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Statement 2023-08
Einige
Gedanken zu den Ostermärschen
Uwe
Müller 08.04.2023
In der BLZ (7.4.) findet sich ein Gastbeitrag der ukrainischen
Gruppe Vitsche, betitelt mit: „Egoistischer
Pazifismus: Warum wir Ukrainer den Ostermarsch der Friedensbewegung kritisieren“.
Dabei beziehen sie sich auf den Aufruf der Berliner Friedenskooperative
(Friko), die unter dem Motto: „Den Frieden gewinnen - nicht den Krieg“
zum Ostermarsch aufrufen.
Vitsche selbst hatte letztes Jahr eine Gegendemo gegen die Ostermarschierer
organisiert, und hat auch dieses Jahr erneut zu einer Gegendemonstration
zu den Ostermärschen der Friedensbewegung aufgerufen unter dem Motto:
„Unsere Botschaft lautet: kein Frieden ohne Gerechtigkeit und Freiheit
– nur ein ukrainischer Sieg bedeutet Frieden in Europa!“
Was aber meinen sie mit „egoistischem Pazifismus“? Der
Pazifismus, der lebensfremd ist, der die Passivität predigt und wehrlos
macht, ist in der Tat zu kritisieren (Anm.).
Schauen wir, wie und von welcher Warte aus Vitsche das tut:
„Doch wofür gehen viele der Teilnehmer*innen in diesem Jahr tatsächlich
auf die Straße? In unseren Augen ist es ein selbstbezogener Friedensbegriff,
der die Opfer von Gewalt und Krieg zu Tätern erklärt und die tatsächlichen
Aggressoren wissentlich verschweigt. Ein Ende von Waffenlieferungen
und damit eine brutale Unterwerfung der Ukraine wird hier zu einer „pazifistischen“
Lösung des russischen Angriffskrieges verzerrt.“
Das ist ein schwerer Vorwurf und unterstellt pauschal all Denjenigen,
die gegen Waffenlieferungen sind und stattdessen für Waffenstillstand
und Friedensverhandlungen eintreten, sie würden die Ukrainer zum Täter
abstempeln. Das ist Quatsch. Es gibt wohl Rechte und Revisionisten, die
vorbehaltlos die russische Aggression unterstützen und die russische imperialistische
Argumentation kritiklos übernehmen. Im Aufruf der Friko kann ich davon
aber nichts erkennen. Die Friko drückt sich allerdings überhaupt davor,
den russischen Imperialismus wie auch den US-NATO-Imperialismus zu attackieren
und zu verurteilen, sie nennen beide nicht einmal. Auf die Vorgeschichte
und die Ursachen des Krieges gehen sie mit keinem Wort ein. Wenn man aber
die Ursachen nicht benennt und die Faktoren nicht analysiert, die zu diesem
Krieg geführt haben, wie will man dann zu einem Frieden kommen? Da bleibt
dann nur noch Friedensgesäusel ohne jede Substanz übrig. Ohne den Imperialismus
aller Seiten zu attackieren, kommt man nicht weiter und geht fehl. Das
allerdings macht auch die Vitsche nicht. Für die wiederum existiert die
Mitverantwortung des Westens, des US-NATO-Imperialismus und ihrer eigenen
Regierung nicht. Dazu weiter unten.
Weiter geht es bei Vitsche:
„Es ist eine beklemmende Täter-Opfer-Umkehr seitens der Veranstalter*innen,
die sich durch ihre Forderungen hindurchzieht und ihren Ursprung in einem
egoistischen Sankt-Florians-Prinzip zu haben scheint, das lieber des Nachbars
Haus in Flammen sieht, als dass die eigene Gasrechnung steigt. Daher ist
es auch nur konsequent, dass in ihrem Aufruf zum Ostermarsch wesentlich
öfter von den Friedensbewegten selbst die Rede ist als von den Opfern
von Krieg und Gewalt.“
Durch Wiederholung wird die angebliche Täter-Opfer-Umkehr auch nicht wahr.
Ein gewisser Egoismus allerdings, eine pazifistische Naivität, steckt
durchaus in dem Friko-Aufruf. Wie soll man zum Beispiel diesen Satz verstehen?:
„Wir wollen nicht in einem Atomkrieg sterben! Wir
wollen gesund und in sozialer Sicherheit leben, im Frieden mit den Völkern
der Welt.“
Nur „wir“ wollen das? Das ukrainische und das russische Volk wollen das
doch auch. Sie bezahlen schließlich tagtäglich den Blutzoll der imperialistischen
Machthaber, seien sie Autokraten oder Demokraten, die diesen Krieg angezettelt
haben und immer weiter schüren. Alle Völker wollen das.
Des weiteren wird bei Friko dann einiges angeführt, was „wir“ nicht wollen:
Die Ausgaben der deutschen Kriegsbeteiligung, für die „wir“ als Steuerzahler
aufkommen müssen. Die Sanktionen, weil sie uns schaden und alles teuer
machen. Und vor allem warnen sie:
„Jeder weitere Kriegstag erhöht die Gefahr eines Dritten Weltkrieges.
Alles scheint denkbar: Angriffe auf das Territorium Russlands, Ausdehnung
auf NATO-Staaten, Havarie eines Atomkraftwerkes im Kriegsgebiet, selbst
der Einsatz von Atomwaffen. Deutschland wird dann mit Sicherheit zum Schlachtfeld.“
Die Weltkriegsgefahr besteht. Aber auch hier liegt der Fokus wieder bei
Deutschland. Und was ist mit Europa? Und mit der Welt? Von Internationalismus
hat die Friko wohl noch nie was gehört. Zumindest in diesem Aufruf kommt
er so gut wie nicht vor.
Und zu guter Letzt kommt am Schluß dann der Appell:
„Wir verlangen ein konsequentes Umdenken und Handeln
der politisch Verantwortlichen entsprechend ihrem Amtseid, Schaden von
uns abzuwenden und uns zum Nutzen zu
sein.“
Auch hier liegt der Fokus wieder auf „uns“. Der Kritikpunkt des Egoismus
trifft also durchaus zu. Soll die Welt um uns herum zu Grunde gehen, Hauptsache
Deutschland hält sich raus und - mehr noch - ist nicht davon betroffen.
„Wir verlangen“ ist auch gut. Wie naiv muß man sein?! Glaubt die Friko
ernsthaft, ein Scholz, eine Baerbock, ein Hofreiter, eine Strack-Zimmernann,
ein Merz lassen sich davon beeindrucken? Sie, die sich hier tagtäglich
als Kriegstreiber betätigen und den Krieg immer weiter befeuern. Ein Habeck,
der Deutschlands Aufgabe darin sieht, dem USA-Imperialismus zu dienen
und dies auch noch öffentlich kund tut?
So kommt man weder diesem Krieg noch der Weltkriegsgefahr bei.
Der Imperialismus ist doch der Grund auch für diesen Krieg in der Ukraine.
Die USA wollen ihre Hegemonie behalten, sie sehen aber ihre Felle
wegschwimmen durch die kapitalistische Krise, durch den ökonomischen Aufstieg
Chinas und durch den wachsenden Widerstand vieler Völker gegen ihre brutale
Weltherrschaft. Bevor sie gegen China mobil machen (militärisch, ökonomisch
läuft der Krieg gegen China schon längst) gehen sie gegen Rußland vor.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion arbeiten sie daran, Rußland von
Europa zu trennen und arbeiten auf dessen Vernichtung hin. Wozu sonst
haben sie permanent die NATO-Osterweiterung vorangetrieben? Wozu sonst
haben sie alles dafür getan, die Ukraine von Rußland abzukoppeln und in
die EU und die NATO rein zu ziehen. Dabei ist das eine rein europäische
Angelegenheit, die USA haben hier eigentlich gar nichts verloren. Für
die USA ist die Ukraine nur Mittel zum Zweck. Rußland seinerseits, versucht
zwar sich dagegen zu wehren, verfolgt aber gleichzeitig selbst imperialistische
Ziele und ist erneut vom großrussischen Chauvinismus dominiert. Im Innern
wird jegliches demokratische Leben erstickt.
Die einzige Kraft, die dem Imperialismus aller Schattierungen
die Stirn bieten kann, ist der internationale Klassenkampf, die internationale
Arbeiterklasse, sind die Völker der Welt. Die soziale Revolution, die
Überwindung des kapitalistischen Systems, das auf Ausbeutung beruht und
unausweichlich immer wieder zu Krisen und Kriegen führt - das ist das,
was auf der Tagesordnung steht. Hier muß angesetzt werden, hieran muß
gearbeitet werden.
Friedensrufe und Appelle an die „politisch Verantwortlichen“ sind verlorene
Liebesmühe. Pazifismus und Naivität können tödlich sein. Man muß das Problem
an der Wurzel packen. Nicht vom Imperialismus schweigen, sondern den Imperialismus
entlarven und angreifen. Den US-Imperialismus mitsamt NATO und EU, den
russischen Imperialismus und auch den chinesischen Imperialismus. Die
alte Losung der Arbeiterklasse, Proletarier aller Länder und unterdrückte
Völker vereinigt euch, ist immer noch brandaktuell.
Kommen wir zurück zum Artikel der Vitsche.
Was wollen sie? Eins ist klar und deutlich. Sie sind keine Pazifisten.
Sie befinden sich im Krieg. Sie wollen auch den Frieden. Einen Frieden
in Freiheit und Gerechtigkeit. Dieser kann aus ihrer Sicht aber nur durch
den Sieg gegen Rußland errungen werden.
„Wie auch Serhijj Zhadan sind wir der festen Überzeugung, dass ein
Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine oder ein Ende der Sanktionen
gegenüber Russland, wie es in den Aufrufen der Friedenskooperative so
dringend gefordert wird, keineswegs zu Frieden führt.
Russland würde diesen Schritt nicht etwa als Friedenswillen, sondern als
Schwäche oder sogar heimliche Zustimmung der europäischen Gemeinschaft
begreifen. Bereits im Jahr 2014, als Russland die Krym völkerrechtlich
annektiert und den Donbas brutal besetzt hat, blieb eine klare Reaktion
der westlichen Staatengemeinschaft aus. Die Konsequenz war jedoch das
genaue Gegenteil eines dauerhaften Friedens in Europa.
Vielmehr hat Russland sein Militär seither massiv aufgerüstet und nur
auf den passenden Zeitpunkt gewartet, um zu einem neuen und noch härteren
Schlag gegen die Ukraine auszuholen.“
Das ist genau die gleiche Sichtweise, wie sie die hiesigen Kriegstreiber
an den Tag legen und deshalb die Militarisierung vorantreiben und immer
mehr und schwerere Waffen an die Ukraine liefern. Genau wie sie,
blendet die ukrainische Gruppe Vitsche die Mitverantwortung des Westens,
des US-NATO-Imperialismus und auch der ukrainischen Führung beim Zustandekommen
dieses Krieges komplett aus. Nicht zu vergessen, daß es auch
in der Ukraine einflußreichen Chauvinismus gibt, der zum Krieg getrieben
hat, mit voller Unterstützung des Westens. Was sagen sie dazu? Der müßte
genauso bekämpft werden wie der russische Chauvinismus, oder etwa nicht?
Für sie ist es Vaterlandsverteidigung. Das ist aber nur ein Aspekt dieses
Krieges. Vor allem ist es auch Betrug. Die Ukrainer kämpfen tapfer gegen
die Aggressoren, gewiß. Sie leiden enorm unter den Angriffen auf die Zivilbevölkerung.
Sie haben jeden Tag Opfer zu beklagen. Sie leiden unter Kriegsverbrechen,
die Ukraine hat aber in der Ostukraine auch selbst Kriegsverbrechen verübt,
ebenso in wiedereroberten Gebieten. Das gehört auch zur Wahrheit.
Vor allem übersieht Vitsche jedoch, daß die Ukraine für die USA lediglich
Mittel zum Zweck ist. Sie benutzen und mißbrauchen die Ukraine um Rußland
nieder zu machen und Europa einerseits auf Gedeih und Verderb mehr an
sich zu binden, gleichzeitig aber auch zu spalten und zu schwächen. Was
dabei aus der Ukraine, ja aus Europa wird, ist den USA ziemlich egal,
da gibt es genügend Beispiele aus der jüngeren Geschichte. Im
Kern ist es ein imperialistischer Krieg zwischen den USA und Rußland,
ein Stellvertreterkrieg. Die ukrainischen Soldaten werden verheizt,
wie auch die russischen Soldaten verheizt werden. Auch den russischen
Soldaten wird erzählt, sie verteidigen das Vaterland. Aber auch auf russischer
Seite ist das nur ein Teilaspekt.
Wo soll das noch hinführen? Wie lange wollen die Ukrainer kämpfen für
fremde Interessen? Selbst wenn sie Rußland aus der Ukraine vertreiben
können, was wird dann? Ist die Ukraine dann frei und gerecht? Ist die
Ukraine nicht jetzt schon komplett vom Westen abhängig und hoch verschuldet?
Bestimmen in der Ukraine nicht die Oligarchen, wo es lang geht? Ohne westliche
Unterstützung, ökonomisch und militärisch, hätten die Ukraine keine Chance.
Aber haben sie eine echte Chance auf Freiheit und Unabhängigkeit mit derselben?
Ein Gedanke kommt mir noch. In den 70er Jahren haben die USA die afghanischen
Mudjahedin finanziell und militärisch unterstützt gegen die Sowjetunion.
Auch damals hieß es, man müsse die Freiheit Afghanistans unterstützen.
Was daraus geworden ist, konnte man sehen. Könnte es der Ukraine nicht
genauso gehen?
Oder wie war es im Irak? Auch dort zogen die USA gegen einen vorgeblichen
Diktator zu Felde und wollten dem Land Freiheit und Demokratie bringen.
Was ist denn daraus geworden? Ging es den USA da um den Irak, um das irakische
Volk, oder ging es um ihre eigenen geostrategischen und ökonomischen Interessen?
---------
Anmerkung:
Kein Wunder, daß die Herrschenden den Pazifismus gerne tolerieren und
fördern und dem Volk die Gewaltfreiheit predigen - in Friedenszeiten.
Solch ein Widerstand ist ihnen nicht gefährlich. Auch zahlenmäßig riesige
Demos Anfang der 80er Jahre gegen den NATO-Doppelbeschluß konnten diesen
nicht verhindern. In Zeiten des Krieges aber ändert sich das, da ist den
Herrschenden der Pazifismus eher im Weg, weil er die Militarisierung der
Gesellschaft kritisiert und gegen die Aufrüstung Stellung bezieht. Das
ist dann schon zu viel. Die Kriegsmaschinerie muß reibungslos laufen,
das Volk hat gefälligst das Maul zu halten, zu gehorchen und zu marschieren
- alles wird dem Militarismus und den Kriegszielen der Bourgeoisie und
des Staates untergeordnet.
Man kann das sehr gut an den Grünen verdeutlichen. Jahrelang war der Pazifismus
neben dem Ökologismus ihr Kernthema. Seit 1999 aber, seit dem völkerrechtswidrigen
Krieg der USA/NATO gegen Serbien, bei dem sich besonders der damalige
grüne Außenminister Joschka Fischer als Kriegstreiber hervorgetan hatte,
hat sich das geändert. Wer diesen Schwenk damals mitbekommen hat, der
vergißt das nicht so schnell. Kaum rufen die USA zum Krieg, ist‘s vorbei
mit dem Pazifismus der Grünen. Schließlich führen die USA ja nur Krieg,
wenn es darum geht, Menschenrechte und Freiheit zu verteidigen, wenn sie
als die Guten gegen die Bösen ziehen. Dieser radikale Schwenk der Grünen
machte offensichtlich, daß sie, obwohl Sammelsurium verschiedenster Kräfte
von „links" bis rechts, im Kern eine durch und durch pro US-imperialistische
Partei ist. Nebenbei bemerkt trifft das auch auf den Ökologismus zu, es
sei hier nur der finanz-aristokratische Club of Rome erwähnt, auf den
sich der Ökologismus stark begründet. Es geht dabei keineswegs um den
Schutz der Umwelt, wie es immer suggeriert wird, es geht den US-Imperialisten
um die Bremsung der Entwicklung der Produktivkräfte, um den sozialen Fortschritt,
die soziale Revolution zu verhindern und das kapitalistische System zu
retten - koste es, was es wolle.
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