Internet Statement 2005-46

 

Das Votum der beiden Abstimmungen

Was für Regungen und Drohungen danach!

6. Juni 2005             

Durch die Abstimmungen in Frankreich. und den Niederlanden gegen die EU-Verfassung ist wohl zum ersten Mal das Volk in der EU selbst lebendig auf den Plan getreten und hat in eigener Sache gesprochen. Diese undurchsichtige Verfassung mit ihren Paragraphen, die die Lohnabhängigen und die Nationen mit ihren Zusammenhängen weiter entmachten und die EU-Bürokratie und letztlich das Kapital in Europa mit weiterer Allmacht ausstatten, ist auf entschiedene Ablehnung gestoßen. Dies ist - und darin ist sich die überwiegende Mehrheit einig - kein Votum gegen den Zusammenschluß Europas, auch nicht gegen die Europäische Union als solche. Aber es war eine Abstimmung gegen die überwiegende Mehrheit der parlamentarischen Parteien, die fast im Block für den Verfassungsentwurf stehen und nun manchmal sprachlos geworden sind.
Es ist nun sehr bemerkenswert, wie auf die Tatsache dieser beiden Abstimmungen reagiert wird.

Mit diesen beiden Abstimmungen ist klar, daß eine solche Verfassung in dieser Form nicht durchgebracht werden kann, und es ist sogar zu hoffen, daß man auf dem sich auftuenden Weg nun weiter vorankommt, vielleicht einmal zu einem Entwurf einer Verfassung, der gestärkte demokratische Rechte für die Mehrheiten innerhalb der Nationen Europas ermöglicht und tatsächlich zu einer bewußten politischen Abstimmung in ganz Europa führt.. Die technischen Möglichkeiten für solch einen demokratischen Austausch zwischen den breiten Massen, auch den verbliebenen Arbeiterklassen in Europa, den Angestellten, den Werktätigen, wie überhaupt zwischen den Nationen sind allemal gegeben. Und mehr noch, alle Entwicklungen des Kapitals in den einzelnen Ländern und ganz besonders in Deutschland, wie die um sich greifenden Liquidationen von Betrieben, werfen die Frage auf, wie man derartiger Willkür und derartigen Praktiken des Kapitals beikommt, und das kann nur in einem Zusammenwirken geschehen

Kaum war die Abstimmung in Frankreich vorbei, kam es schon zu Verunglimpfungen von seiten bestimmter Politiker. So wurde in vielen Diskussionen behauptet, etwa von dem CDU-Vertreter Peter Hintze, daß die Abstimmung in Frankreich gar nicht gegen die EU-Verfassung gerichtet gewesen sei, sondern innenpolitische Gründe, die Ablehnung von Chirac oder ähnliches, gehabt habe, als seien die Franzosen, die lange Zeit diese Verfassung diskutiert haben, gar nicht fähig, diese Verfassung zu bewerten. In solchen Äußerungen, die viele Hunderte Male über die Medien liefen, kommt zum Ausdruck, daß man der Mehrheit gar keine Beurteilungsfähigkeit gegenüber solch einem Dokument zumißt. In Wirklichkeit haben gerade viele „einfache Menschen“ sehr wohl gesehen, besser als mancher Politiker, was es mit einem solchen undurchsichtigen Machwerk auf sich hat.

Die SPD-Politikerin Lale Alkün z.B. behauptete kurzerhand, daß es nicht stimme, daß die Nationalstaaten durch diese Verfassung geschwächt würden oder daß die Demokratie eingeschränkt würde.

Die Korrespondentin Barbara Wesel vom Inforadio RBB gar behauptete am 1.6.05, Chirac sei schuldig an dem Debakel, weil er das Referendum überhaupt ausgerufen habe! Mit anderen Worten, ein bürgerlicher Politiker ist schuldig, weil er das Mittel des Referendums überhaupt zuläßt. So etwas geht unwidersprochen durch die Medien in der Bundesrepublik Deutschland.

Aber diese Verunglimpfungen waren noch keineswegs alles. Wir müssen uns gewärtig sein, daß schon geringe Regungen von Demokratie offensichtlich zu heftigen Manövern führen, die die Skrupellosigkeit zumindest eines Teils der herrschenden Klasse in Europa verdeutlichen:


Die Abstimmung in den Niederlanden, von der von vornherein zu erwarten war, daß sie ebenfalls negativ ausfallen würde, hatte noch gar nicht stattgefunden, da verbreitete der „Stern“ gezielt das Gerücht, daß in den höchsten Etagen der deutschen Regierung ein Austritt aus der Währungsunion in Frage kommen würde. Dies wurde umgehend dementiert.Die Spekulation aber schickte daraufhin den Euro noch tiefer, als er schon vorher mehrfach gesunken war. Diese Meldung stellte sich als eine gezielte Intrige heraus. Sie wurde von den wesentlichen Beteiligten als „absurd“ bezeichnet. In der Tat wäre es absurd, jetzt wieder zu den Einzelwährungen zurückzukehren weil eine solche Abstimmung stattgefunden hat.

Danach wurde auch in den Medien versucht, diese Gerüchte und Verunsicherungen zu vertiefen. So berichtete AOL anstachelnd: „Ökonomen: Austritte einzelner Länder denkbar“ oder sogar: „Der Austritt für manche Länder verlockend“. Und mehr noch, es trat in Italien ein Sozialminister hervor und erklärte, er wolle die Lira zurückhaben.

In weiteren Beiträgen des „Stern“ wird versucht, die ökonomische Krise namentlich in Deutschland auf die Existenz des Euro zurückzuführen. Dabei hat der Euro überhaupt nichts mit der Liquidationspolitik im Inneren, mit dem sog. Ökologismus, mit der Liquidation großer Industrien und der erklärten Umwandlung in eine Dienstleistungsgesellschaft, die das Programm der Schröder-Regierung von Anfang an war, zu tun. Die sog. rot-güne Koalition hat die Liquidation im Inneren massiv forciert, das ist vom Euro vollkommen unabhängig. Hier aber wird versucht, die Gegensätze innerhalb Europas, etwa zwischen Frankreich und Deutschland und zwischen Deutschland und Italien usw., bewußt zu vertiefen und alte Konflikte wieder hervorzurufen, die man zu Recht im wesentlichen als überwunden geglaubt hat. Es ist deshalb ein schweres Verbrechen, so etwas in diesem Land zu lancieren.

Es ergibt sich, daß solange die EU scheinbar auf eine Verfassung zumarschiert, die dem großen Finanzkapital uneingeschränkte Möglichkeiten bieten soll, keine solchen Intrigen notwendig sind, aber in dem Moment, wo so etwas zum Scheitern gebracht wird und das Volk zum ersten Mal klare Worte spricht, kommen solche Intrigen und solche Versuche, die verschiedenen europäischen Nationen gegeneinander aufzuhetzen.

Die Sache war schnell vorüber und kann natürlich nicht öffentlich aufrechterhalten werden. Aber man sollte das im Auge behalten, denn es zeugt von Absichten, die in bestimmten Kreisen existieren, und sicher nicht nur im „Stern“. Die EU selbst ist gegründet worden als Folgeorganisation vorheriger Zusammenschlüsse in Europa, die ihrerseits wieder unter enger Kontrolle der USA standen und in Verbindung mit der NATO gegründet worden waren. Die USA blieben immer die vorherrschende Macht in Europa, und die Demokratie wurde als völlige pro-forma-Sache ganz besonders in solchen Länder wie der Bundesrepublik Deutschland praktiziert, die selbst von oben her kontrolliert werden, auf jeden Fall erheblich mehr als Frankreich. Kommt Bewegung in die politische Auseinandersetzung, kommen Plebiszite hinein und wirkliche Diskussionen über die Zukunft des Kontinents, nimmt diese Sache eine andere Entwicklung. Es ist genau der Pfad, auf dem man weiter voranschreiten sollte, er stellt die bisherigen funktionierenden „Mechanismen“ in Frage. Und deswegen wohl kommen solche Versuche, nach altertümlicher Manier all die Konflikte innerhalb Europas wieder aufzurühren und bewußt anzustacheln. Das muß zutiefst verurteilt werden.

Die USA selbst haben erklärt, sie seien von den Abstimmungen überhaupt nicht betroffen, es sei ausschließlich Sache der Europäer, sich über ihre Verfassung zu einigen, sie würden sich nicht einmischen. Aber die Kräfte, die sich zu Wort melden, sind in ihren politischen Verbindungen altbekannt. Der „Stern“ ist ein uraltes Blatt der Entspannungspolitik und trat früher mit verschiedenen Sensationsberichterstattungen hervor, trieb die Entindustrialisierungskampagne in früheren Jahren voran und ist von undurchsichtigen politischen Manövern gekennzeichnet. Ein besonderes Beispiel bildete seinerzeit der Versuch der Aufwertung des Hitler-Faschismus durch die Veröffentlichung der, wie es sich bald auch offiziell herausstellte, gefälschten sog. Hitler-Tagebücher.

Indem lanciert wird, daß nun in Europa sich nichts weiterentwickeln könne, wird in der Tat versucht, zusätzlichen ökonomischen Druck aufzubauen. So deutet die „Financial Times“ (London) am 1.6.05 an, daß die Bestrebungen etwa in Asien, sich stärker auf den Euro auszurichten, nun gewendet werden könnten angesichts der gescheiterten Abstimmung.

Auch in deutschen Wirtschafts- und Finanzblättern gibt es sehr unterschiedliche Stimmen. Gleich nach der Abstimmung kam es zu entsprechenden Unmutsäußerungen einschlägig bekannter Autoren. So heißt es in einem Kommentar des „Handelsblattes“ vom 31.5. 05:

„Auch wenn es vielen Franzosen offenbar nicht klar war: Mit ihrem ’Nein’ haben sie, vor allem die Linke, am Sonntag nicht nur gegen die EU-Verfassung gestimmt, sondern auch gegen die besondere Partnerschaft mit Deutschland. [!] Beide Nationen waren bisher die treibenden Kräfte der europäischen Integration. Nun hat die viel beschworene Achse nur noch ein Rad: Erstmals, seit sie vor über 50 Jahren die Europäische Verteidigungsgemeinschaft scheitern ließen, haben die Franzosen sich auf absehbare Zeit vom gemeinsamen Kurs verabschiedet.“

Eine solche vollkommen unangemessene Schlußfolgerung bringt Andreas Rinke, der vor kurzem sich noch besonders für den verstärkten Militäreinsatz der Bundesrepublik in Afghanistan eingesetzt hatte.
Die 1952 beabsichtige Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG), über die heute schon viele kaum etwas wissen, war ein Versuch, Europa vollkommen unter den Militärstiefel der USA zu stellen, wobei diese in der Bundesrepublik damit auf keine Probleme stießen, wohl aber in Frankreich, das begriff, daß unter dem Vorwand der Einbindung und Kontrolle Deutschlands sie selbst kontrolliert werden sollten. Sie ließen die EVG scheitern. Als Vorteil genoß dann die Bundesrepublik, daß sie als relativ gleichberechtigtes Mitglied in die NATO aufgenommen wurde. Daß ein Verfasser im „Handelsblatt“ Frankreich nach 50 Jahren diesen Befreiungsschlag gegen die sog. Europäische Verteidigungsgemeinschaft ankreidet, ist ein bemerkenswerter Punkt auf der S. 1 des „Handelsblatt“ zwei Tage nach der Abstimmung.
Der gleiche Autor behauptete auch:

“Das Nein der Franzosen hat deshalb eine paradoxe Wirkung. Ausgerechnet die Amerika-skeptische französische Linke sorgt mit ihrem Nein dafür, dass sich die deutsche Europa- und Außenpolitik künftig wieder stärker Partnern wie Großbritannien und den USA zuwenden wird.“

Das wird man erst noch sehen, denn das hängt auch von den Widersprüchen der Kapitalgruppen in den einzelnen Ländern ab und nicht nur von einzelnen Regierenden. In solchen Worten kommt aber der Wunsch einer ganzen vorhandenen Richtung zum Ausdruck.

Es gibt Leute wie Rinke mit sehr klaren Absichten bei ihren Kommentaren, und viele andere, die sich vielleicht Illusionen machen, wie Elmar Brok, der im Europaparlament sitzt und behauptet:

„Bedauerlich ist, dass die wenigsten dieser Gründe [für die Ablehnung] etwas mit der Verfassung zu tun haben, im Gegenteil. Die Verfassung hätte insbesondere die Politik auf EU-Ebene deutlich leistungsfähiger und bürgernäher gemacht.“

Dies sehen die Menschen, die merken woher der soziale Wind der letzten Jahre weht, viel klarer als Leute, die im Europa-Idealismus stecken und den flachen Phrasen in dieser Verfassung Glauben schenken.

Bei den meisten Kräften, wie etwa den Rechten aus Italien, die jetzt an der europafeindlichen Agitation teilnehmen, wird klar, daß sie sich den USA anlehnen oder ihnen schon nahestehen. Daran wird deutlich, daß die entscheidenden Kräfte in den USA diese Ablehnung keineswegs als günstig betrachten. Und wenn immer wieder auch behauptet wird, diese Verfassung würde Europa ein verstärktes Gewicht gegenüber den USA verleihen, ihr Scheitern mithin die USA stärken, dann kann das nur als versuchte Verschleierung der Interessenlage gewertet werden. Die Verfassung würde in Wirklichkeit an der untergeordneten Stellung der Europäischen Union nichts ändern, wohl aber dem Kapital uneingeschränkten Zugriff garantieren.

Redaktion Neue Einheit

 

www.neue-einheit.com

 

 

 

 

 

Danke Frankreich!
 - die Überschrift liest man in diesen Tagen viele Male!

30.5.05
IS 2005-45

Hoffen auf Frankreich
29.5.05
IS 2005-44