Internet Statement 2000-13


Zur Frage der Kernenergie (Antwort an Uwe Schwarz)


Persönliches Statement von W. Gerhard.

Es wurde am 1.6.2000 als Diskussionsbeitrag in die Newsgroups bln.politik
und maus.soziales.politik gepostet.



 
 

Subject: Antwort an Uwe Schwarz zur Frage der Kernenergie
             (Was:Re:Neue Einheit: Bundeswehr zur Interventionsarmee)

Uwe Schwarz postete (Message-ID: <200005182358.a22301@b.maus.de>):

WG>>Die Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie wird von der Neuen
WG>>Einheit vor allem als politische Frage behandelt.

US>Von mir auch. Ich traue kapitalistischen Stromkonzernen nicht das für den 
US>sachgerechten Umgang mit dieser Pandorabüchse nötige 
US>Verantwortungsbewußtsein zu (und stalinistischen Bürokraten auch nicht).
US>Die Revolutionäre der NE sind da offenbar viel gutgläubiger.

Später kommt dann aber eine Aussage, die meiner Meinung nach dazu im Widerspruch steht:

US>Wenn ich gegen Entwicklung wäre, hätte ich wohl kaum Physik studiert und
US>würde auch nicht in einem Forschungslabor an Kooperationsprojekten mit der 
US>Industrie arbeiten.

Können Sie als Forscher bestimmen, was aus den Forschungsergebnissen gemacht wird? Wenn ein genauerer Einblick in die Struktur der Materie gewonnen wird, können Sie da wirklich die Möglichkeit eines Mißbrauchs ausschließen? Haben etwa die Curies vor hundert Jahren gewußt, was aus ihren Entdeckungen werden würde? 

Sie denken das ganze nicht konsequent zuende.

Wenn Sie den kapitalistischen Stromkonzernen nicht trauen (was ich nachvollziehen kann), dann müssen Sie für eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft eintreten, aber nicht die Entwicklung dieser Produktivkraft bremsen, weil dies auch die gesellschaftliche Entwicklung bremst. Und schließlich gibt es noch mehr "Pandorabüchsen", man denke nur an Chemie und Biologie. Jeder große Schritt vorwärts in der Technik kann auch für Zerstörerisches im negativen Sinne genutzt werden. Nein, wir sind nicht gutgläubig, sondern realistisch, darum wollen wir die Gesellschaft auf ein höheres Niveau heben und nicht die Technik auf einem niedrigeren Niveau einfrieren.

WG>>Das Stoppen der Weiterentwicklung der Produktivkräfte ist aber auf jeden
WG>>Fall existenzbedrohend für die Menschheit und ein Verbrechen.

US>Wer außer der NE übersetzt "Produktivkräfte" mit "Kernkraftwerke"? Die 
US>wissenschaftlich-technische Revolution läuft immer schneller ab - für Euch 
US>offenbar zu schnell, so daß Ihr es gar nicht mehr bemerkt, wie ein 
US>technologischer Durchbruch den nächsten jagt. Man muß schon NE-Mitglied 
US>sein, um aus dem Rückgang des Kohle- und Stahlverbrauchs auf ein "Stoppen 
US>der Weiterentwicklung der Produktivkräfte" zu schließen, wie in Eurem 
US>Posting zur NRW-Wahl geschehen. ((...weitere Polemik weggelassen))

Man muß es schon mit der Wahrheit so wenig genau nehmen wie Uwe Schwarz, um zu solchen Aussagen zu kommen! (oder ist es Oberflächlichkeit?)

Was will er uns denn nun fälschlicherweise vorwerfen?

Daß wir Produktivkräfte mit Kernenergie übersetzen oder daß wir sie mit Kohle und Stahl gleichsetzen?

Beide Vorwürfe sind falsch und mit nichts zu belegen, schon gar nicht mit dem angesprochenen Posting der NE zur NRW-Wahl, wo gerade die Ansiedlung moderner Industriezweige befürwortet wird und der Landesregierung vorgeworfen wird, daß diese den Anschluß an die rasante Entwicklung auf der Welt bewußt versäumt hat und in einem Zweig, wo Deutschland zu den führenden Nationen gehört, die Weiterentwicklung abschneidet. Hat Uwe Schwarz den Text nicht gelesen oder hat er eine "pragmatische Einstellung zur Wahrheit"?

( Nebenbei: Stahl ist allerdings auch heute noch ein wichtiger Indikator für industrielle Entwicklung und der ausnahmsweise Rückgang des Welt-Stahlverbrauchs 1998 wird nicht etwa der Modernisierung, sondern der Asien-Krise zugeschrieben.)

Auf diese Weise drücken Sie sich aber vor der Fragestellung, ob denn die friedliche Nutzung der Kernenergie zur Weiterentwicklung der Produktivkräfte dazugehört oder nicht. Wir sagen: Das Gewinnen von Energie aus dem Atom ist auf jeden Fall eine wichtige Weiterentwicklung! Sicher gibt es auch auf diesem Gebiet vieles zu entwickeln und zu verbessern, aber was hier in diesem Land angestrebt wird ist ja gerade ein Stopp jeglicher Weiterentwicklung dieser Technologie, einschließlich der Entwicklung noch sichererer Verfahren.

Uwe Schwarz hat offenbar auch nicht verstanden, als ehemaliger DDR-Bewohner hat er es auch nicht so mitbekommen, welche Rolle der "Kampf gegen Kernkraftwerke" hier in diesem Land politisch gespielt hat. Er diente als Einfallstor reaktionärer Ideen in eine Massenbewegung mit bis dahin revolutionärem Anspruch. Am Anfang wurde dies massiv angekurbelt von damals einflußreichen angeblich "kommunistischen" Organisationen wie KPD (Rote Fahne), KBW und KPD/ML (Roter Morgen), von denen manche Führer heute in hohen Positionen sitzen oder Karriere gemacht haben (man nehme Semler, Horlemann, Schmierer, Trittin, die Liste läßt sich sicher verlängern) und von deren Mitgliedern viele später, nach der Selbstliquidierung dieser Organisationen, am Aufbau der Grünen wichtigen Anteil hatten. Indem der angeblich drohende Untergang der Menschheit durch diese Technologie an die Wand gemalt wurde und schließlich sogar die Stellung zu den Kernkraftwerken zum Kriterium gemacht wurde, ob jemand fortschrittlich sei oder zur Reaktion gehört, wurde in dieser Bewegung auch ein unerhörter Druck ausgeübt. Im weiteren wurde, nachdem so in gewisser Weise eine ideologische "Büchse der Pandora" geöffnet wurde, auf der Bahn der Technik- Industrie- und Wissenschaftsfeindlichkeit weitergegangen, zunächst als Kampf gegen gewissenlose kapitalistische Profitgier verbrämt, später auch als sogenannter Kampf gegen "männlichen Wissenschaftlichkeitswahn", "westlichen Rationalismus" und dergleichen mehr, wobei die Deindustrialisierung des Landes, die dabei ideologisch untermauert wurde, ihrerseits auch die Ausbreitung derartigen Gedankengutes in bestimmten Gesellschaftsschichten förderte. Die Grünen sind ein Produkt und gleichzeitig auch die "Vorhut" dieser Entwicklung. Schließlich nahmen alle bürgerlichen Parteien mehr oder weniger grüne Elemente in ihre Politik mit auf.

Die simple Logik "die AKWs gehören Kapitalisten, also kann das nicht von bürgerlichen Kräften kommen, sondern muß von Links gekommen sein", die man bisweilen hört, greift nicht. Ein wichtiger Hintergrund ist: Die herrschenden Kreise der USA wollten nach dem zweiten Weltkrieg das Monopol auf die Atomenergie, vor allem auf die Atombombe. Damals forderten alle fortschrittlichen Menschen, daß diese Kraft zur Energiegewinnung und nicht nur zum Bau von Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden sollte. Das Durchbrechen dieses Monopols durch die Sowjetunion und ebenfalls deren Umsetzung für die friedliche Nutzung, indem dort die ersten KKWs gebaut wurden, die Strom erzeugten und nicht nur zur Gewinnung von spaltbarem Material dienten, durchbrachen diese Bestrebungen und schufen so auch eine Bresche für die friedliche Anwendung. Im Zuge der weiteren Entwicklung der Sowjetunion zur (sozial-) imperialistischen Macht, wurde auch die SU zu einem Befürworter der Monopolisierung, aber natürlich unter Einschluß ihrer selbst. Die USA haben aber ihre damaligen Ziele niemals wirklich aufgegeben und verfolgen sie natürlich in der heutigen Lage umso mehr. Darum ist die Entwicklung der Grünen zu heute offenen Parteigängern der USA so bezeichnend und so bestätigend für unsere Analyse dieser Richtung.

US>Wenn Ihr glaubt, mit deutschen Kernkaftwerken hungernden Afrikanern zu 
US>helfen, dann sprecht Ihr allerdings auch ein sehr eindeutiges "Urteil über 
US>sich selbst".

Das ist Simpellogik. Wir sehen die Weiterentwicklung von Industrie und Technik auf der Welt eben als etwas an, das auch grundsätzlich im Sinne der fortschrittlichen gesellschaftlichen Entwicklung ist, weil es reaktionäre gesellschaftliche Strukturen aufbricht und materielle Voraussetzen für neue Gesellschaftsstrukturen schafft, und wenn wir das hier bremsen, in einem Land, das eine Spitzenposition bei der Entwicklung hat, dann ist das nicht im Sinne einer weltweiten fortschrittlichen Entwicklung, sondern dient dazu, sie zu bremsen. Wenn dieses Land immer weniger ein Industrieland ist und immer mehr von der internationalen Finanzausplünderung lebt, wird es auch immer fanatischer die entsprechende Weltordnung verteidigen. Daß gerade grüne Spitzenpolitiker sich dabei hervortun, ist für uns nur logisch. So kann man sehr wohl sagen: Unser Kampf ist allerdings auch in dieser Hinsicht im Sinne der afrikanischen wie aller Völker.

W.Gerhard 1.6.2000