Internet-Statement 2003-55 Vorbemerkung: Anmerkungen zum Demoaufruf-Entwurf der Sozialforen Bochum, Dortmund und Umgebung
ein paar Bemerkungen zu dem Aufruf-Entwurf für den 16. 11. muß ich doch machen. Gegen die Sozialpolitik der SPD zu protestieren, gibt es in der Tat genügend Gründe. Aber es kommt auch darauf an, welche eigenen politischen Vorstellungen dabei propagiert werden, und ob die Demo nicht so angelegt ist, daß sie rechten Kräften nützt. In Eurem Aufruf heißt es, und das habe ich in dieser krassen Form noch nirgendwo niedergeschrieben gesehen:
Ja, wir leben in einer Welt, wo "die Armut der einen immer der Reichtum der anderen" ist. Die Armut der weitaus größeren Teile der Welt ist der Reichtum einer begrenzten Anzahl von Ländern, die die große Mehrheit der Weltbevölkerung und der Länder ausbeuten. Die Grundlage dafür sind der Kolonialismus und Neokolonialismus und der bewaffnete Imperialismus. Nur einige reiche Länder, darunter das unsere, haben so etwas wie Sozialstaat, und warum konnte der zustande kommen? Weil ihre Kapitalisten genau mit den Überschüssen aus der Superausbeutung der übrigen Welt einige Forderungen der Arbeiterbewegung in den eigenen Ländern noch irgendwie befriedigen konnten. Wie kann das eigentlich Vorbildfunktion haben? Die politische, moralische und soziale Unterstützung der am meisten Ausgebeuteten in den armen Ländern ist für uns als Bürger eines reichen Landes der Kern von internationaler Solidarität. Hier wird das nicht einmal erwähnt, sondern der Kampf um die eigene soziale Sicherung in einem privilegierten Land, nichts weiter als nationalistischer Egoismus, als "internationale Solidarität" verkauft. An derartigen Kundgebungen kann ich nicht teilnehmen. In den sozialen Bündnissen ist es vielleicht angebracht, einmal über elementares Solidaritätsempfinden und politische Moral zu diskutieren, wenn einem solche Passagen nicht negativ auffallen. Ich weiß, daß die meisten unter Euch sich Sorgen um die Ungleichheit in der Welt machen und grundsätzlich für Ideen ein Ohr haben, wie man internationale Solidarität praktizieren könnte. Solche Formulierungen laufen dem völlig zuwider. Jetzt bricht dieses internationale System auf, die Ausbeutung und Entrechtung beginnt in die reichen Länder zurückzuschlagen, die Löhne werden hier gekürzt, weil sie anderswo schon lange kein Zehntel der hiesigen betragen und die Kapitalisten das Geld brauchen. Die Antwort kann doch wohl nicht in der klagenden Nabelschau des bisherigen Sozialstaatlers bestehen, der so wie die ganzen letzten 50 Jahre lang die internationale, wenig schöne Dimension seines eigenen Kapitalismus nicht zur Kenntnis nehmen will, als ob ihm dieser Sozialstaat schon die entsprechenden Gehirnbereiche weggekauft und weggeplappert hätte. Ohne die Bereitschaft, sich über diese Dinge Rechenschaft abzulegen und die Interessen der großen Mehrheit auf der Welt zum obersten Kriterium zu machen, ist nichts zu machen. Dieser Typ wird jetzt zum Auslaufmodell, und das ist gut so.
Berlin war ein großartiges Ereignis, in Berlin wurde allerdings ganz klar "die große Koalition der Sozialräuber" und nicht bloß die SPD angegriffen. Es gibt allerdings eine Organisation, der das nicht paßte und die die ganze Demo über nur Parolen brachte, die ausschließlich gegen die SPD-Grünen Regierung gingen, das ist die "MLPD". Ich zitiere mal aus einem Artikel, der sich mit dieser Politik kritisch auseinandersetzt:
Die plakativen Elemente Eures Aufrufs, in denen die anderen Parteien und das dahinter agierende Kapital nicht vorkommen,
sehen dem leider ziemlich ähnlich. Objektiv ist das die Forderung, die SPD (vielleicht nicht einmal die Grünen???) aus der Regierung zu stürzen und rasch durch eine andere Partei oder Koalition zu ersetzen. Siehe oben. Die Entschuldigung: hier ist der Bundesparteitag der SPD, also brauchen wir von den anderen nicht zu reden, wäre wohl ein bißchen billig. Ich denke, mit den geplanten Protestaktionen meinen die meisten so wie ich auch den Widerstand gegen die ganze Kapitalspolitik. Dann sollte man solche Tendenzen in dem Aufruf, die dem zuwiderlaufen, einmal kritisch beäugen. Sonst wirkt man an einer Entwicklung mit, die einem bald garnicht mehr gefallen kann. Christoph Klein (als email verschickt am 11.11.03)
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