Gastbeitrag in neue-einheit.com      

 

Samy Yildirim:

Wie "konkret" die Kurve kriegte

                                     - in die falsche Richtung


Seit seiner Wende 1989/90/91 steht "konkret" auf der anderen Seite der Barrikade. Diese Wende kam genauso unverhofft wie der Regen ohne Wolken kommt. Man kann es sich einfach machen und sagen, dass Gremliza niemals etwas anderes war als ein linksbürgerlicher Intellektueller, und "konkret" niemals etwas anderes als ein linksbürgerliches Blatt. Ab einem bestimmten Alter wird dann das "links" immer kleiner und das "bürgerlich" immer grösser. Dies ist durchaus zutreffend, doch würden wir gerne wissen, wie etwas zustande kommt. Wir könnten daraus etwas lernen - sowohl, um uns einen Reim auf Vergangenes zu machen, als auch, um uns Gegenwärtiges besser erklären und uns selber auf mögliches Zukünftige besser vorbereiten zu können.

Wir werden daher im Folgenden etwas über "konkret" vor der Wende von 1989/90/91 feststellen, und dies bezieht sich sowohl auf solche Artikel, die heute nicht mehr in "konkret" erscheinen könnten, als auch auf Artikel, welche zeigen, dass "konkret" schon vor 1989/90/91 gewisse Schwächen in seinen Anschauungen hatte, die dann schliesslich zum Wechsel der Seite der Barrikade führten. Dabei werden wir die Tatsache berücksichtigen müssen, dass es bei "konkret" kein "Wir" gibt, "ausser als Pluralis Majestatis für den, der seit 1974 in letzter Instanz immer alles entschieden hatte", wie es Herrmann L. Gremliza im Disput gegen Jürgen Elsässer Anfang 2002 ungewollt deutlich ausdrückte.

Ich werde zunächst etwas über die Geschichte von "konkret" mitteilen. Mitte der Fünfziger gab es in der alten BRD verschiedene Debatten, so auch um Wiederbewaffnung und Westintegration. In diesem Zusammenhang sollte man denken an die Tageszeitung "die tat" oder etwa an "Das Plädoyer" (Februar 1955), das seine Fortsetzung fand im "Studentenkurier" (1955-1957), aus welchem dann das alte "konkret" hervorging, welches von Röhl (mit Zuwendungen seitens der DDR) herausgegeben wurde. Zeitweise war Ulrike Marie Meinhof die Chefredakteurin des Röhl'schen "konkret", und mit Röhl liiert, von dem sie Zwillinge bekam (Bettina und Regina Röhl).

Mitte der Sechziger hörten die Zuwendungen aus der DDR auf, was verschiedene Gründe hatte, unter anderem die beginnenden Chefallüren von Röhl. Um die Zeitung finanzieren zu können, öffnete Röhl sein "konkret" für Porno-Inserate, was sich freilich mit dem linken und aufklärerischen Anspruch nicht vertrug. Seit Anfang der 1970er geriet "konkret" in immer grössere Nöte: den Linken waren die Pornoseiten verdächtig, und den Inserenten "aus der Wirtschaft" gefiel das sog. "redaktionelle Anzeigenumfeld" nicht. Weder die Trennung der Redaktion vom Verleger Röhl noch die Umstellung auf 2-wöchige Erscheinungsweise konnte das Blatt letztlich retten; im November 1973 wurde Konkursantrag gestellt.

Der Journalist Hermann L. Gremliza (Jahrgang 1940) hatte zuerst beim "SPIEGEL" als Redakteur angeheuert. 1969 hatte Wily Brandt in seiner Regierungserklärung "Mehr Demokratie wagen!" gefordert. Natürlich war dies nicht so recht ernst gemeint; schliesslich war Brandt Sozialdemokrat und der eigentliche Verantwortliche etwa für den sog. "Radikalenerlass" (1972). 1971 wollten einige "SPIEGEL"-Redakteure tatsächlich "mehr Demokratie wagen", unter ihnen auch Gremliza. Wie in einem zentralen Land des Imperialismus nicht anders zu erwarten, wurde daraus nichts. Der "SPIEGEL"-Verleger und -Herausgeber Rudolf Augstein (FDP) setzte die Aufrührer kurzerhand an die frische Luft; die anderen Redaktionsmitglieder wurden mit einer Gewinnbeteiligung eingekauft; von Mitbestimmung über die redaktionelle Linie hörte man seitdem nichts mehr beim "SPIEGEL".

Mittlerweile hat sich auch beim "SPIEGEL" ein grosser Kreis geschlossen: der "SPIEGEL" macht heute offen Front gegen das Grundgesetz von 1949, das in der Tat ein Klassenkompromiss war und aus jener Zeit stammte, da die noch sozialistische Sowjetunion eine achtunggebietende Macht war. Das kennt man von jedem Maskenball: irgendwann fallen die Masken, und die wahren Fratzen kommen zum Vorschein. Dann wird es richtig gruselig.

Herrmann L. Gremliza seinerseits startete 1974 eine zweite Karriere als Verleger und Herausgeber des neuen "konkret", das seitdem unter seiner Regie erscheint. Anfang der Achtziger versuchte Gremliza, sein "konkret" zu einer "partei-unabhängigen linken Publikumszeitschrift" (so Gremliza auch heute noch) zu machen. In diesem Zusammenhang sind zu sehen: die Umstellung auf das neue Format (ab März 1982), die Anstellung von Manfred Bissinger, dem früheren Hamburger Senatssprecher, als Chefredakteur (Anfang 1982 bis Anfang 1984), die Ausgabe von Sonderheften ("Sport" 1982 und "Atomkrieg" 1983) sowie einiger Reihen, von denen "Literatur konkret" als einzige bis heute überlebte. Zu dieser Zeit (Jahreswechsel 1982/83) stiess ich zu "konkret"; ich war damals noch minderjähriger Schüler und auf der Suche nach Antworten auf Fragen, die ich mir seit geraumer Zeit stellte.

Nachdem Anfang 1984 Manfred Bissinger "konkret" verlassen hatte, machten Gerüchte die Runde, "konkret" laboriere am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Um diesen Gerüchten entgegenzutreten, startete Gremliza ein interessantes Experiment: anderthalb Jahre lang wurde der "konkret"-Kulturteil jeweils von einer Person verantwortet. Diese Person war zunächst (März bis Juni 1984) Wolfgang Pohrt, dann (Juli bis September 1984) Hermann Peter Piwitt, danach (Oktober 1984 bis Januar 1985) Christel Dormagen, weiter (Februar bis Mai 1985) Günther Amendt, schliesslich (Juni bis August 1985) Ernst Kahl und Horst Tomayer.

Das Experiment endete dann, der Kulturteil wurde wieder wie früher gestaltet, es blieb "das konkretchen" (eine im Stile von Kinderbüchern gehaltene Rubrik von Kahl/Tomayer), und ab September 1985 kostete "konkret" DM 6,-- statt DM 5,--. Der Preis konnte bis Ende 1989 gehalten werden. Zu dieser Zeit entschloss ich mich, "konkret" nicht mehr am Kiosk zu kaufen, sondern es zu abonnieren.

Was die Gerüchte um die finanzielle Lage von "konkret" anbelangt, so ist es interessant, zu beobachten, dass "konkret" im Laufe der Zeit immer weniger Seiten umfasste. Hatte "konkret" noch Mitte der Achtziger über hundert Seiten pro Ausgabe, so sind es seit 1992 nur noch 64 Seiten. Erneut machten Gerüchte der genannten Art die Runde, als es zum Jahreswechsel 1987/88 erneut zu Veränderungen in der Redaktion kam.

Beide Male wurden die redaktionellen Veränderungen überschattet durch von "konkret" provozierte Affären, die überdeckten, dass die einmal aus "konkret" ausgeschiedenen Personen niemals wiederkamen, und auch niemals wieder in "konkret" publizierten. Die Redaktion wurde beide Male nachhaltig ausgedünnt. Röhl redivivus.

Diese beiden Affären sind es wert, näher betrachtet zu werden, was ich weiter unten tun werde. Ihre Bedeutung als Etappen des Weges wird dann klar werden.1983/84 war es die "Affäre Kommissar", 1987/88 die "Affäre Wallraff".

Beide Male war die jeweilige Affäre nur der Höhepunkt einer Wende bei "konkret", welche sich als nachhaltig herausstellten sollte, zuerst im Kulturteil (das Experiment überdeckte dies seinerzeit eine Weile), dann auch im Politikteil. Die von vielen wahrgenommene Wende von "konkret" 1989/90/91 hätte also nicht überraschen sollen. Eine Gossweilers "Taubenfuss-Chronik" nachempfundene Darstellung der seinerzeitigen Vorgänge in und um "konkret" macht dies klar. Im Rahmen dieses Artikels wird eine Art "Taubenfuss-Chronik" für das "konkret" der Achtziger gegeben werden.

Selbst in seinen besten Jahren - Mitte der Achtziger - war "konkret" nicht imstande, gewisse Fakten darzulegen, wie etwa die Zusammenarbeit zwischen NS-Regime und Zionisten oder die Zusammenarbeit von USA und Nach-Stalin-UdSSR bei der Bevormundung der sog. "Dritten Welt". Stattdessen wurde in DKP-Manier eine heile Welt des Realsozialismus vorgegaukelt, was im Gefolge der Gorbatschowtschina naturgemäss zu gewissen Verwirrungen bei "konkret" und seiner Lesergemeinde führte. Dies zu berücksichtigen hilft beim Verständnis, warum die Wende bei "konkret" 1989/90/91 so reibungslos durchgeführt werden konnte, und viele "konkret" auch heute noch für links halten.

Ich werde im Kommenden einige Punkte aufzählen, die im heutigen "konkret" eine wichtige Rolle spielen, und fragen, wie sich "konkret" vor seiner Wende 1989/90/91 dazu geäussert hatte. Es sind im wesentlichen: Antisemitismus, Antiamerikanismus, Antistalinismus, Beurteilung des sozialistischen Experiments 1917-1991, Allgemeines zu dem, was unter "links" zu verstehen ist.

Den Anfang mache ich mit der gezinkten Antisemitismus-Karte, die heute sehr schnell und von vielen gezogen wird. Heute ist es so, dass jeder Gegner der herrschenden Weltordnung als "Antisemit" bezeichnet wird, und damit sind er und seine Argumente dann "erledigt". Die Beweislast wird nicht bloss umgekehrt; es erübrigt sich, den Vorwurf zu erörtern - und gar: ihn zu prüfen, gegebenenfalls als falsch zu verwerfen -, sondern das Erheben des Vorwurfs gilt als sein "Beweis"; man "weiss" schon, dass der Vorwurf stimmt, denn er muss stimmen, denn er ist erhoben worden. Plausibel, also wahr; beschuldigt, also schuldig. Die Umkehrung der praesumtio innocentiae (die für den Rechtsstaat charakteristische Unschuldsvermutung betreffend den Angeklagten; die Beweislast liegt beim Ankläger, nicht beim Angeklagten) zeigt, welchen Geistes Kind die sind, welche solcher Art "argumentieren".

Diese Methode ist menschenverachtend und demokratiefeindlich, so dass von daher schon klar ist, was für einen Charakter man haben muss, um so "argumentieren" zu können, ohne sich zu schämen. Diese Methode wurde von Hitler ausgiebig und meisterlich praktiziert; nur sagte Hitler nicht "antisemitisch", sondern "jüdisch" bzw. "verjudet", wenn er sich um eine Auseinandersetzung auf der Sachebene herumdrücken wollte. In "konkret" gab es in den Achtzigern drei Personen, die so vorgingen: Eike Geisel (1997 verstorben), Wolfgang Schneider (seit 1991 verantwortlicher Redakteur bei "konkret"), und Wolfgang Pohrt.

(Letzterer hatte sich in einem Interview, abgedruckt im "konkret" vom Oktober 1998, sehr selbstkritisch geäussert; ich hatte ein solches Mass an Selbstkritik von Pohrt nicht erwartet. Wörtlich sagte er, mit Blick auf das angebliche "Vierte Reich", das mit der Wiedervereinigung gekommen sei, sowie den von ihm immer wieder behaupteten Antiamerikanismus und Antisemitismus wahlweise "der Deutschen" bzw. "der Linken": "Ich fürchte, wir haben uns damals geirrt." Und weiter: "Blinder Eifer schadet nur." Im Hinblick auf die Nationale Frage erklärte Pohrt sogar: "... denn es stimmt ja, was man uns immer erzählt hat, dass mit der Wiedervereinigung ein unnatürlicher Zustand zu Ende ging und die Teilung nicht normal war." Es fällt schwer zu glauben, dass dieser Pohrt 1990/91 in "konkret" eine Studie in Anlehnung an Adornos "Authoritarian Personality" (1950) vorgestellt hatte, in welcher er unter anderem allen, die sich seiner pauschalen Verdammung der Wiedervereinigung nicht anschliessen wollten, attestierte, verkappte Nazis zu sein. Schliesslich gab er noch zu, dass die USA sich anmassen, die Herren der Welt sein zu wollen, und in den USA sich ein Herrenmensch-Bewusstsein breitmacht. Kein Wunder also, dass man seitdem so wenig von Pohrt in "konkret" lesen konnte. Kein Wunder auch, dass Jürgen Elsasser, welcher in den Neunziger auf Pohrts Spuren gewandelt hatte, und 2001 und 2002 wiederholt mit Selbstkritik an die "konkret"-Leser herangetreten war, inzwischen bei "konkret" gefeuert wurde.)

Bemerkenswert ist, dass diese Methode damals von einigen in "konkret" auch entlarvt wurde, so auch von Gremliza selbst, etwa in seiner Analyse der Pohrt'schen Argumentationsmuster (Juni 1984), oder in seiner Kolumne "Siech im Volkskriech" (Juli 1984) oder im ohne Nennung des Autoren verbliebenen Artikel "Kritik als fauler Zauber" (Juni 1985). Diese Artikel lesen sich wie eine Kritik des heutigen "konkret". Immerhin war man einmal so weit gewesen ...

Gremliza bescheinigte Pohrt damals, dass dieser zu viel von "den Deutschen" und zu wenig von Klassen spreche. Dessen macht sich "konkret" heute allenthalben schuldig. Dass Gremliza seinerseits ein antideutscher Rassist ist, hätte man schon früher merken können, etwa in seinem Artikel "Dreggers Bruder" (Juni 1985) oder in seinen Kolumnen wie etwa "Nationale Schmach" (Oktober 1984), "Fronkreich, Fronkreich" (November 1985 - der Titel bezieht sich auf das alberne Lied, mit dem die Kölner Karnevalsgruppe "De Black Föss" im Sommer 1985 grossen kommerziellen Erfolg hatte), "Hier bedient Sie Herr Kohl" (Dezember 1986), "Einige Grenzen" (Oktober 1987), "Wesen (deutsch)" (Februar 1988), "Lechts und rinks" (April 1988) oder "Scheiss Deutschland" (Oktober 1990). Was Gremliza damals "den Deutschen" attestierte (ohne jedwede Begründung und Differenzierung), das würde, auf "die Amerikaner" oder "die Juden" bzw. "die Israelis" bezogen, den Vorwurf des Antiamerianismus bzw. des Antisemitismus auf sich ziehen, und dann zu Recht.

Gremliza beschuldigte "die Deutschen" in den genannten Kolumnen, eine nimmersatte Volksgemeinschaft zu sein, welche nun einmal gerne Kriege beginnen, Völkermorde begehen und die ganze Welt kontrollieren möchte, und die daher für alle Zeit geteilt und unter Kontrolle der Allliierten bleiben solle. Sein Artikel "Ami stay here" (Juli 1989) kam daher nicht überraschend, hätte jedenfalls nicht überraschen sollen; er forderte die USA auf, von ihrem Besatzerrecht brutalst möglich gegen "Die Deutschen" Gebrauch zu machen. Dass Hitler ausländische Finanziers hatte, dass insbesondere Henry Ford und Sir Henry Deterding von Royal Dutch / Shell schon 1921 mit dem Gross-Sponsoring der NSDAP begonnen hatten, wurde in "konkret" niemals mitgeteilt.

(Hier ist der Platz für eine Bemerkung zu der von den "Antideutschen" als wahr unterstellten These, Deutschland sei besonders schlimm. Dass diese These niemals begründet wird, versteht man, wenn man sich selber eine Begründung überlegt. Es gibt schon eine, doch ist diese nicht präsentabel - jedenfalls nicht, wenn man als Linker durchgehen will. Diese Begründung geht so: Deutschland gehört zu den sog. "verspäteten Nationen": die deutsche nationale Einigung fand erst im 19. Jahrhundert statt, als die nationale Einigung in anderen westeuropäischen Ländern schon jahrhundertealte Tatsache war. (Zudem war sie nicht komplett: die sog. "klein-deutsche Lösung", von Bismarck bis 1870/71 mit Gewalt durchgesetzt, war 1848/49 von den Rechten in der Frankfurter Paulskirche favorisiert worden. Marx/Engels hatten präsize begründet, warum Linke die sog. "gross-deutsche Lösung" zu favorisieren haben.) Infolgedessen kam der deutsche Imperialismus bei der kolonialen Aufteilung "Ausser-Europas" (wie die Erde ausserhalb Europas von Europas Herrschenden genannt wird) zu spät und also zu kurz. Infolgedessen verübte der deutsche Imperialismus seine Verbrechen überwiegend in Europa, sodass also zu seinen Opfern überwiegend Weisse gehörten. Wer nun insgeheim der rassistischen Meinung ist, dass Weisse etwas Besseres seien als Nichtweisse, mithin an Weissen verübte Verbrechen schwerer wögen denn an Nichtweissen verübte Verbrechen, der kann daraus nur den Schluss ziehen, dass Deutschland besonders schlimm sei. Konsequenterweise erachten die "Antideutschen" denn auch "1776" für wichtiger als "1789", denn die Losung von "1789" ist Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit, und die oben durchgeführte Betrachtung geht von der Ungleichheit von Weissen und Nichtweissen aus; demgegenüber waren wichtige Vertreter von "1776", wie etwa Thomas Jefferson oder George Washington, Sklavenhalter, was in "konkret" nur in den beiden Interviews von Heinz Dieterich mit Noam Aram Schomsky, September 1985 und August 1986, zu lesen war. Man lese die Anfang 2002 in "konkret" ausgetragene Kontroverse zwischen Elsässer und Kunstreich-von der Sacken-Uwer-Jacob unter diesem Blickwinkel.)

Heute gilt es in "konkret" als "Beweis" einer deutsch-völkischen, antiamerikanischen und antisemitischen Einstellung, wenn man wahrheitsgemäss daran erinnert, dass Deutschland in der Zeit der Teilung eher Objekt denn Subjekt des Staatenrechts war; man denke nur an den sog. "Bonner Vertrag", auch "Deutschland- Vertrag" oder "Generalvertrag" genannt, vom 25. Mai 1952. Gremliza selbst hatte diesen Umstand in seinem Artikel "Popanz Grundgesetz" (Dezemer 1983) ausgiebig referiert. In seiner Kolumne "Stars an Strippen" (Dezember 1983) hatte er sogar erklärt, dass die USA sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine ihnen ergebene Generation von Politikern und Gewerkschaftsführern herangezogen habe, um die BRD besser kontrollieren zu können. Derlei Erkenntnisse stehen im heutigen "konkret" unter Antiamerikanismus-Verdacht.

Gewissermassen als "Bibel" des vermeintlich linken Anti-Antisemitismus gilt spätestens seit 1989 das Buch "Der Ewige Antisemit" von Hendryk M. Broder, erschienen Anfang 1986. Scheinbar drehte Broder das antisemitische Stereotyp des "Ewigen Juden" nur um. Dieses ist christlichen Ursprunges und besagte, dass die Juden, weil sie den Messias nicht erkannt und sogar - Judas! - "verraten" hätten, nun nicht mehr das "auserwählte", sondern das "verfluchte" Volk seien, und dies in alle Ewigkeit. Man lese sich unter diesem Blickwinkel die Evangelien, insbesondere von Markus und Matthäus, durch.

Tatsächlich geht die Sache jedoch tiefer, denn zu den 613 mizwot (= religiöse Pflichten des Judentums) gehört es, der "Untaten Amaleks" zu gedenken, und schliesslich in allen Nichjuden potentielle Amalektiter zu sehen. Da aber Amalek ausgerottet gehört, ist der genozidale und imperiale Impuls des Judentums originär. Er bedroht heute vor allem die Palästinenser, denen von verschiedenen zionistischen Extremrechten attestiert wurde, dass "der Ewige Amalek" sich in ihnen erhalten habe, weswegen die Ermordung bzw. Vertreibung aller noch zwischen Mittelmeer und Jordan verbliebenen Palästinenser ein Gebot des Judentums sei. Mit den Palästinensern sei so zu verfahren, wie seinerzeit mit den Kanaanitern: das Buch Josua beschreibt, wie nach dem Tode des Moses die Israeliten sich einen neuen Anführer wählten, den Josua nämlich, unter dessen Führung sie die Kanaaniter angriffen und völlig ausrotteten. Bewertet man die Bibel strafrechtlich, so hat man hier ein Bekennerschreiben vor sich; es handelt von Verschwörung gegen den Frieden, Planung und Durchführung eines Angriffskrieges sowie Begehen eines Genozides. Es sei allerdings mitgeteilt, dass derlei häufiger vorkam im Alten Orient; die diesbezüglichen "Champions" dürften die Assyrer gewesen sein.

Wer diese Informationen nicht hat, der wird bei Broders Titel an den NS-Film aus dem Jahre 1942 denken. Es handelt sich also bei diesem Titel um ein Meisterstück der arglistigen Täuschung ahnungsloser Mitmenschen. Nun wurde dieses Buch von Herrmann Peter Piwitt in "konkret" (Juli 1986) besprochen. Bedaürlicherweise kamen die von mir mitgeteilten Fakten nicht zur Sprache. Immerhin erwähnte Piwitt aber, dass Broder dem Grafen Richard Nikolaus von Coudenhove-Calergi (1894-1972) bescheinigte, kein Antisemit gewesen zu sein, und dafür drei Gründe nannte: adeliges Pflichtgefühl, bürgerliche Bildung und christliche Menschenliebe. Wenn man also im heutigen "konkret" Artikel um Artikel gegen die Linken und die Werktätigen liest, welche von bürgerlichem Klassendünkel durchdrungen sind, so darf einen dies nicht wundern: Broder hatte es vorgemacht.

Was die "christliche Menschenliebe" anbelangt, so verweise ich auf die Jahrhunderte währende Verfolgung der Juden durch die Christen, während die Juden unter den Moslems nichts zu fürchten hatten. Bezeichnenderweise gab es allgemeine Judenaustreibungen in England 1290, in Frankreich 1394, in Spanien 1492 und in Portugal 1497, aber in keinem moslemischen Lande. Im Gegenteil: das mittelalterliche Spanien war ein Land, wo Juden, Christen und Moslems friedlich zusammen leben konnten. Die bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters kamen aus Spanien, wie etwa Maimonides oder Nachmanides.

Die jüdische Diaspora (= "Verstreuung") begann mit Kaiser Hadrian (regierte 117-138 das Römische Reich), der eine römische Siedlung, Aelia Capitolina, an Stelle des jüdischen Jerusalem errichtete und den Juden mitteilte: "Hierosolima est perdita." (= "Jerusalem ist - für Euch Juden - verloren.") Da Hadrian den von seinem Vorgänger Trajan begonnenen Feldzug gegen die Parther abbrach und im Gegenzug für die Rückgabe Mesopotamiens Geld und einen langjährigen Friedensvertrag aushandeln konnte, gilt er als "Friedenskaiser". Die Juden dürften das etwas anders sehen. Kaum hatten die türkischen Seldschuken 1070 das sog. "Heilige Land" erobert, wurde den Juden der Zuzug insbesondere nach Jerusalem - seit Hadrian verboten - erneut gestattet. Als 1100 die christlichen Ritter des Ersten Kreuzzuges Jerusalem eroberten, verübten sie als erstes ein Pogrom unter den Juden. "konkret" schweigt beharrlich über diese Dinge. Dies tun die Schulbuchautoren zwar auch, doch treten diese nicht als Linke auf.

(Was den Grafen Richard Nikolaus von Coudenhove-Calergi (1894-1972) betrifft, so kämpfte dieser jahrzehntelang unter der Losung der "Vereinigten Staaten von Europa" für ein "Vereinigtes Europa", welches sich gegen die USA genauso wie gegen die europäischen Werktätigen richtete. Konsequenterweise erhielt er im Jahre 1950 den allerersten Aachener Karlspreis überhaupt; er hatte ihn sich redlich verdient. In "konkret" wurde sein Name nur in Piwitts 1986-er Rezension erwähnt, wenngleich seine Aktivitäten unerwähnt blieben. Aber mehr ist auch nicht zu erwarten von einer Zeitschrift, die von Lenins Artikel "über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa" niemals etwas gehört zu haben scheint.)

In "konkret" wurden diese Fakten, betreffend das Verhältnis von Juden und Christen, niemals erwähnt, noch nicht einmal im März 1988, als "konkret" das Schwerpunkt- und Titelthema "Christentum: 2000 Jahre sind genug" hatte. Was die Piwitt'sche Kritik an Broder anbelangt, so war sie einigen Leuten zu viel. Im "konkret"-Heft vom August 1986 wurden zwei Leserbriefe abgedruckt, einer von Wolfgang Pohrt, in welchem Piwitt des Antisemitismus geziehen wurde; schliesslich hatte er es gewagt, ein von einem Juden geschriebenes Buch zu kritisieren. Selbstverständlich gingen die Leserbriefschreiber nicht ein auf das, was Piwitt zur Sache gesagt hatte; stattdessen wurde in Freud'scher Manier spekuliert, was Piwitt denn wohl gemeint haben könnte.

Um es einmal klar zu sagen: Psychoanalyse (und verwandte "Ansätze") verhalten sich zu wissenschaftlicher Psychologie so wie Astrologie zu Astronomie und Alchemie zu Chemie. Wer keine Fakten kennt, und sich auch nicht die Mühe machen will, welche in Erfahrung zu bringen, der denkt sich halt eine Räuberpistole aus, und macht viel Aufhebens darum. Wenn man partout irgendwo etwas "sehen" will, dann "sieht" man es dort auch.

Genau so sind die Sternbilder entstanden: man meinte, etwas am Himmel zu "sehen", und "sah" es fortan dort auch. Dann fing man an, dem, was man dort "sah", irgendeine Bedeutung zuzuschreiben; das ist dann Astrologie. Man "begründet" seine Auffassungen dann damit, dass man ja etwas "gesehen" hat, und also an den "Theorien" etwas Wahres sein muss, denn diese gehen davon aus, das da etwas zu "sehen" ist.Mit hinreichend Alkohol im Blut kann man tatsächlich etwa das Flügelross oder den Delphin sehen. Ein geschlossenes Wahnsystem haben wir hier vor uns.

Der Wechsel von "konkret" auf die andere Seite der Barrikade war konsequent: schliesslich wuchs zusammen, was zusammen gehörte. In der Klassengesellschaft folgt der Aufklärung die Pseudo-Aufklärung, die dann von der Gegen-Aufklärung abgelöst wird. Da "konkret" vor 1989/90/91 bevorzugt Pseudo-Aufklärung mit Einsprengseln von Gegen-Aufkläung bot, war der Übergang zur Gegen-Aufklärung mit Einsprengseln von Pseudo-Aufklärung (seit der Wende) konsequent.

Es ist kein Wunder, dass vermeintliche Linke so gerne von "Anti-Amerikanismus", "Anti-Semitismus" und "Stalinismus" reden, und dass diese Begriffe geradezu als Synonyme gebraucht werden, und dann auch die Behauptung nicht weit ist, Stalins Politik sei in ihren Grundzügen nationalistisch und antisemitisch gewesen. Dies hatte bereits Chrustschow in seiner ominösen "Geheimrede" 1956 verbreitet - natürlich ohne Begründung. Auch die Diskussion über die "fehlenden Voraussetzungen" des Sozialismus gehört hierhin.

Es gehört bei vielen vermeintlichen Linken zum guten Ton, davon zu sprechen, dass Stalin antimarxistisch gehandelt haben soll, als per 1. Oktober 1928 die Politik der forcierten nachholenden Industrialisierung mittels 5-Jahr-Plänen begonnen wurde. Angeblich seien "die Bedingungen für den Sozialismus" nicht gegeben gewesen.

Nun würde man gerne wissen, welche diese "Bedingungen für den Sozialismus" denn nun sind, ob sie notwendig / hinreichend / wünschenswert/ belanglos sind, woran man denn erkennen kann, ob oder ob nicht - in gradualistischer Terminologie: in welchem Masse - eine jede dieser "Bedingungen für den Sozialismus" erfüllt ist an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, wodurch es denn zur Erfüllung dieser oder jener Bedingung kommen kann (Von selber? Durch das Handeln Anderer? Durch unser eigenes Handeln?), mithin also, an wen sich die Forderung richtet, diese oder jene "Bedingung für den Sozialismus" zu erfüllen (An den Weihnachtsmann und die Hainzelmännchen? An die "Invisible Hand" des Adam Smith und die Bourgeoisie? Oder an die Kommunistische Partei und die Werktätigen?), was denn nun zu tun sei (und wie es zu tun sei), um diese oder jene "Bedingung für den Sozialismus" zu erfüllen.

Dass man bei den bezeichneten Linken sich mit solchen Fragen unbeliebt macht, darf nicht verwundern. Wer entschlossen ist, seinen konstruktiven Beitrag zu leisten, der wird von sich aus - in juristischer Terminologie: "unaufgefordert" - diese Fragen stellen und beantworten. Wer jedoch keinen Bock dazu hat, der wird nur von "Bedingungen für den Sozialismus" sprechen und behaupten, diese seien "nicht erfüllt" gewesen, ohne auch nur ein Kriterium anzugeben, anhand dessen man objektiv erkennen kann, ob oder ob nicht dem so ist. Schon gar nicht wird so ein Mensch sagen, was zu tun sei, und wie es zu tun sei, um die "Bedingungen für den Sozialismus" zu schaffen.

(Berücksichtigt man dies, so ist es ein Zeichen für die Urteilskraft der KPdSU in den Zwanzigern, dass Stalin den Fraktionskampf gewann, denn während Trotzki über der revolutionären Theroie die gar nicht revolutionäre Praxis vergass, vergass Bucharin über der nicht revolutionären Praxis die revolutionäre Theorie; Stalin dagegen verstand es, das im Sinne der Revolution Richtige unter nicht revolutionären Umständen zu tun und sich so die Option auf einen revolutionären Durchmarsch "später" offen zu halten. Zu diesem Urteil kommt der aus Film, Funk und Fernsehen bekannte Antikommunist Iring Fetscher in seinem Erstlingswerk "Von Marx zur Sowjetideologie" (1956). Da er mit diesem Ergebnis nicht einverstanden war, gab er seinen Lesern Tipps, wie sie die Dinge verdrehen konnten. Man lese die entsprechenden Artikel etwa in "konkret" (sowohl vor als auch nach 1989/90/91) unter diesem Blickwinkel. Natürlich wurde auf Fetschers Erstling in "konkret" niemals hingewiesen.)

Ein weiterer Anti-Stalin-Topos ist dieser: es hätte in der Stalin'schen Sowjetunion noch gewisse - bezeichnenderweise niemals näher erlaüterten - gesellschaftliche Probleme gegeben, und darum könne von Sozialismus nicht gesprochen werden. Dazu ist zu sagen, dass man sich zwei grundverschiedene Verhältnisse zwischen Sozialismus und gesellschaftlichen Problemen vorstellen kann: entweder sagt man, dass nur mittels des Sozialismus auf die gesellschaftlichen Fragen Antworten gegeben werden können, die fortschrittlich und nachhaltig (= von Dauer) sind, oder aber man sagt, dass der Sozialismus erst dann loslegen kann, wenn eben diese gesellschaftlichen Probleme gelöst worden sind - bloss von wem?

Wer keinen Bock hat, jemals in seinem Leben auch nur einen einzigen eigenen konstruktiven Beitrag zu leisten, der wird sich der zweiten Alternative zuwenden. Da ich dazu tendiere, Probleme zu lösen, Fragen präzise zu stellen und zu beantworten, das, was krumm ist, gerade zu machen, das, was im Argen liegt, ins Reine zu bringen: darum ist mir Stalin auf Anhieb sympathisch. Genau darum stehen so viele vermeintliche Linke Stalin feindlich gegenüber. Wie war das doch gleich mit dem Fuchs und den Trauben?

Diejenigen vermeintlichen Linken, deren Anti-Stalin-Haltung ich soeben erklärt habe, können ja nur hoffen, dass andere ihre Ziele für sie erledigen, weshalb es mir sofort einleuchtet, warum etwa die "Theorie" vom Selbstlauf der Dinge so beliebt ist.Dieser "Theorie" zufolge wächst der Sozialismus - richtig: wenn "die Bedingungen" erfüllt sind, welche auch immer diese sein mögen, und was immer dies auch heissen möge, und woran man auch immer dies erkennnen könne - ganz von selbst aus dem Kapitalismus heraus ... so dass man also eigentlich keinen Finger krumm machen muss. Wie muss ein Mensch ticken, um dies als Frohe Botschaft - griechisch: evangelion - auffassen zu können?

Trotzki brachte diese Überlegungen 1919 (auf dem Gründungskongress der Kommunistischen Internationale) folgendermassen auf den Punkt: "Kolonialsklaven Afrikas und Asiens! Die Befreiung der Arbeiter Europas und Nordamerikas wird auch die Stunde Eurer Befreiung sein!" Wer dächte jetzt nicht an Rudyard Kiplings widerwärtiges rassistisches Gedicht "White Man's Burden"?

Später verzichtete Trotzki darauf, noch einmal so deutlich zu werden; schliesslich kann die Fünfte Kolonne nur dann ihren Klassenauftrag ausführen, wenn sie verdeckt arbeitet. Eine präzise und daher verständliche Ausdrucksweise ist da kontraproduktiv, weshalb die Vorliebe der "konkret"-Leute für die Frankfurter Schule - Horkheimer, Adorno, etc. - verständlich ist: diese brachten es zu einer wahren Meisterschaft in der Kunst, reaktionären Inhalt mittels bombastischer Satzkonstruktionen und marxistischem Vokabular als progressiv erscheinen zu lassen.

Selbst in seiner Kritik an Pohrt vom Juni 1984 sprach sich Gremliza zu Gunsten von Adorno aus, und bescheinigte dessen Gegnern mindestens geistige Rückständigkeit, dass sie Adorno nicht verstanden. Wenn nun aber die Adorno-Gegner diesen sehr genau verstanden hatten und deshalb zu seinen Gegnern geworden waren ...? Dass Horkheimers Buch "The Eclipse of Reason" (USA, 1947) niemals in "konkret" erwähnt wurde, verwundert nun nicht: in diesem Buch hatte Horkheimer ausdrücklich Vernunft und Aufklärung zu Ursachen allen Übels erklärt und ernsthaft eine Rückkehr zur Religion empfohlen. Und so jemand gilt in "konkret" auch heute noch als "undogmatischer Marxist" ....!

Die führende imperialistische Macht sind die USA. Wer seine Hoffnungen auf den Selbstlauf der Dinge setzt (weil er unfähig und / oder unwillig ist, selber etwas zu tun), der kann ja nur die USA bejubeln. (Ein schlimmes Beispiel dafür ist Elsässers "Marx bless America" von 1997.) Da Stalin fähig und willens war, selber etwas zu tun, gehen Verdammung Stalins und Hochjubeln der USA Hand in Hand.

Nun muss man wissen, dass die Juden über Jahrhunderte hinweg verfolgt und unterdrückt wurden - in Europa, dem christlichen Abendland. Und zwar eben darum, denn Markus führte die Figur des Jesus-Verräters Judas ein, und sein Evangelistenkollege Matthäus ging sogar noch weiter, als er sagte, dass es - bei den Juden - "Heulen und Zähneklappern" geben werde, weil sie den Messias "verraten" hätten.

"Ein Christentum ohne Antijudaismus kann es nicht geben, denn wenn das Judentum legitim ist, dann ist das Christentum eine Lüge." So erklärte es Yeshayahou Leibowitz (1902-1994), einer der grösssten jüdischen Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts. Leibowitz war auch ein grosser Naturwissenschaftler - die Bezeichung "Maimonides des 20. Jahrhunderts" geht in mehrerer Hinsicht in Ordnung -, aber auch ein scharfer Kritiker Israels und des Zionismus. Von Leibowitz stammt die Bezeichnung "Judeo-Nazis" für die Zionisten.

Natürlich war in "konkret" niemals etwas über Leibowitz zu lesen, denn den sog. "Antideutschen" zu Folge kann es die Leibowitz'sche Position gar nicht geben: ein überaus gebildeter und zutiefst religiöser Jude, der strikt an den 613 mizwot des Judentums festhält, dieses gegen andere Religionen, insbesondere gegen das Christentum, aber auch gegen die moderne Naturwissenschaft verteidigt, und der zugleich ein entschiedener und scharfzüngiger Gegner des Zionismus (in allen seinen Schattierungen) und der Politik Israels ist.

Es darf also nicht verwundern, dass es bei "konkret" zu einem Amalgam aus Antistalinismus, Menschewismus im weitesten Sinne des Wortes und unkritischer Haltung zu USA und Israel gekommen ist. Defätisten neigen nun einmal dazu, zum Feind überzulaufen, und alle ihre früheren Erkenntnisse zu verraten. Dass Gremliza von seiner Mentalität ein Defätist ist, und schon früher war, zeigt etwa seine Kolumne "Stars and Stripes War" (März 1985), in welcher er unkritisch Star Wars für möglich erachtet und einem sozialistischen Land - für welches er die seinerzeitige Sowjetunion noch hielt - technologische Spitzenleistungen nicht zutraut.

In seinem Artikel "Sterben für Godesberg?" (Oktober 1994) forderte Gremliza Kuba zur bedingungslosen Kapitulation auf, da es "nicht gewinnnen kann". Bucharin und Trotzki hatten ähnlich gedacht über die Chancen, gegen die Imperialisten zu gewinnen. Bekanntlich war es 1941 zum Zusammenbruch des Sowjetlandes beim Herankommen der Feinde nicht gekommen; Hitler und Trotzki hatten sich getäuscht. "Wer der Retter sein will, der muss eine Lage herbeiführen, in welcher er retten kann - also eine schlimme Lage." Diese Argumentation brachte Berthold Brecht (1898 - 1956) in seinen Überlegungen zur Stalinfrage in den Dreissigern vor; es ergab sich für Brecht, dass der Übergang der Rechten und Trotzkisten zu gemeinen Verbrechern, Saboteuren und Kollaborateuren, nicht verwundern dürfe. Behält man diese Argumentation im Hinterkopf, lässt sich die Entwicklung von "konkret" sehr leicht begreifen als Gleiten auf einer geneigten Ebene: erst geht es langsam und unmerklich, dann immer schneller - aber immer abwärts.

Auch späterhin fabulierte Gremliza davon, dass die Sowjetunion ein sozialistisches Land sei, und also Dinge, die dort nicht gingen, prinzipiell nicht gehen könnten, was seinen Beitrag zum "konkret"-Umfall leisten sollte. Man lese unter diesem Blickwinkel einige von Gremlizas Kolumnen sich genaür durch.

Etwa zu Tschernobyl, "Nichts geht mehr", (Juni 1986), und "Restrisikohl: Ein Super-Rau" (Juli 1986); dass am Reaktor "Experimente" durchgeführt und dieser systematisch zur Havarie gebracht worden war, konnte man in "konkret" niemals lesen. Bemerkenswert ist, das Pohrt in seiner Gremliza-Entgegnung (Juli 1986) meinte, in Gremlizas Bemerkungen den Versuch zu erblicken, an unpassender Stelle eine Kritik an der UdSSR nachzuholen, die an anderer Stelle und früher sehr viel angebrachter gewesen wäre. (Vielleicht tue ich Pohrt unrecht, und er war früher aufrichtig überzeugt von dem, was er betreffend "Antiamerikanismus" und "Antisemitismus" der Linken schrieb; das würde ihn deutlich über Leute wie Pankow, Wertmüller, Kunstreich, Uwer, von der Osten-Sacken etc. heben. Auf deren Niveau jedenfalls bewegte sich Pohrt niemals.)

Oder "neues Denken" (Juni 1988), "Newthing und Adabei" (Juli 1988) und "Behüt' Euch Gott!" (Juni 1989). Statt einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Nach-Stalin-UdSSR gab es Hochjubeln von Gorbatschow ("Schick, der Bolschewik", März 1987), welche dann in Katzenjammer umschlug. Dass Gorbatschows erstes Gesetz (trat am 1. Juni 1985) in Kraft ein Prohibitionsgesetz ähnlich dem Volstead Act in den USA kurz nach dem Ersten Weltkrieg war, entging der Aufmerksamkeit der "konkret". Bekanntlich hatte der Volstead Act seinerzeit dazu geführt, dass kriminelle Elemente die illegale Produktion und den genauso illegalen Vertrieb von Alkohol zum Zwecke des Genusses (Alkohol für medizinische und industrielle Zwecke blieb vom Volstead Act ausgenommen) monopolisierten und so die Grundlage legten für die heutige Verquickung von Big Business und Big Crime in den USA.

Stalin wusste schon, warum er in der Wodkafrage die Haltung einnahm, die er einnahm; er begründete diese gegenüber einer Delegation US-amerikanischer Arbeiter 1927 auch mit dem Hinweis auf die Erfahrungen in den USA. Wer Stalins Bemerkungen und ihren Hintergrund kannte, der hätte sich denken können, was dann folgte. Gorbatschows Reformwerk von Sommer 1987 (am 1. Januar 1988 traten die Reformen der Planung und über den sozialistischen Betrieb in Kraft) führten dann dazu, dass einige "neue Russen" sich etliche wichtige Betriebe und Kombinate aneigen konnten; wo hatten die bloss das Geld her?

Das für "konkret" typische Verhalten des Nicht-zur-Kenntnis-Nehmens der Fehlentwicklungen in der Nach-Stalin-UdSSR eröffnete dem Klassenfeind eine Flanke; dass heute in "konkret" praktisch alles, was mit "1917" zu tun hat, niedergemacht wird - meist als "antisemitisch" denunziert -, ist nur die Kehrseite der Ignoranz von früher. Mir fällt da vor allem Gremlizas allzu kurze Besprechung des 1984 bei Bertelsmann erschienenen Buches "Weltmacht im Abstieg - Der Niedergang der Sowjetunion" des langjährigen "SPIEGEL"-Politredakteurs Fritjof Meier (im "Gremlizas Express", Mai 1985) ein. Meier ging geschickt vor: er stellt tatsächlich vorhandene Probleme der Nach-Stalin-UdSSR dar als logische Folge einer "Marx-Wirtschaft" und sprach implizite von antisemitischen Massnahmen Lenins und Stalins, um zu erklären, warum damals in der UdSSR der Laden lief. Gremliza verwarf damals Meiers Buch, ohne auch nur einen Satz auf die Darlegung von dessen Inhalt zu verwenden. Konsequenterweise werden im heutigen "konkret" alle seinerzeit von Meier verwendeten Argumentationsmuster als Wahrheit akzeptiert, ohne dass auf Meier und sein Buch explizite hingewiesen würde.

Der Zusammenhang mit dem vorgeblich linken Anti-Antisemitismus ist dieser: wer sich selber nichts zutraut (wohl zu Recht), der muss Europa und die USA bejubeln (weil dort die Entwicklung der Produktivkräfte am weitesten gediehen ist); in Europa waren die Juden über Jahrhunderte hinweg Opfer; "also" steht zwischen den Begriffen Jude und Opfer genau so ein Gleichheitszeichen wie zwischen den Begriffen Europa und Welt; "also" muss jeder ein Feind sein, der sich selber die Entwicklung der Produktivkräfte ohne Bourgeois zutraut, und also ein Antisemit. Wer sich dagegen zutraut, eine moderne Industriegesellschaft auch ohne die Kapitalisten handzuhaben, der wird nicht einsehen, warum europäische Geschehnisse und Begriffe eins-zu-eins auf den Rest der Welt übertragen werden sollten. Kein Wunder also, dass Stalin sowohl als "Antisemit" als auch als "asiatischer Despot" bezeichnet werden kann, und solche Leute sich dann noch "links" dünken, die derlei verzapfen.

Gremliza behauptet nun, sehr auf korrekten Gebrauch der Sprache zu achten. Dies wollen wir uns merken. Es sollte bekannt sein, dass es mehrere Modalverben gibt: können, müssen, sollen, dürfen, wollen, ...; hinzu kommen die Abschwächungen: könnte, müsste, sollte, dürfte, möchte, ...; ebenso die Negationen. Wenn nun jemand ausschliesslich ein Modalverb gebraucht, dann sollte er Verdacht erregen.

Bemerkenswerterweise diskutierte niemals jemand in "konkret" den Umstand, dass immer wieder gegen Stalin vorgebracht wurde und wird, dass "Sozialismus in einem Lande" (diese Losung wurde 1915 von Lenin in seinem Artikel "Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa" aufgestellt, was sich bis heute nicht zu "konkret" herumgesprochen zu haben scheint) auf Dauer nicht gehen könne. Nun liegt die Frage nahe: Aber wohl doch auf Zeit? Was wären hier die evens und die odds? (Mit diesen Ausdrücken meint man im Englischen die günstigen und die ungünstigen Umstände; "Bedingungen" eben.) Und soll es denn auf Dauer beim "Sozialismus in einem Lande" bleiben? Stalin diskutierte diese Fragen wiederholt; am Schweigen der vermeintlich linken Stalin-Gegner über diese Fragen kann man viel erkennen. Eigentlich sollte einem "Freund des guten Deutsch", als welchen Gremliza sich mitunter tituliert, ein solches Schweigen auffallen.

Die Sache geht noch tiefer. In den theologischen Disputationen des Mittelalters wurden unter anderem diese Begriffe verwendet:
1) actualitas = Aktualität = das, was ist bzw. das, was einer heute kann;
2) potentialitas = Potentialität = das, was sein kann bzw. das, was einer lernen kann.
Von Gott wurde behauptet, dass er alles weiss und kann und das schon seit ewigen Zeiten. Folglich braucht Gott nichts mehr zu lernen, und es gibt auch keinen Aspekt von Gott, der sich erst noch entfalten müsste. Bei Gott gibt es also 0 % Potentialität und 100 % Aktualität; Gott ist reine Aktualität, actus purus.

Wie ist das mit einem Menschen? Ganz bestimmt anders. Wenn also ein Mensch durchblicken lässt, dass er es nicht nötig habe, etwas zu lernen oder sich irgendwie zu ändern, dann macht dieser Mensch klar, dass er sich selbst für Gott hält. Solche Leute spielen dann auch gerne Gott. Sie massen sich an, darüber zu befinden, ob andere Leute etwas lernen sollen. Diese Leute vertragen keine Kritik an sich; sie ihrerseits bringen ausschliesslich destruktive Kritik vor. Frage: kann man solche Leute als Linke akzeptieren?

Der heutige PDS-Vize Diether W. Dehm, der damals als Liedermacher Lerryn aktiv war, verneinte diese Frage. In einem Flyer erklärte er 1983, dass der "konkret"-Kulturteil eine "ätzend-lakonische Pointensprache a la SPIEGEL" spreche und damit zumindest bewirke, wenn nicht sogar auch bezwecke, linke Kulturschaffende nieder zu machen, anstatt ihnen zu helfen, zu lernen und besser zu werden. Dehm stellte die Frage: "Will 'konkret' überhaupt, dass die linken Kulturschaffenden besser werden? Sollen sie besser werden nach Meinung von 'konkret'?" Er verneinte diese Frage schliesslich. Weiters führte er aus, dass der "konkret"-Kulturteil so seinen Beitrag zur Desorganisierung und Demotivation der linken Künstler leiste, also objektiv reaktionär sei.

Der damalige "konkret"-Kulturredakteur Hartmut Schulze (1986 verstorben) fühlte sich ertappt. In seinem Artikel "Der Kommissar" (Januar 1984) beschuldigte er seinerseits Dehm, die "unseligen Zeiten der Stalin'schen Kulturkommissare" zurück haben zu wollen. Dehms Leserbrief auf diesen Artikel wurde zwar in "konkret" (Februar 1984) abgedruckt, aber erstens umgeben von anderen Leserbriefen, und zweitens unter der Überschrift "Der Kommissar antwortet". Im März 1984 wurden erneut Leserbriefe abgedruckt, unter anderen ein erneuter Leserbrief von Dehm. Da Schulze zwischenzeitlich bei "konkret" ausgeschieden war, und das oben erwehnte Experiment begonnen hatte, verlief die "Affäre Kommissar" augenscheinlich im Sande. Ich halte es jedoch für sinnvoll, einige Fakten im Zusammenhang damit zu präsentieren.

Keiner der Leserbriefschreiber ging ein auf das, was Dehm zur Sache selbst gesagt hatte. Stattdessen gab es Spekulationen über Dehms Motive. Hans Branscheid (heute einer der entschiedensten Trommler für den Krieg gegen den Irak sowie eine von USA-UK-Israel dominierte "Neuordnung der arabischen Welt") etwa spekulierte über Schuldgefühle Dehms, da dieser viele Jahre vorher, zusammen mit Branscheid, als linker Student viele Veranstaltungen gestört und dabei für etliche Aufregung gesorgt habe. Nun habe Dehm Schuldgefühle.

Der einzige, der argumentierte, war Dehm. Er erklärte, dass er den Eindruck habe, als stehe "konkret" mit einem Bein bereits beim Feind und wolle die linken Kräfte durch Niedermachen und Herumfaseln schwächen und bediene sich dazu einer bestimmten Sprache, welche Überlegenheit suggeriere, in Wirklichkeit aber handlungsunfähig mache. Im Lichte der weiteren "konkret"-Geschichte gewinnen diese Bemerkungen geradezu prophetischen Charakter.

Anfang 2002 gab es in "konkret" eine Kontroverse, welche Jürgen Elsässer ausgelöst hatte, dem inzwischen ein Licht aufgegangen war. Er forderte unter anderem "Konstruktive Kritik" - etwas, was unter Linken selbstverständlich sein sollte, und was Hitler seinerzeit als "jüdisch-bolschewistische Verstümmelung des arischen Geistes" bezeichnet hatte. Die "Antideutschen" reagierten sofort: sie bezichtigten Elsässer des Antisemitismus!

Dies ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil es ein wichtiges Gebot der jüdischen Religion gibt - Leviticus (= 3. Buch Mose), Kapitel 19, Vers 17: "Zurecht weisen sollst Du Deinen Nächsten!" -, welches üblicherweise von jüdischen Schriftgelehrten als Beweis dafür angesehen wird, dass die Tora für geistigen Fortschritt ist und daher für konstruktive Kritik. Begründung: kein Mensch ist vollkommen; jeder Mensch aber kann sich vervollkommnen (man denke an actualitas und potentialitas); jeder Mensch ist verpflichtet, jedem anderen Menschen dabei zu helfen; dies geht nur durch Zurechtweisung (heut sagen wir: Kritik); die Kritik muss aber wahr sein in der Sache, die Gründe für die Fehler erkennen helfen ebenso wie mögliche Ansätze zur Besserung aufzeigen und dem Kritisierten helfen, "sein Gesicht zu wahren", wie es in Asien heisst; dann und nur dann kann der Zurechtgewiesene lernen und der Vollendung (in Gott hypostatisert) näher kommen, und das ist dann gut für alle. Wenn also Jürgen Elsässer 2002 - wie Diether W. Dehm 1983/84 - konstruktive Kritik einfordern, dann wandeln sie auf den Spuren von Marx/Engels ebenso wie auf denen der Tora; und das soll dann Antisemitismus sein ...?

Wer sich noch der "Affäre Kommissar" erinnert, der wird jetzt ein deja-vu-Erlebnis haben. Es geht daher in Ordnung, wenn ich nun aus dem Artikel "Erinnerung an Hartmut Schulze" von Gremliza (Dezember 1986) berichtete. Gremliza bemerkt darin, dass er Schulze 1974 kennen gelernt hatte; Schulze war damals in einem linken AStA aktiv. Nach einiger Zeit wurde Schulze "konkret"-Chefredakteur und blieb dies bis 1980. Gremliza sagt selbst, dass Schulzes Artikel "Die Erde wird rot" (Oktober 1976) auch genau so gut von ihm selbst hätte stammen können. Die damaligen Schwierigkeiten insbesondere der USA (kurz nach ihrer Niederlage im Vietnam-Krieg) verführten Schulze dazu, den Sieg des Sozialismus im Weltmassstab bis zum Jahrhundertende vorauszusagen. Die gegenläufigen Tendenzen - etwa die zunehmende revisionistische Entartung der UdSSR, aber auch die drohende "Wende" in der VR China - wurden gar nicht erwähnt.

Schulze selbst wendete bald darauf. 1979 pöbelte er - "Tote Hosen in Satin" - die Arbeiterklasse an, vermeintlich von links, und warf ihr vor, "falsche Bedürfnisse" zu haben, die sie von der Revolution wegbbrächten. Den Arbeitern vorzuwerfen, an Fragen des Lebensunterhalts interessiert zu sein, ist in der Tat nur einem bürgerlichen Marxisten möglich. Schulzes Austritt aus der DKP wollte er so verstanden wissen, dass er von nun an kein Kommunist mehr sein wolle. Man fühlt sich erinnert an den Spruch: "Wer mit 20 kein Kommunist ist, der hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch einer ist, der hat keinen Verstand."

Schulze verliess "konkret" und heuerte bei "Pardon" als Chefredakteur an; als diese 6 Monate später pleite ging, kam er, im Schlepptau von Manfred Bissinger, zurück zu "konkret" und übernahm dort das Ressort Kultur. Die Ausrichtung dieses Ressorts unter Schulzes Leitung wurde von Dehm damals analysiert; siehe oben. Nach seiner zweiten Zeit bei "konkret" ging Schulze ... zum "SPIEGEL"! Dehms Wort von der "ätzend-lakonischen Pointensprache a la SPIEGEL" hatte sich als wahr erwiesen. Andere Teile der Dehm'schen Analyse sollten sich nach und nach als wahr erweisen.

Im Juli 1986 kündigte Gremliza an, dass er einen Preis stiften wolle, den "Karl-Krauss-Preis"; der Preisträger, so er den Preis annehme, solle sich verpflichten, niemals wieder etwas zu schreiben, stattdessen "einen nützlichen Beruf zu ergreifen". Erster Preistrager war Fritz J. Raddatz (1986), was freilich kaum jemand zur Kenntnis nahm, wie Gremliza (Januar 1987) beleidigt konstatierte.

Deutlich mehr Aufsehen erregte die zweite - und bislang letzte - Preisverleihung: sie ging im Oktober 1987 an Günther Wallraff. Begründung: zwar hatte Wallraff sehr viele Fakten in seinen "under cover" Aktionen ermittelt, die auch gerichtsfest recherchiert waren; aber erstens hatte Wallraff nicht selber die Materialien zu Büchern zusammen geschrieben (das taten andere, die berufsmässige Schriftsteller waren, unter anderen auch Gremliza), und zweitens hätten die Bücher nicht die gewünschte Wirkung gehabt, was Gremliza Wallraff zur Last legte (und nicht den gesellschaftlichen Umständen). Das "konkret"-Heft November 1987 stand ganz im Zeichen dieser Anschuldigung, die Gremliza gegen Wallraff erhob.

Über diesem Wirbel ging unter, dass "konkret" abermals eine Abmagerungskur (an Seiten wie an Redaktionsmitgliedern) vornahm und sich weiter an die Herrschenden heranmachte. Fortan begann in "konkret" eine Serie von "Aufklärung" über sog. "linken Kitsch", wobei pauschal alle Linken, die nicht pro Israel waren, der mangelnden Begabung und der geistigen Rückständigkeit geziehen wurden. Auch über die Dritte Welt wurde jetzt anders berichtet; es wurden im Stile des Gemeinschaftsunterrichtes die Menschen vor Ort verantwortlich gemacht für ihre Lebensumstände.

Sicher ist es richtig, nicht in Dritte-Welt-Romantik zu verfallen und die dortigen Tendezen genau zu analysieren; das aber war gerade nicht beabsichtigt. Vielmehr ging es gegen alle Linken, die Veränderungen herbei führen wollten. Man vergleiche etwa die Berichte in "konkret" in den Jahren bis 1985 über Dritte-Welt-Befreiungsbewegungen mit denen, welche Gremliza den Lesern seines Blattes ab 1987 vorsetzte. Überwog zuerst eine Art DKP-mässige Dritte-Welt-Befreiungsbewegungenromantik, so waren ab 1987 andere Töne zu vernehmen. Es fand zunehmend ein letztlich dem Imperialismus nützliches Bewegungsbasching statt. De facto machte sich "konkret" den Standpunkt des Gemeinschaftskundelehrers zu eigen, dem zu Folge man nur wolle, und es gehe schon, insbesondere wenn "Demokratie" (gemeint ist natürlich immer die bürgerliche Demokratie) herrsche.

Man fühlte sich an den "SPIEGEL" erinnert, wenn man sich Duktus, Themenwahl und Argumentationsstränge in den "konkret"-Reportagen über Dritte Welt-Bewegungen ab 1987 durchlas. Pikant ist, dass Sabine Rosenbladt im März 1984 in "konkret" über den Ernteeinsatz deutscher Brigadistas in Nicaragua berichtet hatte, sowie über das sehr merkwürdige Verhalten der mitgereisten "SPIEGEL"-Reporterin Marie-Luise Jansen-Jurreit, die ständig im US-Army-Parka herumlief, auf einem Träger für ihr üppiges Gepäck bestand und den Nicaraguanern über die Segnungen des American Life of Life vorsalbaderte. Diese Attitüde haben sich die "Antideutschen" inzwischen zu Eigen gemacht. Diese Entwicklung wurde damals (1987) auch von einigen Leuten bemerkt; Gremliza selbst nutzte die Gelegenheit, um unter Verweis auf weniger gedrechselte Formulierungen der Kritiker die Berechtigtheit von deren Auffassungen zu bestreiten. Die Verleihung des 2. Karl-Kraus-Preises an Wallraff und das dadurch ausgelöste Aufsehen lenkten die Aufemrksamkeit von der genannten Problematik ab.

Da Israel vorzugsweise mit den Diktaturen der Welt handelt, und im Dritte-Welt-Krieg Partei ist, blieb es nicht aus, dass "konkret" nun den "Antisemitismus" unter den Linken entdeckte. Es wundert nicht, dass keiner der Herren Gremliza-Pohrt-Geisel-Schneider Stellung nahm zur Buchbesprechung "Zwei von dreissig" von Jürgen Reents (Mai 1988); das besprochene Buch war"Schmutzige Allianzen - Die geheimen Geschäfte Israels" von Benjamin Beit-Hallahmi. Was in diesem Buch enthüllt wurde, das kann man heute nicht sagen, ohne als "Antisemit" bezeichnet zu werden, nicht zuletzt in "konkret". Es war Reents' letzter Artikel für "konkret". Jürgen Reents wurde noch bis einschliesslich März 1990 im Impressum von "konkret" unter "Autoren" genannt; danach wurde sein Name in "konkret" niemals mehr erwähnt.

Mittlerweile wurden einige der von Beit-Hallahmi seinerzeit enthüllten verdeckten Aktionen Israels (etwa in Ägypten 1952-1954, was damals zur Ausweisung der Mossad-Agenten und ihrer unter Kairoer Juden rekrutierten Helfern führte) von den "Antideutschen", unter - bewusster? - Leugnung gesicherten Wissens als Beispiele für "antisemitische Propaganda der reaktionären Araberstaaten" angeführt.

Von Sabine Rosenbladt konnte man im "konkret" der Achtziger einige bemerkenswerte Artikel lesen. In "American Heroes Inc." (Dezember 1983) teilte sie mit, wie in den USA der volksgemeinschaftliche Konsens hergestellt wird. Beim Lesen dieses Artikels heute fallen mir einige Filme von Charles Spencer "Charlie" Chaplin ein (1889-1977), wie etwa "Moderne Zeiten" (USA, 1936) oder "Ein König in New York" (UK, 1957).

Dass der damalige Generalstaatswanwalt der USA, ein kalifornischer republikanischer Politiker namens Richrad M(ilhouse) Nixon, der spätere (1953-1961) Vizepräsident und noch spätere (1969-1974) Präsident der USA, im Jahre 1952 ein Verfahren gegen Chaplin wegen "antiamerikanischer Umtriebe" anstrengte, und diesem insbesondere die Decouvrierung der Mechanismen des "American Way of Life" zur Last legte, wurde in "konkret" niemals erwähnt - genauso wenig wie die Tatsache, dass der damalige (1945-1953) Präsident der USA, der Demokrat Harry S(amuelson) Truman (1884-1972) im selben Jahre 1952 seinen Einfluss geltend machte, um im Kongress die sog. "Lex Horkheimer" durchzudrücken, welche es unter anderen Max Horkheimer (1895-1973) und Theodor W. Adorno (1903-1969) erlaubte, ihre im Zweiten Weltkrieg erworbene USA-Staatsbürgerschaft lebenslang zu behalten, auch wenn sie zurück nach Europa gehen und dort bleiben sollten, was sie dann auch taten. Was hat es zu bedeuten, dass Leuten, die in der Hochzeit des Kalten Krieges dermassen Anerkennung seitens des für die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki Verantwortlichen zu Teil wurde, in "konkret" als Vorbilder für Linke dargestellt wurden und werden, während die Ausweisung von Chaplin (und seine Erklärung zur "unerwünschten Person") im selben Jahre 1952 niemals in "konkret" erwähnt wurde? Darf unter Berücksichtigung dieser Fakten die "konkret"-Wende 1989/90/91 noch überraschen, oder war sie nur konsequent und subjektiv-ehrlich?

In "Contras, Reagans Waffen-SS: Mit Gott, ohne Kommunismus" (Juni 1985, war damals sogar auf der Titelseite) teilte sie mit, welche Beziehungen personeller, institutioneller und finanzieller Art es zwischen dem Weissen Haus und den nicaraguanischen Contras gab. Auf vier Seiten präsentierte sie mehr Fakten über die Indoktrinierung und Steuerung der Contras als sonst in "konkret" dazu zu lesen war. Heute bestreiten die "Antideutschen" derlei Zusammenhänge und sprechen pauschal von Antiamerikanismus und Antisemitismus, wenn etwa darauf verwiesen wird, dass in den Achtzigern der sog. "afghanische Widerstand" von der CIA bezahlt und gesteuert wurde, und in diesem Zusammenhang auch die saudi-arabische Milliardärsfamilie ibn Ladin (so der hoch-arabische Name der Leute; bin Laden ist die Fassung im süd-arabischen Dialekt) genannt wird.

In "Das Pech der Juden in den Lagern: sie waren nicht nur Ausländer, sondern Juden" (April 1986) teilte sie mit, dass die Westalliierten die wahre Bedeutung der NS-Vernichtungslager erkannten und trotzdem nichts zur Rettung der Insassen taten; sie verwies auf das Buch des US-amerikanischen Historikers Wyman "Das unerwünschte Volk", das 1984 in USA und Anfang 1986 (in deutscher Übersetzung) in der BRD erschienen war. Es war dies das einzige Mal, das jemals in "konkret" auf dieses Buch hingewiesen wurde. Ab 1988 wurde es in "konkret" üblich, den Westallierten zu danken, dass sie die Juden gerettet hätten - in bewusster Ignorierung des Wyman'schen Buches - und den Deutschen pauschal Billigung des NS-Judeozids vorzuwerfen. Anfang 1991 wurde die Geschichtsklitterung dann "konkret"-offiziell festgeschrieben: sowohl im bellizistischen Heft vom März 1991 als auch in der Diskussion vom Februar 1991 (im Heft vom April 1991 abgedruckt) behaupteten Gremliza-Pohrt-Geisler-Schneider das Gegenteil von dem, was Sabine Rosenbladt 1986 dargestellt hatte.

In ihrem letzten Artikel für "konkret", "Reportage aus einer unterentwickelten Besatzungszone" (Februar 1987), berichtete sie über die Israelische Politik gegen die Palästinenser, ihre Hintergründe, ihre Systematik, ihr Ziel (die totale Vertreibung der Palästinenser) und über die extrem-rechte zionistische Szene in Israel. Es war der einzige jemals in "konkret" erschienene solche Artikel; in keinem anderen je in "konkret" erschienenen Artikel konnte man etwas über zionistische Rassisten und die Sklaverei für Nicht-Juden im antiken Judenstaat lesen. Wer heute etwas sagt oder schreibt wie die Jüdin Sabine Rosenbladt damals, der wird sofort des Antisemitismus verdächtigt.

Konsequenterweise gingen die selbsternannten Experten in Sachen Antisemitismus und Antiamerikanismus in "konkret" niemals auf ihre Artikel ein. Sabine Rosenbladt wurde im Impressum von "konkret" bis einschliesslich März 1990 unter "Autoren" aufgelistet; danach wurde ihr Name niemals mehr erwähnt.

Selbiges gilt auch für Marli Feldvoss und Walter Böhlich. Walter Böhlich hatte sich in "konkret" in den Achtzigern wiederholt mit den Thesen von Pohrt, Broder et alii argumentativ auseinandergesetzt. Eine vergleichbare Anstrengung seitens seiner Kontrahenten ist bis heute ausgeblieben. Ein Höhepunkt ist sein Artikel "Fried gegen Broder" (Juni 1987), in welchem Böhlich den Spiess umdreht und Broder et alii psychoanalytisiert. So attestierte er Broder, dieser habe insgeheim Zweifel an seiner jüdischer Identität, welche zu einer Überidentifizierung mit Israel führe, während Fried sich seiner jüdischen Identität ganz sicher sein könne, unter anderem, weil Fried unter Lebensgefahr aus Hitlers Deutschland geflohen war und während des Zweiten Weltkrieges gegen Hitler gekämpt hatte, während Broder sich 1980 unter grossem Trara - "Abschied von der deutschen Linken", zu welcher er als Liberaler niemals gehört hatte, und andere Pamphlete hinterlassend - nach Israel verabschiedet hatte. Auf den Gedanken, die Argumentationsmuster von Pohrt et alii umzudrehen, muss man erst einmal kommen. Was erhält man, wenn man dies mit Kunstreich, von der Osten-Sacken, Uwer, Jacob, Pankow, Wertmüller etc. tut?

Die Frankfurter Filmkritikerin Marli Feldvoss publizierte zweimal in "konkret". Im Februar 1987 besprach sie in ihrem Artikel "Film-Out: Krieg wird durch Kino erst schön", welche Bedeutung die Darstellung des Krieges im Rahmen der Psychologischen Kriegführung hatte und hat und welche Fakten gerne verschwiegen werden. Sie besprach zu diesem Zweck einige Filme, die ansonsten niemals in "konkret" erwähnt wurden, wie etwa "Half Life" (Australien, 1986) von Dennis O'Rourke, der ermittelt hatte, dass der oberirdische Test einer Wasserstoffbombe am 1. März 1954 ("Bravo") unter anderem den Zweck hatte, Menschen gezielt dem Fall-Out auszusetzen, um sie als Versuchskaninchen fortan benutzen zu können. O'Rourke brachte US-amerikanische Wochenschauen aus den Fünfzigern, in denen in Herrenmenschenart die Indigenas der betroffenen pazifischen Inseln vorgeführt wurden: ein Erwachsener wird nicht etwa geröngt, sondern "er lernt ein neues Ritual kennen " (O-Ton).

Was Stanley Kubrick in "Dr. Strangelove or How I learned to love the bomb" (UK, 1963) nur in satirischer Form und als Fiktion kenntlich andeuten konnte bzw. wollte - oder durfte ? -, das zeigte O'Rourke als Tatsache. In "konkret" hielt niemals jemand es für nötig, darauf einzugehen. Stattdessen werden die Kubrick-Filme als "Beweis" für die "moralische Überlegenheit der anglo-amerikanischen Zivilisation" gewertet; schliesslich, so Pohrt und Schneider schon Ende der Achtziger, würde in Kubricks Filmen, insbesondere in "Dr. Strangelove ...", eine kritische Distanz zu der aus freien Wahlen hervorgegangegne Regierung geübt. Wo gäbe es das schon woanders? Tatsächlich: ich kenne keinen einzigen vietnamesischen Film, der den Einsatz von Entlaubungsmitteln gegen die USA thematisierte, geschweige denn einen japanischen Film, der die Frage stellte, ob die Atombombenabwürfe auf New York und San Francisco im August 1945 denn wirklich unumgänglich gewesen wären.

In ihrem Interview mit dem jüdischen Filmemacher Thomas Brasch (Mai 1988) kam sie auf die 4 grossen NS-Propagandafilme zur sog. "Judenfrage" zu sprechen: "Jud Süss" (1940), "Die Rothschilds" (1941), "Der Ewige Jude" (1942) und "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" (1943). Auslöser für das Interview war der Film "Der Passagier" (BRD, 1987), den Thomas Brasch mit Tony Curtis als Hauptdartssller gedreht hatte.

Brasch erklärte unter anderem, dass "Jud Süss" seinen von Göbbels gewollten Zweck, die sog. "Endlösung" der sog. "Judenfrage" zu "rechtfertigen", klar verfehlt habe, was man schon daran sehen könne, dass es zuerst einen Nachdreh gab (das Ende des Films wurde komplett neu gedreht, die Ansprache des zum Tode verurteilten Juden an die Gaffer fiel weg, stattdessen musste er jammern), dass die Reaktionen des Publikums eher Mitleid zeigten denn Entschlossenheit, gegen die Juden härter vorzugehen, und dass es dann noch zwei andere Filme mit dieser Zielrichtung gab, die jeweils eine Steigerung darstellten.

Diese Auffassungen würde man heute in "konkret" genauso vergeblich suchen wie die Fakten, die zu ihnen führen. Stattdessen wurde in "konkret" seit 1991 "Jud Süss" als "der Vorfilm zur Gaskammer" (Tomayer) dargestellt, und die um Fakten und Argumente bemühte Darlegung von Kuhlbrodt (der als Staatsanwalt an der Verurteilung vieler NS-Täter mitgewirkt hatte) als "Verharmlosung des NS-Terrors" bezeichnet.

Dies ist nicht das einzige Beispiel für die Entschlossenheit von "konkret", bereits widerlegte Auffassungen anzunehmen und als neueste Erkenntnisse zu propagieren, wenn es der "antideutschen" Sache denn nur nützt. Es ist nur ein besonders widerliches Beispiel dafür. Ein anderes widerliches Beispiel dafür: Pohrt hatte 1985 behauptet, dass die Sowjetunion 1944 wissentlich die Warschauer Aufständischen im Stich gelassen hätte. Tatsache ist aber: der Angriff der West-Alliierten am 6. Juni 1944 ("Operation Overlord", Landung in Nord-Frankreich, rund um die Seine-Mündung und an verschiedenen Stellen der zur Normandie gehörenden Halbinsel Cotentin) zwang Hitler, Truppen von der Ostfront nach Westen umzugruppieren, so dass der Anteil der NS-Truppen an der Ostfront innerhalb von zwei Wochen von 75 % auf 55 % sank.

Dies ermöglichte Stalin die grosse Offensive vom 22. Juni 1944. Ironische Antisymmetrie der Ereignisse: am selben 25. Juli 1944, an welchem die West-Alliierten in der Schlacht von Avranches die NS-deutschen Linien durchbrachen (Übergang vom Stellungskrieg zum Bewegungskrieg im Westen), musste die Sowjetführung aufgrund von Ermattung der Soldaten und Materialverschleiss ihre Offensive (Geländegewinne bis zu 500 Kilometer waren erzielt worden) einstellen. Der Warschauer Aufstand unter Bor-Rokossowski brach am 2. August 1944 los; die antikommunistische polnische Exilregierung in London wollte nicht warten, bis die Sowjetarmee die Hauptstadt befreit hatte, um Einfluss auf die Nachkriegsentwicklung in Polen zu behalten. Die entsprechenden Warnungen seitens Moskaus wurden in den Wind geschlagen.

Die Sowjetische Offensive erfolgte, als die Sojwettruppen wieder "aufgefrischt" waren und die Schlachten auf dem Balkan im August/September 1944 die Gefahr eines Kessels gebannt hatten. Auf diese Fakten wurde von einem "konkret"-Leser hingewiesen; der Leserbrief wurde im Juni 1985 abgedruckt; Pohrt ging darauf jedoch nicht ein.

Im Frühjahr 1991, nach dem 2. Golfkrieg, brachen im Irak Aufstände der Kurden (im Norden) und der Schiiten (im Süden) aus. Saddam Hussein setzte Giftgas ein; das abwartende Verhalten von Bush Senior und John Major bewertete Pohrt als "moralische Katastrophe" - "so wie seinerzeit die Sowjetarmee an ihrem Weichselufer abwartete, bis Hitler die Polen zusammengeschossen hatte", so würden nun auch die USA und UK abwarten, "bis Saddam Hussein die Kurden zusammengeschossen haben würde". Pohrt wiederholte also seine antisowjetische Lüge von 1985 - dieses Mal wurde kein Leserbrief in "konkret" abgedruckt, der die Fakten ins Licht hätte rücken können. Bezeichnend ist, dass Pohrt-Geisel-Schneider-Gremliza in der Zeit des 1. Golfkrieges (1980-1988, Iran-Irak) kein Wort verloren, als tatsächlich Giftgas eingesetzt wurde.

Auch zum Thema Psychologie findet man im heutigen "konkret" nichts Erhellendes. Es gab aber durchaus Versuche, etwas in dieser Richtung zu tun; sie blieben allesamt folgenlos. Erich Kuby machte in seinem Essay "Gewerkschaften - Versager im Grossformat" (Januar 1984) darauf aufmerksam, dass es auch darauf ankomme, was die Werktätigen für Vorstellungen haben, da die Revolution nicht von selber komme. Zwar setzte er auf Freud (anstatt etwa auf Pawlow), aber immerhin sprach er gewisse Überlegungen aus, was am Anfang der Arbeit stehen muss. (Auslöser des Essays war die Tatsache, dass der DGB im Herbst 1983 nur zu einer Schweigeminute anstatt zum Generalstreik gegen die sog. "Nachrüstung" aufgerufen hatte.)

Rainer Gohr ging im Juni 1984 der Frage nach, was "Die Psycho-Okkult-Mafia - Der Aufmarsch der rechten Heilslehrer" zu bedeuten habe, und kam dabei zu Ergebnissen, die ich auch heute noch für brauchbar erachte. Es wäre sinnvoll, diesen Artikel erneut zu lesen und in dieser Richtung weiter zu machen.

Schliesslich erörterte Ekkehard Jürgens im Januar 1985 auf 8 Seiten das Thema "Der Faktor PSY - Historische Beispiele und aktuelle Bedeutung der psychologischen Kriegführung". Unter anderem kam er dabei auch auf die Bücher von Adolf Hitler ("Mein Kampf", 1925) und Gustave Le Bon ("La psychologie des masses" = "Die Psychololgie der Massen", 1895) zu sprechen. Auf diesem Niveau kam "konkret" nie wieder auf derartige Themen zu sprechen. (Anzumerken: dies ist der Titel, unter dem das Standardwerk des Altmeisters der Massenverdummung heute erhältlich ist. Die französische Erstausgabe von 1895 war deutlicher "La psychologie des foules" = "Die Psychologie der Trottel" betitelt gewesen. Professionelle Meinungsumfrager von heute erstellen ihre Erhebungen gleich doppelt, je nach dem, ob sie "Besserverdienende" oder "Normalsterbliche" interviewt haben: "Ansichten der Führungskräfte", "Meinungen der Masse". Sehr aufschlussreiche Titelgebung.)

Berücksichtigt man dies alles, so versteht man, warum Gremliza von Vielem nichts mehr wissen will. Besucht man etwa die "konkret"-Seite im Internet, http://www.konkret-verlage.de, und klickt auf "Autoren", so erscheint eine - angeblich - vollständige Liste aller Personen, welche jemals in "konkret" schrieben. Es fehlen aber einige Namen, etwa die von Walter Böhlich, Marli Feldvoss, Erich Fried, Jürgen Reents, Sabine Rosenbladt oder Günther Wallraff.

Ich habe in diesem Mai 2003, da ich diese Zeilen hier schrieb und in den alten "konkret"-Heften nachlas, sehr viel nachdenken können, über "konkret", die Linke hierzulande im Allgemeinen, mich selbst, und wie es kam, dass jemand so wurde, wie er jetzt ist. Da dies auch ein persönlicher Artikel ist, verhehle ich nicht eine gewisse Bitterkeit, dass die Entwicklung von "konkret" den Herren Baumfalk, Mieck und Schröder Grund zur Genugtuung bereiten kann; diese Herren "genoss" ich auf dem Gymnasium jahrelang in den Fächern Gemeinschaftskunde und Geschichte. Alle drei lernte ich als stramme Antikommunisten kennen, die aus ihrer Verachtung für alles Linke niemals einen Hehl machten. Ihre Erfahrungen als Zeitsoldaten (Offizierslaufbahn) bei der Bundeswehr im Leute-niedermachen verwerteten sie grosszügigst; an ihre seinerzeitigen Unterrichtsmethoden fühle ich mich erinnert, wenn ich die Artikel der "Antideutschen" lese.

In "konkret" hatte ich damals auch nach intellektuellen Waffen gegen solche Leute gesucht, aber nicht gefunden. Aus den Augen, aus dem Sinn; deshalb aber nicht aus der Welt. Die erste Hälfte des Satzes beschreibt die Herangehensweise vieler - vermeintlicher - Linker an die Dinge; die zweite Hälfte macht klar, warum dies auf Dauer nicht funktionieren kann. Im "konkret" der Achtziger wurde nur selten die ernsthafte Auseinandersetzung (sowohl mit den Problemen, vor denen wir stehen, als auch mit den erst noch zu gewinnenden Massen, als auch mit dem Klassenfeind) gesucht; konsequenterweise erachtet "konkret" heute die ganze linke Geschichte, insbesondere das sozialistsiche Experiment 1917-1991, als Fehler, und diejenigen, welche für seinen Erfolg ernsthaft kämpften, als die eigentlichen Bösewichter des 20. Jahrhunderts.

Gremliza ist also mit seiner 1987 angekündigten "Begradigung meiner Lebenswege" (aus seiner Rechtfertigung der Verleihung des 2. Karl-Krauss-Preises an Wallraff) sehr weit gekommen. Den Rest kann er getrost ohne mich gehen: ich habe mein "konkret"-Abonnement mittlerweile gekündigt. Auf diesem Niveau will ich mich nicht mehr bewegen. Gremliza und sein "konkret" wurden zu Recht aus dem Verfassungsschutzbericht verbannt: von so einem Blatt geht eine Gefahr nicht für die Herrschenden aus, sondern nur für die Linke, insbesondere für Leute, die heute in etwa da sind, wo ich vor 20 Jahren war.

Frühsommer 2003

 

© Berlin, Juni 2003, Samy Yildirim

www.neue-einheit.com

 

 

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Gastbeiträge geben grundsätzlich die Meinung des zeichnenden Autors wieder.