Internet Statement 2025-05

 

 

Zum kürzlichen Umsturz in Syrien

 


Wassili Gerhard
 29.01.2025

Bei dem kürzlichen Umsturz in Syrien hat sich sicher mancher die Frage gestellt, wie das so plötzlich kommen konnte. Auf einmal hieß es, das sei jetzt der Neuanfang ohne Assad und die Syrer, die hier sind, könnten in Scharen nach Syrien zurückkehren. Nach manchen öffentlichen Äußerungen sollten sie auch dazu gedrängt werden. Wie bitte? Da meldeten sich dann zum Beispiel Krankenhäuser, daß sie ohne syrische Ärzte und andere Beschäftigte nicht auskämen. Das ließ diese Stimmen weniger werden.

Bis jetzt herrschte ein Boykott gegenüber Syrien, auf jeden Fall gegenüber dem Teil, der unter der Kontrolle der Regierung von Assad stand, wo die Mehrheit der Bevölkerung lebte, ca. 70 Prozent der Einwohner Syriens. Die Regierung von Assad hatte in diesem Teil des Landes die ganze Zeit die Autorität, betrieb keine religiös parteiische Politik, und Minderheiten waren dort nicht spezifisch unterdrückt. Daß die Assad-Regierung teils auch brutale Herrschafts- und Unterdrückungsmethoden anwandte, wurde ihr sicher zu Recht zur Last gelegt, ist aber auch in anderen Regimen in der Region zu finden, und das soll in früheren Zeiten zum Beispiel die USA nicht davon abgehalten haben, unter Baschar al Assad Syrien als Ort für Folterungen zu nutzen ("extraordinary rendition"). Zu den bekanntesten Orten für diese Praxis in dieser Region gehören Ägypten, Jordanien, Marokko, Syrien und Afghanistan, wo es weniger Gesetze gegen Folter gibt oder gab.

Nach dem Irak-Krieg, der die ganze Region ins Chaos stürzte, gab es jedoch im Zuge des Feldzuges der USA gegen die Völker der Region unverhohlene Drohungen Richtung Syrien, daß sie als nächste dran sein würden.

Dagegen bestehen die Streitkräfte des jetzigen militärisch siegreichen Bündnisses Hayat Tahir Asch-Scham dem Vernehmen nach zu zwei Dritteln aus Kräften der früheren Al-Nusra-Front, deren Ursprung auf Kräfte zurückgeht, die Anfangs in einer Vorgängerorganisation von ISIS waren und dann zu Al-Qaida übergingen, was ihnen allerdings den Hass des IS eintrug. Missliebigen Kräften die Kehle durchzuschneiden, war bei beiden nicht unüblich. Auffällig war dabei, daß zeitweilig Kämpfer von Al Nusra in Israel medizinisch versorgt wurden, später fand das vor Ort in Syrien statt, wie die englischsprachige Times of Israel berichtete. In den USA sind sie offiziell noch immer als „terroristische Organisation“ eingestuft und auch die EU und die Bundesrepublik kennen sie nicht offiziell als legitime Vertretung Syriens an, sondern seit Dezember 2012 eine Gruppierung namens "Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte", vielfach im Exil aktiv, die aber keinen so großen Einfluss in Syrien selbst zu haben scheint.

Daß mancher im Gebiet der Assad-Regierung teils auch erleichtert auf den Sturz Assads reagiert, ist sicherlich auch der Hoffnung geschuldet, daß der fast schon eineinhalb Jahrzehnte dauernde Wirtschaftsboykott jetzt vielleicht aufhört, unter dem natürlich die Menschen dort schwer gelitten haben, mit großer Inflation, Verarmung, Arbeitslosigkeit, humanitärer Krise und einer Kriegswirtschaft, wo Ressourcen vorwiegend für das Militär verwandt wurden. Aber das wird sicher auch von der weiteren Entwicklung abhängen, die keineswegs so sicher vorauszusehen ist.

Die angeblichen Kriege der USA und des Westens im Namen der Demokratie in Syrien, Irak und Libyen, die eher als Feldzüge gegen Völker zu sehen sind, die sich aus kolonialer Herrschaft befreit haben und deren Regime noch in einer Kontinuität damit stehen, haben vor allem Verheerung hinterlassen, weil sie die Gesellschaften nur in Chaos und Zerstörung, bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Stämmen, Clans und Milizen geführt haben, statt „Demokratie einzuführen“. Schließlich ist es vor allem die Aufgabe der dortigen Bevölkerung selbst, eine Änderung der politischen Kultur herbeizuführen. Ausländische Imperialisten sind dazu ungeeignet und führen solche Dinge auch nur im Munde.

So auch in Syrien. Kenner der dortigen Gesellschaft haben frühzeitig erklärt, daß es sich in Syrien um eine Gesellschaft handelte, die in verschiedene ethnische, religiöse und kulturelle Gruppen, Clans und Stämme aufgeteilt war. „Kurden, Araber, Türken, der Glaubensgemeinschaften wie Muslime, Christen, Juden, Êzîdi, Schiiten etc.“ (Zitat Nilüfer Koç, Ko-Vorsitzende des Kurdischen Nationalkongresses, einer Plattform der kurdischen Diaspora in Brüssel. Siehe auch eine Schrift der bpb „Gesellschaftliche und sozioökonomische Entwicklung Syriens“. ) Sie sagten die Herrschaft der sunnitischen Islamisten voraus, wenn Assad durch sie beseitigt würde.

Assad und viele seiner wichtigen Mitarbeiter kamen aus den Reihen der Alaviten, einer eher moderneren Bevölkerungsgruppe, die zu einer schiitischen Minderheit innerhalb der Muslime gehört, die im antikolonialen Kampf eine besondere Rolle gespielt hat und innerhalb derer es verhältnismäßig viele Menschen mit einem hohen Bildungsstand gibt, nicht zu verwechseln mit den Aleviten in der Türkei. Das gestürzte Baath-Regime im Irak und das in Syrien sind beides säkulare Regierungen gewesen, die entgegen der gängigen Verleumdungen keinen einseitig konfessionellen Charakter trugen. Beide Baath-Regime, gingen also im Ursprung auf die Bestrebungen zur nationalen Einheit der arabischen Völker zurück, waren säkular und nicht religiös. Islamisten als führende Kraft können sich als Sprengsatz für die ethnische und religiöse Vielfalt erweisen und das Land zerreißen.

Die Alaviten werden jetzt in unseren Medien vorzugsweise nur als brutale Minderheit dargestellt, die die Mehrheit barbarisch unterdrückte. Doch man wählte in der Vergangenheit nach schweren inneren Auseinandersetzungen vorzugsweise Menschen aus den Reihen der Alaviten für die Rolle einer unparteiischen Kraft gegenüber den verschiedenen Gruppierungen, vor allem gegenüber den Clans der sunnitischen Moslems, der größten Gruppe, und den anderen Gruppen. Sie sind auch selbst als Minderheit auf diese Balance angewiesen. Diese wurde gestört, als nach dem Irakkrieg hunderttausende radikalisierte sunnitische Moslems aus dem Irak in das Land strömten, Kräfte von außen sich einmischten so z.B. die Saudis, von denen die durch die Flüchtlinge erheblich angewachsene sunnitische Mehrheit angestachelt wurde, aus deren Reihen nun Kräfte ihrerseits die Dominanz anstrebten.

Im Grunde aber hatte die Assad-Regierung die Balance der verschiedenen ethnischen Gruppen, Religionen und Clans in Syrien in jüngerer Zeit nicht mehr garantieren können, und es sah nicht so aus, als wenn das alte Syrien wiederhergestellt werden konnte, was ja wohl auch das Kalkül der USA gewesen war. Sie kämpfte immer mehr nur für den Erhalt der eigenen Stellung in einem Teil des Landes. Dazu hatten sie selbst Russland und den Iran ins Land geholt und wurden von deren Beistand abhängig, der natürlich auch nicht uneigennützig war. Und es gab auch keine Bereitschaft seitens dieser Unterstützerkräfte, sich mit der Türkei anzulegen, die doch die islamistischen Kräfte fördert und sich militärisch einmischt. Aufgrund der Schwächung des Iran in jüngerer Zeit, der Kriege in Gaza und Libanon, der Schwächung der Hisbollah, zieht sich der Iran zurück und Russland konzentriert sich eher auf den Krieg in der Ukraine und Russland. Eine weitere Front in Syrien können sie derzeit nicht gebrauchen. Eventuell hat man Russland sogar signalisiert, daß die Beseitigung seines Stützpunktes in Syrien nicht mit ansteht, worum es ihnen sicher nicht wenig gegangen war. Auch den Kampfeswillen der Armee war untergraben.

Eigentlich hatte es ja für die Assadregierung in letzter Zeit in der Region teilweise wieder etwas besser ausgesehen. Im Mai 2023 war Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen worden, nachdem es 2011 ausgeschlossen worden war. Aber mit der Schwächung des Iran und der Hisbollah durch die Israelischen Kriegszüge in Gaza und Libanon und mit dem Krieg in der Ukraine, sah es für Assad wieder schlechter aus.

Es muss in letzterer Zeit hinter den Kulissen eine emsige Aktivität und Absprachen verschiedenster Kräfte gegeben haben, daß dieser Feldzug von Hayat Tahir Asch-Scham, der jetzt in dieser kurzen Zeit so erfolgreich verlaufen konnte, nun in Szene gesetzt wurde. Tatsache ist, daß diese bewaffneten Kräfte heute gut ausgerüstet und ausgebildet sind und in dem Gebiet von Idlib, wo sie offensichtlich in den letzten Jahren unter einem türkisch-westlichen Schutzschirm die Kontrolle über etwa 4 Millionen Menschen hatten und ein islamistisches Regime errichten konnten, das seinen brutalen Charakter etwas äußerlich aufpoliert hat, sich gründlich auf den Kampf um die Übernahme der Macht vorbereiteten konnten - und sicher auch von außen beraten und vorbereitet wurden. Vielleicht wollte auch die Biden-Regierung die Situation nutzen, ein Projekt vor den Wahlen zum Abschluss zu bringen. Von Trump, der sich in der letzten Amtszeit mehr aus Syrien zurückgezogen hatte, ist allerdings auch nichts Gutes für Syriens zu erwarten. Siehe sein brutaler Vorschlag, den größten Teil der Palästinenser in Gaza nach Jordanien umzusiedeln.

Was die Unterstützung von außen betrifft, steht die Türkei dabei sicher an einer vorderen Position. Über von ihnen unterstützte Milizen sollen modernste Waffen gekommen sein. Im letzten Jahr gab es zudem auch Meldungen, daß 250 Spezialisten aus der Ukraine einreisten, um Spezialkräfte für den Krieg mit Kampfdrohnen auszubilden und den Aufbau einer eigene Drohnenproduktion zu fördern, Zusammen mit zivilen Gütern wurden auch Bauteile für Drohnen eingeführt. Diese Drohnen sollen für besonderen Schrecken bei den Regierungstruppen gesorgt haben, die auf die Abwehr solcher Waffen nicht vorbereitet waren . Hayat Tahir Asch-Scham hatte sogar eine eigene Militärakademie für Eliteeinheiten. Das wird nicht alleine von ihnen aufgebaut worden sein. Daß es auch Absprachen mit Israel gab, sieht man schon daran, wie ruhig auf die Bombardierungen Syriens durch die israelische Luftwaffe reagiert wurde, so der neu eingesetzte Gouverneur der Miliz in Damaskus: “Israel hat vielleicht Angst gehabt“, ... “Also ist es ein bisschen vorgerückt, hat ein wenig bombardiert und so weiter.“ Bombardiert wurden Waffenlager, Rüstungsfabriken Schiffe, schwere Waffen u.ä., im Grunde das ganze schwere Militärpotenzial der Armee Syriens. Und Israel besetzt aktuell nach den Golanhöhen, die es völkerrechtswidrig annektiert hat, weiteres syrisches Territorium, während es sich herausnimmt, militärisch in Syrien zu agieren, wie es will.

Wenn man sich alleine diese Zusammenhänge ansieht und in Betracht zieht, daß die islamistische Opposition schon von Anfang an nach ausländischer Einmischung rief - was ist das für eine Opposition, die nach imperialistischer Einmischung verlangt? Da muss man doch mit allergrößter Skepsis auf die Entwicklung sehen, auch wenn die Führung der Islamisten sich als tolerante Kraft zu präsentieren versucht, und das tun anscheinend zu Recht auch viele Syrer hierzulande. Die Islamisten im Mittleren Osten haben seit langer Zeit eine negative Haltung gegenüber der arabischen Nationalbewegung eingenommen, weil sie eher eine Gemeinschaft der Muslime anstreben, als unabhängige arabische Staaten. Die Muslimbrüder zum Beispiele arbeiten mit jedem zusammen, wenn es für sie einen Fortschritt auf diesem Weg verspricht. Wenn es aber eine fortschrittliche soziale Entwicklung geben soll, dann sind unabhängige säkulare Staaten oder Staatenbünde, gerade in Staaten, die so viele ethische und religiöse Widersprüche aufweisen, eine notwendige Voraussetzung, um soziale Kämpfe frei im Inneren austragen zu können. Theokratische Regime können nicht demokratisch sein.

 

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