Internet Statement 2008-34
Zu Fragen der Philosophie und des Sozialismus – Entwurf einer zweiten Antwort an einen angehenden Physiker
Obwohl die Antwort von Hartmut Dicke aufgrund anderer dringlicher Aufgaben und schließlich seines plötzlichen Todes selbst zu Lebzeiten nicht mehr abgeschickt werden konnte, veröffentlichen wir seinen Antwort-Entwurf, da in ihm in Fortsetzung der Diskussion wesentliche philosophische Fragen in punkto Materie und Bewußtsein sowie der objektiven Gesetzmäßigkeit hin zum Sozialismus und Kommunismus behandelt werden, die hochinteressant und von allgemeinem Interesse sind. Zur Orientierung haben wir einzelne Zwischenüberschriften eingefügt. Redaktion Neue Einheit, 11.9.2008
zum ersten Briefwechsel von Christian und Hartmut: Zu
Fragen der Religion und Philosophie
- Antwort an einen angehenden Physiker
Die zweite Mail von Christian vom 18. Juli 2007 lautet wie folgt: (Der inhaltliche Teil ist hier vollständig wiedergeben) Hallo Hartmut, …. Zur Grundfrage: Ich habe Deine Antwort mehrmals durchgearbeitet und danke Dir für Deine ausführliche Erklärung und Richtigstellung in Bezug auf die 'fernöstliche Philosophie'. Ich stimme mit Deiner Argumentation überein und ich finde der Satz "Sonderfall der Materie und Materie im allgemeinen können nicht identisch sein." bringt es auf den Punkt (fast schon mit mathematischer Präzision :) ). Ich sehe allerdings folgendes Problem (ein neuer Gedanke der mir gekommen ist): Wenn wir uns über die Grundfrage unterhalten, d.h. über das Verhältnis von Materie und Bewusstsein, dann klären wir VORHER (bewusst oder unbewusst), was wir unter Materie bzw. Bewusstsein verstehen. Gehen wir an dieser Stelle von der materialistischen Materie- und Bewusstseins-Definition aus (Materie ist objektiv, usw. usf. ; Bewusstsein ist ein Spezialfall, etc.), dann ist es trivial zu begründen, das die einzig sinnvolle Beantwortung der Grundfrage die Materialistische ist. Es gibt ja (sozusagen per Voraussetzung) keine andere Möglichkeit. Lass
mich dies wie folgt verdeutlichen: In
dieser Sicht ist das Bewusstsein das bestimmende Element. Wenden wir
uns nun der Grundfrage zu: Was
soll das Ganze nun? Es gibt mit Sicherheit hieb- und stichfestere idealistische Materiedefinitionen als die Meine. Dennoch hoffe ich, dass ich meinen Gedanken deutlich machen konnte. Ich bin SEHR gespannt und neugierig über Deine Antwort! Bevor Du Diese schreibst möchte ich Dich nochmals auf den Kern meiner Aussage aufmerksam machen: Von einem materialistischen Standpunkt ausgehend den Materialismus zu begründen, das ist einfach! II Nun zum zweiten Teil, der 'historischen Mission': In Bezug auf die Bedeutung solcher Formulierungen wie 'Mission' oder 'Berufung' sind wir einer Meinung. Allerdings halte ich Diese nach wie vor für ungeeignet. Schließlich sollte wir Kommunisten daran denken (und vor allem darauf hinarbeiten), das solche Texte auch von Nicht-Kommunisten gelesen werden. In diesem Zusammenhang können wir uns keine Zweideutigkeiten leisten. Ok,
nun zum Inhalt: Aus Deiner Antwort ergeben sich für mich zwei Möglichkeiten:
Du
argumentierst zunächst: "Eine automatische Umsetzung haben Karl
Marx und Friedrich Engels [...] mit Sicherheit nicht vertreten".
Im nachfolgenden Text erläuterst Du dann anhand verschiedener Beispiele,
dass es doch keinen Weg um den Sozialismus herum gibt, da immer die
entsprechenden gesellschaftl. Gesetze wirken und die revolutionären
Klassen sich ihren 'Weg bahnen'. Das ist für mich widersprüchlich, weil: Stell dir vor, während der Kuba-Krise wäre es aufgrund eines kleinen dummen Fehlers einer verantwortlichen Person (z.b. ein US- und ein UdSSR-Boot beschießen sich gegenseitig (was im übrigen beinahe passiert wäre)) zu einer offenen Auseinandersetzung der beiden Supermächte mit anschließendem Atomkrieg gekommen. Dann hätte sich die Sache mit dem Sozialismus erledigt, weil dann niemand mehr übrig wäre, der Diesen aufbauen könnte. Oder: Der erhebliche Einfluss der Pest im Mittelalter auf die ganze Gesellschaft, u.a. in Frankreich, wo der ganze französische Adel für ein ganzes Jahrhundert ausgestorben war. Mit den entsprechenden Konsequenzen für die Eigentumsverhältnisse z.B. vieler Bauern, die dadurch ihre Feudalherren losgeworden waren. Es
gibt in meinen Augen in der Geschichte viele Ereignisse, die zufällig
waren, bzw. von einzelnen Personen abhingen, aber einen enormen Einfluss
auf die ganze spätere (gesellschaftliche) Entwicklung hatten (dazu
könnte man auch bestimmte Erfindungen zählen). Wenn solche zufälligen
Sachen so große und tief greifende Wirkungen entfalten können, dann
fällt es mir schwer, noch irgendeine Gesetzmäßigkeit zu erkennen. Soweit
so gut. Ich bin sehr gespannt auf Deine Antwort, und hoffe, dass unsere
'Diskussion' nicht nur für mich sehr interessant und fruchtbar ist. mfG
Entwurf einer Antwort von Hartmut Dicke von Oktober 2007:
I. Materie und Bewußtsein
Hallo Christian,
Ich komme gleich auf Deinen zentralen Satz zu sprechen:
„Materie ist demnach alles, was mein Bewußtsein mir vorgaukelt. Alle Dinge, die ich wahrnehmen kann (Steine, Bäume, gesellschaftliche Verhältnisse, ...,) werden von meinem Geist interpretiert und erhalten dadurch erst ihre Form, Farbe, etc.“
Diese Idee ist absolut nicht neu und auch nicht „neu ausgedacht“, wie Du schreibst, sondern eine uralte Geschichte, wenn Idealisten sich in einer besonderen Weise versteifen und versuchen, eine solche Definition zu kreieren, um irgendwie die Logik, die im Materialismus liegt, außer Gefecht zu setzen. Nun kann man etwas definieren, die Frage, wie es sich zur Wirklichkeit verhält, ist eine ganz andere. Das muß sich nämlich an der Praxis messen und richtet sich nicht danach was irgend jemand sich ausdenkt.
Kommen wir also auf die Voraussetzung zu sprechen, die du hier angibst. „Materie ist demnach alles, was mein Bewußtsein mir vorgaukelt.“ Direkt gesagt würde das bedeuten, daß bei jeweils zwei Gesprächspartnern, etwa uns, der eine gegenüber dem anderen nur vorgegaukelt ist und gar nicht wirklich existiert, genauso umgekehrt. Man kann schon bezweifeln, daß dies überhaupt einen ernsthaften Dialog ermöglicht.
„Alle Dinge, die ich wahrnehmen kann (Steine, Bäume, gesellschaftliche Verhältnisse, ...) werden von meinem Geist interpretiert und erhalten dadurch erst ihre Form, Farbe, etc.. Wäre mein geistiger Zustand (bzw. mein Gehirn) ein anderer, würden die Dinge anders aussehen, hätten andere Eigenschaften.“
Das ist ein Irrtum. Es heißt dann auch konsequent weiter:
„Ich würde dann in einer anderen Welt leben.“
Das wird durch die alltägliche Praxis und das alltägliche Miteinander der Menschen vollkommen widerlegt. Man schaue sich ein Bild an, etwa aus den alten Grabmälern der alten Ägypter, drei-, vier-, vielleicht fünftausend Jahre alt. Was sehen wir dort: Wiedergabe von Tieren, Wiedergabe von Menschen, von realistischen Gegenständen, die unseren Eindrücken von den heute noch existierenden Tieren oder Gegenständen durchaus entsprechen. Diese Menschen von vor fünftausend Jahren haben also die Dinge ganz ähnlich gesehen wie wir und so auch zu Papier gebracht. Der Eindruck, den die einzelnen Menschen von Dingen oder auch von anderen Menschen haben, mag sich geringfügig unterscheiden. Im Wesen ist er in der Sache gleich. Sonst wären solche Produkte wie die Kunst von vor fünftausend Jahren in ihrer Ähnlichkeit mit heutigen Eindrücken gar nicht möglich.
„Es gibt demnach zwar Dinge außerhalb meines Bewußtseins, deren Eigenschaften und Zustände werden aber erst durch mein Bewußtsein festgelegt.“
Eben das stimmt nicht, denn die Dinge werden von den Menschen mehr oder minder ähnlich wahrgenommen. Manche Dinge, gesellschaftliche komplexe Dinge werden etwas unterschiedlich interpretiert, weil die Praxis der Menschen verschieden ist. Aber ein Auto bleibt ein Auto, selbst wenn verschiedene Menschen es sehen. Der eine mag etwa bestimmte Linienführungen an der Karosserie mehr in seinen Eindrücken aufnehmen, als ein anderer; der andere sieht mehr die Farben etwa des Interieurs oder etwas Ähnliches. So kommt ein etwas unterschiedlicher Eindruck ein- und desselben Gegenstandes bei zwei verschiedenen Menschen durch ihre Sinneswahrnehmungen zustande. Aber insgesamt bleibt der Gegenstand natürlich gleich. Sonst gäbe es in der Tat keine gemeinschaftliche Kunst und auch nicht die Möglichkeit etwa für einen Designer, etwas Schönes für einen anderen Menschen zu konstruieren, weil dieser das ja auch sehen können muß. Er muß sich also in die Eindrücke und die Ideen anderer Menschen hineinversetzen können. All dies belegt, daß es einen engen Zusammenhang gibt zwischen den Eindrücken eines Menschen und der Wirklichkeit, und daß sie nicht willkürlich umdefiniert werden kann, so daß wenn ich jetzt ein anderer wäre, ich alles völlig anders sehen würde. Das ist gar nicht möglich. Die Menschen sehen die Dinge durchaus ähnlich, je nachdem wie ihre Sinnesorgane sind, und nicht völlig verschieden. Die gegenteilige Annahme würde auch die gesamte Kommunikation unter den Menschen in Frage stellen, ja eigentlich überhaupt jedes Aufeinanderzukommen von Menschen negieren, sie ist asozial im wahrsten Sinne des Wortes.
Dann versuchst Du Dich auf eine ganz besondere Definition - auch ein Trick, der schon uralt ist - festzulegen:
„Stell Dir das ganze am besten wie einen Traum vor. Der Traum selbst (d.h. die Welt an sich) existiert objektiv, dessen Inhalt aber (d.h. die Eigenschaften, Formen usw. usf. der Dinge in der Welt) wird einzig und allein von meinem Bewußtsein kreiert.“
Wie Du schon sagtest und wie Du eigentlich schon zugegeben hast, ist das Bewußtsein selbst Teil der Materie, Teil der materiellen Welt. Wie soll es da ausschließlich allen Inhalt kreieren, wenn es doch selbst Bestandteil der materiellen Welt ist?
Alles das sind die uralten Versuche, die vorhandene Materie, die vorhandenen Gesetzmäßigkeiten, denen wir Menschen uns zwangsweise unterordnen müssen und ohne deren Begreifen und teilweises Beherrschen wir auch keinerlei Taten vollbringen können, zu negieren. Diese Gesetzmäßigkeiten gelten übrigens auch für Tiere. Ein Tier, das nicht richtig sehen kann und die Dinge nicht richtig wahrnimmt, würde ganz schnell untergehen. Jedes Wesen, das sich erfolgreich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen will, muß auch die Materie möglichst weitgehend richtig erkennen und sehen und interpretieren.
Du schreibst dann:
„In dieser Sicht ist das Bewußtsein das bestimmende Element.“
Ja, in der Sicht mag es sein. Die Frage ist aber nicht, ob es in der Sicht so ist, sondern die Frage ist, ob diese Sicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Und erst das ist interessant, und darauf kannst Du gar keine Antwort geben. Du behauptest dann:
„SELBSTVERSTÄNDLICH hat das Bewusstsein das Primat über die Materie!“
Das haben schon viele behauptet, aber noch nie konnte etwas damit bewältigt werden. Diese Anschauung ist die der sozialen Destruktion, der Negation der Notwendigkeit der Unterordnung unter die Dinge und der Aufgabe des Willens, die Wirklichkeit soweit wie möglich zu beherrschen. Sie ist Ausdruck besitzender, parasitärer, nach hinten gerichteter Klassen. Das ist zwar ein hartes Wort, muß ich Dir aber an dieser Stelle sagen. Wenn Du dann sagst:
„SELBSTVERSTÄNDLICH hat das Bewusstsein das Primat über die Materie! Es ist das bestimmende Element. Es gibt ja auch gar keine andere sinnvolle Schlußfolgerung, da unsere Definition von Materie und Bewußtsein die ANTWORT auf die Frage DETERMINIERT.“
Wie gesagt, bei all diesen Argumenten wird immer die Wirklichkeit und die Notwendigkeit der Bewältigung ihrer selbst außen vor gelassen. Mit dieser Ideologie hat noch kein Wissenschaftler grundlegende chemische Formeln entdeckt und behandelt, damit kann er auch keine richtige Kanone bauen und damit kann er auch nicht die entsprechende Lebensmittelproduktion entwickeln, die notwendig ist.
Für einen weiteren Absatz gilt genau das Gleiche:
„... wir uns auf eine (mehr oder weniger) materialistische, bzw. idealistische Definition von Materie und Bewußtsein festlegen,...“
Nirgendwo ist in Deinen Ausführungen davon die Rede, daß unsere Anschauungen, die wir entwickeln, sich an der Wirklichkeit zu messen haben und in ihrem praktischen Erfolg beweisen müssen. Was würde man von einem Physiker halten, der Theorien entwickelt, aber es ablehnt, sich mit den praktischen Folgen seiner Theorie, etwa bei Versuchen, zu befassen und diese nicht dort an der Wirklichkeit zu messen? Eine solche Physik würde scheitern. Die Physik ist notwendigerweise auch der Abgleich und die Überprüfung der komplexen mathematischen Theorien an der Wirklichkeit selbst. Und die physikalischen Beobachtungen und Versuche waren es immer, die auch die Fragestellungen zu weiteren theoretischen Untersuchungen und mathematischer Erforschung ergeben haben. Anders kann es auch nicht sein. Was würde man von einem Physiker sagen, der sagt: ‚ich definiere das mal so und so’ und der sich dann ein ganzes Gebäude zusammen konstruiert und ein ganzes Jahr lang daraus ganze Theorien entwickelt, und sagt: ‚es kann alles auch so und so gesehen werden, wenn man zugleich die und die praktischen Ergebnisse einfach außen vor läßt?’ Man würde sagen: der Mann spinnt. Und das nicht zu unrecht.
Jede Art von Theorie muß sich an der Wirklichkeit und an der Praxis messen. Dies nicht deswegen, weil wir etwas zu definieren haben, um es noch einmal zu sagen, als wenn wir die Option hätten, hier materialistisch oder idealistisch zu definieren, sondern deswegen, weil unsere Nase und unsere Hand, unsere ganze Existenz ständig an die Wirklichkeit selbst anstößt und sich mit ihr auseinandersetzen muß. Kein idealistischer Philosoph, auch nicht Plato, konnte sich allein von seinen Ideen ernähren. Allein von daher sind sie schon gezwungen, sich mit der Wirklichkeit auseinander zu setzen.
Wenn Du schreibst:
„Von einem materialistischen Standpunkt ausgehend den Materialismus zu begründen, das ist einfach!“
dann trifft das die Sache gar nicht im Kern. Den Materialismus kann ich nur dadurch begründen, indem ich ihn mit der Wirklichkeit abgleiche. Jemand bildet sich einen materialistischen Standpunkt deshalb, weil dieser ihm von der Wirklichkeit diktiert wird und nicht deswegen, weil er es einfach so definiert.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal auf die Frage eingehen: Woher kommen eigentlich solche Ideen wie Du sie jetzt hier vorträgst? Sie stellen gegenüber dem vorherigen Brief meiner Ansicht nach einen Absturz dar. Sehr viele Intellektuelle, auch Wissenschaftler, sind mit der Realität, wie sie heute in dieser Gesellschaft existiert, konfrontiert und wissen sie nicht richtig zu interpretieren. Die Stagnation, die in dieser Gesellschaft existiert, führt auch zu solchen Ideen, wie Du sie hier bringst. Überhaupt war immer der Idealismus, etwa der von Platon oder anderer idealistischer Philosophen, auch Folge der Stagnation der Gesellschaft selbst. Wenn sich die herrschende Klasse von der Wirklichkeit abhebt, wenn sie nicht mehr weiter mit der Klassengesellschaft, die sie selber produziert und verschärft, auseinandersetzen will, kommen solche Ideen wie diese. Man begibt sich gewissermaßen aus der Wirklichkeit gedanklich heraus. Praktisch geht das natürlich nicht, sie holt einen immer wieder ein.
Verfolgen wir die letzten Jahre, dann sehen wir, wie mit allen Mitteln das heute herrschende System versucht, den Klassenkampf, die gesellschaftliche soziale Auseinandersetzung und die Probleme, die aus den letzten 20 bis 30 Jahren der gesellschaftlichen Entwicklung bei uns resultieren, aus dem Bewußtsein heraus zu drücken. Reformismus, Illusionsmacherei um jeden Preis. Bloß weg von den Ideen, die die Gesellschaft aus ihren eigenen inneren Widersprüchen heraus erklären wollen hin zu Ideen, wie, daß alles nur noch auf die „Klimakatastrophe“ schaut und die gesellschaftlichen Widersprüche vollkommen aus dem Denken herausgedrückt werden. Diese Stagnation, dieser Irrealismus, der von dem System hier systematisch gefördert wird, schlägt sich auch in den Gedanken verschiedener Studenten nieder, und auch bei Dir. Das muß ich Dir in Offenheit sagen, weil nur das überhaupt eine ehrliche Ansicht ist.
Wie soll man überhaupt in der heutigen Welt so etwas wie Klassenkampf verstehen? Die Arbeiterklasse hier ist drastisch reduziert worden, die Produktion ist in andere Kontinente verlagert worden, scheinbar ist erst mal das ganze Problem weg. Es kommt natürlich durch die Hintertür wieder. Erst einmal wird alles verdrängt und der Bewußtseins-Apparat der Bourgeoisie, der bestimmte Formen des Denkens fördert, fördert auch die Abgehobenheit von der Wirklichkeit mit allen Mitteln. Wir sehen unsere Aufgabe darin, gerade das zu durchkreuzen und solche idealistischen Anschauungen mit allen Mitteln zu bekämpfen. Versuch doch mal, mit Deinen Anschauungen, mit Deiner idealistischen Dynamik mal irgendwo die gesellschaftliche Dynamik zu erklären. Da kommst Du nicht weit. Wenn Du meinst, Du kannst idealistisch alles verstehen, dann versuch doch einmal, die Entwicklung der Bundesrepublik und der DDR mit diesen idealistischen Begriffen zu erklären. Oder versuch mal, die physikalische Entwicklung idealistisch zu erklären. Da wirst Du nicht weit kommen, sondern Du zerstörst Dich dabei sogar selbst. In jeder Beziehung habe ich also Anlaß, dem entschieden entgegen zu treten. Dies erst einmal zur Beantwortung des Punktes 1. Auf den zweiten gehe ich in einer späteren Mail ein.
II: Zur Frage der objektiven Gesetzmäßigkeit hin zum Sozialismus
Zu der Stelle:
„Entweder gibt es diese objektiven Gesetze, die dafür sorgen, daß sich die Gesellschaft immer höher entwickelt und schließlich beim Sozialismus ankommt, entweder es gibt diese Zwangsläufigkeit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, oder es gibt sie nicht. Wenn es sie gibt, dann trifft meine Bemerkung aus dem ersten Brief zu, dann müssen wir eigentlich nichts mehr tun, es sei denn, wir wollen die Sache beschleunigen. Aber selbst wenn wir das nicht wollen, kommen wir früher oder später automatisch zum Sozialismus.“
Hier liegt genau der Schematismus vor, der schon längst kritisiert worden ist. Gehen wir noch mal darauf ein. Was sind in einer Sache liegende notwendige Entwicklungen? Wie verhält sich das zu der Gesamtheit aller Bedingungen, denen die Sache unterliegt?
Nehmen wir ganz einfach ein Hühnerei, das in sich eine Menge genetischer Informationen über den Aufbau eines Huhnes enthält. Wird ein solches Hühnerei unter eine Henne gelegt oder in den Brutkasten, dann entsteht notwendig wieder ein Küken, wieder ein Huhn, weil dies angelegt ist. Es kann nur ein Huhn entstehen, es kann nicht, jedenfalls nicht ohne äußere Einwirkungen, z.B. ein Schmetterling oder etwas anderes entstehen. Umgekehrt kann ein Schmetterling nur aus einer Schmetterlingslarve und Puppe entstehen, und nicht aus einem Hühnerei. Eine solche Einheit wie ein Hühnerei oder sonst ein biologisches Stadium eines Tieres enthält mit Notwendigkeit die Entwicklung hin zu einem fertigen Tier, das durch diese genetische Information angelegt ist. Entsteht unter allen Bedingungen, egal wie, immer eine Henne oder ein neues Huhn? Wird dieses Ei von einem anderen Tier zerstört, kann sich nichts mehr entwickeln. In dem Moment, wenn die Schale zerstört wird und der Hühnerfötus frühzeitig erfriert oder zugrunde geht, kann sich das nicht mehr entwickeln. Ändert dieses Phänomen etwas daran, daß in dem Huhn selbst die Notwendigkeit einer Entwicklung zum Huhn enthalten ist? Natürlich nicht. Freilich kann man dieses Gesetz nicht völlig verabsolutieren, denn es gibt immer besondere Bedingungen, die eine Sache unmöglich machen. Das gilt auch für die gesellschaftliche Entwicklung. Würde die gesellschaftliche Entwicklung auf der Erde durch irgendwelche ganz außergewöhnlichen Naturkatastrophen zerstört werden, kann natürlich auch die Entwicklung zum Sozialismus – theoretisch - unterbrochen werden, wenn auch die Wahrscheinlichkeit dafür nicht sehr hoch ist. Gewisse bürgerliche Ideologen versuchen übrigens gerade auf Grund dieses Umstandes, bestimmte Gegentheorien zu entwickeln, daß wir angeblich so weit wären, daß die Natur durch unsere Entwicklung der Produktivkräfte gefährdet würde, daß dann eben die Fortentwicklung der Menschheit damit zerstört werden würde. Diese Ideologie kommt nicht von ungefähr. Sie versucht sich genau dieses Moment für sich zu Buche schlagen zu lassen, wenn auch ihre Angaben ansonsten nicht stimmen. Hier wird ein Horrorszenario ausgemalt, um den Menschen Angst vor der Entwicklung zu machen, statt Zuversicht auf Grund der Klassenentwicklung zu verbreiten. Jedenfalls liegt in Deinen Äußerungen ein Versuch der Schematisierung und Du willst damit das Gesetz widerlegen. Das widerlegt sich aber nicht. Eine in einer Sache vorliegende Notwendigkeit bedeutet nicht, daß unabhängig von allen äußeren Bedingungen diese Notwendigkeit zum Zuge kommt. Äußere Bedingungen können auch den gesamten Vorgang zerstören.
Und dann fällt ein Satz besonders stark auf:
„es sei denn, wir wollen die Sache beschleunigen.“
Es sei denn? Das wollen wir absolut. Gerade die Geschichte der letzten tausend Jahre und insbesondere der letzten 250 Jahre zeigt doch, daß der Mensch nach dieser Beschleunigung strebt, und zwar zu recht. Desto schneller sich die Geschichte entwickelt, desto mehr können die Menschen diese Geschichte für sich verarbeiten, diverse Erfahrungen miteinander vergleichen und so zu höheren Erkenntnissen gelangen. Das zeigt das ganze zwanzigste Jahrhundert, daß es so ist. Und es wird sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch im einundzwanzigsten Jahrhundert zeigen, und die Versuche von Grünen oder von Leuten, die die gesellschaftliche Entwicklung bremsen wollen oder, wie Schellnhuber sagte, das neue Denken ökologischer Natur einführen wollen, werden auf die Dauer die Sache nicht ankratzen. Sie zeigen nur, was für Absichten sie haben. Die Beschleunigung der Geschichte, die Möglichkeit, verschiedenste gesellschaftliche Etappen miteinander zu verfolgen und zu vergleichen, erhöht das Bewußtsein des Menschen ungemein. Gerade deswegen ist es alles andere als eine „Es sei denn“-Formulierung, die hier zu erfolgen hat. Gerade die asiatische Philosophie oder die Philosophie bestimmter Reaktionäre, wie sie bei den Ökologisten und auch bei den ganzen Wetterkatastrophen-Propheten jetzt aufkommt, ist doch die, daß sie genau diese wertvolle Entwicklung, diese Beschleunigung unseres Bewußtseins mit allen Mitteln bekämpfen. Sie wollen, daß die alten Verhältnisse bleiben. Sie wollen, daß die Mehrheit der Menschheit nicht zu Erkenntnissen gelangt, die die heutigen, über lange Jahrhunderte herrschenden Klassenherrschaften zerstören. Und gerade das macht ihre reaktionäre Natur aus. Deswegen ist mir dieser Passus besonders unangenehm aufgefallen. Jawohl, wir wollen die Dinge beschleunigen, wir wollen, daß die Menschen innerhalb von relativ kurzen Phasen sehr viel lernen können und es in diesem Zusammenhang auch immer besser lernen, die gesellschaftliche Entwicklung zu beherrschen und selbst nach Möglichkeit zu steuern. Demokratie, Massendemokratie lebt vor allen Dingen von Erfahrung. Eine Gesellschaft, die sich schnell entwickelt, in der ein, zwei Generationen große gesellschaftliche Metamorphosen durchmachen, führt eben in letzter Konsequenz zu einer Vertiefung des Denkens im allgemeinen. Und das ist allerdings eines unserer zu erstrebenden Ziele. Die Formulierung: “entweder gibt es diese Zwangsläufigkeit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft oder es gibt sie nicht“, unabhängig von allen äußeren Faktoren, versucht einen Mechanismus zu postulieren, der allerdings mit der Wirklichkeit zusammenstößt.
„Sollte aber für die sozialistische Revolution unser Zutun (als Kommunisten) notwendig sein (wovon ich überzeugt bin), dann ist die ganze Sache nicht gesetzmäßig. Denn dann hängt der Erfolg des Ganzen von unserem Willen, von unserer freien Entscheidung ab, für den Kommunismus zu kämpfen oder nicht.“
Aber, muß man dann antworten, wenn es gar keine objektive Gesetzmäßigkeit hin zum Sozialismus gibt, woher sollen die Menschen dann die Zuversicht nehmen, daß sie mit ihrem Willen irgend etwas umgestalten können? Das würde sehr schnell erlahmen und dann würde es heißen: man kann die Welt nicht ändern, sie bleibt immer genauso wie sie ist. Und dann fallen diese idealistischen Strömungen des Kommunismus in sich zusammen. Erst diejenigen Richtungen des Kommunismus, wie sie etwa seit dem Kommunistischen Manifest existieren, wie sie in Mao Zedong oder auch in den russischen Bolschewiki verkörpert waren und sind, haben den Menschen die Zuversicht gegeben, in Verbindung mit der objektiven Entwicklung durch ihr eigenes Zutun die Umwälzung voran zu bringen. Das wird auch in Zukunft so sein. Von unserer „freien Entscheidung“ -frei von was?- kann das niemals allein abhängen. Allein unser Wille führt nicht voran. Solche Ideen gibt es schon seit langem, den Menschen aus freiem Willen die Entscheidung für die ideale Gesellschaft zu predigen. Das hat noch nie geklappt und kann nicht klappen.
Dies setzt sich in den weiteren Sätzen fort, in der gleichen Widersprüchlichkeit:
„Bei einem gesetzmäßigen Zusammenhang gibt es kein Wenn und Aber.“
Eben das ist eine völlige Versimpelung und Verballhornung.
Schließlich zu Deinem letzten Beispiel:
„Stell dir vor, während der Kuba-Krise wäre es aufgrund eines kleinen dummen Fehlers einer verantwortlichen Person (z.B. ein US- und ein UdSSR-Boot beschießen sich gegenseitig (was im übrigen beinahe passiert wäre)) zu einer offenen Auseinandersetzung der beiden Supermächte mit anschließendem Atomkrieg gekommen. Dann hätte sich die Sache mit dem Sozialismus erledigt, weil dann niemand mehr übrig wäre, der diesen aufbauen könnte.“
Auch das ist ein sehr beliebtes, immer wiederkehrendes Beispiel, das Revisionisten und kleinbürgerliche Ideologen vorbringen, wie sie sich den Untergang der Welt vorstellen und die Quellen für die Entwicklung der Geschichte darzustellen trachten. Aber es hat viel weniger Realitätsgehalt als ihre sensationshaschende Behauptung vorgibt. Bei dieser Sorte von Mächten wie den USA und der Sowjetunion wie auch einer Reihe anderer Staaten werden Kriege sehr wohl vorausberechnet. Auch schon im zweiten Weltkrieg war es so, und auch im ersten. Dort entstanden keine Kriege aus Zufall, sondern sie entstanden, weil es eben einen Machtkampf zwischen verschiedenen Mächten und gesellschaftlichen Systemen gab, den die verschiedenen Seiten für sich entscheiden wollten. Und nicht deswegen, weil irgendein dummer Fehler dazwischen gekommen ist. Auch dann, wenn wirklich so etwas passiert wäre, wären Verhandlungen zwischen den beiden Großmächten geführt worden, wie man auf den Umstand reagieren solle. Und gesetzt den Fall, es wäre wirklich nur ein Zufall gewesen und keine der beiden Mächte hätten eine solche Entwicklung gewollt, wäre man in irgendeiner Weise zu einem Modus Vivendi gekommen, in irgendeiner Weise Schadenersatz für Schäden zu leisten und ggf. sogar so zu handeln, daß es der anderen Seite ermöglicht worden wäre, das Gesicht zu wahren, denn ein solcher Unfall würde unweigerlich einen großen Lapsus und gesellschaftlichen Mißerfolg repräsentieren.
Dies ist eine Wunschphantasie, die immer wieder vorgebracht wird, um die gesellschaftliche Gesetzmäßigkeit und auch die Interpretation von gesellschaftlichen Widersprüchen auf der Erde außer Kraft zu setzen. Statt zu analysieren, welche Kräfte die verschiedenen gesellschaftlichen Systeme oder auch die verschiedenen Staaten bei sich entwickeln und zu welchen Fähigkeiten sie sich dann aufschwingen, wird alles von einem Zufall abhängig gemacht. Irgendein Mensch versagt, und dann passiert etwas Schlimmes und es kann gar nichts mehr kontrolliert werden. Die Welt geht unter, und die menschliche Entwicklung hat gar keine Gesetzmäßigkeiten gekannt. Das ist das Wunschdenken kleinbürgerlicher Reaktionäre, das immer wieder auftritt und das mehr über deren eigenen Charakter aussagt als darüber, daß etwa derartige Phänomene sich in einer solchen Weise umsetzen würden. Eine Macht, die selbst Millionen von Menschen, vielleicht sogar eine Milliarde repräsentiert, einschließlich der Führer einer solchen Nation, die auch weiterleben wollen, werden versuchen, eine solche unsinnige Eskalation mit allen Mitteln zu verhindern.
Eine ganz andere Sache wäre es, wenn zum Beispiel ein bestimmter Staat einen Überraschungscoup startet und glaubt, er könne durch einen schweren Angriff die Gegenseite am Gegenschlag hindern, um ihn dadurch sozusagen in den Griff zu bekommen. So lief die militärische Überlegung auf beiden Seiten lange Zeit. Hier spielt Berechnung eine Rolle und es ist kein dummer Zufall, der zu so etwas führt. Würde aber eine Macht z.B. meinen: das ganze Rüsten hat gar keinen Zweck, man verzichtet darauf und hält die Hände offen und könne so den Krieg verhindern, dann würde es gerade zu einem solchen Krieg kommen, weil ein entsprechender Aggressor freie Hand hätte. Kriege sind nicht das Resultat von Rüstung, sondern die Kriege sind Folge gesellschaftlicher Widersprüche etwa zwischen zwei imperialistischen Staaten oder auch zwischen zwei Staaten verschiedener Gesellschaftsordnung und sie sind partout kein Produkt des Zufalls. Auch im zweiten Weltkrieg war kein einziger Krieg ein Produkt des Zufalls, sondern immer Folge von eiskalter Berechnung, wobei allerdings manche Macht die Dinge falsch berechnete und ihrem Untergang entgegen ging. Desto subjektivistischer und reaktionärer eine Macht, desto größer in der Regel auch der militärische Subjektivismus und um so größer sind die Chancen für eine solche Katastrophe, wie sie einige Staaten im ersten Weltkrieg dann erfahren haben. Man sagt ja nicht umsonst, daß die Nazis ein Opfer ihrer eigenen Propaganda wurden, was wirklich in vieler Hinsicht richtig ist. Solche subjektivistischen Mächte, die die Wirklichkeit nicht kalkulieren, verlieren eben. Und sie verlieren nicht auf Grund von irgendwelchen Zufällen, weil gerade irgend etwas schief gelaufen ist, sondern weil ihr gesellschaftliches System entsprechende reaktionäre Züge aufweist. Genauso wenig ist die Sowjetunion durch einen Zufall zusammengebrochen. Auch nicht dadurch, daß irgendwie zufällig ein falscher Mensch an die Spitze gewählt worden ist, sondern der Revisionismus führt als Folge in der Konsequenz die Zerstörung herbei.
Ich selbst habe die Kuba-Krise als fünfzehnjähriger in der Schule mit erlebt. Auch damals gab es Menschen, die sagten: jetzt kann es gleich passieren und dann sind wir alle dran. Das Gros der Menschen, einschließlich mir selbst, blieben vollkommen ruhig, da wir ehrlich gesagt gar nicht mit einem Krieg gerechnet haben. In ganz Europa wollte niemand einen Krieg, China wollte keinen Krieg, Asien wollte keinen Krieg, die Mehrheit in den USA und der Sowjetunion wollte auch keinen Krieg. Warum sollte also bei dem Poker, den dort verschiedene Mächte miteinander veranstaltet haben, ein Krieg aus der Sache resultieren? Und dieses Empfinden, dieser Glaube war richtig. (Diese Einschätzung hat sich bestätigt.) Wir gehören nicht zum Schlage der Leute der sog. Anti-Atom-Bewegung (Osterbewegung), die von solchen Dingen immer redeten und den Leuten Pazifismus predigten. Das entspricht nicht der Mehrheit, das ist falsch. Solange es eine revolutionäre Bereitschaft unter den Völkern gibt, wird es gerade dazu nicht kommen.
Ganz anders sieht es aus, wenn sie untergraben wird, wenn tatsächlich reaktionäre, menschenverachtende Faschisten oder sonst welche Negierer vom Lager des Ökologismus, die vom Untergang von neunzig Prozent der Menschheit träumen, tatsächlich hier die Oberhand gewinnen würden. Dann würde auch die Chance für einen solchen Krieg wachsen. Der wichtigste Faktor dafür, ob ein Krieg stattfindet oder nicht, ist der Mensch in der Mehrheit auf den Kontinenten. Gefährlich wird es dann, wenn faschistische Abenteurer vom Schlage eines Hitler, Rassisten oder aber pazifistische Negierer, die die Ohnmacht der Massen predigen, tatsächlich Oberhand in verschiedenen Staaten bekommen. Das ist wirklich gefährlich, weil die Verbreitung von Irrationalismus immer in seiner Folge leicht zerstörerische Kriege begünstigt.
Übrigens hat Friedrich Engels sich schon ausgiebig über die Frage von Zufall und Notwendigkeit ausgelassen und dazu mehrere Kapitel in seinem Buch über Dühring geschrieben. Ich will darauf hier nur verweisen, ich habe nicht die Zeit, die Argumentation, die er damals schon recht ausführlich entwickelt hat, hier noch einmal in einer Wiederholung zu bringen.
Alle diese Argumente, die Du anführst, sind in der Tat schon früher gebracht worden. Sie kommen bei bestimmten Menschen auch immer wieder, auf Grund bestimmter Erfahrungen und eingegrenzter Sichtweisen. In diesem Zusammenhang ist es für uns wichtig, auch auf bereits vorhandene Widerlegungen hinzuweisen. Du möchtest - das geht aus Deinen Schlußsätzen hervor - wohl letztlich wieder postulieren, daß Sozialismus eine Sache des Willens sei. Wir aber sagen, daß die objektive Entwicklung der Widersprüche der Gesellschaft die Menschen dahin führt und daß es eine Sache unseres Willens ist, diese Widersprüche zum Durchbruch zu bringen. Das ist also in dem Sinne kein Widerspruch. Die Überzeugung, auf einer bestimmten objektiven Entwicklung zu stehen, schafft ja nicht Menschen, die untätig sind, sondern solche, die meinen, daß das, was sie tun, mit der objektiven Wirklichkeit übereinstimmt. Sonst wäre die Sache ja auch tatsächlich verloren.
Der Satz:
„Der erhebliche Einfluß der Pest im Mittelalter auf die ganze Gesellschaft, u.a. in Frankreich, wo der ganze französische Adel für ein ganzes Jahrhundert ausgestorben war.“
Woher kommt diese Information, wenn ich fragen darf? Eine solche Theorie ist mir neu. Der französische Adel war zumindest im 17. und 18. Jahrhundert nicht ausgestorben, sondern wurde durch die Revolution geschlagen. Deswegen wundert mich diese Aussage sehr. Von wem stammt sie? Wodurch soll die bewiesen worden sein? Die Pest im Mittelalter forderte einen Blutzoll nicht nur unter den herrschenden Klassen, sondern in erheblichem Maße auch unter der städtischen Bevölkerung, die gerade nicht adelig war.
III. Nochmals zur Materiedefinition
Ich komme noch einmal zurück auf Deinen Ausgangspunkt, auf Deine Wortspielerei vom Anfang. Es heißt:
„Ich benutze nun eine nicht-materialistische Materiedefinition (die ich mir gerade ausgedacht habe).“
Na schön, was Du Dir gerade ausgedacht hast. Was soll denn das sein, eine nicht- materialistische Materiedefinition? Aus welcher Nichtmaterie soll die denn kommen? Vom großen Geist, der im Hintergrund lauert und jenseits aller Materie steht? Darauf läuft das nämlich konkret hinaus. Man kann nicht einfach irgendwas „definieren“ oder sich ausdenken und sagen: jetzt habe ich damit einen Gegenbeweis angetreten, weil mir der Materialismus mit seiner Verbindlichkeit, mit seiner Festlegung auf die Realität nicht gefällt. „Materie ist demnach alles, was mein Bewußtsein mir vorgaukelt.“ haben wir schon hier rezitiert. Eben. Alles wird nur vom eigenen Bewußtsein aus betrachtet und nur dieses wird überhaupt anerkannt, daß es existiert. Das ist der absolute Ego des kleinbürgerlichen Besitzers, der sich in solch einer Sache widerspiegelt. Bei allen Sachen, die Du hier als logische Konstruktionen vorgibst, ergibt sich eine absolute Nichtlogik. Es bleibt immer alles offen. Was soll überhaupt eine nichtmaterialistische Materiedefinition sein? Das ist ein Widerspruch in sich. Gehe ich davon aus, daß es eine Materiedefinition gibt, kann es nicht nicht-materialistisch sein.
Nein, nein, die Zeiten sind zu ernst und uns stehen wirkliche Kämpfe bevor, als daß man sich mit pseudologischen Wortspielereien abgeben kann, die in Wirklichkeit schon selbst eine Masse Widersprüche enthalten.
Hartmut Dicke
zum ersten Briefwechsel von Christian und Hartmut: Zu Fragen der Religion und Philosophie - Antwort an einen angehenden Physiker
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