Internet-Statement 2000/7
 
 
Zitate aus der Presse zur Umwandlung der Bundeswehr
 
 
Am 6.5.00 wurden über die ARD die Empfehlungen einer sog. "Wehrstrukturkommission" vorzeitig bekannt, die unter dem Vorsitz des früheren Bundespräsidenten R. v. Weizsäcker arbeitet.

Demnach soll die Wehrpflicht bis auf einen symbolischen Rest von 30.000 (heute noch 135.000) Mann reduziert werden. Die Eingreiftruppen für internationale Interventionen sollen bis auf 140.000 gesteigert werden, bei einer Gesamtstärke von 240.000.

Es handelt sich um eine durchgreifende Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee für Auslandseinsätze, wie in unserem IS 6 kurz charakterisiert. Das wäre keineswegs nur ein organisatorischer, sondern v.a. ein radikaler politischer Schritt mit enormen Auswirkungen für die internationale Stellung der BRD und ihr inneres Klima.
 
 
Die "Financial Times Deutschland" (FTD), die das Thema schon im Auge hat, seitdem sie Anfang 2000 zu erscheinen begonnen hat, tritt regelmäßig für die Umwandlung zur Berufsarmee und für die Politik der Grünen in dieser Frage ein.

Bereits am 23.2.00 heißt u.a. unter der Überschrift:

"Außenminister Joschka Fischer deutet höhereVerteidigungsausgaben an":

"Fischer sagte, die Debatte über die Wehrpflicht in Deutschland sei schon entschieden. Wichtige Partner wie die USA und Großbritannien hätten seit langem Berufsarmeen eingeführt. 'Spätestens seit dem Umstellen Frankreichs war klar, in welche Richtung die Entwicklung im Bündnis geht und dass wir uns dem auf Dauer nicht entziehen können', so der Außenminister."

Am 3.4.00 berichtet die FTD über die Tätigkeit der Weizsäcker-Kommission, ihre beabsichtigten Empfehlungen und setzt sich sehr brüsk für sie ein. Unter dem Titel

"Bundeswehr der Zukunft: Eine Profi-Armee/ Verteidigungsminister Scharping kämpft für die Wehrpflicht und gegen Kürzungen im Haushalt. Hat er Erfolg, unterbleiben dringend notwendige Reformen der deutschen Streitkräfte"

heißt es:

"Bei der militärischen Integration von Nato und EU ist die Wehrpflicht ein Handicap für Deutschland: Für Kriseneinsätze kommen nur freiwilllig dienende, bestens ausgebildete Berufssoldaten in Betracht. Von den knapp 330 000 Soldaten der Bundeswehr sind heute 135 000 Wehrpflichtige. Sie sind auf viele Bundeswehr-Einheiten verteilt. Die Wehrpflicht erschwert also die Bündnisfähigkeit großer Teile der Streitkräfte für internationale Kriseneinsätze.

Wichtiger noch: Um für solche Einsätze gerüstet zu sein, müsste die Bundeswehr massiv in gute Ausbildung der Soldaten und in Satelliten, ferngelenkte Waffen und Kommunikationssysteme investieren."

Deutlicher als hier die FTD kann man den inneren Zusammenhang zwischen der Abschaffung der Wehrpflicht, der Einsparung ihrer Kosten und der Umwandlung in eine Interventionsarmee kaum ausdrücken.

Auch über die in ihren Augen positive Rolle der grünen Partei und die befürchtete Obstruktion anderer nimmt die FTD kein Blatt vor den Mund. Sie schreibt am 26.4., Außenminister Fischer liege ein

"vertrauliches Papier von Militärexperten vor....Ergebnis: Nur wenn die Wehrpflicht abgeschafft wird und die Truppenstärke von heute 340.000 auf 200.000 Soldaten sinkt, kann das Verteidigungsministerium die Streitkräfte modernisieren und gleichzeitig die Sparvorgaben der mittelfristigen Finanzplanung von Finnzminister Hans Eichel einhalten.Die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen wird diese Position Anfang Mai übernehmen. Damit stellt sich der Koalitionspartner in krasssen Widerspruch zur Mehrheit in der SPD, vor allem zu Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Dessen Beamte arbeiten an einer Planung, die eine Wehrpflichtarmee mit rund 290.000 Soldaten vorsieht."   (unsere Hv.)

"Das Fischer vorliegende Positionspapier argumentiert, die Verpflichtungen in Nato und EU zwängen die Bundeswehr in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu Investitionen von 120 bis 150 Mrd. DM. Das sei nur aus den Verteidigungshaushalt zu finanzieren, wenn die Wehrpflicht abgeschafft und durch eine geringere Truppenstärke Kosten gespart werden. Die Kommission [gemeint ist die Wehrstrukturkommission, Red. NE] stützt diese Argumentation."

In diesem Sinne geht auch Trittin in der "Bild am Sonntag" v. 23.4.00 in die Öffentlichkeit und fordert die Abschaffung der Wehrpflicht. Eine kleine Armee aus Zeit- und Berufssoldaten reiche aus. Auch Trittin ist der Meinung, die Wehrpflicht sei nicht mehr bezahlbar (FTD 26.4.00)

Sofort nach Bekanntwerden der Vorstellungen der Weizsäcker-Kommission setzt sich die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, für dieses Konzept ein. Sie sagt am 7.5.00 im Deutschlandfunk in "Informationen am Morgen" auf die Fragen des Moderators Wagener u.a. Folgendes:

"Wagener:  Frau Beer, das ist ja wohl eine mittlere Revolution, wenn jetzt eine Profi-Truppe die Wehrpflichtarmee ablösen soll oder nicht?

Beer:  Man muß sich schon darüber im klaren sein, dass die Reform der Bundeswehr, die wirklich auf der Tagesordnung steht, für die nächsten Jahre einmalig ist. Wenn man wirklich von Reform spricht, dann muß man eine grundlegende Reform ins Auge nehmen. Ich denke, dass der Vorschlag der Weizsäcker-Kommission, so weitwir ihn heute kennen, der einzige ist, der gemessen an den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen, also Streichung der Landesverteidigung, und auch den haushaltspolitischen Bedingungen tatsächlich diskussionswert ist, wenn er aus grüner Sicht auch nicht ganz das ist, was wir eigentlich wollen."

Lt. FAZ v. 8.5. 00 hat Beer sich noch folgendermaßen geäußert::

"Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Faktion im Bundestag, Beer, bezeichnete am Wochenende die Vorschläge der Zukunftskommission als 'ein Zeichen des Mutes für notwendige Reformen'. Im Unterschied zu Eckpunkten für die künftige Arbeit der Bundeswehr, die Generalinspekteur von Kirchbach erarbeitet habe, sei von der Zukunftskommission ein 'interessantes Konzept' erarbeitet worden. Die Verringerung der Personalstärke auf 240 000 Mann sei eine 'logische Konsequenz' aus den veränderten sicherheitspolitischen Bedingungen und den haushaltspolitischen Gegebenheiten, sagte Beer.
...
Beer bezeichnete Vorwürfe, mit dem Konzept der Zukunftskommission werde die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umgestaltet, als 'absurd'. Gleichgültig wie die Reform der Bundeswehr endgültig ausfalle, werde der Primat der Politik und die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft solche Befürchtungen widerlegen."

Der 'Primat der Politik' ist bei einer Politik, die die Intervention begünstigt, keineswegs im Widerspruch dazu. Und was die 'Verankerung in der Gesellschaft' betrifft, so wird sie durch die Schaffung der Berufsarmee grundlegend verändert. Das ist Augenwischerei.

Fischer, Trittin, Beer sowie auch andere führende Vertreter der Grünen: das Eintreten dieser Partei für die internationale Interventionsarmee ist eindeutig. Dies nicht erst seit heute. Es ist in der heutigen Situation genau der Vorschlag der Weizsäcker-Kommission, für den sie besonders aktiv wird.

 


Was andere zum Charakter der Weizsäcker-Vorschläge sagen

I.
Die "Neue Zürcher Zeitung" gibt am 8.5.00 einen Überblick über die Auseinandersetzung:

"Zwei Kommissionen arbeiten derzeit in Deutschland Vorschläge für eine Armeereform aus, ein Gremium unter Leitung des früheren Bundespräsidenten von Weizsäcker und eine Planungsgruppe des Verteidigungsministeriums. Am Wochenende sind die weitgehenden Vorstellungen der Weizsäcker-Kommission an die Öffentlichkeit gedrungen. Demnach soll die Bundeswehr von 330 000 auf 240 000 Mann reduziert werden, der Anteil der Wehrpflichtigen sänke von 130 000 auf 30 000 Mann. Die Bundeswehr würde gemäss diesem Konzept faktisch zu einer hauptsächlich für Auslandeinsätze vorgesehenen Berufsarmee, da trotz der generellen Verkleinerung der Streitkräfte der Umfang der für militärische Interventionen ausserhalb des Bündnisgebiets aufgestellten Krisenreaktionskräfte von 50 000 auf 140 000 Soldaten wachsen soll.

Faktischer Abschied von der Wehrpflicht
Die überwiegend mit Zivilisten und militärischen Laien besetzte Kommission hält zwar pro forma an der allgemeinen Wehrpflicht mit einer zehnmonatigen Rekrutenschule fest. Da die Bundeswehr aber nur noch 30 000 Wehrpflichtige umfassen soll, wird nur der kleinste Teil der wehrfähigen jungen Männer in den Streitkräften benötigt. Das Gremium nennt dies euphemistisch Auswahlwehrdienst, zu dessen Ableistung man jedoch offenkundig nicht gezwungen würde. Die Absolventen sollen durch einen erhöhten Sold gewonnen werden. Auch in anderen Bereichen ist an eine drastische Reorganisation gedacht. Die Zahl der Zivilangestellten soll von 130 000 auf 80 000 Personen sinken. Die Kommission rührt zudem an ein Tabu der bundesdeutschen Streitkräfte, indem sie den in der Nachkriegszeit abgeschafften Generalstab zumindest in Grundzügen wieder beleben will. Der Generalinspekteur, bisher oberster militärischer Berater des Verteidigungsministers ohne Führungsverantwortung für Einheiten, soll nach dem in den Medien vorgestellten, rund 100seitigen Konzept eine starke Stellung mit operativen Kompetenzen erhalten."

II.
Der ehemalige Bundeswehr-General und stellv. NATO-Befehlshaber Schmückle (AP v. 6.5.00):

"warf die Frage auf, was die geplanten 30.000 Wehrpflichtigen unter den 210.000 Berufssoldaten eigentlich noch sollten. Die geplante Bereitstellung von 140.000 Mann für internationale Einsätze sei sehr gefährlich, meinte er. 'Wir bringen uns da in eine Zwangslage, dass andere nur auf den Knopf drücken müssen, und wir können dann in alle Welt unsere Soldaten schicken.'

Nur 'sehr bedingt' sinnvoll sei die Abkehr von der Landesverteidigung und die Hinwendung zur Interventionstruppe, sagte Schmückle. Schon unter dem früheren Verteidigungsminister Volker Rühe habe das Land eine 'Zwitterarmee' erhalten; die zur Landesverteidigung vorgesehenen Teile seien nur noch schlecht ausgerüstet worden. Selbst die Politik der Befürworter der Wehrpflicht gehe dahin, diese mehr und mehr auszuhöhlen."

III.
In der FAZ v. 8.5. 00 heißt es:

"CSU-Generalsekretär Goppel warnte vor einer Umgestaltung der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee für internationale Einsätze, die auf eine Abschaffung der Wehrpflicht 'durch die Hintertür' ziele."

"CDU-Generalsekretär Polenz sagte am Wochenende, seine Partei lehne eine Verkleinerung der Streitkräfte auf 240.000 Mann ab; auch eine Verringerung der Zahl der Wehrpflichtigen in der Bundeswehr auf 30 000 Mann stoße auf den Widerstand der CDU."

Im Kommentar der FAZ v. 8.5.00 wird von K. Feldmeyer u.a. gerügt, daß die

"...Kommission glaubt, einer Armee das Wort reden zu sollen, für die Landesverteidigung allenfalls noch eine zweitrangige Aufgabe ist, für die es keine sonderliche Vorsorge braucht. Ein solcher Optimismus ist nicht gerechtfertigt."


Zu den Perspektiven der weiteren Auseinandersetzung meint die NZZ in dem bereits zitierten Artikel:

"Offiziell sind die unter der Ägide des ehemaligen Staatsoberhaupts erarbeiteten Pläne noch vertraulich; ihre Vorstellung ist nach einer abschliessenden redaktionellen Bearbeitung in den nächsten Tagen erst für Ende Monat vorgesehen. Die Kommission war einberufen worden, weil sich SPD und Grüne bei Regierungsantritt nicht über die künftige Streitkräftestruktur einigen konnten. Verteidigungsminister Scharping und sein Ministerium stehen dem Gremium skeptisch gegenüber. Die vorzeitige Lancierung des Weizsäcker- Berichts soll offenkundig dafür sorgen, dass in den einsetzenden Diskussionen die Vorschläge noch vor deren eigentlicher Publikation zerredet werden. Die Union und die FDP haben am Wochenende bereits Kernelemente des Konzepts abgelehnt. CDU-Generalsekretär Polenz sagte, das Papier gefährde die Wehrpflicht und damit die Stabilität der Bundeswehr. Einzig die grüne Bundestagsabgeordnete Beer begrüsste die Empfehlungen der Kommission, da ihre Partei die Bildung einer möglichst kleinen Berufsarmee fordert. Die SPD hielt sich mit Stellungnahmen zurück, doch haben Wehrexperten der Bundestagsfraktion mehrfach klargestellt, dass sie für die Beibehaltung der Wehrpflicht eintreten.

Kaum Aussicht auf Verwirklichung
Um Scharping nicht in den Rücken zu fallen, hat die SPD im Gegensatz zur Opposition und dem grünen Koalitionspartner von der Publikation eigener Konzepte zur Armeereform abgesehen. Nur der für den Wehretat zuständige Haushaltspolitiker Kröning schlug vor, die Streitkräftestärke auf 250 000 bis 270 000 Mann zu reduzieren. Er plädiert ferner dafür, den Grundwehrdienst nur um einen Monat zu kürzen und das prozentuale Verhältnis zwischen Wehrpflichtigen sowie Zeit- und Berufssoldaten beizubehalten. Mit diesen Vorstellungen liegt die SPD-Fraktion zwischen dem Konzept der Weizsäcker- Kommission und den auf möglichst geringfügige Einschnitte abzielenden Plänen des Verteidigungsministeriums. Verbunden mit den finanziellen Beschränkungen in den nächsten Jahren bedeuten aber auch die Vorstellungen der Hardthöhe, die unter anderem eine Verkleinerung der Bundeswehr auf 290 000 Mann vorsehen, eine Zäsur. Einen Totalumbau der Streitkräfte, wie er dem früheren Bundespräsidenten offenkundig vorschwebt, will man hingegen unter allen Umständen verhindern. Angesichts der sich im Parlament abzeichnenden grossen Koalition von Kritikern der Weizsäcker-Kommission ist es daher sehr unwahrscheinlich, dass die empfohlene Radikalkur in die Realität umgesetzt wird."

Mit dem Wort "Zerreden" meint dieses Blatt offenbar, daß in den nächsten Wochen die Kritiker der Weizsäcker-Empfehlungen noch zu Wort kommen sollen und die Kommission, bzw. die Regierung schließlich einen Kompromiss beschließen werde, in dem die größten Krassheiten abgemildert werden. Aber jeder, auch der kleinste Schritt in dieser Richtung ist zu viel. Im Gegenteil: Es muß eine Abkehr von der ganzen Richtung erfolgen.

Redaktion Neue Einheit
11. Mai 2000