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Statement 2022-41
Frieden,
Freiheit, keine Diktatur?
Maria Weiß
01.03.2022
Das ist prinzipiell richtig als Zielsetzung, aber was ist mit der Übergangsphase?
Die Ausbeuter wird man nicht auf einen Schlag los. Was tun in der Übergangsphase,
darin steckt doch ein Problem. Wie soll man auskommen, ohne das alte System
zu unterdrücken? Wie soll man das Problem lösen, ohne die ehemaligen
Ausbeuter zu unterdrücken, d.h. ihre Bestrebungen zu unterdrücken
und zu bekämpfen, das alte System, ihr System der Ausbeutung wiederherzustellen.
Bedeutet das nicht, daß es eine gewisse Zeit lang notwendig sein
wird, diese Bestrebungen zu bekämpfen und auch zu unterdrücken?
So unangenehm es ist, eine gewisse Phase der Unterdrückung der überkommenen
Klasse der Ausbeuter ist leider nicht zu vermeiden.
Wie soll das gehen? Sie haben doch die ganzen Machtmittel der Gesellschaft
in der Hand, mit denen sie ihr System der Ausbeutung des Menschen durch
den Menschen zu verteidigen bestrebt und leider auch noch zunächst
fähig sein werden. Wie aber soll man das ändern, ohne selbst
zu den Waffen zu greifen? Und das verläuft eben meistens so, daß
man selber friedlich seinen Anspruch und seine sozialen Ziele zu vertreten
versucht, dann aber sehr schnell auf gewaltsame Unterdrückung stößt.
Was tun in diesem Fall als sich zu verteidigen? Und das geht eben leider
nicht lange mit friedlichen Mitteln. Das zeigt die ganze Erfahrung der
Vergangenheit als auch die aktuelle. Was also tun? Soll man sich freiwillig
und widerstandslos dieser reaktionären Gewalt beugen? Dann kann man
es doch gleich bleiben lassen. Also muß man sich verteidigen. Und
das geht eben bedauerlicherweise zumeist nicht ohne Gewalt. Könnten
wir die Bourgeoisie auf friedlichem Weg davon überzeugen, daß
die Zeit ihrer Herrschaft obsolet ist, sie könnte sicher sein, wir
würden es tun. Jedes Menschenleben ist wichtig, auch wenn dieser
Mensch zeitweilig falsche Positionen vertritt. Aber ist es nicht die herrschende
Klasse selber, welche zumeist sehr schnell mit Gewalt gegen Demonstranten
vorgeht, wenn deren Zielsetzung ihr nicht in den Kram passt? Die Beispiele
dafür sind millionenfach auf der ganzen Welt inzwischen wieder zu
sehen.
Geschichtlicher Fortschritt entwickelt sich in Windungen und Wendungen,
und noch keine einzige neue Gesellschaft hat sich bislang ohne Gewalt
durchsetzen können. Die Blauäugigkeit in dieser Frage, welche
in unserer Gesellschaft existiert, hängt vor allem damit zusammen,
daß diese inzwischen zum allergrößten Teil von der internationalen
Ausbeutung lebt und daher die Möglichkeit besitzt, die arbeitenden
Schichten im eignen Land aus diesen Pfründen zu bestechen, oder anders
ausgedrückt besser zu stellen, mit dem Ziel, Aufstände im eigenen
Land zu vermeiden, was ihnen auch über Jahrzehnte durchaus gelungen
ist. Dieser für die herrschende Schicht gemütliche Umstand ist
aber in den letzten Jahrzehnten stark angegriffen worden durch die Entwicklung
in der Dritten Welt, wo es ein unaufhaltsames Bestreben gab und gibt,
die Unterdrückung durch die reichen Staaten zu bekämpfen und
für eine nachhaltige Änderung der eigenen Lebensumstände
zu kämpfen. Nicht zuletzt der afrikanische Kontinent ist dafür
ein zunehmend lebendiges Beispiel.
Was die alten kapitalistischen Staaten, welche lange Zeit ohne größeren
Widerstand von der internationalen Ausbeutung gut leben konnten und dafür
auch an ihre eigene Arbeiterklasse gewisse Brosamen abgeworfen haben –
um des sozialen Friedens willen – so sind diese nunmehr zunehmend
unter Druck geraten, weil der Widerstand in den ehemaligen Kolonien wächst.
Umso mehr sind sie daher am sogenannten sozialen Frieden im eigenen Land
interessiert. Und eben dieser Faktor ist es auch, was in der gegenwärtigen
Entwicklung genutzt wird, damit sie dieser äußeren Bedrohung
ihres Profitinteresses entgegenzutreten im Stande sein können. Aus
diesem Gegensatz nähren sich die meisten Kriege, welche in den letzten
Jahrzehnten in der sogenannten Dritten Welt, aber auch zum Teil in Osteuropa
geführt wurden. Sowohl der Jugoslawienkrieg als auch etliche andere
haben in diesem Umstand ihre Motivation gehabt.
Auch der gegenwärtige Krieg um den Einfluß in der Ukraine ist
davon mit berührt und sogar motiviert. Was den sogenannten Westen
betrifft ist man für pseudodemokratische Vorwände nicht zuletzt
dadurch motiviert, daß man sich erhofft, ein weiteres Areal für
Billiglohnarbeit in Europa selbst zu schaffen, zumal die Areale anderswo
zunehmend unsicher werden, was die Ausbeutung der dortigen Bevölkerung
zu Billigstlöhnen angeht. In der Ukraine aber erhofft sich die Bourgeoisie
ein weiteres Areal, da die dortige Bevölkerung in dieser Hinsicht
nicht so erfahren ist, da das ökonomische System noch viel von der
ehemals sozialistischen Struktur dieses Landes in sich trägt, was
aber auf der anderen Seite auch Unzufriedenheit hervorgerufen hat, sicherlich
nicht zu unrecht. Die Ukrainer erhoffen sich eine bessere Möglichkeit
der Entwicklung ihres Lebens mit einer engeren Anbindung an den Westen.
Nicht zuletzt dieses Streben macht einen Teil ihrer Opposition gegen den
russischen Einfluß aus, was man auch nicht in Abrede stellen kann,
sondern was eine gewissen Berechtigung hat. Das Recht auf Entwicklung
als auch persönliche Entfaltung zählt durchaus zu den sogenannten
Grundrechten und darf nicht unterschätzt werden.
Und eben dieser Faktor ist es auch, welcher die gegenwärtige Bewegung
dort antreibt, weil sie sich eine solche Entwicklung vom Westen erhoffen,
welche ihnen das alte System eines degenerierten Pseudosozialismus, wie
es zum Teil auch heute noch in Russland, der ehemaligen Sowjetunion existiert,
nicht bieten kann. Von daher ist es unabdingbar, für die Einschätzung
der gegenwärtigen Bewegung mitsamt ihrem Drang nach Westen, diesen
wesentlichen Faktor zu berücksichtigen. Die Losung „Frieden,
Freiheit, keine Diktatur“, welche schon oft bei derartigen Bewegungen
eine Rolle gespielt hat und, wie man sieht, immernoch spielt, stellt einen
wichtigen Anspruch dar, welcher eine Berechtigung besitzt, und den man
nicht ignorieren darf. Ob das Ziel dann in der Zukunft verwirklicht werden
kann, steht allerdings in den Sternen, ist auch in der bisherigen Praxis
solcher Menschen schon des öfteren widerlegt worden, aber der Wunsch
ist eben stärker, und was fehlt, ist eigentlich die soziale Theorie
als auch die entsprechende Praxis auf beiden Seiten, welche einzig im
Stande ist, diesen Bestrebungen gerecht zu werden. Es steckt daher in
all diesen Bewegungen eine Zwiespältigkeit, welche man keinesfalls
übersehen darf, will man diese Bewegungen in eine konstruktive und
zukunftsgerechte Richtung führen oder zu einer solchen Entwicklung
beitragen. Das dialektische Eins teilt sich in Zwei, wie es von dem chinesischen
Revolutionär Mao Zedong entwickelt wurde, ist also auch hier unverzichtbar
zu berücksichtigen.
Die Frage, welche Orientierung, welche soziale Form die ukrainische Gesellschaft
in Zukunft haben will, ist deren eigene Entscheidung. Ausländische
Mächte, egal welcher Herkunft, haben in dieser Entscheidung nichts
zu suchen, sie schon gar nicht mit Gewalt herbeizuführen. Das gilt
für sämtliche an diesem gegenwärtigen Konflikt beteiligten
Kräfte oder Staaten. Die Ukraine entscheidet selbst, welchen Weg
sie gehen will und mit welchen internationalen Kräften oder Staaten
sie zusammenarbeiten will oder mit welchen nicht.
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