Internet Statement 2004-53

 

Hartz IV, NPD und Wahlkampf in Sachsen

In Sachsen steht der Republik möglicherweise ein Wahlergebnis der Landtagswahl  am 19.9 ins Haus, das in ungewöhnlichem Maß negativ auf die weitere politische Entwicklung sich auswirken würde: der neonazistischen NPD werden von bürgerlichen Wahlforschern 9% und mehr gegeben. Bei der massiven Diskreditierung aller parlamentarischen Parteien wegen der ständig wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Misere, wegen des brutalen Drucks auf Werktätige, Arbeitslose und die Jugend, bei der NPD-Taktik, diese Fragen in markigem, scheinbar volksverbundenem Ton aufzugreifen, und bei der Förderung, die zweifellos auch aus dem staatlichen Apparat in dieser Lage dieser Partei aus dem Hintergrund widerfährt, kann man ein derartiges Ergebnis nicht ausschließen.

Jetzt kommt es darauf an, sich von dieser Partei und den Kräften im Hintergrund nicht bluffen zu lassen und zunächst einmal die Hohlheit ihrer sozialen Versprechungen aufzuzeigen. Alle Kräfte in Sachsen und in der ganzen Republik, die die Gefahren sehen, die mit dieser Partei verbunden sind, müssen die inhaltliche Widerlegung anpacken und ihr jede potentielle Wählerstimme entziehen.

Neu ist die Oberfläche, die die NPD mit ihrer jetzigen Wahlwerbung angelegt hat. Es heißt z.B.:

“Sozialabbau, Rentenklau, Korruption – nicht mit uns!”   “Nur ein Politikwechsel stoppt die Abwanderung unserer Jugend”   “Das Volk blutet – das Kapital profitiert!”

Aufgegriffen werden Arbeitslosigkeit, Lohndrückerei, der asoziale Umbau des Gesundheitswesens, die miese demografische Entwicklung, alle die Dinge, die großen Teilen der werktätigen Bevölkerung und gerade auch Beziehern von Sozialleistungen schwere Sorgen machen. Die ausländerfeindlichen Parolen werden dagegen weniger in den Vordergrund gestellt.

Wenn jemand glauben sollte, durch eine NPD-Fraktion im sächsischen Landtag passiere etwas gegen die soziale Entrechtung, dann hat er sich getäuscht. Sie versuchen, mit dem Ansprechen von sozialen Problemen und den billigsten Lösungsversprechen ins Parlament zu kommen, und sollte ihnen das gelingen, dann werden sie diese verbesserte Position zu ganz anderen Dingen ausnutzen. Dann wird das Neonazitum lauthals mit seiner angeblichen Legitimierung prahlen und wieder deutlicher fühlen lassen, wozu es da ist: als Provokateure und Mörderbanden auf der Straße wie im politischen Bereich, im Dienst der schlimmsten Absichten, die in Kreisen des Kapitals gehegt werden.

Wie unterwürfig die NPD die Prinzipien des Kapitalismus zu unterschreiben bereit ist, kommt gerade da auch heraus, wo sie sich mit dem Kapital überhaupt anzulegen scheint, um bei dieser Wahl zu punkten:

“Was wir brauchen, ist die Rückkehr zu einer nationalen Volkswirtschaft, in der Kapital und Wirtschaft zum Dienst am Gemeinwohl verpflichtet werden...”

Was heißt hier Rückkehr? Wo soll es denn schon einmal so gewesen sein?
Diese Töne entsprechen Wort für Wort dem täuschenden Sozialstaatsevangelium von der angeblichen staatlichen und gesellschaftlichen Kontrolle des Kapitalismus, das beim Hochziehen der Bundesrepubik ab 1949 heruntergebetet wurde. Übrigens hatte das auch immer schon einen tendenziell nationalistisch-hochnäsigen Unterton. Auch 1989 wurde diese frohe Botschaft der DDR-Bevölkerung vorgegaukelt, während das Kapital insgeheim schon sagte: haben wir die erst einmal im Sack, dann dauert es nicht mehr lange, bis wir Tacheles reden können. Und es hat nicht mehr lange gedauert. Inzwischen sprechen die internationale Konkurrenz und die riesige Staatsverschuldung eine offene Sprache. Kann man einer Partei, die die abgestandensten Sprüche eines bankrotten Systems als Ausweg nachdruckt,  auch nur so etwas wie eine Wahlstimme geben?

An dieser Stelle ist es notwendig, kurz darauf einzugehen, warum diese Ideologie des sog. Sozialstaats sich relativ lange hat halten können, und wieso er heute aufgekündigt ist.
Die Bundesrepublik mußte in ihrer schwierigen Lage der Jahrzehnte seit 1949 angesichts der damaligen internationalen Systemkonkurrenz soziale Leistungen gewähren, sonst hätten ihr die Werktätigen den Gehorsam aufgekündigt. Sie konnte sie auch bezahlen, aber nur deswegen, weil sie als Teil des westlichen Systems aus der neokolonialen Ausbeutung großer Teile der Welt genügend Extraprofite sog. Das war auch der Hauptgrund für die Oberherrschaft der USA über die Bundesrepublik und ganz Westeuropa. Die imperialistischen Extraprofite  wurden sozial um so wichtiger, als die Produktionsverlagerungen und die Massenarbeitslosigkeit die innere ökonomische Basis zunehmend verringerten. Heute hat sich der Kapitalismus, und nicht zuletzt der deutsche, rund um den Globus Ausbeutungsmöglichkeiten wie noch nie geschaffen, eine Systemkonkurrenz gibt es zunächst einmal nicht mehr, und heute kommt er der Bevölkerung daher ganz anders: ’in China usf. zahlen wir als Tageslohn zwei Euro, Sozialversicherung gibt es dort überhaupt nicht, wollt ihr unser deutsches Kapital ruinieren, indem ihr auf Tarifverträgen und dem Sozialstaat besteht?’  So sieht „Gemeinwohl“ heute aus, so sieht die „nationale Volkswirtschaft“ aus. Und dieses Kapital soll durch neue „Volksvertreter“ in den Parlamenten zu irgend etwas gezwungen werden können?

Dieser Kapitalismus kann durch den internationalen Zusammenschluß der Werktätigen gegen das Kapital, durch den Kampf gegen den Kapitalismus überhaupt bekämpft werden. Nur so kann wirklich Druck aufgebaut werden. Dies zu entwickeln ist derzeit nur schrittweise und über längere Zeiträume möglich, und dabei sind sicher auch Bestrebungen im Kapitalismus selbst nützlich, die ein wirkliches Interesse an der Eindämmung der zerstörerischen Produktionsverlagerungen und des technisch-wissenschaftlichen Verfalls haben und in diesem Sinne politisch etwas bewirken können. Aber die deutsch-nationalistischen Sozialstaatsphrasen der NPD sind einfach ein Nichts. Sollte das Kapital aus taktischen Überlegungen  heraus einen Schwenk zur Wiederbelebung sozialstaatlicher Versprechungen machen, dann würde es sich noch stärker auf internationale Ausbeutung stützen, und Werktätige hierzulande, die sich damit die internationale Solidarität abkaufen ließen oder gar mit der NPD auf nationale Überheblichkeit machen würden, wären dem Kapital umsomehr ausgeliefert.


Wir kommen jetzt zu dem, wo die wirklichen Absichten und die Rolle der NPD etwas deutlicher werden, das ist die Hetze gegen die europäische Einigung und die Forderung des EU-Austritts.

Es heißt:

„Wenn wir gegen den Export von Produktionsstätten und Arbeitsplätzen in ausländische Steueroasen und den Import von Lohndrückern keinen Widerstand leisten, werden Fremde vollends über unsere Geschicke bestimmen. Das Volk wurde nicht befragt, als es um die Massenzuwanderung, die Einführung des Euro, die doppelte Staatsbürgerschaft oder immer neue EU-Erweiterungspläne  ging. Das hat mit Demokratie nichts zu tun! Bei existentiellen Lebensfragen muß des Volkes Meinung Gehör finden. Angesichts des Wahnsinns multikultureller Freizügigkeit ist es nicht damit getan, den kaum aufzuhaltenden EU-Wahnsinn zu stoppen. Wir fordern daher: Raus aus der EU! Das deutsche Volk droht im Strudel von freier Arbeitsplatzwahl und Niederlassungsfreiheit von Ausländern unterzugehen. Wir sagen JA zu einem Europa der Vaterländer, aber NEIN zu einem Europa technokratischer Diäten-Abzocker, Globalisten und Multikulti-Extremisten! Zeit für Alternativen Schluß mit dem Volksbetrug! Wählen Sie am 19. September die NPD in den Landtag, damit in Sachsen endlich einmal richtig ausgemistet werden kann!“

Hier werden bestimmte Aspekte der Undemokratie der EU angesprochen, allerdings seitens einer Partei, die in Wirklichkeit mit Demokratie noch viel weniger am Hut hat als die EU-Bürokraten. Diese Undemokratie führt natürlich zu Anti-Europa-Stimmungen und gefährdet die europäische Einigung, die im Interesse der europäischen Völker ist, von innen heraus. Statt aber die europäischen Völker erneut gegeneinander zu hetzen, wie das bei einer Politik wie der der NPD unvermeidlich das Resultat wäre, müssen diese Fragen in den Kampf gegen den Kapitalismus einbezogen werden, denn es war niemand anders als gerade das deutsche Kapital, das mit am intensivsten die Bildung dieser EU, so wie sie ist, in allen ihren Stufen betrieben hat, und dieses Kapital verantwortet  zusammen mit den übrigen europäischen Kapitalmächten die bürokratischen und antidemokratischen Monstrositäten der EU und die Lohndrückerei in allen ihren Erscheinungsformen.

Nehmen wir einmal an, irgendwelche Entwicklungen würden im Sinne der NPD verlaufen, so daß in der Realität die Frage aufkäme, was aus einem Deutschland wird, das aus der EU austritt und noch dazu, wie ebenfalls gefordert, seine Kapitalverflechtungen mit dem europäischen Umfeld kappt. Eine ökonomische Abkappung Deutschlands gegenüber Europa ist ein völliges Unding, außerhalb aller Vorstellungsmöglichkeiten, und der Versuch eines Ausscherens aus der gemeinsamen politischen Führung der europäischen Angelegenheiten würde Deutschland auf den Präsentierteller für alle Angriffe aus früheren und neuen Feindschaften setzen, und das noch zehnmal stärker, wenn Kräfte wie die NPD hierzulande zu einer politischen Stimme würden. Das ist Wahnsinn, nicht nur für Deutschland, sondern auch die anderen europäischen Völker. Profitieren von dem Wiederanfachen der innereuropäischen Gegensätze aber würde eine äußere Macht, die USA, ihr Machtzugriff auf Europa würde dadurch begünstigt wie durch nichts sonst. Hier sieht man, was davon zu halten ist, wenn die NPD über den „Würgegriff des US-Kapitals“ klagt . Die NPD ist eine Provokateursorganisation gerade auch im Interesse dieser Macht, die von ihr zum Schein am meisten angeklagt wird.

Man stelle sich einmal vor, die NPD sitzt im sächsischen Landtag und fängt dort an, „mit kräftiger Stimme“ den EU-Austritt zu fordern und angebliche Besitzansprüche gegenüber Polen einzuklagen, organisiert Kundgebungen an der polnischen Grenze u.ä. Was jetzt an nationalistischer Entschädigungs-Hetze in Deutschland von bestimmten Vertriebenvertretern (und auf der polnischen Seite seitens des Parlaments in einer verfehlten Entgegnung) anklingt, aber bisher noch in gedämpfter Lautstärke behandelt wird, das würde dann täglicher Stoff für die politische Aufputschung von Gefühlen werden, die nur nach rückwärts weisen. Das wäre Futter für die Medien vor allem der USA und Großbritanniens, damit würden die Möglichkeiten, Deutschland in die Isolation zu führen, verstärkt.

Wenn sie sie auch nicht mehr ganz nach vorn stellt, treibt die NPD doch ihre menschlich empörenden ausländerfeindlichen Attacken weiter, die nicht den mindesten Unterschied machen und sich gerade auch gegen den werktätigen Teil der ausländischstämmigen Bevölkerung richten, Menschen, die hier zu Kollegen geworden sind und selbstverständlich alle Rechte bekommen müssen, die dazugehören. Gerade diese Neonazipolitik der Ausländervertreibung ist eine völlige Absurdität in der modernen Zeit. Auch wenn man Hunderte von Jahren in der Geschichte Deutschlands und aller anderen Nationen mit moderner Entwicklung zurückgeht, war dies schon immer eine Absurdität. Und in der Praxis ist sie, ähnlich wie ihre Politik der Isolation Deutschlands in Europa, ebenfalls eine massive Provokation gegen Deutschland, das sich zur Zielscheibe der Kritik der ganzen modernen Welt machen würde, wenn diese Naziforderungen sich in seinen Parlamenten und seiner offiziellen Politik irgendwie etablieren würden. Zwar enthält die Ausländerpolitik der bisherigen parlamentarischen Parteien der Bundesrepublik genug eigene schwarze Kapitel mit schweren Verstößen gerade gegen die werktätigen Bevölkerungsteile, sowohl die aus dem Ausland wie auch aus der deutschen Stammbevölkerung, doch läßt sich daraus keinerlei Rechtfertigung für die Neonazis ableiten, die das Land unmittelbar in die Katastrophe führen würden.

Manche sagen, die NPD sei gut dazu, den Herrschenden „eins auszuwischen“. Ja, man kann auch Hundedreck aufheben, um jemandem eins auszuwischen, aber was bleibt dann an den eigenen Fingern?!

W. Grobe
15.09.04

Die Montagsdemonstrationen und der NPD- Zuwachs im Saarland  
IS 2004-50   7.09.04

Neonazismus und Staat 
NEUE EINHEIT-Extrablatt Nr. 19,  Dezember 1992  


  

 

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