heutigen Kapitalismus und Imperialismus Paroli bieten können. Das fürchtet die internationale Bourgeoisie, denn dann wendet sich die Entwicklung, die der Imperialismus angestoßen hat, um dem Klassenkampf in den entwickelten Ländern Herr zu werden, gegen ihn selbst.
Letztlich wird sich für den Kapitalismus kein Ausweg finden lassen. Er hat von Anfang an immer wieder neue Menschen in die Produktion gezogen, um der Auseinandersetzung mit im Kampf erfahrenen Arbeitern zu entgehen, die er selbst zum Kampf gegen seine Macht und Ausbeutung erzogen hat, denn er sorgte dafür, daß dieser Kampf für sie überlebenswichtig war. Erst fand das innerhalb des Landes statt, dann in Europa, und schließlich ist das auf die ganze Welt ausgedehnt worden. Schließlich waren die organisierten Proletarier eine Kraft, die unter der Führung einer Partei von Kommunisten die Potenzen hatte, die Macht zu übernehmen. Das Verheizen von Millionen jungen Arbeitern im ersten und zweiten Weltkrieg, der Faschismus in Deutschland, wo eine der erfolgreichsten Arbeiterbewegungen eine große internationale Ausstrahlung hatte, aber auch in anderen Ländern, sollte dieser Kraft das Rückgrat brechen. Als eine neue proletarisch-revolutionäre Bewegung seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre an die Erfahrungen der revolutionären Arbeiterbewegung wieder anknüpfte und drohte, sich wieder mit der Arbeiterbewegung zu verbinden, trotz all der Maßnahmen der herrschenden Klasse, da gingen die maßgeblichen Kreise der internationalen Bourgeoisie dazu über, das Industrieproletariat in den alten Industrieländern zu reduzieren und Industrie in großem Umfang in andere Weltregionen zu verlagern.
Heute sind die großen Massen der Industriearbeiter nicht mehr in Europa – oder in Europa und den USA – konzentriert, sondern sie sind in Asien zusammengeballt, aber verstreuen sich weiter über die Welt. Seit einiger Zeit sucht sich das „Billiglohnland“ China wiederum seine Billiglohnländer, weil die Arbeiter in China sich zu viele Verbesserungen erkämpft haben, und China leistet sich eine Mittelschicht, entwickelt also auch den Konsum im eigenen Land. Das Kapital ist immer wieder mit ähnlichen Problemen konfrontiert – Probleme vor allem für das Kapital – daß es die Zahl und die Konzentration der Arbeiter vergrößert, wenn es floriert.
In den ehemaligen fortgeschrittenen Industrieländern haben sie heute mehr schlecht als recht eine grüne Blase geschaffen, in der sie auf Kosten der Ausgebeuteten in der Welt, auch ganzer Länder, einen grünen Kapitalismus etablieren wollen, der angeblich etwas ganz Anderes ist, aber eben in Wahrheit eine Blase der Spekulation und des Abzockens auf Kosten der übrigen Welt ist. Derartiges ist nicht völlig neu, nur das heutige Ausmaß davon. Damit unterhöhlen sie jedoch die eigene Substanz und müssen zu Kriegen greifen, um die übrige Welt in diesem System zu halten. Die angerichteten Verheerungen werden immer schlimmer, aber man hat ja neuerdings die „Klimakatastrophe“, auf die man alles schieben kann, all die Übel des modernen Kapitalismus, die er auf die ärmeren Länder abwälzt, vor allem auf diejenigen, die nie die Chance hatten, aus ihrer durch Kolonialismus und Benachteiligung verursachten Armut heraus zu kommen.
Was auch schon lange vor Entdeckung der „Klimakatastrophe“ verheerend war, soll nun angeblich durch die „Klimakrise“ verursacht sein. Auf keinen Fall sollen die ärmeren und weniger entwickelten Länder in der Entwicklung aufschließen, denn das zerstört angeblich die Erde. Stattdessen sollen sie angeblich von den alten reichen imperialistischen Mächten die Mittel bekommen, die angeblich alles besser machen. Wer‘s glaubt, ist meistens auch ein potentieller Profiteur aus den alten imperialistischen Ländern, die Angst davor haben, daß sich andere auf das heutige fortgeschrittene Niveau entwickeln. Da stört insbesondere China die Pläne der internationalen Dominanz der alten imperialistischen Mächte, die Welthegemonie der USA, die ihnen nach dem Ende der Sowjetunion schon so erreichbar schien. Und noch etwas ist wichtig dabei: Auch wenn China heute ein kapitalistisches Land ist, ist es doch aus einem Jagdgebiet für Kolonialmächte mit völlig zurückgebliebenen gesellschaftlichen Verhältnissen, wo alles von den Bauern lebte, die regelmäßig zu vielen Millionen verhungerten, aus eigener Kraft zu einer starken Macht aufgestiegen, mit doppelt so großer Bevölkerung, die den alten imperialistischen Mächten zunehmend Paroli bietet. Und auch das wäre unmöglich gewesen ohne die Revolution, geleitet von der Politik Mao Zedongs. Ohne das wäre überhaupt keine selbständige moderne Entwicklung Chinas möglich gewesen. Nicht nur, daß die USA einen Rivalen zerstören will, es geht auch um die Zerstörung des Beweises, was mit einer Revolution überhaupt an Fortschritt möglich ist.
Die schönen Pläne, daß alles die neue „klimagerechte Technik“ in den USA und ihren Vasallenstaaten kaufen muß, statt die eigenen Möglichkeiten und die eigenen Ressourcen zu nutzen, die sie dann im Tausch dagegen hergeben müssen, werden durch China auch gestört, denn eine chinesische Konkurrenz auf diesem Gebiet war dabei ursprünglich nicht vorgesehen, als die USA nach dem Ende der Sowjetunion glaubten, nun in der Zukunft die einzige Weltmacht zu sein, am „Ende der Geschichte“. Al Gore proklamierte die „globale Umweltfrage“, die nur unter der Führung der USA lösbar sei, etwa gleichzeitig mit dem Aufruf des USA-Strategen Brzezinski zur Unterordnung ganz Eurasiens, um die USA zur ersten globalen Hegemoniemacht zu machen. Auch diese Visionen haben sich nicht erfüllt, aber sie werden nicht aufgegeben, was einen wesentlichen Hintergrund für die heutige Lage und den aktuellen Krieg in der Ukraine darstellt. Was allerdings fehlt, ist eine Bewegung, die dem gegenwärtigen Kriegskurs, der Wiederbelebung von ethnischem Hass und Spaltung zwischen den Völkern ausreichend Paroli bietet. Das brauchen wir. Die revolutionären und die dem Fortschritt verbundenen Kräfte in der Welt müssen sich zusammenfinden. Und wir brauchen auch in diesem Land eine Linke, die aufhört, Lösungen nur innerhalb des Kapitalismus zu suchen.
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