Internet-Statement 2003-47 - 15.10.2003
Diskussion in Grundsatzfragen
Zur Diskussion des Artikels "Der
Black-out in den USA, die Frage der sicheren Stromversorgung und die Ansichten
von Ver.di" (NE Internet-Statement 2003-41)
An
Dein Brief vom 28.8. ist sehr interessant und eine Unterstützung.
Endlich steht jemand auf und wagt es, alte Klischees anzugreifen, mit
deren Bekämpfung wir bisher faktisch allein standen.
Ja, das ist eine der Grundfragen des Materialismus. - Dies ist übrigens
nicht das erste Mal, daß es einen solchen Kampf in diesem Staat
gibt. Gerade in den Jahren 68/69 ging es darum, als für eine Zeitlang
Theorien wie die der Frankfurter Schule vorherrschten, in denen Idealismus
gepredigt wurde und der historische Materialismus von Grund auf bekämpft
wurde, diese zu überwinden. Entgegen aller Erwartung der Bourgeoisie
in diesem Land gab es doch eine Hinwendung zu Materialismus und zum Marxismus.
Es wurde nämlich von da an vertreten, daß die vorhandenen Produktivkräfte
und Neuerungen, wie die moderne arbeitsteilige Großproduktion aber
auch die veränderte Kommunikation wie das Fernsehen und die internationale
Vernetzung revolutionäre Erfindungen sind, die die Vergesellschaftung
weiter angehoben haben, und die zusammen mit der Existenz der sozialistischen
Staaten und der weltweiten Arbeiterbewegung gegenüber der Bourgeoisie
etwas Bedrohliches geschaffen haben. Auf Grund des Zusammentreffens verschiedener
objektiver wie subjektiver Faktoren gewann der Marxismus wie auch der
Leninismus in Deutschland, nachdem diese 1933 eine Niederlage und eine
regelrechte Ausrottungskampagne durchgemacht hatten, eine Renaissance.
Auf einmal begriff man die revolutionären Produktivkräfte, zu
denen auch die Ausbildung und die Fähigkeiten der Menschen gehören,
als Grundlage des eigenen Handelns. Man sah sie nicht mehr wie vorher
bei den maßgebendsten Leuten der Studentenbewegung als 'Gefahr der
Manipulation’, als Bedrohung der Menschheit, als grundsätzliche
Entfremdung, der man eine idealistische Gegenwelt, eine Utopie entgegenzusetzen
habe. Hier gibt es einiges über die Entwicklung der Bundesrepublik
aufzuarbeiten. Der Kampf um die marxistische Partei, und mit ihm der Kampf um den materialistischen
Standpunkt, der den Ausgangspunkt dieser Betrachtungen bildet, hängt
jedenfalls engstens mit diesen Veränderungen zusammen. Letztlich
sind die gewaltigen Umwälzungen auf technologischem wie auf wissenschaftlichem
Gebiet ausschlaggebend für die Umwälzungen, die sich auf politischem
und ökonomischem Gebiet ergeben haben.
Mit dieser Tabuisierung muß man auch heute noch rechnen. Allerdings müssen wir bei der Untersuchung, warum sich das so entwickeln konnte alle Faktoren miteinbeziehen, dazu gehört die Entwicklung in der Sowjetunion ebenso wie der Umsturz in China. Du schreibst:
Die Anti-AKW-Leute brachten von Anfang an die Frage der Sicherheit, aber sie packten sie absolut metaphysisch an. Die Sicherheit gehört natürlich auch zu den naturwissenschaftlich technischen Bedingungen. Es gibt bei nichts in der Welt eine im chemisch reinen Sinne 100-prozentige Sicherheit. Jede Sicherheit ist relativ, man muß eine vertretbare Sicherheit bei jeder Anlage, egal auf welchem Gebiet, sei es Chemie oder Kernenergie, seien es militärische oder biotechnische Anlagen, schaffen. Dabei ist sehr wesentlich, daß die Katastrophe von Tschernobyl eben nicht auf dem Zusammentreffen von astronomisch unwahrscheinlichen Zufällen beruhte, sondern im Gegenteil auf der bewußten Ausschaltung der Sicherheitssysteme und dem Fahren von Experimenten auf diesem Reaktor. Gerade Tschernobyl aber wurde benutzt, um auch die Gewerkschaften und die SPD endgültig auf den Anti-AKW-Kurs einzuschwören. Zu den weiteren Punkten Was den Punkt „Technologiepolitik“ hier am konkreten Fall der chemischen und pharmazeutischen Industrie betrifft, so berührst Du hier ebenfalls einen fundamentalen Punkt. Was hier gegenwärtig an Zerstörung läuft, so ganz unter der Hand, jenseits großer Publizität ist ungeheuer. Bestimmte bürgerliche Fachleute und Mittelunternehmer haben Recht, wenn sie diese Punkte besorgt erwähnen. Das sind Punkte, die auch für die Arbeiterklasse von großem Interesse sind. Unter dem Mantel von „rot-grüner“ Friedenspolitik läuft eine extreme Plattmacherei. Wir haben uns schon in einer Publikation gegen die erpresserische Forderung der Bundesregierung gegen Entwicklungsländer gerichtet, diesen die Kernenergie und die Anwendung von Wasserkraft verbieten zu wollen (Johannisburg-Konferenz). Aber die inneren Themen sind genauso wichtig. Und solange die Linke diese Politik deckt, sind die Ultrareaktionäre in der Vorhand. Die antiautoritären Erziehungsideale der 68-er Westlinken. Auch hier gibt es eine Doppelseitigkeit zu beachten. Die verknöcherten autoritären Strukturen, die um die wesentlichen kulturellen und geschichtlichen Fragen bei der Erziehung einen Bogen machten, mußten aufgebrochen werden. Dieser Kulturbruch ging durch die ganze Welt, und er war eine wirkliche Revolution. Daß die Sexualität aus ihrem Tabu geholt wurde, ebenfalls. Aber andererseits war es Unsinn, eine Erziehung „frei von Zwängen“ erreichen zu wollen, weil es das im Leben sowieso nicht gibt. Das sind in der Tat extrem anarchistische und bourgeoise Ideen. Dabei möchte ich es belassen. Das Land und vor allem das Proletariat
in internationaler Hinsicht, wie die Lohnabhängigen und die fortschrittliche
Seite in diesem Land brauchen die Diskussion. Dabei wird man allerdings
so manches Hindernis wegräumen müssen, denn das berührt
die bourgeoisen Strukturen in diesem Land.
Schreiben von Dieter Stolpe vom 28.8.03: (zum IS 2003-41)
Liebe Genossinnen und Genossen, Eure Standpunkte, die sicher der in vielen Dingen pragmatischeren und alltagstauglicheren "Ostlinken" wesentlich näher kommen als den überakademisierten "Westlinken", teile ich voll und ganz. Unsere Hauptaufgabe nämlich ist es, Begriffe wie Fortschritt, Modernität und Entwicklung (gesellschaftlich und technisch-industriell), wieder für eine revolutionäre Linke zurückzuerkämpfen. Diese Begriffe wurden von der ökolastigen Müslilinken der Alt-BRD in den Jahren 1968 bis 1989 schlecht gemacht, verunglimpft oder zumindest vernachlässigt. Deshalb ist die Linke, wenn es um ernste politische Themen geht, aus jeder Diskussion draußen. Ihnen wird vom Proletariat zu Recht keinerlei Kompetenz zugetraut, auch für mich ist die Mehrheit der Linken blöd und unfähig. Vor diesem Hintergrunde sehe ich mich selbst dazu gezwungen, meine linke Vermatschtheit aufzuarbeiten.
-1.Energiepolitik- So gehört z.B. das Für und Wieder der Kernenergie rein naturwissenschaftlich-technisch diskutiert, nicht müsliideologisch. Man muss bei dieser Energieform die Frage stellen: "Was stecke ich rein?" - Antwort: "Spaltbares Material und gewaltige Transportkapazitäten für dieses Material und Zwischen-, sowie Endprodukte" und: "Was kommt dabei heraus?" -Antwort: "Positiv: Gewaltige Energiemengen hoher Qualität, die geeignet sind, Spitzenverbräuche zu decken. Negativ: Entropiezuwachs, Müll". Ich kann mir vorstellen, dass für bestimmte Länder und Gesellschaften diese Bilanz negativ ausfällt und deshalb die Kernenergie nicht vertretbar ist, für andere aber durchaus positiv.
Joschka Fischer - anderes Beispiel - hat in seiner Zeit als Mitglied der hessischen Landesregierung - die Gentechnologie in Deutschland ein für allemal erfolgreich verbannt. Damit hat er sich doppelte Verdienste erworben. 1.Gentechnisch produziertes Insulin (Meine Frage: Was daran ist eigentlich schlecht ?) wird jetzt in den USA produziert, weil die damalige Firma Hoechst es in Frankfurt nicht genehmigt bekam. 2.Die Arzneimittelindustrie ist in Deutschland zwar eine gewaltige Lobby - mit allen ihren negativen Folgen - daran ändert aber auch rot-grün rein gar nichts, da sie zu feige sind, diese in ihre Schranken zu verweisen, anderseits wird in Deutschland substantiell immer weniger produziert und so gut wie gar nichts mehr entwickelt. Bayer überlegt, Arzneimittel nur noch im Ausland zu produzieren, Hoechst, verschmolzen mit der französischen Rhone-Poulenc-Rorer hat sich schon längst substantiell nach Frankreich verabschiedet. Pfrimmer (Erlangen, meine Gegend) ist von der US-amerikanischen Firma Pharmacia aufgekauft worden. Die Option, medizinischen Fortschritt preiswert für viele zugänglich zu machen, ist also verspielt; die deutsche Rest-Pharmaindustrie und die Apothekerzunft spielen sich genüsslich die Bälle zu und rot-grün zeiht den Schwanz ein. Vielen Dank, Joschka und Schmitti! Der damalige hessische SPD-Ministerpräsident Holger Börner, sagte noch bevor er mit Fischer koalierte, etwa sinngemäß: "So ein Problem (wie mit den Grünen) hätte man früher am Bau mit der Dachlatte gelöst - man muss den Kerlen eins in die Fresse hauen" - Recht hat er gehabt!! Leider ist er dann ins Gegenteil verfallen, weil die F.D.P. ähnlich wie auf Bundesebene die Koalitionsaussage zugunsten der Union änderte.
-3.Jugend- und Familienpolitik- Euren Text, liebe Genossinnen und Genossen, könnt ihr weiterschreiben. Auf den Prüfstand zu stellen wären auch die antiautoritären Erziehungsideale der 68-er Westlinken, die der Jugend die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und Bedürfnisse gepredigt haben, aber dabei vergaßen, dass die Kapitalbourgeoisie nicht schläft. Wie hat diese reagiert ? Sie hat diesen Jugendlichen eingeblasen, dass freie Entfaltung von Persönlichkeit und Bedürfnissen gleichzusetzen sei mit freier Entfaltung von Massenkonsum, der sich dann gar nicht mehr um originäre Bedürfnisse dreht, sondern marktverwertbare Ersatzbedürfnisse schafft. Das Ende vom Lied: Das Proletariat, mittlerweile bis hin zu mittleren Angestellte, reißt sich nicht selten den Arsch auf, um Markenklamotten, Handyrechnungen und Klassenfahrten nach sonst wohin ihrer verzogenen Fratzen zu finanzieren. Respekt vor ihren "Erzeugern" und der persönlichen Energie und Arbeitsleistung die diese in ihren Werdegang hineingesteckt haben? - Fehlanzeige ! Respekt vor der nicht hoch genug zu bewertenden Leistung von Müttern? - "Mutter, ich kann Dich nicht so schwer arbeiten sehen - mach' bitte die Tür zu!" Gut, diese Äußerung für sich genommen, ist pauschal, es gibt auch viele andere Jugendliche. Trotzdem, mit dieser Tendenz gehört aufgeräumt, da muss die Wahrheit gesagt werden, da werde ich mich mit Freude unbeliebt machen. Von antiautoritärem Laisser-faire-Gelabere selbstsüchtiger Gruftis können sich Jugendliche keine warme Suppe leisten. Das ist nicht sozial, sondern ein Angriff auf das Proletariat. Ich werbe dafür, die Geschichte der 68-Generation kritisch aufzuarbeiten und übernommene Ideale, die sicher nicht alle falsch sind, auf den Prüfstand zu stellen. Das wird auf Seiten linker Sozialdemokratie und linker Grüner zu erbittertem Widerstand führen; diesen sage ich schon jetzt mit Freude den Kampf an.
-4.Infrastrukturpolitik- Mit dem Energiebeispiel habt Ihr, liebe Genossinnen und Genossen, natürlich ebenfalls recht. Im heutigen Deutschland wird es wohl nur noch die Kriegsgeneration beurteilen können, was es bedeutet, wenn z.B. mitten im Winter Heizung und Strom für Tage ausfallen. Daran gibt es nichts Romantisches, das ist lebensbedrohend. Freilich muss der US-amerikanischen Bevölkerung die Option verschafft werden, sich durch Autos mit geringerem Spritverbrauch von den Konzernen unabhängiger zu machen, dann ist sie auch weniger verwundbar durch Preisabsprachen und -spekulationen. Daraus kann dann auch nachvollziehbares, weil greifbares Umweltverständnis aufgebaut werden, gleiches gilt natürlich auch für den Einsatz und den Stromverbrauch von Elektrogeräten. Ein sinnvoller Einsatz könnte hier den finanziell stark belasteten US-amerikanischen Familien etwas Luft verschaffen, Verteufeln oder europäisch-arrogantes Gutmenschentum bringt hier nichts, weil selbstverständlich für Deutschland bzw. Europa die gleichen Probleme gelten: Der Staat hat einen Versorgungsauftrag: Wasser, Energie, Mobilität, Wohnung, Kultur. Wenn sich bestimmte Grüne in ihren Speckgürtelvillen genüsslich zurücklehnen und Bau und Erhalt von Strassen verteufeln, dann tun sie das mit der Perspektive, eben mit dem Flugzeug in den Urlaub zu fliegen, wenn auf den Strassen nichts mehr geht. Der Arbeiter oder kleine Angestellte der mit Auto und Familie zum Camping fährt, ist für diese Herrschaften uninteressant, an deren Weg zur Arbeit, der eben länger ist, weil sie sich Wohnen in der Stadt einfach nicht leisten können, wird natürlich ebenfalls kein Gedanke verschwendet, wenn sich die gleichen Herrschaften sonntags auf ihr 1000 Euro-Fahrrad schwingen. Der Versorgungsauftrag des Staates ist also gemäß der folgenden Frage zu gewichten:"Was braucht das Proletariat am nötigsten. Mit welcher Politik geht es ihm am besten?" - Politik für die arbeitende Mehrheit in erster Linie anstatt grünideologischer "Minderheitenpolitik". Wenn es dem Proletariat gut geht, geht es allen gut!
wird nachgereicht
-6.Friedenspolitik/Umgang mit dem bürgerlichen Pazifismus(im ausschließenden Sinne, d.h einen proletarischen gibt es nicht)- wird nachgereicht
Ich werde die ganze Diskussion auf die Homepage stellen, vieleicht ergibt sich eine fruchtbare Diskussion
Dieter Stolpe
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