Neue Einheit  -  Internet-Statement 2003-23

 

1.Mai 2003:
Bewegungen im Land - und wie sich manche Demonstrationen dazu stellen


Die Lage im Frühjahr des Jahres 2003 hat zwei Bewegungen hervorgebracht, deren eine bereits etwas Wichtiges erreicht hat, während die andere noch Wichtiges erreichen kann.

Im Frühjahr dieses Jahres gab es die weltweite Bewegung gegen den von den USA mit aller Willkür vom Zaune gebrochenen Krieg gegen den Irak zum Zwecke der Eroberung und Besatzung. In der Bundesrepublik war dies zugleich eine Bewegung gegen die Teilnahme an diesem Krieg, und sowohl aufgrund der objektiven Lage, daß dieses Land und seine herrschende Klasse Widersprüche zu den USA haben, als auch aufgrund des Druckes, der von der Bevölkerung ausging, wurde eine Teilnahme der Bundesrepublik an diesem Krieg verhindert. Auch wenn die weltweite größte Demonstrationsbewegung, die je existierte, nicht den US-Angriff verhindern konnte,  wie auch nicht den von Anfang an aufgrund der Übermacht wahrscheinlichen Sieg der USA über die irakischen Truppen, so hat sie doch dazu beigetragen, die USA zu isolieren und die Bedingungen dieser Aggression erheblich zu verschlechtern.

Die zweite Bewegung wird in den ersten Ansätzen eines Kampfes gegen soziale Entrechtung sichtbar, der im weiteren noch erheblich größeres Ausmaß annehmen wird. Die Folgen der katastrophalen Politik, die die kapitalistische Krise zusätzlich verschärft hat: die radikalen Produktionsverlagerungen bis hin zu einer teilweisen Deindustrialisierung, das chimärenhafte Konzept einer fast nur auf Dienstleistungen ausgerichteten Gesellschaft, die zum Teil vorsätzlich behaltene Arbeitslosigkeit in riesigem Umfang -  all dies hat, für niemanden, der die Dinge kennt, überraschend,  zu einer schwerwiegenden Krise geführt, die jetzt natürlich nicht von den Verantwortlichen bezahlt werden soll, sondern von denen, die ohnehin schon gebeutelt worden sind.

Das Kapital will die Lohnabhängigen, die Angestellten und überhaupt die Arbeitenden in diesem Land an ein Niveau tief unten anpassen, um sich damit ohne Rücksicht auf Verluste der Probleme zu entledigen. Die Methoden des Reformismus sind an ihrem Ende. Was hier als „Reform“ angekündigt wird, ist nichts als eine Art Raubzug gegen jede Art von sozialen Errungenschaften. Diese Politik wird nicht nur von der rot-grünen Koalition getragen, sie wird von allen staatstragenden Parteien getragen. Die Bewegung kann sich deshalb auf keinen Fall nur auf eine Konfrontation mit der Schröder-Regierung konzentrieren, sondern sie muß sich auf eine Konfrontation mit allen Parteien einstellen, weil jetzt schon Bemühungen laufen, die Schröder-Regierung beiseite zu stoßen und an ihre Stelle eine andere Regierung unter Einbindung von CDU/CSU oder FDP zu bekommen, die dann um so rigoroser das Konzept durchführt.

Nur wer sich wirklich realistisch den Bedingungen stellt, wer auch den Ursachen der zusätzlichen Verschärfung der Krise in diesem Land nachgeht, der kann auch gewisse Verbesserungen herbeiführen.

 

Ist es richtig, gegen Globalisierung aufzutreten?

Verschiedene Organisationen treten mit der Losung der Anti-Globalisierung auf und schieben alle möglichen kapitalistischen Erscheinungen bis hin zu den Kriegen der Globalisierung des Kapitalismus als Ursache zu. Globalisierung gibt es schon, solange es Entwicklung von menschlicher Ökonomie gibt. Sie ist schon viel älter als der Kapitalismus selbst. Schon die ökonomischen Ansätze des Menschen vor Tausenden von Jahren waren mit großem internationalem Handel verbunden, also in gewissen Sinne global. Globalisierung im Kapitalismus gibt es seit mindestens 150 Jahren. Globalisierung im Sinne internationaler Verknüpfung der Wirtschaft war ein revolutionärer Faktor, der die Menschen vorwärts gebracht hat.
Wir haben Verständnis dafür gehabt, wenn am Anfang viele Menschen Globalisierung mit der drastischen Verschlechterung in Verbindung gebracht haben und daher solche Losungen am Anfang aufnahmen. Aber inzwischen wird die ständige Wiederholung des Begriffes Globalisierung, wo eigentlich von Kapitalismus die Rede sein muß, zu einer Plage, denn die Menschen werden rückwärts gekoppelt und von den eigentlichen Widersprüchen des Kapitalismus abgelenkt. Die Losung des Kampfes gegen Globalisierung führt nach rechts. Man kann nicht die Märkte gegeneinander abschotten, schon gar nicht kann das ein Land, das durch seine noch verbliebene Industrie mit der Weltwirtschaft vollkommen verkoppelt ist. Statt ‚Kampf gegen internationale Ausbeutung’ heißt es ‚Kampf gegen Globalisierung’, und das sind zwei verschiedene Dinge.
Wenn wir den Kampf gegen die internationale Ausbeutung wollen, dann muß endlich einmal so etwas geschehen wie eine Politisierung der Gewerkschaftsbewegung, die die vollkommen reaktionären Verhältnisse angreift, die vom Kapital - unter Führung der USA-Supermacht und unter Beteiligung aller anderen kapitalistischen Staaten - in verschiedensten Ländern bewußt an der Macht gehalten werden.

 

Gewerkschaftliche Demonstrationen

Die gewerkschaftlichen Demonstrationen, die am heutigen 1. Mai stattfinden, werden von den Leuten organisiert, die an den Hartz-Beschlüssen Anteil hatten, jetzt aber zum Teil eine kleine Kehrtwende machen und versuchen, die allergrößten Auswüchse vorgeblich zu bekämpfen. Aber niemand kann den Rednern zuhören mit dem Glauben, daß sie irgendwelche entscheidenden Schritte dagegen unternehmen werden. Die Gewerkschaften sind hier eng mit dem Staat verknüpft, und das hat sich in dieser Frage voll ausgewirkt.
Sog. oppositionelle Gruppen scheuen davor zurück, die Beteiligung der gewerkschaftlichen Führung an diesen Dingen zu benennen.
Die Beteiligung der gewerkschaftlichen Führungen an den Hartz-Beschlüssen hindert übrigens die Vertreter des Kapitals nicht, umso schärferen Druck auszuüben, wenn ihm nur die kleinsten Zugeständnisse abgerungen werden sollen.


... und sog. Revolutionäre Demonstrationen in Berlin

Die anderen Demonstrationen in Kreuzberg und angrenzenden Bezirken stellen sich z.T. direkt, z.T. nur wenig verdeckt gegen die Demonstrationen gegen die Aggression der USA gegen den Irak. Abgesehen von der 18-Uhr-Demonstration, die direkt unter der Losung „Nie wieder Frieden!“ antritt, und offen als Sprachrohr der US-Imperialisten und sogar von Bush und Rumsfeld im besonderen auftritt, gibt es auch bei der 13-Uhr-Demonstration einen deutlichen Zungenschlag gegen die Anti-Kriegsdemonstrationen der letzten Monate, die eine erhebliche politische Bedeutung hatten.
Was die 18-Uhr-Demonstration angeht, so muß man daran erinnern, daß schon seit langem vermutet worden ist, daß es zwischen den anarchistischen Kräften in Kreuzberg und gewissen schwarzen Rechten Verbindungen gibt. Daß dies aber in solch einer Offenheit hervortritt, ist selbst für Berliner Verhältnisse neu. Die autonome Szene, die schon immer eine recht zwielichtige Rolle gespielt hat, hat sich mit dieser Aufführung gewissermaßen in ihrem tatsächlichen Charakter offenbart, der bei genauer Betrachtung auch schon vorher gesehen werden konnte.
Was die 13h-Demonstration der Kräfte betrifft, die sich unter der „Gemeinsamen Presseerklärung“ vereinigt haben, so mußte man schon zu Anfang konstatieren, daß Einiges äußerst fragwürdig ist. Bei ihnen hieß es Ende März, mitten während des Irak-Krieges, es sei nicht konsensfähig, klar den US-Imperialismus zu verurteilen, wie das von einigen, darunter von uns (s. IS 2003-14), herangetragen wurde. Schließlich sahen sie sich veranlaßt, den Irak-Krieg der USA zu verurteilen – die Frage ist aber: Wie! So heißt es in der gemeinsamen Presseerklärung:

„Die Verteilungskämpfe der imperialistischen Konkurrenten produzieren Kriege und führen zur direkten Unterwerfung von Trikontländern, die über strategisch wichtige Ressourcen verfügen oder von geostrategischer Bedeutung für die kapitalistischen Zentren sind.“

Dieser allgemeine Satz im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg offenbart Einiges. Es sind keineswegs bloß die Verteilungskämpfe, die Bush veranlassen, diesen Krieg gegen den Irak zu führen. Der Krieg gegen den Irak wie überhaupt die ganze Drohung des sog. „Kriegs gegen den Terror“, die von Bush unter dem Vorwand von Bin Laden und Konsorten vom Zaune gebrochen wurde, enthält deutliche Elemente der direkten Bedrohung des internationalen Proletariats und aller revolutionären Bewegungen, und keineswegs nur die Auseinandersetzung mit anderen imperialistischen Staaten. Die Drohung von Bush und Rumsfeld geht dahin, faktisch die gesamte übrige Welt, nicht nur die Trikontländer, sondern auch die kapitalistischen Staaten Europas unter der US-Hegemonie zu behalten und ebenfalls zu bedrohen. Die Drohung richtet sich auch gegen Rußland und schließlich gegen China, auch wenn das noch nicht unmittelbar auf der Tagesordnung steht.
Mit einer derartigen Formulierung – Verteilungskämpfe der imperialistischen Konkurrenten als Ursache – wird die notwendige klare Zuspitzung auf den momentan existierenden Aggressionkrieg systematisch hintertrieben.
Des weiteren wird geleugnet, daß ein Erfolg errungen wurde, indem die USA gezwungen wurden, alleine mit Großbritannien und einigen wenigen besonders engen Verbündeten diesen Krieg zu führen.
Warum schreibt man nicht ganz einfach: der Imperialismus produziert Kriege wie gegen den Irak? Wieso redet man bloß von Verteilungskämpfen imperialistischer Konkurrenten? Der Marxismus sieht es ohnehin so, daß es – zum Glück – die Rivalität zwischen verschiedenen kapitalistischen Kräften gibt, denn diese führen dazu, daß das Proletariat Lücken findet, seinen eigenen Kampf zu entfalten. Statt klar die Aggressoren zu benennen, wird allgemein von Verteilungskämpfen gesprochen und damit im Grunde ja denen die Schuld zugeschoben, die den Verteilungskampf verschärft haben, d.h. in diesem Fall den europäischen Staaten, von denen ein Teil sich herausgenommen haben, sich den US-Imperialisten zu verweigern.
Im Grunde liegt hier eine ähnliche Linie vor wie bei denen, die ganz offen die USA unterstützen. Allerdings kann man vielleicht zugute halten, daß sie unter dem Druck der Letztgenannten stehen.

Diese Leute bezeichnen sich selbst sehr oft als „linksradikal“, und das sind sie auch. Sie sind linksradikale kleinbürgerliche proimperialistische Kräfte, die mit dem Klassenkampf und dem Marxismus entweder nicht benetzt sind oder gar nichts damit zu tun haben wollen. Ihre Losung heißt: „Krieg dem Krieg nach außen und innen!“ Kann man aber den Krieg nach innen verhindern? Wir sind der Ansicht, daß der Klassenkampf unvermeidlich ist in diesem Lande, und daß er sich auf der ganzen Welt entwickelt. Er hat auch in all den vergangenen Jahrzehnten existiert, er hat sich nur anders entwickelt, als er es normalerweise in einem einzelnen Land tut. Er wurde von vielen Kräften verdrängt und kommt jetzt erbarmungslos wieder. Deswegen kann man nicht gegen den Klassenkampf im Innern sein, er kommt objektiv immer wieder. Man muß sich den Aufgaben, die sich aus der Spaltung zwischen Bourgeoisie und Proletariat ergeben, stellen.
Und auch die Kriege nach außen können ganz verschiedenen Charakter haben. Die Marxisten, diejenigen, die auf dem historischen Materialismus stehen, sind gegen reaktionäre, gegen imperialistische Kriege, aber man darf nicht vergessen, daß auch Revolution letztlich Krieg bedeutet.
Im Grunde repräsentieren die Losungen dieser Leute radikales Kleinbürgertum, das in den Zeiten der Zuspitzung des Kampfes unweigerlich versagt.


Im letzten Jahr konnte man sagen, daß die Situation bei den Maidemonstrationen in Berlin äußerst unbefriedigend ist. In diesem Jahr ist das viel weiter gediehen. Die Kräfte, die diese Demonstrationen maßgeblich organisieren, stellen sich gegen objektiv notwendige und richtige Bewegungen in diesem Land. Mit einer solchen Stellung verabschieden sie sich endgültig von der progressiven Seite.

Leider ist es in diesem Jahr noch nicht gelungen, eine Demonstration zum 1. Mai zu schaffen, die den objektiven Bedürfnissen der Mehrheit, anders ausgedrückt, den Notwendigkeiten des Klassenkampfes entspricht, aber man hat einige Aussicht, daß das in den nächsten Jahren der Fall sein kann. Wir blicken über den 1. Mai hinaus und sehen, daß es im weiteren wichtige organisatorische Aufgaben gibt, um diese objektiv notwendigen Ansätze, die sich überall entwickeln, zu stärken.

Redaktion Neue Einheit
1.Mai 2003


AKTUELLE MELDUNGEN:

1. Mai 2003 - 15 Uhr 30   Kundgebung Oranienplatz:

In den Reden und auf den Transparenten gibt es eine deutliche Verurteilung der Beatzung und Vergewaltigung des Irak. Es gibt Losungen und Transparante gegen den US-Imperialismus, gegen den Zionismus, gegen den geplanten Sozialraub und für eine klare, klassenkämpferische Haltung der Arbeiterklasse. Diese Reden und Inhalte stehen in einem gewissen Kontrast zu dem Aufruf der Organisatoren.


1. Mai 2003 - 15 Uhr 50   Kundgebung Oranienplatz:  Sog. Antifa hält gesonderte Kundgebung mit faschistischen Losungen ab!

Die Rednerin Jutta Dittfurth attackiert die Bewegung gegen den Aggressionskrieg gegen den Irak von Seiten des US-Imperialismus und Großbritaniens. Sie ruft "Was scheren uns innerimperialistische Gegensätze." und hat damit bekundet, was sie vom Marxismus und von revolutionärer Bewegung versteht. Eine Musikgruppe trat auf, dabei wurden wiederholt faschistische Rufe wie "Deutschland muß sterben, damit wir leben können" und "Deutschland verrecke" skandiert. Danach wurden mögliche Auseinandersetzungen mit der Polizei als Spaßaktionen geschildert, und, daß das sogar der Zweck des heutigen Tages sei.

 

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