Gastbeitrag
in neue-einheit.com
Samy Yildirim:
Wie "konkret"
die Kurve kriegte
-
in die falsche Richtung
Seit seiner Wende 1989/90/91 steht
"konkret" auf der anderen Seite der Barrikade. Diese Wende kam
genauso unverhofft wie der Regen ohne Wolken kommt. Man kann es sich einfach
machen und sagen, dass Gremliza niemals etwas anderes war als ein linksbürgerlicher
Intellektueller, und "konkret" niemals etwas anderes als ein
linksbürgerliches Blatt. Ab einem bestimmten Alter wird dann das
"links" immer kleiner und das "bürgerlich" immer
grösser. Dies ist durchaus zutreffend, doch würden wir gerne
wissen, wie etwas zustande kommt. Wir könnten daraus
etwas lernen - sowohl, um uns einen Reim auf Vergangenes zu machen, als
auch, um uns Gegenwärtiges besser erklären und uns selber auf
mögliches Zukünftige besser vorbereiten zu können.
Wir werden daher im Folgenden etwas über "konkret" vor
der Wende von 1989/90/91 feststellen, und dies bezieht sich sowohl auf
solche Artikel, die heute nicht mehr in "konkret" erscheinen
könnten, als auch auf Artikel, welche zeigen, dass "konkret"
schon vor 1989/90/91 gewisse Schwächen in seinen Anschauungen hatte,
die dann schliesslich zum Wechsel der Seite der Barrikade führten.
Dabei werden wir die Tatsache berücksichtigen müssen, dass es
bei "konkret" kein "Wir" gibt, "ausser als Pluralis
Majestatis für den, der seit 1974 in letzter Instanz immer alles
entschieden hatte", wie es Herrmann L. Gremliza im Disput gegen Jürgen
Elsässer Anfang 2002 ungewollt deutlich ausdrückte.
Ich werde zunächst etwas über die Geschichte von "konkret"
mitteilen. Mitte der Fünfziger gab es in der alten BRD verschiedene
Debatten, so auch um Wiederbewaffnung und Westintegration. In diesem Zusammenhang
sollte man denken an die Tageszeitung "die tat" oder etwa an
"Das Plädoyer" (Februar 1955), das seine Fortsetzung fand
im "Studentenkurier" (1955-1957), aus welchem dann das alte
"konkret" hervorging, welches von Röhl (mit Zuwendungen
seitens der DDR) herausgegeben wurde. Zeitweise war Ulrike Marie Meinhof
die Chefredakteurin des Röhl'schen "konkret", und mit Röhl
liiert, von dem sie Zwillinge bekam (Bettina und Regina Röhl).
Mitte der Sechziger hörten die Zuwendungen aus der DDR auf, was verschiedene
Gründe hatte, unter anderem die beginnenden Chefallüren von
Röhl. Um die Zeitung finanzieren zu können, öffnete Röhl
sein "konkret" für Porno-Inserate, was sich freilich mit
dem linken und aufklärerischen Anspruch nicht vertrug. Seit Anfang
der 1970er geriet "konkret" in immer grössere Nöte:
den Linken waren die Pornoseiten verdächtig, und den Inserenten "aus
der Wirtschaft" gefiel das sog. "redaktionelle Anzeigenumfeld"
nicht. Weder die Trennung der Redaktion vom Verleger Röhl noch die
Umstellung auf 2-wöchige Erscheinungsweise konnte das Blatt letztlich
retten; im November 1973 wurde Konkursantrag gestellt.
Der Journalist Hermann L. Gremliza (Jahrgang 1940) hatte zuerst beim "SPIEGEL"
als Redakteur angeheuert. 1969 hatte Wily Brandt in seiner Regierungserklärung
"Mehr Demokratie wagen!" gefordert. Natürlich war dies
nicht so recht ernst gemeint; schliesslich war Brandt Sozialdemokrat und
der eigentliche Verantwortliche etwa für den sog. "Radikalenerlass"
(1972). 1971 wollten einige "SPIEGEL"-Redakteure tatsächlich
"mehr Demokratie wagen", unter ihnen auch Gremliza. Wie in einem
zentralen Land des Imperialismus nicht anders zu erwarten, wurde daraus
nichts. Der "SPIEGEL"-Verleger und -Herausgeber Rudolf Augstein
(FDP) setzte die Aufrührer kurzerhand an die frische Luft; die anderen
Redaktionsmitglieder wurden mit einer Gewinnbeteiligung eingekauft; von
Mitbestimmung über die redaktionelle Linie hörte man seitdem
nichts mehr beim "SPIEGEL".
Mittlerweile hat sich auch beim "SPIEGEL" ein grosser Kreis
geschlossen: der "SPIEGEL" macht heute offen Front gegen das
Grundgesetz von 1949, das in der Tat ein Klassenkompromiss war und aus
jener Zeit stammte, da die noch sozialistische Sowjetunion eine achtunggebietende
Macht war. Das kennt man von jedem Maskenball: irgendwann fallen die Masken,
und die wahren Fratzen kommen zum Vorschein. Dann wird es richtig gruselig.
Herrmann L. Gremliza seinerseits startete 1974 eine zweite Karriere als
Verleger und Herausgeber des neuen "konkret", das seitdem unter
seiner Regie erscheint. Anfang der Achtziger versuchte Gremliza, sein
"konkret" zu einer "partei-unabhängigen linken Publikumszeitschrift"
(so Gremliza auch heute noch) zu machen. In diesem Zusammenhang sind zu
sehen: die Umstellung auf das neue Format (ab März 1982), die Anstellung
von Manfred Bissinger, dem früheren Hamburger Senatssprecher, als
Chefredakteur (Anfang 1982 bis Anfang 1984), die Ausgabe von Sonderheften
("Sport" 1982 und "Atomkrieg" 1983) sowie einiger
Reihen, von denen "Literatur konkret" als einzige bis heute
überlebte. Zu dieser Zeit (Jahreswechsel 1982/83) stiess ich zu "konkret";
ich war damals noch minderjähriger Schüler und auf der Suche
nach Antworten auf Fragen, die ich mir seit geraumer Zeit stellte.
Nachdem Anfang 1984 Manfred Bissinger "konkret" verlassen hatte,
machten Gerüchte die Runde, "konkret" laboriere am Rande
der Zahlungsunfähigkeit. Um diesen Gerüchten entgegenzutreten,
startete Gremliza ein interessantes Experiment: anderthalb Jahre lang
wurde der "konkret"-Kulturteil jeweils von einer Person verantwortet.
Diese Person war zunächst (März bis Juni 1984) Wolfgang Pohrt,
dann (Juli bis September 1984) Hermann Peter Piwitt, danach (Oktober 1984
bis Januar 1985) Christel Dormagen, weiter (Februar bis Mai 1985) Günther
Amendt, schliesslich (Juni bis August 1985) Ernst Kahl und Horst Tomayer.
Das Experiment endete dann, der Kulturteil wurde wieder wie früher
gestaltet, es blieb "das konkretchen" (eine im Stile von Kinderbüchern
gehaltene Rubrik von Kahl/Tomayer), und ab September 1985 kostete "konkret"
DM 6,-- statt DM 5,--. Der Preis konnte bis Ende 1989 gehalten werden.
Zu dieser Zeit entschloss ich mich, "konkret" nicht mehr am
Kiosk zu kaufen, sondern es zu abonnieren.
Was die Gerüchte um die finanzielle Lage von "konkret"
anbelangt, so ist es interessant, zu beobachten, dass "konkret"
im Laufe der Zeit immer weniger Seiten umfasste. Hatte "konkret"
noch Mitte der Achtziger über hundert Seiten pro Ausgabe, so sind
es seit 1992 nur noch 64 Seiten. Erneut machten Gerüchte der genannten
Art die Runde, als es zum Jahreswechsel 1987/88 erneut zu Veränderungen
in der Redaktion kam.
Beide Male wurden die redaktionellen Veränderungen überschattet
durch von "konkret" provozierte Affären, die überdeckten,
dass die einmal aus "konkret" ausgeschiedenen Personen niemals
wiederkamen, und auch niemals wieder in "konkret" publizierten.
Die Redaktion wurde beide Male nachhaltig ausgedünnt. Röhl redivivus.
Diese beiden Affären sind es wert, näher betrachtet zu werden,
was ich weiter unten tun werde. Ihre Bedeutung als Etappen des Weges wird
dann klar werden.1983/84 war es die "Affäre Kommissar",
1987/88 die "Affäre Wallraff".
Beide Male war die jeweilige Affäre nur der Höhepunkt einer
Wende bei "konkret", welche sich als nachhaltig herausstellten
sollte, zuerst im Kulturteil (das Experiment überdeckte dies seinerzeit
eine Weile), dann auch im Politikteil. Die von vielen wahrgenommene Wende
von "konkret" 1989/90/91 hätte also nicht überraschen
sollen. Eine Gossweilers "Taubenfuss-Chronik" nachempfundene
Darstellung der seinerzeitigen Vorgänge in und um "konkret"
macht dies klar. Im Rahmen dieses Artikels wird eine Art "Taubenfuss-Chronik"
für das "konkret" der Achtziger gegeben werden.
Selbst in seinen besten Jahren - Mitte der Achtziger - war "konkret"
nicht imstande, gewisse Fakten darzulegen, wie etwa die Zusammenarbeit
zwischen NS-Regime und Zionisten oder die Zusammenarbeit von USA und Nach-Stalin-UdSSR
bei der Bevormundung der sog. "Dritten Welt". Stattdessen wurde
in DKP-Manier eine heile Welt des Realsozialismus vorgegaukelt, was im
Gefolge der Gorbatschowtschina naturgemäss zu gewissen Verwirrungen
bei "konkret" und seiner Lesergemeinde führte. Dies zu
berücksichtigen hilft beim Verständnis, warum die Wende bei
"konkret" 1989/90/91 so reibungslos durchgeführt werden
konnte, und viele "konkret" auch heute noch für links halten.
Ich werde im Kommenden einige Punkte aufzählen, die im heutigen "konkret"
eine wichtige Rolle spielen, und fragen, wie sich "konkret"
vor seiner Wende 1989/90/91 dazu geäussert hatte. Es sind im wesentlichen:
Antisemitismus, Antiamerikanismus, Antistalinismus, Beurteilung des sozialistischen
Experiments 1917-1991, Allgemeines zu dem, was unter "links"
zu verstehen ist.
Den Anfang mache ich mit der gezinkten Antisemitismus-Karte, die heute
sehr schnell und von vielen gezogen wird. Heute ist es so, dass jeder
Gegner der herrschenden Weltordnung als "Antisemit" bezeichnet
wird, und damit sind er und seine Argumente dann "erledigt".
Die Beweislast wird nicht bloss umgekehrt; es erübrigt sich, den
Vorwurf zu erörtern - und gar: ihn zu prüfen, gegebenenfalls
als falsch zu verwerfen -, sondern das Erheben des Vorwurfs gilt als sein
"Beweis"; man "weiss" schon, dass der Vorwurf stimmt,
denn er muss stimmen, denn er ist erhoben worden. Plausibel, also wahr;
beschuldigt, also schuldig. Die Umkehrung der praesumtio innocentiae (die
für den Rechtsstaat charakteristische Unschuldsvermutung betreffend
den Angeklagten; die Beweislast liegt beim Ankläger, nicht beim Angeklagten)
zeigt, welchen Geistes Kind die sind, welche solcher Art "argumentieren".
Diese Methode ist menschenverachtend und demokratiefeindlich, so dass
von daher schon klar ist, was für einen Charakter man haben muss,
um so "argumentieren" zu können, ohne sich zu schämen.
Diese Methode wurde von Hitler ausgiebig und meisterlich praktiziert;
nur sagte Hitler nicht "antisemitisch", sondern "jüdisch"
bzw. "verjudet", wenn er sich um eine Auseinandersetzung auf
der Sachebene herumdrücken wollte. In "konkret" gab es
in den Achtzigern drei Personen, die so vorgingen: Eike Geisel (1997 verstorben),
Wolfgang Schneider (seit 1991 verantwortlicher Redakteur bei "konkret"),
und Wolfgang Pohrt.
(Letzterer hatte sich in einem Interview, abgedruckt im "konkret"
vom Oktober 1998, sehr selbstkritisch geäussert; ich hatte ein solches
Mass an Selbstkritik von Pohrt nicht erwartet. Wörtlich sagte er,
mit Blick auf das angebliche "Vierte Reich", das mit der Wiedervereinigung
gekommen sei, sowie den von ihm immer wieder behaupteten Antiamerikanismus
und Antisemitismus wahlweise "der Deutschen" bzw. "der
Linken": "Ich fürchte, wir haben uns damals geirrt."
Und weiter: "Blinder Eifer schadet nur." Im Hinblick auf die
Nationale Frage erklärte Pohrt sogar: "... denn es stimmt ja,
was man uns immer erzählt hat, dass mit der Wiedervereinigung ein
unnatürlicher Zustand zu Ende ging und die Teilung nicht normal war."
Es fällt schwer zu glauben, dass dieser Pohrt 1990/91 in "konkret"
eine Studie in Anlehnung an Adornos "Authoritarian Personality"
(1950) vorgestellt hatte, in welcher er unter anderem allen, die sich
seiner pauschalen Verdammung der Wiedervereinigung nicht anschliessen
wollten, attestierte, verkappte Nazis zu sein. Schliesslich gab er noch
zu, dass die USA sich anmassen, die Herren der Welt sein zu wollen, und
in den USA sich ein Herrenmensch-Bewusstsein breitmacht. Kein Wunder also,
dass man seitdem so wenig von Pohrt in "konkret" lesen konnte.
Kein Wunder auch, dass Jürgen Elsasser, welcher in den Neunziger
auf Pohrts Spuren gewandelt hatte, und 2001 und 2002 wiederholt mit Selbstkritik
an die "konkret"-Leser herangetreten war, inzwischen bei "konkret"
gefeuert wurde.)
Bemerkenswert ist, dass diese Methode damals von einigen in "konkret"
auch entlarvt wurde, so auch von Gremliza selbst, etwa in seiner Analyse
der Pohrt'schen Argumentationsmuster (Juni 1984), oder in seiner Kolumne
"Siech im Volkskriech" (Juli 1984) oder im ohne Nennung des
Autoren verbliebenen Artikel "Kritik als fauler Zauber" (Juni
1985). Diese Artikel lesen sich wie eine Kritik des heutigen "konkret".
Immerhin war man einmal so weit gewesen ...
Gremliza bescheinigte Pohrt damals, dass dieser zu viel von "den
Deutschen" und zu wenig von Klassen spreche. Dessen macht sich "konkret"
heute allenthalben schuldig. Dass Gremliza seinerseits ein antideutscher
Rassist ist, hätte man schon früher merken können, etwa
in seinem Artikel "Dreggers Bruder" (Juni 1985) oder in seinen
Kolumnen wie etwa "Nationale Schmach" (Oktober 1984), "Fronkreich,
Fronkreich" (November 1985 - der Titel bezieht sich auf das alberne
Lied, mit dem die Kölner Karnevalsgruppe "De Black Föss"
im Sommer 1985 grossen kommerziellen Erfolg hatte), "Hier bedient
Sie Herr Kohl" (Dezember 1986), "Einige Grenzen" (Oktober
1987), "Wesen (deutsch)" (Februar 1988), "Lechts und rinks"
(April 1988) oder "Scheiss Deutschland" (Oktober 1990). Was
Gremliza damals "den Deutschen" attestierte (ohne jedwede Begründung
und Differenzierung), das würde, auf "die Amerikaner" oder
"die Juden" bzw. "die Israelis" bezogen, den Vorwurf
des Antiamerianismus bzw. des Antisemitismus auf sich ziehen, und dann
zu Recht.
Gremliza beschuldigte "die Deutschen" in den genannten Kolumnen,
eine nimmersatte Volksgemeinschaft zu sein, welche nun einmal gerne Kriege
beginnen, Völkermorde begehen und die ganze Welt kontrollieren möchte,
und die daher für alle Zeit geteilt und unter Kontrolle der Allliierten
bleiben solle. Sein Artikel "Ami stay here" (Juli 1989) kam
daher nicht überraschend, hätte jedenfalls nicht überraschen
sollen; er forderte die USA auf, von ihrem Besatzerrecht brutalst möglich
gegen "Die Deutschen" Gebrauch zu machen. Dass Hitler ausländische
Finanziers hatte, dass insbesondere Henry Ford und Sir Henry Deterding
von Royal Dutch / Shell schon 1921 mit dem Gross-Sponsoring der NSDAP
begonnen hatten, wurde in "konkret" niemals mitgeteilt.
(Hier ist der Platz für eine Bemerkung zu der von den "Antideutschen"
als wahr unterstellten These, Deutschland sei besonders schlimm. Dass
diese These niemals begründet wird, versteht man, wenn man sich selber
eine Begründung überlegt. Es gibt schon eine, doch ist diese
nicht präsentabel - jedenfalls nicht, wenn man als Linker durchgehen
will. Diese Begründung geht so: Deutschland gehört zu den sog.
"verspäteten Nationen": die deutsche nationale Einigung
fand erst im 19. Jahrhundert statt, als die nationale Einigung in anderen
westeuropäischen Ländern schon jahrhundertealte Tatsache war.
(Zudem war sie nicht komplett: die sog. "klein-deutsche Lösung",
von Bismarck bis 1870/71 mit Gewalt durchgesetzt, war 1848/49 von den
Rechten in der Frankfurter Paulskirche favorisiert worden.
Marx/Engels hatten präsize begründet, warum Linke die sog. "gross-deutsche
Lösung" zu favorisieren haben.) Infolgedessen kam der deutsche
Imperialismus bei der kolonialen Aufteilung "Ausser-Europas"
(wie die Erde ausserhalb Europas von Europas Herrschenden genannt wird)
zu spät und also zu kurz. Infolgedessen verübte der deutsche
Imperialismus seine Verbrechen überwiegend in Europa, sodass also
zu seinen Opfern überwiegend Weisse gehörten. Wer nun insgeheim
der rassistischen Meinung ist, dass Weisse etwas Besseres seien als Nichtweisse,
mithin an Weissen verübte Verbrechen schwerer wögen denn an
Nichtweissen verübte Verbrechen, der kann daraus nur den Schluss
ziehen, dass Deutschland besonders schlimm sei. Konsequenterweise erachten
die "Antideutschen" denn auch "1776" für wichtiger
als "1789", denn die Losung von "1789" ist Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit,
und die oben durchgeführte Betrachtung geht von der Ungleichheit
von Weissen und Nichtweissen aus; demgegenüber waren wichtige Vertreter
von "1776", wie etwa Thomas Jefferson oder George Washington,
Sklavenhalter, was in "konkret" nur in den beiden Interviews
von Heinz Dieterich mit Noam Aram Schomsky, September 1985 und August
1986, zu lesen war. Man lese die Anfang 2002 in "konkret" ausgetragene
Kontroverse zwischen Elsässer und Kunstreich-von der Sacken-Uwer-Jacob
unter diesem Blickwinkel.)
Heute gilt es in "konkret" als "Beweis" einer deutsch-völkischen,
antiamerikanischen und antisemitischen Einstellung, wenn man wahrheitsgemäss
daran erinnert, dass Deutschland in der Zeit der Teilung eher Objekt denn
Subjekt des Staatenrechts war; man denke nur an den sog. "Bonner
Vertrag", auch "Deutschland- Vertrag" oder "Generalvertrag"
genannt, vom 25. Mai 1952. Gremliza selbst hatte diesen Umstand in seinem
Artikel "Popanz Grundgesetz" (Dezemer 1983) ausgiebig referiert.
In seiner Kolumne "Stars an Strippen" (Dezember 1983) hatte
er sogar erklärt, dass die USA sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine
ihnen ergebene Generation von Politikern und Gewerkschaftsführern
herangezogen habe, um die BRD besser kontrollieren zu können. Derlei
Erkenntnisse stehen im heutigen "konkret" unter Antiamerikanismus-Verdacht.
Gewissermassen als "Bibel" des vermeintlich linken Anti-Antisemitismus
gilt spätestens seit 1989 das Buch "Der Ewige Antisemit"
von Hendryk M. Broder, erschienen Anfang 1986. Scheinbar drehte Broder
das antisemitische Stereotyp des "Ewigen Juden" nur um. Dieses
ist christlichen Ursprunges und besagte, dass die Juden, weil sie den
Messias nicht erkannt und sogar - Judas! - "verraten" hätten,
nun nicht mehr das "auserwählte", sondern das "verfluchte"
Volk seien, und dies in alle Ewigkeit. Man lese sich unter diesem Blickwinkel
die Evangelien, insbesondere von Markus und Matthäus, durch.
Tatsächlich geht die Sache jedoch tiefer, denn zu den 613 mizwot
(= religiöse Pflichten des Judentums) gehört es, der "Untaten
Amaleks" zu gedenken, und schliesslich in allen Nichjuden potentielle
Amalektiter zu sehen. Da aber Amalek ausgerottet gehört, ist der
genozidale und imperiale Impuls des Judentums originär. Er bedroht
heute vor allem die Palästinenser, denen von verschiedenen zionistischen
Extremrechten attestiert wurde, dass "der Ewige Amalek" sich
in ihnen erhalten habe, weswegen die Ermordung bzw. Vertreibung aller
noch zwischen Mittelmeer und Jordan verbliebenen Palästinenser ein
Gebot des Judentums sei. Mit den Palästinensern sei so zu verfahren,
wie seinerzeit mit den Kanaanitern: das Buch Josua beschreibt, wie nach
dem Tode des Moses die Israeliten sich einen neuen Anführer wählten,
den Josua nämlich, unter dessen Führung sie die Kanaaniter angriffen
und völlig ausrotteten. Bewertet man die Bibel strafrechtlich, so
hat man hier ein Bekennerschreiben vor sich; es handelt von Verschwörung
gegen den Frieden, Planung und Durchführung eines Angriffskrieges
sowie Begehen eines Genozides. Es sei allerdings mitgeteilt, dass derlei
häufiger vorkam im Alten Orient; die diesbezüglichen "Champions"
dürften die Assyrer gewesen sein.
Wer diese Informationen nicht hat, der wird bei Broders Titel an den NS-Film
aus dem Jahre 1942 denken. Es handelt sich also bei diesem Titel um ein
Meisterstück der arglistigen Täuschung ahnungsloser Mitmenschen.
Nun wurde dieses Buch von Herrmann Peter Piwitt in "konkret"
(Juli 1986) besprochen. Bedaürlicherweise kamen die von mir mitgeteilten
Fakten nicht zur Sprache. Immerhin erwähnte Piwitt aber, dass Broder
dem Grafen Richard Nikolaus von Coudenhove-Calergi (1894-1972) bescheinigte,
kein Antisemit gewesen zu sein, und dafür drei Gründe
nannte: adeliges Pflichtgefühl, bürgerliche Bildung und christliche
Menschenliebe. Wenn man also im heutigen "konkret" Artikel um
Artikel gegen die Linken und die Werktätigen liest, welche von bürgerlichem
Klassendünkel durchdrungen sind, so darf einen dies nicht wundern:
Broder hatte es vorgemacht.
Was die "christliche Menschenliebe" anbelangt, so verweise ich
auf die Jahrhunderte währende Verfolgung der Juden durch die Christen,
während die Juden unter den Moslems nichts zu fürchten hatten.
Bezeichnenderweise gab es allgemeine Judenaustreibungen in England 1290,
in Frankreich 1394, in Spanien 1492 und in Portugal 1497, aber in keinem
moslemischen Lande. Im Gegenteil: das mittelalterliche Spanien war ein
Land, wo Juden, Christen und Moslems friedlich zusammen leben konnten.
Die bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters kamen aus
Spanien, wie etwa Maimonides oder Nachmanides.
Die jüdische Diaspora (= "Verstreuung") begann mit Kaiser
Hadrian (regierte 117-138 das Römische Reich), der eine römische
Siedlung, Aelia Capitolina, an Stelle des jüdischen Jerusalem errichtete
und den Juden mitteilte: "Hierosolima est perdita." (= "Jerusalem
ist - für Euch Juden - verloren.") Da Hadrian den von seinem
Vorgänger Trajan begonnenen Feldzug gegen die Parther abbrach und
im Gegenzug für die Rückgabe Mesopotamiens Geld und einen langjährigen
Friedensvertrag aushandeln konnte, gilt er als "Friedenskaiser".
Die Juden dürften das etwas anders sehen. Kaum hatten die türkischen
Seldschuken 1070 das sog. "Heilige Land" erobert, wurde den
Juden der Zuzug insbesondere nach Jerusalem - seit Hadrian verboten -
erneut gestattet. Als 1100 die christlichen Ritter des Ersten Kreuzzuges
Jerusalem eroberten, verübten sie als erstes ein Pogrom unter den
Juden. "konkret" schweigt beharrlich über diese Dinge.
Dies tun die Schulbuchautoren zwar auch, doch treten diese nicht als Linke
auf.
(Was den Grafen Richard Nikolaus von Coudenhove-Calergi (1894-1972) betrifft,
so kämpfte dieser jahrzehntelang unter der Losung der "Vereinigten
Staaten von Europa" für ein "Vereinigtes Europa",
welches sich gegen die USA genauso wie gegen die europäischen Werktätigen
richtete. Konsequenterweise erhielt er im Jahre 1950 den allerersten Aachener
Karlspreis überhaupt; er hatte ihn sich redlich verdient. In "konkret"
wurde sein Name nur in Piwitts 1986-er Rezension erwähnt, wenngleich
seine Aktivitäten unerwähnt blieben. Aber mehr ist auch nicht
zu erwarten von einer Zeitschrift, die von Lenins Artikel "über
die Losung der Vereinigten Staaten von Europa" niemals etwas gehört
zu haben scheint.)
In "konkret" wurden diese Fakten, betreffend das Verhältnis
von Juden und Christen, niemals erwähnt, noch nicht einmal im März
1988, als "konkret" das Schwerpunkt- und Titelthema "Christentum:
2000 Jahre sind genug" hatte. Was die Piwitt'sche Kritik an Broder
anbelangt, so war sie einigen Leuten zu viel. Im "konkret"-Heft
vom August 1986 wurden zwei Leserbriefe abgedruckt, einer von Wolfgang
Pohrt, in welchem Piwitt des Antisemitismus geziehen wurde; schliesslich
hatte er es gewagt, ein von einem Juden geschriebenes Buch zu kritisieren.
Selbstverständlich gingen die Leserbriefschreiber nicht ein auf das,
was Piwitt zur Sache gesagt hatte; stattdessen wurde in Freud'scher Manier
spekuliert, was Piwitt denn wohl gemeint haben könnte.
Um es einmal klar zu sagen: Psychoanalyse (und verwandte "Ansätze")
verhalten sich zu wissenschaftlicher Psychologie so wie Astrologie zu
Astronomie und Alchemie zu Chemie. Wer keine Fakten kennt, und sich auch
nicht die Mühe machen will, welche in Erfahrung zu bringen, der denkt
sich halt eine Räuberpistole aus, und macht viel Aufhebens darum.
Wenn man partout irgendwo etwas "sehen" will, dann "sieht"
man es dort auch.
Genau so sind die Sternbilder entstanden: man meinte, etwas am Himmel
zu "sehen", und "sah" es fortan dort auch. Dann fing
man an, dem, was man dort "sah", irgendeine Bedeutung zuzuschreiben;
das ist dann Astrologie. Man "begründet" seine Auffassungen
dann damit, dass man ja etwas "gesehen" hat, und also an den
"Theorien" etwas Wahres sein muss, denn diese gehen davon aus,
das da etwas zu "sehen" ist.Mit hinreichend Alkohol im Blut
kann man tatsächlich etwa das Flügelross oder den Delphin sehen.
Ein geschlossenes Wahnsystem haben wir hier vor uns.
Der Wechsel von "konkret" auf die andere Seite der Barrikade
war konsequent: schliesslich wuchs zusammen, was zusammen gehörte.
In der Klassengesellschaft folgt der Aufklärung die Pseudo-Aufklärung,
die dann von der Gegen-Aufklärung abgelöst wird. Da "konkret"
vor 1989/90/91 bevorzugt Pseudo-Aufklärung mit Einsprengseln von
Gegen-Aufkläung bot, war der Übergang zur Gegen-Aufklärung
mit Einsprengseln von Pseudo-Aufklärung (seit der Wende) konsequent.
Es ist kein Wunder, dass vermeintliche Linke so gerne von "Anti-Amerikanismus",
"Anti-Semitismus" und "Stalinismus" reden, und dass
diese Begriffe geradezu als Synonyme gebraucht werden, und dann auch die
Behauptung nicht weit ist, Stalins Politik sei in ihren Grundzügen
nationalistisch und antisemitisch gewesen. Dies hatte bereits Chrustschow
in seiner ominösen "Geheimrede" 1956 verbreitet - natürlich
ohne Begründung. Auch die Diskussion über die "fehlenden
Voraussetzungen" des Sozialismus gehört hierhin.
Es gehört bei vielen vermeintlichen Linken zum guten Ton, davon zu
sprechen, dass Stalin antimarxistisch gehandelt haben soll, als per 1.
Oktober 1928 die Politik der forcierten nachholenden Industrialisierung
mittels 5-Jahr-Plänen begonnen wurde. Angeblich seien "die Bedingungen
für den Sozialismus" nicht gegeben gewesen.
Nun würde man gerne wissen, welche diese "Bedingungen für
den Sozialismus" denn nun sind, ob sie notwendig / hinreichend /
wünschenswert/ belanglos sind, woran man denn erkennen kann, ob oder
ob nicht - in gradualistischer Terminologie: in welchem Masse - eine jede
dieser "Bedingungen für den Sozialismus" erfüllt ist
an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, wodurch es denn zur
Erfüllung dieser oder jener Bedingung kommen kann (Von selber? Durch
das Handeln Anderer? Durch unser eigenes Handeln?), mithin also, an wen
sich die Forderung richtet, diese oder jene "Bedingung für den
Sozialismus" zu erfüllen (An den Weihnachtsmann und die Hainzelmännchen?
An die "Invisible Hand" des Adam Smith und die Bourgeoisie?
Oder an die Kommunistische Partei und die Werktätigen?), was denn
nun zu tun sei (und wie es zu tun sei), um diese oder jene "Bedingung
für den Sozialismus" zu erfüllen.
Dass man bei den bezeichneten Linken sich mit solchen Fragen unbeliebt
macht, darf nicht verwundern. Wer entschlossen ist, seinen konstruktiven
Beitrag zu leisten, der wird von sich aus - in juristischer Terminologie:
"unaufgefordert" - diese Fragen stellen und beantworten. Wer
jedoch keinen Bock dazu hat, der wird nur von "Bedingungen für
den Sozialismus" sprechen und behaupten, diese seien "nicht
erfüllt" gewesen, ohne auch nur ein Kriterium anzugeben, anhand
dessen man objektiv erkennen kann, ob oder ob nicht dem so ist. Schon
gar nicht wird so ein Mensch sagen, was zu tun sei, und wie es zu tun
sei, um die "Bedingungen für den Sozialismus" zu schaffen.
(Berücksichtigt man dies, so ist es ein Zeichen für die Urteilskraft
der KPdSU in den Zwanzigern, dass Stalin den Fraktionskampf gewann, denn
während Trotzki über der revolutionären Theroie die gar
nicht revolutionäre Praxis vergass, vergass Bucharin über der
nicht revolutionären Praxis die revolutionäre Theorie; Stalin
dagegen verstand es, das im Sinne der Revolution Richtige unter nicht
revolutionären Umständen zu tun und sich so die Option auf einen
revolutionären Durchmarsch "später" offen zu halten.
Zu diesem Urteil kommt der aus Film, Funk und Fernsehen bekannte Antikommunist
Iring Fetscher in seinem Erstlingswerk "Von Marx zur Sowjetideologie"
(1956). Da er mit diesem Ergebnis nicht einverstanden war, gab er seinen
Lesern Tipps, wie sie die Dinge verdrehen konnten. Man lese die entsprechenden
Artikel etwa in "konkret" (sowohl vor als auch nach 1989/90/91)
unter diesem Blickwinkel. Natürlich wurde auf Fetschers Erstling
in "konkret" niemals hingewiesen.)
Ein weiterer Anti-Stalin-Topos ist dieser: es hätte in der Stalin'schen
Sowjetunion noch gewisse - bezeichnenderweise niemals näher erlaüterten
- gesellschaftliche Probleme gegeben, und darum könne von Sozialismus
nicht gesprochen werden. Dazu ist zu sagen, dass man sich zwei grundverschiedene
Verhältnisse zwischen Sozialismus und gesellschaftlichen Problemen
vorstellen kann: entweder sagt man, dass nur mittels
des Sozialismus auf die gesellschaftlichen Fragen Antworten gegeben werden
können, die fortschrittlich und nachhaltig (= von Dauer) sind, oder
aber man sagt, dass der Sozialismus erst dann loslegen kann, wenn eben
diese gesellschaftlichen Probleme gelöst worden sind - bloss von
wem?
Wer keinen Bock hat, jemals in seinem Leben auch nur einen einzigen eigenen
konstruktiven Beitrag zu leisten, der wird sich der zweiten Alternative
zuwenden. Da ich dazu tendiere, Probleme zu lösen, Fragen präzise
zu stellen und zu beantworten, das, was krumm ist, gerade zu machen, das,
was im Argen liegt, ins Reine zu bringen: darum ist mir Stalin auf Anhieb
sympathisch. Genau darum stehen so viele vermeintliche Linke Stalin feindlich
gegenüber. Wie war das doch gleich mit dem Fuchs und den Trauben?
Diejenigen vermeintlichen Linken, deren Anti-Stalin-Haltung ich soeben
erklärt habe, können ja nur hoffen, dass andere ihre Ziele für
sie erledigen, weshalb es mir sofort einleuchtet, warum etwa die "Theorie"
vom Selbstlauf der Dinge so beliebt ist.Dieser "Theorie" zufolge
wächst der Sozialismus - richtig: wenn "die Bedingungen"
erfüllt sind, welche auch immer diese sein mögen, und was immer
dies auch heissen möge, und woran man auch immer dies erkennnen könne
- ganz von selbst aus dem Kapitalismus heraus ... so dass man also eigentlich
keinen Finger krumm machen muss. Wie muss ein Mensch ticken, um dies als
Frohe Botschaft - griechisch: evangelion - auffassen zu können?
Trotzki brachte diese Überlegungen 1919 (auf dem Gründungskongress
der Kommunistischen Internationale) folgendermassen auf den Punkt: "Kolonialsklaven
Afrikas und Asiens! Die Befreiung der Arbeiter Europas und Nordamerikas
wird auch die Stunde Eurer Befreiung sein!" Wer dächte jetzt
nicht an Rudyard Kiplings widerwärtiges rassistisches
Gedicht "White Man's Burden"?
Später verzichtete Trotzki darauf, noch einmal so deutlich zu werden;
schliesslich kann die Fünfte Kolonne nur dann ihren Klassenauftrag
ausführen, wenn sie verdeckt arbeitet. Eine präzise und daher
verständliche Ausdrucksweise ist da kontraproduktiv, weshalb die
Vorliebe der "konkret"-Leute für die Frankfurter Schule
- Horkheimer, Adorno, etc. - verständlich ist: diese brachten es
zu einer wahren Meisterschaft in der Kunst, reaktionären Inhalt mittels
bombastischer Satzkonstruktionen und marxistischem Vokabular als progressiv
erscheinen zu lassen.
Selbst in seiner Kritik an Pohrt vom Juni 1984 sprach sich Gremliza zu
Gunsten von Adorno aus, und bescheinigte dessen Gegnern mindestens geistige
Rückständigkeit, dass sie Adorno nicht verstanden. Wenn nun
aber die Adorno-Gegner diesen sehr genau verstanden hatten und deshalb
zu seinen Gegnern geworden waren ...? Dass Horkheimers Buch "The
Eclipse of Reason" (USA, 1947) niemals in "konkret" erwähnt
wurde, verwundert nun nicht: in diesem Buch hatte Horkheimer ausdrücklich
Vernunft und Aufklärung zu Ursachen allen Übels erklärt
und ernsthaft eine Rückkehr zur Religion empfohlen. Und so jemand
gilt in "konkret" auch heute noch als "undogmatischer Marxist"
....!
Die führende imperialistische Macht sind die USA. Wer seine Hoffnungen
auf den Selbstlauf der Dinge setzt (weil er unfähig und / oder unwillig
ist, selber etwas zu tun), der kann ja nur die USA bejubeln. (Ein schlimmes
Beispiel dafür ist Elsässers "Marx bless America"
von 1997.) Da Stalin fähig und willens war, selber etwas zu tun,
gehen Verdammung Stalins und Hochjubeln der USA Hand in Hand.
Nun muss man wissen, dass die Juden über Jahrhunderte hinweg verfolgt
und unterdrückt wurden - in Europa, dem christlichen Abendland. Und
zwar eben darum, denn Markus führte die Figur des Jesus-Verräters
Judas ein, und sein Evangelistenkollege Matthäus ging sogar noch
weiter, als er sagte, dass es - bei den Juden - "Heulen und Zähneklappern"
geben werde, weil sie den Messias "verraten" hätten.
"Ein Christentum ohne Antijudaismus kann es nicht geben, denn wenn
das Judentum legitim ist, dann ist das Christentum eine Lüge."
So erklärte es Yeshayahou Leibowitz (1902-1994), einer der grösssten
jüdischen Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts. Leibowitz war
auch ein grosser Naturwissenschaftler - die Bezeichung "Maimonides
des 20. Jahrhunderts" geht in mehrerer Hinsicht in Ordnung -, aber
auch ein scharfer Kritiker Israels und des Zionismus. Von Leibowitz stammt
die Bezeichnung "Judeo-Nazis" für die Zionisten.
Natürlich war in "konkret" niemals etwas über Leibowitz
zu lesen, denn den sog. "Antideutschen" zu Folge kann
es die Leibowitz'sche Position gar nicht geben: ein überaus gebildeter
und zutiefst religiöser Jude, der strikt an den 613 mizwot des Judentums
festhält, dieses gegen andere Religionen, insbesondere gegen das
Christentum, aber auch gegen die moderne Naturwissenschaft verteidigt,
und der zugleich ein entschiedener und scharfzüngiger Gegner des
Zionismus (in allen seinen Schattierungen) und der Politik Israels ist.
Es darf also nicht verwundern, dass es bei "konkret" zu einem
Amalgam aus Antistalinismus, Menschewismus im weitesten Sinne des Wortes
und unkritischer Haltung zu USA und Israel gekommen ist. Defätisten
neigen nun einmal dazu, zum Feind überzulaufen, und alle ihre früheren
Erkenntnisse zu verraten. Dass Gremliza von seiner Mentalität ein
Defätist ist, und schon früher war, zeigt etwa seine Kolumne
"Stars and Stripes War" (März 1985), in welcher er unkritisch
Star Wars für möglich erachtet und einem sozialistischen Land
- für welches er die seinerzeitige Sowjetunion noch hielt - technologische
Spitzenleistungen nicht zutraut.
In seinem Artikel "Sterben für Godesberg?" (Oktober 1994)
forderte Gremliza Kuba zur bedingungslosen Kapitulation auf, da es "nicht
gewinnnen kann". Bucharin und Trotzki hatten ähnlich gedacht
über die Chancen, gegen die Imperialisten zu gewinnen. Bekanntlich
war es 1941 zum Zusammenbruch des Sowjetlandes beim Herankommen der Feinde
nicht gekommen; Hitler und Trotzki hatten sich getäuscht. "Wer
der Retter sein will, der muss eine Lage herbeiführen, in welcher
er retten kann - also eine schlimme Lage." Diese Argumentation brachte
Berthold Brecht (1898 - 1956) in seinen Überlegungen zur Stalinfrage
in den Dreissigern vor; es ergab sich für Brecht, dass der Übergang
der Rechten und Trotzkisten zu gemeinen Verbrechern, Saboteuren und Kollaborateuren,
nicht verwundern dürfe. Behält man diese Argumentation im Hinterkopf,
lässt sich die Entwicklung von "konkret" sehr leicht begreifen
als Gleiten auf einer geneigten Ebene: erst geht es langsam und unmerklich,
dann immer schneller - aber immer abwärts.
Auch späterhin fabulierte Gremliza davon, dass die Sowjetunion ein
sozialistisches Land sei, und also Dinge, die dort nicht gingen, prinzipiell
nicht gehen könnten, was seinen Beitrag zum "konkret"-Umfall
leisten sollte. Man lese unter diesem Blickwinkel einige von Gremlizas
Kolumnen sich genaür durch.
Etwa zu Tschernobyl, "Nichts geht mehr", (Juni 1986), und "Restrisikohl:
Ein Super-Rau" (Juli 1986); dass am Reaktor "Experimente"
durchgeführt und dieser systematisch zur Havarie gebracht worden
war, konnte man in "konkret" niemals lesen. Bemerkenswert ist,
das Pohrt in seiner Gremliza-Entgegnung (Juli 1986) meinte, in Gremlizas
Bemerkungen den Versuch zu erblicken, an unpassender Stelle eine Kritik
an der UdSSR nachzuholen, die an anderer Stelle und früher sehr viel
angebrachter gewesen wäre. (Vielleicht tue ich Pohrt unrecht, und
er war früher aufrichtig überzeugt von dem, was er betreffend
"Antiamerikanismus" und "Antisemitismus" der Linken
schrieb; das würde ihn deutlich über Leute wie Pankow, Wertmüller,
Kunstreich, Uwer, von der Osten-Sacken etc. heben. Auf deren Niveau jedenfalls
bewegte sich Pohrt niemals.)
Oder "neues Denken" (Juni 1988), "Newthing und Adabei"
(Juli 1988) und "Behüt' Euch Gott!" (Juni 1989). Statt
einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Nach-Stalin-UdSSR gab es
Hochjubeln von Gorbatschow ("Schick, der Bolschewik", März
1987), welche dann in Katzenjammer umschlug. Dass Gorbatschows erstes
Gesetz (trat am 1. Juni 1985) in Kraft ein Prohibitionsgesetz ähnlich
dem Volstead Act in den USA kurz nach dem Ersten Weltkrieg war, entging
der Aufmerksamkeit der "konkret". Bekanntlich hatte der Volstead
Act seinerzeit dazu geführt, dass kriminelle Elemente die illegale
Produktion und den genauso illegalen Vertrieb von Alkohol zum Zwecke des
Genusses (Alkohol für medizinische und industrielle Zwecke blieb
vom Volstead Act ausgenommen) monopolisierten und so die Grundlage legten
für die heutige Verquickung von Big Business und Big Crime in den
USA.
Stalin wusste schon, warum er in der Wodkafrage die Haltung einnahm, die
er einnahm; er begründete diese gegenüber einer Delegation US-amerikanischer
Arbeiter 1927 auch mit dem Hinweis auf die Erfahrungen in den USA. Wer
Stalins Bemerkungen und ihren Hintergrund kannte, der hätte sich
denken können, was dann folgte. Gorbatschows Reformwerk von Sommer
1987 (am 1. Januar 1988 traten die Reformen der Planung und über
den sozialistischen Betrieb in Kraft) führten dann dazu, dass einige
"neue Russen" sich etliche wichtige Betriebe und Kombinate aneigen
konnten; wo hatten die bloss das Geld her?
Das für "konkret" typische Verhalten des Nicht-zur-Kenntnis-Nehmens
der Fehlentwicklungen in der Nach-Stalin-UdSSR eröffnete dem Klassenfeind
eine Flanke; dass heute in "konkret" praktisch alles, was mit
"1917" zu tun hat, niedergemacht wird - meist als "antisemitisch"
denunziert -, ist nur die Kehrseite der Ignoranz von früher. Mir
fällt da vor allem Gremlizas allzu kurze Besprechung des 1984 bei
Bertelsmann erschienenen Buches "Weltmacht im Abstieg - Der Niedergang
der Sowjetunion" des langjährigen "SPIEGEL"-Politredakteurs
Fritjof Meier (im "Gremlizas Express", Mai 1985) ein. Meier
ging geschickt vor: er stellt tatsächlich vorhandene Probleme der
Nach-Stalin-UdSSR dar als logische Folge einer "Marx-Wirtschaft"
und sprach implizite von antisemitischen Massnahmen Lenins und Stalins,
um zu erklären, warum damals in der UdSSR der Laden lief. Gremliza
verwarf damals Meiers Buch, ohne auch nur einen Satz auf die Darlegung
von dessen Inhalt zu verwenden. Konsequenterweise werden im heutigen "konkret"
alle seinerzeit von Meier verwendeten Argumentationsmuster als Wahrheit
akzeptiert, ohne dass auf Meier und sein Buch explizite hingewiesen würde.
Der Zusammenhang mit dem vorgeblich linken Anti-Antisemitismus ist dieser:
wer sich selber nichts zutraut (wohl zu Recht), der muss Europa und die
USA bejubeln (weil dort die Entwicklung der Produktivkräfte am weitesten
gediehen ist); in Europa waren die Juden über Jahrhunderte hinweg
Opfer; "also" steht zwischen den Begriffen Jude und Opfer genau
so ein Gleichheitszeichen wie zwischen den Begriffen Europa und Welt;
"also" muss jeder ein Feind sein, der sich selber die Entwicklung
der Produktivkräfte ohne Bourgeois zutraut, und also ein Antisemit.
Wer sich dagegen zutraut, eine moderne Industriegesellschaft auch ohne
die Kapitalisten handzuhaben, der wird nicht einsehen, warum europäische
Geschehnisse und Begriffe eins-zu-eins auf den Rest der Welt übertragen
werden sollten. Kein Wunder also, dass Stalin sowohl als "Antisemit"
als auch als "asiatischer Despot" bezeichnet werden kann, und
solche Leute sich dann noch "links" dünken, die derlei
verzapfen.
Gremliza behauptet nun, sehr auf korrekten Gebrauch der Sprache zu achten.
Dies wollen wir uns merken. Es sollte bekannt sein, dass es mehrere Modalverben
gibt: können, müssen, sollen, dürfen, wollen, ...; hinzu
kommen die Abschwächungen: könnte, müsste, sollte, dürfte,
möchte, ...; ebenso die Negationen. Wenn nun jemand ausschliesslich
ein Modalverb gebraucht, dann sollte er Verdacht erregen.
Bemerkenswerterweise diskutierte niemals jemand in "konkret"
den Umstand, dass immer wieder gegen Stalin vorgebracht wurde und wird,
dass "Sozialismus in einem Lande" (diese Losung wurde 1915 von
Lenin in seinem Artikel "Über die Losung der Vereinigten Staaten
von Europa" aufgestellt, was sich bis heute nicht zu "konkret"
herumgesprochen zu haben scheint) auf Dauer nicht gehen
könne. Nun liegt die Frage nahe: Aber wohl doch
auf Zeit? Was wären hier die evens und die odds?
(Mit diesen Ausdrücken meint man im Englischen die günstigen
und die ungünstigen Umstände; "Bedingungen" eben.)
Und soll es denn auf Dauer beim "Sozialismus
in einem Lande" bleiben? Stalin diskutierte diese
Fragen wiederholt; am Schweigen der vermeintlich linken Stalin-Gegner
über diese Fragen kann man viel erkennen. Eigentlich sollte einem
"Freund des guten Deutsch", als welchen Gremliza sich mitunter
tituliert, ein solches Schweigen auffallen.
Die Sache geht noch tiefer. In den theologischen Disputationen des Mittelalters
wurden unter anderem diese Begriffe verwendet:
1) actualitas = Aktualität = das, was ist bzw. das, was einer heute
kann;
2) potentialitas = Potentialität = das, was sein kann bzw. das, was
einer lernen kann.
Von Gott wurde behauptet, dass er alles weiss und kann und das schon seit
ewigen Zeiten. Folglich braucht Gott nichts mehr zu lernen, und es gibt
auch keinen Aspekt von Gott, der sich erst noch entfalten müsste.
Bei Gott gibt es also 0 % Potentialität und 100 % Aktualität;
Gott ist reine Aktualität, actus purus.
Wie ist das mit einem Menschen? Ganz bestimmt anders. Wenn also ein Mensch
durchblicken lässt, dass er es nicht nötig habe, etwas zu lernen
oder sich irgendwie zu ändern, dann macht dieser Mensch klar, dass
er sich selbst für Gott hält. Solche Leute spielen dann auch
gerne Gott. Sie massen sich an, darüber zu befinden, ob andere Leute
etwas lernen sollen. Diese Leute vertragen keine Kritik
an sich; sie ihrerseits bringen ausschliesslich destruktive Kritik vor.
Frage: kann man solche Leute als Linke akzeptieren?
Der heutige PDS-Vize Diether W. Dehm, der damals als Liedermacher Lerryn
aktiv war, verneinte diese Frage. In einem Flyer erklärte er 1983,
dass der "konkret"-Kulturteil eine "ätzend-lakonische
Pointensprache a la SPIEGEL" spreche und damit zumindest bewirke,
wenn nicht sogar auch bezwecke, linke Kulturschaffende nieder zu machen,
anstatt ihnen zu helfen, zu lernen und besser zu werden. Dehm stellte
die Frage: "Will 'konkret' überhaupt, dass
die linken Kulturschaffenden besser werden? Sollen sie
besser werden nach Meinung von 'konkret'?" Er verneinte diese Frage
schliesslich. Weiters führte er aus, dass der "konkret"-Kulturteil
so seinen Beitrag zur Desorganisierung und Demotivation der linken Künstler
leiste, also objektiv reaktionär sei.
Der damalige "konkret"-Kulturredakteur Hartmut Schulze (1986
verstorben) fühlte sich ertappt. In seinem Artikel "Der Kommissar"
(Januar 1984) beschuldigte er seinerseits Dehm, die "unseligen Zeiten
der Stalin'schen Kulturkommissare" zurück haben zu wollen. Dehms
Leserbrief auf diesen Artikel wurde zwar in "konkret" (Februar
1984) abgedruckt, aber erstens umgeben von anderen Leserbriefen, und zweitens
unter der Überschrift "Der Kommissar antwortet". Im März
1984 wurden erneut Leserbriefe abgedruckt, unter anderen ein erneuter
Leserbrief von Dehm. Da Schulze zwischenzeitlich bei "konkret"
ausgeschieden war, und das oben erwehnte Experiment begonnen hatte, verlief
die "Affäre Kommissar" augenscheinlich im Sande. Ich halte
es jedoch für sinnvoll, einige Fakten im Zusammenhang damit zu präsentieren.
Keiner der Leserbriefschreiber ging ein auf das, was Dehm zur Sache selbst
gesagt hatte. Stattdessen gab es Spekulationen über Dehms Motive.
Hans Branscheid (heute einer der entschiedensten Trommler für den
Krieg gegen den Irak sowie eine von USA-UK-Israel dominierte "Neuordnung
der arabischen Welt") etwa spekulierte über Schuldgefühle
Dehms, da dieser viele Jahre vorher, zusammen mit Branscheid, als linker
Student viele Veranstaltungen gestört und dabei für etliche
Aufregung gesorgt habe. Nun habe Dehm Schuldgefühle.
Der einzige, der argumentierte, war Dehm. Er erklärte, dass er den
Eindruck habe, als stehe "konkret" mit einem Bein bereits beim
Feind und wolle die linken Kräfte durch Niedermachen und Herumfaseln
schwächen und bediene sich dazu einer bestimmten Sprache, welche
Überlegenheit suggeriere, in Wirklichkeit aber handlungsunfähig
mache. Im Lichte der weiteren "konkret"-Geschichte gewinnen
diese Bemerkungen geradezu prophetischen Charakter.
Anfang 2002 gab es in "konkret" eine Kontroverse, welche Jürgen
Elsässer ausgelöst hatte, dem inzwischen ein Licht aufgegangen
war. Er forderte unter anderem "Konstruktive Kritik" - etwas,
was unter Linken selbstverständlich sein sollte, und was Hitler seinerzeit
als "jüdisch-bolschewistische Verstümmelung des arischen
Geistes" bezeichnet hatte. Die "Antideutschen" reagierten
sofort: sie bezichtigten Elsässer des Antisemitismus!
Dies ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil es ein wichtiges Gebot
der jüdischen Religion gibt - Leviticus (= 3. Buch Mose), Kapitel
19, Vers 17: "Zurecht weisen sollst Du Deinen Nächsten!"
-, welches üblicherweise von jüdischen Schriftgelehrten als
Beweis dafür angesehen wird, dass die Tora für geistigen Fortschritt
ist und daher für konstruktive Kritik. Begründung: kein Mensch
ist vollkommen; jeder Mensch aber kann sich vervollkommnen (man denke
an actualitas und potentialitas); jeder Mensch ist verpflichtet, jedem
anderen Menschen dabei zu helfen; dies geht nur durch Zurechtweisung (heut
sagen wir: Kritik); die Kritik muss aber wahr sein in der Sache, die Gründe
für die Fehler erkennen helfen ebenso wie mögliche Ansätze
zur Besserung aufzeigen und dem Kritisierten helfen, "sein Gesicht
zu wahren", wie es in Asien heisst; dann und nur dann kann der Zurechtgewiesene
lernen und der Vollendung (in Gott hypostatisert) näher kommen, und
das ist dann gut für alle. Wenn also Jürgen Elsässer 2002
- wie Diether W. Dehm 1983/84 - konstruktive Kritik einfordern, dann wandeln
sie auf den Spuren von Marx/Engels ebenso wie auf denen der Tora; und
das soll dann Antisemitismus sein ...?
Wer sich noch der "Affäre Kommissar" erinnert, der wird
jetzt ein deja-vu-Erlebnis haben. Es geht daher in Ordnung, wenn ich nun
aus dem Artikel "Erinnerung an Hartmut Schulze" von Gremliza
(Dezember 1986) berichtete. Gremliza bemerkt darin, dass er Schulze 1974
kennen gelernt hatte; Schulze war damals in einem linken AStA aktiv. Nach
einiger Zeit wurde Schulze "konkret"-Chefredakteur und blieb
dies bis 1980. Gremliza sagt selbst, dass Schulzes Artikel "Die Erde
wird rot" (Oktober 1976) auch genau so gut von ihm selbst hätte
stammen können. Die damaligen Schwierigkeiten insbesondere der USA
(kurz nach ihrer Niederlage im Vietnam-Krieg) verführten Schulze
dazu, den Sieg des Sozialismus im Weltmassstab bis zum Jahrhundertende
vorauszusagen. Die gegenläufigen Tendenzen - etwa die zunehmende
revisionistische Entartung der UdSSR, aber auch die drohende "Wende"
in der VR China - wurden gar nicht erwähnt.
Schulze selbst wendete bald darauf. 1979 pöbelte er - "Tote
Hosen in Satin" - die Arbeiterklasse an, vermeintlich von links,
und warf ihr vor, "falsche Bedürfnisse" zu haben, die sie
von der Revolution wegbbrächten. Den Arbeitern vorzuwerfen, an Fragen
des Lebensunterhalts interessiert zu sein, ist in der Tat nur einem bürgerlichen
Marxisten möglich. Schulzes Austritt aus der DKP wollte er so verstanden
wissen, dass er von nun an kein Kommunist mehr sein wolle. Man fühlt
sich erinnert an den Spruch: "Wer mit 20 kein Kommunist ist, der
hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch einer ist, der hat keinen Verstand."
Schulze verliess "konkret" und heuerte bei "Pardon"
als Chefredakteur an; als diese 6 Monate später pleite ging, kam
er, im Schlepptau von Manfred Bissinger, zurück zu "konkret"
und übernahm dort das Ressort Kultur. Die Ausrichtung dieses Ressorts
unter Schulzes Leitung wurde von Dehm damals analysiert; siehe oben. Nach
seiner zweiten Zeit bei "konkret" ging Schulze ... zum "SPIEGEL"!
Dehms Wort von der "ätzend-lakonischen Pointensprache a la SPIEGEL"
hatte sich als wahr erwiesen. Andere Teile der Dehm'schen Analyse sollten
sich nach und nach als wahr erweisen.
Im Juli 1986 kündigte Gremliza an, dass er einen Preis stiften wolle,
den "Karl-Krauss-Preis"; der Preisträger, so er den Preis
annehme, solle sich verpflichten, niemals wieder etwas zu schreiben, stattdessen
"einen nützlichen Beruf zu ergreifen". Erster Preistrager
war Fritz J. Raddatz (1986), was freilich kaum jemand zur Kenntnis nahm,
wie Gremliza (Januar 1987) beleidigt konstatierte.
Deutlich mehr Aufsehen erregte die zweite - und bislang letzte - Preisverleihung:
sie ging im Oktober 1987 an Günther Wallraff. Begründung: zwar
hatte Wallraff sehr viele Fakten in seinen "under cover" Aktionen
ermittelt, die auch gerichtsfest recherchiert waren; aber erstens hatte
Wallraff nicht selber die Materialien zu Büchern zusammen geschrieben
(das taten andere, die berufsmässige Schriftsteller waren, unter
anderen auch Gremliza), und zweitens hätten die Bücher nicht
die gewünschte Wirkung gehabt, was Gremliza Wallraff zur Last legte
(und nicht den gesellschaftlichen Umständen). Das "konkret"-Heft
November 1987 stand ganz im Zeichen dieser Anschuldigung, die Gremliza
gegen Wallraff erhob.
Über diesem Wirbel ging unter, dass "konkret" abermals
eine Abmagerungskur (an Seiten wie an Redaktionsmitgliedern) vornahm und
sich weiter an die Herrschenden heranmachte. Fortan begann in "konkret"
eine Serie von "Aufklärung" über sog. "linken
Kitsch", wobei pauschal alle Linken, die nicht pro Israel waren,
der mangelnden Begabung und der geistigen Rückständigkeit geziehen
wurden. Auch über die Dritte Welt wurde jetzt anders berichtet; es
wurden im Stile des Gemeinschaftsunterrichtes die Menschen vor Ort verantwortlich
gemacht für ihre Lebensumstände.
Sicher ist es richtig, nicht in Dritte-Welt-Romantik zu verfallen und
die dortigen Tendezen genau zu analysieren; das aber war gerade nicht
beabsichtigt. Vielmehr ging es gegen alle Linken, die Veränderungen
herbei führen wollten. Man vergleiche etwa die Berichte in "konkret"
in den Jahren bis 1985 über Dritte-Welt-Befreiungsbewegungen mit
denen, welche Gremliza den Lesern seines Blattes ab 1987 vorsetzte. Überwog
zuerst eine Art DKP-mässige Dritte-Welt-Befreiungsbewegungenromantik,
so waren ab 1987 andere Töne zu vernehmen. Es fand zunehmend ein
letztlich dem Imperialismus nützliches Bewegungsbasching statt. De
facto machte sich "konkret" den Standpunkt des Gemeinschaftskundelehrers
zu eigen, dem zu Folge man nur wolle, und es gehe schon, insbesondere
wenn "Demokratie" (gemeint ist natürlich immer die bürgerliche
Demokratie) herrsche.
Man fühlte sich an den "SPIEGEL" erinnert, wenn man sich
Duktus, Themenwahl und Argumentationsstränge in den "konkret"-Reportagen
über Dritte Welt-Bewegungen ab 1987 durchlas. Pikant ist, dass Sabine
Rosenbladt im März 1984 in "konkret" über den Ernteeinsatz
deutscher Brigadistas in Nicaragua berichtet hatte, sowie über das
sehr merkwürdige Verhalten der mitgereisten "SPIEGEL"-Reporterin
Marie-Luise Jansen-Jurreit, die ständig im US-Army-Parka herumlief,
auf einem Träger für ihr üppiges Gepäck bestand und
den Nicaraguanern über die Segnungen des American Life of Life vorsalbaderte.
Diese Attitüde haben sich die "Antideutschen" inzwischen
zu Eigen gemacht. Diese Entwicklung wurde damals (1987) auch von einigen
Leuten bemerkt; Gremliza selbst nutzte die Gelegenheit, um unter Verweis
auf weniger gedrechselte Formulierungen der Kritiker die Berechtigtheit
von deren Auffassungen zu bestreiten. Die Verleihung des 2. Karl-Kraus-Preises
an Wallraff und das dadurch ausgelöste Aufsehen lenkten die Aufemrksamkeit
von der genannten Problematik ab.
Da Israel vorzugsweise mit den Diktaturen der Welt handelt, und im Dritte-Welt-Krieg
Partei ist, blieb es nicht aus, dass "konkret" nun den "Antisemitismus"
unter den Linken entdeckte. Es wundert nicht, dass keiner der Herren Gremliza-Pohrt-Geisel-Schneider
Stellung nahm zur Buchbesprechung "Zwei von dreissig" von Jürgen
Reents (Mai 1988); das besprochene Buch war"Schmutzige Allianzen
- Die geheimen Geschäfte Israels" von Benjamin Beit-Hallahmi.
Was in diesem Buch enthüllt wurde, das kann man heute nicht sagen,
ohne als "Antisemit" bezeichnet zu werden, nicht zuletzt in
"konkret". Es war Reents' letzter Artikel für "konkret".
Jürgen Reents wurde noch bis einschliesslich März 1990 im Impressum
von "konkret" unter "Autoren" genannt; danach wurde
sein Name in "konkret" niemals mehr erwähnt.
Mittlerweile wurden einige der von Beit-Hallahmi seinerzeit enthüllten
verdeckten Aktionen Israels (etwa in Ägypten 1952-1954, was damals
zur Ausweisung der Mossad-Agenten und ihrer unter Kairoer Juden rekrutierten
Helfern führte) von den "Antideutschen", unter - bewusster?
- Leugnung gesicherten Wissens als Beispiele für "antisemitische
Propaganda der reaktionären Araberstaaten" angeführt.
Von Sabine Rosenbladt konnte man im "konkret" der Achtziger
einige bemerkenswerte Artikel lesen. In "American Heroes Inc."
(Dezember 1983) teilte sie mit, wie in den USA der volksgemeinschaftliche
Konsens hergestellt wird. Beim Lesen dieses Artikels heute fallen mir
einige Filme von Charles Spencer "Charlie" Chaplin ein (1889-1977),
wie etwa "Moderne Zeiten" (USA, 1936) oder "Ein König
in New York" (UK, 1957).
Dass der damalige Generalstaatswanwalt der USA, ein kalifornischer republikanischer
Politiker namens Richrad M(ilhouse) Nixon, der spätere (1953-1961)
Vizepräsident und noch spätere (1969-1974) Präsident der
USA, im Jahre 1952 ein Verfahren gegen Chaplin wegen "antiamerikanischer
Umtriebe" anstrengte, und diesem insbesondere die Decouvrierung der
Mechanismen des "American Way of Life" zur Last legte, wurde
in "konkret" niemals erwähnt - genauso wenig wie die Tatsache,
dass der damalige (1945-1953) Präsident der USA, der Demokrat Harry
S(amuelson) Truman (1884-1972) im selben Jahre 1952 seinen Einfluss geltend
machte, um im Kongress die sog. "Lex Horkheimer" durchzudrücken,
welche es unter anderen Max Horkheimer (1895-1973) und Theodor W. Adorno
(1903-1969) erlaubte, ihre im Zweiten Weltkrieg erworbene USA-Staatsbürgerschaft
lebenslang zu behalten, auch wenn sie zurück nach Europa gehen und
dort bleiben sollten, was sie dann auch taten. Was hat es zu bedeuten,
dass Leuten, die in der Hochzeit des Kalten Krieges dermassen Anerkennung
seitens des für die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki
Verantwortlichen zu Teil wurde, in "konkret" als Vorbilder für
Linke dargestellt wurden und werden, während die Ausweisung von Chaplin
(und seine Erklärung zur "unerwünschten Person") im
selben Jahre 1952 niemals in "konkret" erwähnt wurde? Darf
unter Berücksichtigung dieser Fakten die "konkret"-Wende
1989/90/91 noch überraschen, oder war sie nur konsequent und subjektiv-ehrlich?
In "Contras, Reagans Waffen-SS: Mit Gott, ohne Kommunismus"
(Juni 1985, war damals sogar auf der Titelseite) teilte sie mit, welche
Beziehungen personeller, institutioneller und finanzieller Art es zwischen
dem Weissen Haus und den nicaraguanischen Contras gab. Auf vier Seiten
präsentierte sie mehr Fakten über die Indoktrinierung und Steuerung
der Contras als sonst in "konkret" dazu zu lesen war. Heute
bestreiten die "Antideutschen" derlei Zusammenhänge und
sprechen pauschal von Antiamerikanismus und Antisemitismus, wenn etwa
darauf verwiesen wird, dass in den Achtzigern der sog. "afghanische
Widerstand" von der CIA bezahlt und gesteuert wurde, und in diesem
Zusammenhang auch die saudi-arabische Milliardärsfamilie ibn Ladin
(so der hoch-arabische Name der Leute; bin Laden ist die Fassung im süd-arabischen
Dialekt) genannt wird.
In "Das Pech der Juden in den Lagern: sie waren nicht nur Ausländer,
sondern Juden" (April 1986) teilte sie mit, dass die Westalliierten
die wahre Bedeutung der NS-Vernichtungslager erkannten und trotzdem nichts
zur Rettung der Insassen taten; sie verwies auf das Buch des US-amerikanischen
Historikers Wyman "Das unerwünschte Volk", das 1984 in
USA und Anfang 1986 (in deutscher Übersetzung) in der BRD erschienen
war. Es war dies das einzige Mal, das jemals in "konkret" auf
dieses Buch hingewiesen wurde. Ab 1988 wurde es in "konkret"
üblich, den Westallierten zu danken, dass sie die Juden gerettet
hätten - in bewusster Ignorierung des Wyman'schen Buches - und den
Deutschen pauschal Billigung des NS-Judeozids vorzuwerfen. Anfang 1991
wurde die Geschichtsklitterung dann "konkret"-offiziell festgeschrieben:
sowohl im bellizistischen Heft vom März 1991 als auch in der Diskussion
vom Februar 1991 (im Heft vom April 1991 abgedruckt) behaupteten Gremliza-Pohrt-Geisler-Schneider
das Gegenteil von dem, was Sabine Rosenbladt 1986 dargestellt hatte.
In ihrem letzten Artikel für "konkret", "Reportage
aus einer unterentwickelten Besatzungszone" (Februar 1987), berichtete
sie über die Israelische Politik gegen die Palästinenser, ihre
Hintergründe, ihre Systematik, ihr Ziel (die totale Vertreibung der
Palästinenser) und über die extrem-rechte zionistische Szene
in Israel. Es war der einzige jemals in "konkret" erschienene
solche Artikel; in keinem anderen je in "konkret" erschienenen
Artikel konnte man etwas über zionistische Rassisten und die Sklaverei
für Nicht-Juden im antiken Judenstaat lesen. Wer heute etwas sagt
oder schreibt wie die Jüdin Sabine Rosenbladt damals, der wird sofort
des Antisemitismus verdächtigt.
Konsequenterweise gingen die selbsternannten Experten in Sachen Antisemitismus
und Antiamerikanismus in "konkret" niemals auf ihre Artikel
ein. Sabine Rosenbladt wurde im Impressum von "konkret" bis
einschliesslich März 1990 unter "Autoren" aufgelistet;
danach wurde ihr Name niemals mehr erwähnt.
Selbiges gilt auch für Marli Feldvoss und Walter Böhlich. Walter
Böhlich hatte sich in "konkret" in den Achtzigern wiederholt
mit den Thesen von Pohrt, Broder et alii argumentativ auseinandergesetzt.
Eine vergleichbare Anstrengung seitens seiner Kontrahenten ist bis heute
ausgeblieben. Ein Höhepunkt ist sein Artikel "Fried gegen Broder"
(Juni 1987), in welchem Böhlich den Spiess umdreht und Broder et
alii psychoanalytisiert. So attestierte er Broder, dieser habe insgeheim
Zweifel an seiner jüdischer Identität, welche zu einer Überidentifizierung
mit Israel führe, während Fried sich seiner jüdischen Identität
ganz sicher sein könne, unter anderem, weil Fried unter Lebensgefahr
aus Hitlers Deutschland geflohen war und während des Zweiten Weltkrieges
gegen Hitler gekämpt hatte, während Broder sich 1980 unter grossem
Trara - "Abschied von der deutschen Linken", zu welcher er als
Liberaler niemals gehört hatte, und andere Pamphlete hinterlassend
- nach Israel verabschiedet hatte. Auf den Gedanken, die Argumentationsmuster
von Pohrt et alii umzudrehen, muss man erst einmal kommen. Was erhält
man, wenn man dies mit Kunstreich, von der Osten-Sacken, Uwer, Jacob,
Pankow, Wertmüller etc. tut?
Die Frankfurter Filmkritikerin Marli Feldvoss publizierte zweimal in "konkret".
Im Februar 1987 besprach sie in ihrem Artikel "Film-Out: Krieg wird
durch Kino erst schön", welche Bedeutung die Darstellung des
Krieges im Rahmen der Psychologischen Kriegführung hatte und hat
und welche Fakten gerne verschwiegen werden. Sie besprach zu diesem Zweck
einige Filme, die ansonsten niemals in "konkret" erwähnt
wurden, wie etwa "Half Life" (Australien, 1986) von Dennis O'Rourke,
der ermittelt hatte, dass der oberirdische Test einer Wasserstoffbombe
am 1. März 1954 ("Bravo") unter anderem den Zweck hatte,
Menschen gezielt dem Fall-Out auszusetzen, um sie als Versuchskaninchen
fortan benutzen zu können. O'Rourke brachte US-amerikanische Wochenschauen
aus den Fünfzigern, in denen in Herrenmenschenart die Indigenas der
betroffenen pazifischen Inseln vorgeführt wurden: ein Erwachsener
wird nicht etwa geröngt, sondern "er lernt ein neues Ritual
kennen " (O-Ton).
Was Stanley Kubrick in "Dr. Strangelove or How I learned to love
the bomb" (UK, 1963) nur in satirischer Form und als Fiktion kenntlich
andeuten konnte bzw. wollte - oder durfte ? -, das zeigte O'Rourke als
Tatsache. In "konkret" hielt niemals jemand es für nötig,
darauf einzugehen. Stattdessen werden die Kubrick-Filme als "Beweis"
für die "moralische Überlegenheit der anglo-amerikanischen
Zivilisation" gewertet; schliesslich, so Pohrt und Schneider schon
Ende der Achtziger, würde in Kubricks Filmen, insbesondere in "Dr.
Strangelove ...", eine kritische Distanz zu der aus freien Wahlen
hervorgegangegne Regierung geübt. Wo gäbe es das schon woanders?
Tatsächlich: ich kenne keinen einzigen vietnamesischen Film, der
den Einsatz von Entlaubungsmitteln gegen die USA thematisierte, geschweige
denn einen japanischen Film, der die Frage stellte, ob die Atombombenabwürfe
auf New York und San Francisco im August 1945 denn wirklich unumgänglich
gewesen wären.
In ihrem Interview mit dem jüdischen Filmemacher Thomas Brasch (Mai
1988) kam sie auf die 4 grossen NS-Propagandafilme zur sog. "Judenfrage"
zu sprechen: "Jud Süss" (1940), "Die Rothschilds"
(1941), "Der Ewige Jude" (1942) und "Der Führer schenkt
den Juden eine Stadt" (1943). Auslöser für das Interview
war der Film "Der Passagier" (BRD, 1987), den Thomas Brasch
mit Tony Curtis als Hauptdartssller gedreht hatte.
Brasch erklärte unter anderem, dass "Jud Süss" seinen
von Göbbels gewollten Zweck, die sog. "Endlösung"
der sog. "Judenfrage" zu "rechtfertigen", klar verfehlt
habe, was man schon daran sehen könne, dass es zuerst einen Nachdreh
gab (das Ende des Films wurde komplett neu gedreht, die Ansprache des
zum Tode verurteilten Juden an die Gaffer fiel weg, stattdessen musste
er jammern), dass die Reaktionen des Publikums eher Mitleid zeigten denn
Entschlossenheit, gegen die Juden härter vorzugehen, und dass es
dann noch zwei andere Filme mit dieser Zielrichtung gab, die jeweils eine
Steigerung darstellten.
Diese Auffassungen würde man heute in "konkret" genauso
vergeblich suchen wie die Fakten, die zu ihnen führen. Stattdessen
wurde in "konkret" seit 1991 "Jud Süss" als "der
Vorfilm zur Gaskammer" (Tomayer) dargestellt, und die um Fakten und
Argumente bemühte Darlegung von Kuhlbrodt (der als Staatsanwalt an
der Verurteilung vieler NS-Täter mitgewirkt hatte) als "Verharmlosung
des NS-Terrors" bezeichnet.
Dies ist nicht das einzige Beispiel für die Entschlossenheit von
"konkret", bereits widerlegte Auffassungen anzunehmen und als
neueste Erkenntnisse zu propagieren, wenn es der "antideutschen"
Sache denn nur nützt. Es ist nur ein besonders widerliches Beispiel
dafür. Ein anderes widerliches Beispiel dafür: Pohrt hatte 1985
behauptet, dass die Sowjetunion 1944 wissentlich die Warschauer Aufständischen
im Stich gelassen hätte. Tatsache ist aber: der Angriff der West-Alliierten
am 6. Juni 1944 ("Operation Overlord", Landung in Nord-Frankreich,
rund um die Seine-Mündung und an verschiedenen Stellen der zur Normandie
gehörenden Halbinsel Cotentin) zwang Hitler, Truppen von der Ostfront
nach Westen umzugruppieren, so dass der Anteil der NS-Truppen an der Ostfront
innerhalb von zwei Wochen von 75 % auf 55 % sank.
Dies ermöglichte Stalin die grosse Offensive vom 22. Juni 1944. Ironische
Antisymmetrie der Ereignisse: am selben 25. Juli 1944, an welchem die
West-Alliierten in der Schlacht von Avranches die NS-deutschen Linien
durchbrachen (Übergang vom Stellungskrieg zum Bewegungskrieg im Westen),
musste die Sowjetführung aufgrund von Ermattung der Soldaten und
Materialverschleiss ihre Offensive (Geländegewinne bis zu 500 Kilometer
waren erzielt worden) einstellen. Der Warschauer Aufstand unter Bor-Rokossowski
brach am 2. August 1944 los; die antikommunistische polnische Exilregierung
in London wollte nicht warten, bis die Sowjetarmee die Hauptstadt befreit
hatte, um Einfluss auf die Nachkriegsentwicklung in Polen zu behalten.
Die entsprechenden Warnungen seitens Moskaus wurden in den Wind geschlagen.
Die Sowjetische Offensive erfolgte, als die Sojwettruppen wieder "aufgefrischt"
waren und die Schlachten auf dem Balkan im August/September 1944 die Gefahr
eines Kessels gebannt hatten. Auf diese Fakten wurde von einem "konkret"-Leser
hingewiesen; der Leserbrief wurde im Juni 1985 abgedruckt; Pohrt ging
darauf jedoch nicht ein.
Im Frühjahr 1991, nach dem 2. Golfkrieg, brachen im Irak Aufstände
der Kurden (im Norden) und der Schiiten (im Süden) aus. Saddam Hussein
setzte Giftgas ein; das abwartende Verhalten von Bush Senior und John
Major bewertete Pohrt als "moralische Katastrophe" - "so
wie seinerzeit die Sowjetarmee an ihrem Weichselufer abwartete, bis Hitler
die Polen zusammengeschossen hatte", so würden nun auch die
USA und UK abwarten, "bis Saddam Hussein die Kurden zusammengeschossen
haben würde". Pohrt wiederholte also seine antisowjetische Lüge
von 1985 - dieses Mal wurde kein Leserbrief in "konkret" abgedruckt,
der die Fakten ins Licht hätte rücken können. Bezeichnend
ist, dass Pohrt-Geisel-Schneider-Gremliza in der Zeit des 1. Golfkrieges
(1980-1988, Iran-Irak) kein Wort verloren, als tatsächlich Giftgas
eingesetzt wurde.
Auch zum Thema Psychologie findet man im heutigen "konkret"
nichts Erhellendes. Es gab aber durchaus Versuche, etwas in dieser Richtung
zu tun; sie blieben allesamt folgenlos. Erich Kuby machte in seinem Essay
"Gewerkschaften - Versager im Grossformat" (Januar 1984) darauf
aufmerksam, dass es auch darauf ankomme, was die Werktätigen für
Vorstellungen haben, da die Revolution nicht von selber komme. Zwar setzte
er auf Freud (anstatt etwa auf Pawlow), aber immerhin sprach er gewisse
Überlegungen aus, was am Anfang der Arbeit stehen muss. (Auslöser
des Essays war die Tatsache, dass der DGB im Herbst 1983 nur zu einer
Schweigeminute anstatt zum Generalstreik gegen die sog. "Nachrüstung"
aufgerufen hatte.)
Rainer Gohr ging im Juni 1984 der Frage nach, was "Die Psycho-Okkult-Mafia
- Der Aufmarsch der rechten Heilslehrer" zu bedeuten habe, und kam
dabei zu Ergebnissen, die ich auch heute noch für brauchbar erachte.
Es wäre sinnvoll, diesen Artikel erneut zu lesen und in dieser Richtung
weiter zu machen.
Schliesslich erörterte Ekkehard Jürgens im Januar 1985 auf 8
Seiten das Thema "Der Faktor PSY - Historische Beispiele und aktuelle
Bedeutung der psychologischen Kriegführung". Unter anderem kam
er dabei auch auf die Bücher von Adolf Hitler ("Mein Kampf",
1925) und Gustave Le Bon ("La psychologie des masses" = "Die
Psychololgie der Massen", 1895) zu sprechen. Auf diesem Niveau kam
"konkret" nie wieder auf derartige Themen zu sprechen. (Anzumerken:
dies ist der Titel, unter dem das Standardwerk des Altmeisters der Massenverdummung
heute erhältlich ist. Die französische Erstausgabe von 1895
war deutlicher "La psychologie des foules" = "Die Psychologie
der Trottel" betitelt gewesen. Professionelle Meinungsumfrager von
heute erstellen ihre Erhebungen gleich doppelt, je nach dem, ob sie "Besserverdienende"
oder "Normalsterbliche" interviewt haben: "Ansichten der
Führungskräfte", "Meinungen der Masse". Sehr
aufschlussreiche Titelgebung.)
Berücksichtigt man dies alles, so versteht man, warum Gremliza von
Vielem nichts mehr wissen will. Besucht man etwa die "konkret"-Seite
im Internet, http://www.konkret-verlage.de,
und klickt auf "Autoren", so erscheint eine - angeblich - vollständige
Liste aller Personen, welche jemals in "konkret" schrieben.
Es fehlen aber einige Namen, etwa die von Walter Böhlich, Marli Feldvoss,
Erich Fried, Jürgen Reents, Sabine Rosenbladt oder Günther Wallraff.
Ich habe in diesem Mai 2003, da ich diese Zeilen hier schrieb und in den
alten "konkret"-Heften nachlas, sehr viel nachdenken können,
über "konkret", die Linke hierzulande im Allgemeinen, mich
selbst, und wie es kam, dass jemand so wurde, wie er jetzt ist. Da dies
auch ein persönlicher Artikel ist, verhehle ich nicht eine gewisse
Bitterkeit, dass die Entwicklung von "konkret" den Herren Baumfalk,
Mieck und Schröder Grund zur Genugtuung bereiten kann; diese Herren
"genoss" ich auf dem Gymnasium jahrelang in den Fächern
Gemeinschaftskunde und Geschichte. Alle drei lernte ich als stramme Antikommunisten
kennen, die aus ihrer Verachtung für alles Linke niemals einen Hehl
machten. Ihre Erfahrungen als Zeitsoldaten (Offizierslaufbahn) bei der
Bundeswehr im Leute-niedermachen verwerteten sie grosszügigst; an
ihre seinerzeitigen Unterrichtsmethoden fühle ich mich erinnert,
wenn ich die Artikel der "Antideutschen" lese.
In "konkret" hatte ich damals auch nach intellektuellen Waffen
gegen solche Leute gesucht, aber nicht gefunden. Aus den Augen, aus dem
Sinn; deshalb aber nicht aus der Welt. Die erste Hälfte des Satzes
beschreibt die Herangehensweise vieler - vermeintlicher - Linker an die
Dinge; die zweite Hälfte macht klar, warum dies auf Dauer nicht funktionieren
kann. Im "konkret" der Achtziger wurde nur selten die ernsthafte
Auseinandersetzung (sowohl mit den Problemen, vor denen wir stehen, als
auch mit den erst noch zu gewinnenden Massen, als auch mit dem Klassenfeind)
gesucht; konsequenterweise erachtet "konkret" heute die ganze
linke Geschichte, insbesondere das sozialistsiche Experiment 1917-1991,
als Fehler, und diejenigen, welche für seinen Erfolg ernsthaft kämpften,
als die eigentlichen Bösewichter des 20. Jahrhunderts.
Gremliza ist also mit seiner 1987 angekündigten "Begradigung
meiner Lebenswege" (aus seiner Rechtfertigung der Verleihung des
2. Karl-Krauss-Preises an Wallraff) sehr weit gekommen. Den Rest kann
er getrost ohne mich gehen: ich habe mein "konkret"-Abonnement
mittlerweile gekündigt. Auf diesem Niveau will ich mich nicht mehr
bewegen. Gremliza und sein "konkret" wurden zu Recht aus dem
Verfassungsschutzbericht verbannt: von so einem Blatt geht eine Gefahr
nicht für die Herrschenden aus, sondern nur für die Linke, insbesondere
für Leute, die heute in etwa da sind, wo ich vor 20 Jahren war.
Frühsommer 2003
© Berlin,
Juni 2003, Samy Yildirim
www.neue-einheit.com
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Gastbeiträge geben grundsätzlich die Meinung des zeichnenden
Autors wieder.
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