Internet Statement 2003-63

 

Daniel Behruzis Fehldarstellung der Frankfurter Konferenz in der "Junge Welt"

Warum eigentlich stellt die Junge Welt die Frankfurter Aktionskonferenz v. 13.12. in ein ungünstiges Licht?

Dieser Bericht von Daniel Behruzi ist nicht korrekt. Er gibt die positiven Ergebnisse und Beiträge der Konferenz kaum wieder, bläst das Thema "Streit auf der Konferenz" auf, nennt aber nicht die dafür Verantwortlichen, und versucht insgesamt die Konferenz ziemlich herunterzuqualifieren.

"Aktionskonferenz im Streit
Frankfurt am Main: Aktivisten diskutierten weiteren Widerstand gegen Sozialabbau

Nach dem großen Mobilisierungserfolg am 1. November, als 100 000 Menschen in Berlin gegen den mit der »Agenda 2010« verbundenen Sozialabbau
demonstrierten, zeigt sich ein Teil der bundesdeutschen Linken zerstritten wie eh und je."


Das ist, auf diese Konferenz bezogen, weit mehr falsch als richtig und außerdem im hämischen Ton der bürgerlichen Medien gehalten, den sie dann meist anschlagen, wenn es auf der linken Seite irgendwie doch etwas voran geht.

Die Berliner Demo wurde, wie jeder weiß, in einer politisch sehr weitgespannten Zusammenarbeit zahlreicher Gruppen und Richtungen der Linken realisiert, sogar unter schließlichem Einschluß von attac, einer Richtung, die sich selbst nicht als "links" bezeichnen würde. Daß es während der Vorbereitung Auseinandersetzungen zwischen Beteiligten gab, ist doch wohl normal, das würde ich aber an Stelle von Daniel nicht mit dem hier abwertend gemeinten Ausdruck "Streit" belegen wollen, weil es dem Stil der Auseinandersetzung und ihrem Ergebnis, dem 1.11., nicht entspricht.

"Streit", wenn man das überhaupt so nennen will, gab es vor und nach dem 1.11. im wesentlichen mit einer ganz bestimmten Organisation, und denselben Streit hat diese Organisation die ganze Zeit über und zuletzt am 13.12. in Ffm. am Leben zu halten versucht, die MLPD. Keine der in Frankfurt vertretenen zahlreichen Gruppen, die das Spektrum der Demovorbereitung wieder in etwa - etwas reduziert - repräsentierten, hatte ein Interesse an Streitereien, man ließ die MLPD ihre Vorstellungen vortragen, gab ihr reichlich Redezeit, soviel, daß die eigene Agenda leider beeinträchtigt wurde, wies viele ihrer Vorstellungen zurück, entschied großenteils schließlich auf Nichtbefassung, und setzte die eigene Diskussion fort.

"Deutlich wurde dies auf einer bundesweiten Aktionskonferenz am Samstag in Frankfurt am Main, bei der etwa 100 Aktivisten aus Erwerbsloseninitiativen, Gewerkschaften und linken Gruppen zusammenkamen.

Fast eine Stunde brauchten die Teilnehmer, von denen nur wenige gewerkschaftliche Gremien repräsentierten, allein um sich auf eine Konferenzleitung zu einigen."

So lange dauerte das zwar nicht, aber es gab in der Tat darum Streit, und zwar keinen anderen, als daß die MLPD, unter dem Konstrukt bundesweite Vorbereitungsgruppe (Hannoveraner) auftretend, beanspruchte, das Podium paritätisch zu besetzen. Daniel hat wohl völlig übersehen, daß das ein absurder Streitpunkt war, denn wie kann eine Gruppe, die die Frankfurter Konferenz noch ca. eine Woche vor ihrem Stattfinden unbedingt zu Fall bringen wollte, einen solchen Anspruch erheben? Dann versuchte sie, die Verabschiedung einer Solidaritätsadresse an die zur Stunde demonstrierenden Studenten zu verschieben, um erst einmal durch ein Statut, das niemand wünschte außer ihnen, sich eine Position auf der Konferenz zu verschaffen. Das führte zurecht zu Unmut.

"Ursprünglich hatten sogar zwei Konferenzen gleichzeitig stattfinden sollen: Eine in Frankfurt/Main, zu der das Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne sowie die Gewerkschaftszeitung Express eingeladen hatten, und eine weitere in Hannover, die auf die Initiative eines Kreises um die maoistische MLPD zurückging. Letztlich einigte man sich doch noch auf eine gemeinsame Konferenz in der Bankenmetropole."

"Einigte man sich" ? Die Hannoveraner, von Erfolglosigkeit gebeutelt, strichen ca. am 6.12. kurzerhand ihre eigene Konferenz, statt sich aber demokratisch in Frankfurt einzuordnen, versuchten sie, dort die Dominanz zu erreichen. Die Frankfurter sagten der Konferenz, es sei kein Versuch seitens der Hannoveraner unternommen worden, sich über eine gemeinsame Konferenzvorbereitung zu einigen.
Keine Gruppe hatte bei dieser Konferenz wohl mehr als 5 Vertreter, viele wohl nur einen oder zwei, aber die "Hannoveraner" und ihre Unterstützer waren mindestens geschätzte 30, darunter mindestens zwei ZK-Mitglieder der MLPD und andere "Schwergewichte". Sie wollten von der Tagesordnung nichts wissen und hatten ihre eigene mitgebracht. Das sagt doch wohl schon einiges.

Nebenbei: "maoistische MLPD"? Was soll das denn sein, "Maoismus"? Warum solche merkwürdigen Etikettierungen verwenden, die die bürgerlichen Medien keineswegs ohne Hintergedanken etabliert haben? Was verstehst Du unter "Maoismus", Daniel?


"Rainer Roth, Sozialwissenschaftler an der Frankfurter Fachhochschule, betonte in seinem Grundsatzreferat, die »Agenda 2010« sei zwar »der größte Angriff auf soziale Errungenschaften seit 1945«, aber »nur ein kleiner Schritt in die Richtung, in die das Kapital gehen will«. Sowohl die
Absenkung der Erwerbslosen- und Sozialhilfeunterstützung als auch die Aushebelung des Flächentarifs diene in erster Linie dem Zweck der
Lohnsenkung, erklärte der Wissenschaftler. Die Vertreter von Kapitalinteressen wollten letztlich sehr viel weiter gehen als in den
Gesetzesvorhaben, die derzeit im Vermittlungsausschuß zwischen Bundestag und Bundesrat verhandelt werden. So habe zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung vorgeschlagen, den Sozialhifesatz zu halbieren. »Das bedeutet Hunger«, stellte Roth klar. Diese »Spirale nach unten« habe nur eine mögliche Bremse: den Widerstand der Betroffenen.

Wie dieser Widerstand weiter aufzubauen sei, sollte denn auch eigentlich im Mittelpunkt der Aktionskonferenz stehen. »Wir wollen wissen, wie es weitergeht«, sagte Erich Neumann vom Erwerbslosenparlament in Mecklenburg-Vorpommern. Statt auf diese Frage einzugehen, bestand ein
Großteil der Redebeiträge indes aus allgemein gehaltenen Stellungnahmen zur politischen Lage. In einer verabschiedeten Resolution wurde dann doch noch für den 14. Februar ein bundesweiter dezentraler Aktionstag gegen Sozialkürzungen festgelegt."

Das geht schon in Diffamierung über, was Daniel hier zum besten gibt. Tatsache ist:

1. Es gab eine ganze Reihe konkreter Redebeiträge, Lage- und Stimmungsschilderungen sowohl aus Kreisen der Arbeitslosen und Sozialhilfebezieher wie auch aus Betrieben. Ebenso gab es eine Reihe konkreter politischer Aktionsvorschläge.

2. Es bestand Konsens, daß im Januar und Februar vor Ort, lokal und regional, große Anstrengungen unternommen werden müssen, vor allem um die Bündnisse zu verbreitern, Gewerkschaftsorganisationen, Belegschaften und die Studentenbewegung einzubeziehen. Der vorgeschlagene Termin 14.2. ist nur als ein Orientierungspunkt für diese Mobilisierung gedacht, da, wo er passen würde. Er soll allerdings keineswegs nur die Sozialkürzungen zum Thema machen, sondern sich auch mit den gewerkschaftlichen Belangen - Kampf für die Erhaltung des Flächentarifs, Tarifrunde (am 31.1. endet die Friedenspflicht bei der IGM)- verbinden.

Daß Daniel so schlecht hingehört haben soll während großer Teile der Diskussion, daß er das alles nicht mitbekommen hat, kann ich mir nicht vorstellen.

"Strittig war unter den beteiligten Gruppierungen unter anderem die Frage des Umgangs mit der Gewerkschaftsführung. Während einige Teilnehmer davor warnten, diese in Proteste einzubeziehen, argumentierten andere, man dürfe die gewerkschaftlichen Spitzenfunktionäre »nicht aus ihrer Verantwortung entlassen«."

Daniel gibt die Diskussion dieses taktisch schwierigen Themas sehr verkürzt wieder. So einfach verliefen die Fronten hier nicht. Die Frage ist offen für weitere Diskussionen. Vielleicht bekommen auf den nächsten Treffen die Teilnehmer - und das sind viele - mehr Redezeit, die sich für politische Fragen und Lösungen interessieren, die von einer Mehrheit getragen werden können; und wer bloß für seinen eigenen Organisationsegoismus Sinn hat, dem wird es verwehrt, den anderen die Zeit zu klauen.

"Letztlich entschied sich die Mehrheit der Teilnehmer dafür, für Anfang April geplante Protesttage des Europäischen Gewerkschaftsbundes gegen Sozialabbau zu unterstützen." (schreibt D. Behruzi)

Hier ist auch wieder mehr falsch dran als richtig.

Konsens war, daß man gegenüber dem Vorschlag eines Europäischen Aktionstages seitens des EGB, der ja immerhin noch gut viereinhalb Monate hin ist (!), sich "offen halten will", aber auch für die Möglichkeit eines bundesweiten zentralen Aktionstages und evtl. einen etwas früheren Termin. Schließlich weiß heute noch niemand, was aus dem EGB-Vorschlag wird.


"Bedeutender als diese Konferenz dürfte ein am 17. und 18. Januar in Frankfurt/Main stattfindender Zukunftskongreß werden, zu dessen Vorbereitung Vertreter der Gewerkschaftslinken, von Erwerbsloseninitiativen und globalisierungskritischen Gruppen am Sonntag ebenfalls in der
Hessenmetropole zusammengekommen waren. Auf diesem sollen sowohl die inhaltliche Debatte über Perspektiven und Ziele des Widerstands fortgesetzt, als auch konkrete Aktionen vorbereitet werden."

Mehrere Teilnehmer der Aktionskonferenz am 13.12., darunter Mitglieder ihres Podiums und ihrer Koordinierungsgruppe, sind gleichzeitig Mitglieder dieser Vorbereitung. Viele wichtige Träger der ehemaligen Berliner Demovorbereitung ebenfalls. Bis auf weiteres sollte man es vermeiden, diese beiden Termine in einen Gegensatz hineinzureden, oder hattest Du das garnicht vor, Daniel? Dafür dürfte die Mehrheit der Teilnehmer des 13.12. ebensowenig Sinn haben wie die der Vorbereitungsgruppe für den 17./18. Januar.

Abschließend ist nochmals zu fragen, warum Daniel und die jw etwas gegen die Frankfurter Konferenz haben. Doch nicht etwa, weil eine in seinen Augen "maoistische" MLPD dort eine regelrechte Pleite erlebt hat? Hm, hm. Ebensowenig einleuchtend dürfte vielen Freunden der jw die Erklärung sein: weil dort eine Kraft, wie auch immer ihr Etikett, die ganz besonders politisch unkreativ, dominanzheischend und einer breiteren Bewegung abträglich agiert, nicht durchgekommen ist. Also, hier besteht Erklärungsbedarf.

Zur Bewertung der Konferenz verweise ich auch auf den von mir unterzeichneten "Bericht aus Frankfurt", der gestern gepostet wurde.

Christoph Klein
17.12.03

 

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