Neue Einheit  - Extrablatt Nr.41   vom   8.1.2000

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Der Januaraufstand 1919

Die Gedenkdemonstration 2000

Die Vorgänge um die Anschlagsdrohungen, das Verbot vom Sonntag, die Ungewißheit, die dadurch entstanden ist, stellen nicht nur eine massive Verunsicherung dieser Demonstration und Kundgebung und der Demonstrationsfreiheit im Allgemeinen dar, sie ersticken das politische Klima und legen sich auf den ganzen Diskussionsprozeß.
Es hat in den letzten Jahren, und ganz besonders durch die Ereignisse des Jahres 1999, eine Auffächerung unter den Linken gegeben, und es gibt viele, die gegen die zunehmende Anpassung der PDS-Führung an die Politik der NATO und der sog. rot-grünen Koalition opponieren. Ein Neuanfang unter den Linken steht jedenfalls bevor, egal was mit dieser Provokation geschieht und was im weiteren kommt. Gewisse Gefahren sollte man durchaus betrachten.
Am 7./8. Jan., noch bevor die massive Provokation bekannt war, haben wir bereits die folgende Flugschrift herausgebracht, die sich eigentlich notwendigen Fragen innerhalb der Bewegung, innerhalb des Marxismus widmet. Leider werden diese Themen nun etwas an den Rand gedrückt. Wir meinen aber, daß sie weiterhin diskutiert werden müssen, und daß zusammen mit der Provokation des Staps verschiedene Machinationen, die in diesem Lande immer wieder vorkommen, an den Pranger gehören.
Diese Vorgänge sind gewissermaßen auch ein Lehrstück dieser "Demokratie". Wann immer es zu ernsthaften Konflikten, zu Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft kommt, wird eine Drohkulisse aufgebaut. In der alten Bundesrepublik war das über 20 Jahre lang die "RAF", oder andere anarchistische Gruppierungen oder das was die ganze Medien- und Polizeimaschinerie daraus machte.

Es folgt die Stellungnahme vom 7/8.1.2000 :


Im Jahr nach dem ersten NATO-Krieg ist es an der Zeit, erneut über Revisionismus und Degeneration in der Arbeiterbewegung nachzudenken. Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 war auch das Produkt einer Degeneration der Arbeiterbewegung, einer Machtergreifung des Revisionismus unter den Bedingungen des Ersten Weltkriegs.
Schon fünfzig Jahre zuvor hatte sich die Arbeiterbewegung mit der Verbürgerlichung und sogar mit heimlichen Umtrieben der Ultrareaktion in ihren eigenen Reihen, wie etwa dem preußischen Militarismus, oder auch der Anbiederung an den westlichen "demokratischen" Kapitalismus, herumgeschlagen. Das Jahr 1914 aber brachte diese Auseinandersetzung auf den Begriff und machte die klare Parteinahme unvermeidlich. Der Revisionismus und Opportunismus unterstützte den imperialistischen Krieg.
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren die bedeutendsten Vertreter derjenigen, die die Parteinahme auf Seiten des Kapitalismus und Imperialismus verwarfen und auch als Minderheit entschieden die Prinzipien der sozialistischen Arbeiterbewegung hochhielten. Auch wenn sie selbst in einigen Fragen schwerwiegende Fehler aufwiesen, die sie zum Beispiel in deutlichen Unterschied zu Lenin setzten oder auch in den Gegensatz zu den Notwendigkeiten der Verbindung von demokratischer und sozialistischer Revolution, so bleiben sie doch in ihrer Geradheit und in ihrer Verurteilung und Bekämpfung des imperialistischen Krieges und insbesondere des deutschen imperialistischen Krieges beispielhaft.

Die Verfemung Karl Liebknechts begann bereits im Sommer 1914, als dieser sich nicht bereit erklärte, den offenkundigsten Verrat an allen Beschlüssen der Sozialistischen Internationale mitzumachen. Man übte Druck auf ihn aus, sich dem opportunistischen Trend der Mehrheit in der Parteiführung zu beugen. Er war es, der bereit war, für die von ihm vertretenen Prinzipien, die vorher auch die Prinzipien der Sozialistischen Internationale waren, diese Verfemung in Kauf zu nehmen und sogar ins Zuchthaus zu gehen. Die Sozialdemokratie begann eine Verfemung, Verlästerung und Verhetzung von ihm und seinen Genossen, um die eigene völlige Skrupellosigkeit, ihren Verrat, ihre Denaturierung zu verdecken, an der Spitze solche Verräter wie Bernstein und David wie auch Karl Kautsky und Konsorten und die schwarz-weiß-roten "Sozialisten" wie Ebert, Scheidemann und Noske. Als die Revolution 1918 ausbrach, schwenkte die Sozialdemokratie mit einem Schlage um und tat nun, als ob sie selbst die Revolution mit vertreten würde. Ihre maßgeblichen Repräsentaten engagierten die rechte Soldateska und schlugen in den Januartagen den Arbeiteraufstand in Berlin aufs brutalste nieder.
Noch im Dezember 1918 taten sie alles, um Liebknecht und Luxemburg zu isolieren. Sie verweigerten ihnen den Zutritt zum Reichsrätekongreß (am 16.Dez 1918 in Berlin). Sie, die den imperialistischen Krieg für die millionenfache Abmetzelei der Arbeiter gegeneinander zu verantworten hatten, warfen nun Liebknecht und Luxemburg vor, sie seien "Militaristen", weil sie die Revolution vertreten.


Diese Sorte von Revisionismus und Degeneration, die beim deutschen Beispiel tiefe Wurzeln bereits in der Arbeiterbewegung durch den Lassalleanismus hatte, der immer auch sein Hintertürchen zur preußischen Reaktion offenhielt, hat sich in späteren Jahrzehnten in anderen historischen Situationen wiederholt. Der Revisionismus in der Sowjetunion beispielsweise, der auch andere Länder erfaßt hat, bedeutete in einem extremen Ausmaß ebenfalls Isolierung, ja sogar Terror gegen alle diejenigen, die diesen Revisionismus seinerzeit mutig auch als Minderheit kritisiert haben.

Heute blickt eine erstaunte linke Öffentlichkeit auf die Tatsache, daß Parteien, die von der Zahl her riesengroß und angeblich "monolithisch" gewesen seien, nicht mehr existieren, sich buchstäblich in Luft aufgelöst haben und ihre absolute Kraftlosigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Kapital erwiesen haben. Nur dann, wenn mit diesen Dingen abgerechnet wird, wird auch mit den Prinzipien der Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht abgerechnet. Nur dann, wenn der moderne Revisionismus deutlich kritisiert wird und benannt wird bei dem, was er ist, kann von einer ernsthaften Vertretung revolutionärer Prinzipien die Rede sein. Leider ist dies bei vielen Kräften, die unter der Fahne und unter dem Namen etwa von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und der revolutionären Arbeiterbewegung marschieren, nicht der Fall. Man weint über den Verlust, man beklagt ihn, aber man ist nicht bereit, über die Rose hinaus, die man auf das Grab wirft, nachzudenken und irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. Wenn mit der sozialistischen Bewegung ein wirklicher Neuanfang gemacht werden soll, dann ist es unabdingbar, über die Quellen des Verfalls und des Verrats nachzudenken. Ein bemerkenswerter Satz war neulich zu lesen, er hieß in einem Kommentar der Jungen Welt: "Das 20. Jahrhundert, geprägt von der Dialektik von Revolution und Konterrevolution, endet in der Regression auf der ganzen Linie."

Zum einen stimmt das nicht, denn es entwickeln sich international auch eine Menge vorwärtsweisender Dinge. Aber bezogen auf unser Land: wenn man in das Programm etwa der Grünen schaut, die von den verschiedenen Revisionisten gerne hofiert und als Linke herausgestellt worden sind, braucht man sich über Regression nicht zu wundern. Dieses Programm, das aus den tiefsten Schößen des Kapitals selbst stammt, bedeutet ganz offiziell, ganz formal tiefste Regression, Zurückfallen in ältere Zustände. Es ist nicht zufällig heute direkt und indirekt in das Programm fast aller bürgerlichen Parteien eingegangen. Das Beweinen der Gegenwart, der Industriegesellschaft, der Haß gegen moderne Industrie, der dort gepredigt wurde, kann überhaupt nur einen Rückschritt und den Zerfall der Arbeiterbewegung zur Folge haben. Revolutionäre Arbeiterbewegung unter roten Fahnen kann es zu Recht nur geben, wenn wir uns auf die Positionen derjenigen gesellschaftlichen Elementarkräfte stellen, die die Revolution nach sich ziehen: das sind die höhere Vergesellschaftung, das Erwachen der Völker und Nationen aller Länder, ihre berechtigte Forderung nach Wohlstand und Weiterentwicklung, und selbstverständlich auch die Bejahung moderner Technik, die Bekämpfung etwa der viele Jahrzehnte alten Umtriebe des USA-Imperialismus gegen die zivile Nutzung der Atomenergie. Wer in diesen Positionen Gegenteiliges vertritt, ist automatisch auf Seiten der Reaktion, ganz egal als was er sich bemäntelt. Noch nie war das anders, und noch nie ist das so klargeworden wie heute. Heute haben wir eine grüne Partei an der Macht - man möchte fast sagen: dankenswerterweise -, und man kann sehen, was diese Partei (zusammen mit der Sozialdemokratie) an der Macht tut. Sie hat die atomare Aufrüstung der NATO und namentlich der USA und ihren absoluten, totalen Dominanzanspruch akzeptiert, stellt einen Außenminister in den Reihen dieser Politik und ist immer noch natürlich, im Kontrast dazu, gegen die zivile Nutzung der Atomenergie. Es könnte sein, daß ein Minister, der aktiv die atomare Hegemonie der USA verteidigt, morgen wegen angeblicher Gefahren eines Castor-Transportes sich auf die Straße legt und Blockade macht, oder einen Stellvertreter dazu schickt. Das sind die Spitzen der Absurdität, das sind die Perversitäten von heute, und die werden, wenn sie nicht bekämpft werden, auch mit verschärfter Unterdrückung von Sozialisten einher gehen; und die Verknüpfung mit solchen Leuten etwa am Grab von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ist eine Beleidigung derselben. Was immer sie in pcto. demokratische Revolution, in pcto. Verbindung mit breiten Massen selber an Fehlern gemacht haben, so hätten sie niemals eine anti-industrielle Kampagne unterstützt.

Es ist allerdings notwendig, sich über die Einheit der sozialistischen Bewegung, auch und vor allem über den ganzen Ablauf der Spaltung vor allem zwischen der KPdSU und der KPChinas sich Gedanken zu machen, einiges kritisch zu resümieren, aber auch klar festzustellen, daß die KPChinas unter Mao Zedong unbedingt die revolutionären Prinzipien hochgehalten hat und notwendige Schritte zu ihrer Verteidigung ergriffen hat. Umgekehrt hat der Umsturz in China nach 1976 die heutige radikale kapitalistische Entwicklung in die Wege geleitet. Die Kritik am Chruschtschowschen Revisionismus der späten fünfziger und sechziger Jahre, der in seiner Essenz bis zum Ende der Sowjetunion weitergeführt wurde, bleibt ein Minimalpunkt jedes Neuanfanges.

Ohne diese elementaren Dinge aufzuarbeiten und in all ihren Facetten zu diskutieren, kann von einer Wiederherstellung der Einheit keine Rede sein. Ohne klare Verurteilung des Revisionismus und Sozialdemokratismus kann auch von einem Gedenken für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht keine Rede sein, im Gegenteil, man wird das Gefühl nicht los, daß die heutigen Nachfolger der Auftraggeber des Mordes an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit der Rose im Knopfloch und Krokodilstränen im Gesicht mitmarschieren. Dies muß auch beachtet werden, und man muß heraus aus der reinen Feierei und Gedenkerei zur praktischen Verwirklichung. Nicht umsonst gibt es den weitverbreiteten Spruch, daß so mancher mit der Rose auf dem Grabmal auch seinen revolutionären Elan abgegeben hat.
Trotzdem hat eine solch große Demonstration, in der die Verteidigung des Sozialismus gefordert wird, gerade heute auch ihre Bedeutung. Wir sind für Manifestationen und Demonstrationen, die klar die heutigen Notwendigkeiten aufgreifen.

Redaktion Neue Einheit
8.Januar 2000