Wassili Gerhard 26.03.2017 Die jüngst veröffentlichte Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) „Miteinander in Vielfalt - Leitbild und Agenda für die Einwanderungsgesellschaft“Anm. 1, enthält Punkte, die nicht unbehandelt gelassen werden können, auch wenn die öffentliche Diskussion in den Medien relativ schnell beendet wurde. Offenbar ist die Zeit gerade dafür nicht günstig, aber sie müssen trotzdem zurückgewiesen werden. Daran kann einiges deutlich gemacht werden. Wenn es jetzt auch nicht den Durchbruch dafür gab, werden wir doch wieder damit konfrontiert werden. Die Kommission stand unter dem Vorsitz von Aydan Özoğuz, Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Sitz im Kanzleramt. Sie ist seit 2011 eine der sechs stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD. Diese Frau ist also in die höchsten Spitzen der Politik hinein vernetzt und wichtige Ratgeberin von Merkel, was die Bedeutung dieses sogenannten „Leitbildes“ zeigt.
Zunächst: Was heißt überhaupt Einwanderungsgesellschaft? Es wird relativ frühzeitig in dem Papier postuliert. „Mit der Feststellung, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist, beginnt das Leitbild.“ Daß wir hier in jüngerer Vergangenheit eine größere Einwanderung hatten, heißt noch lange nicht, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist. In einem früheren Statement von Maria Weiß „Deutschland – zweitgrößtes Einwanderungsland neben den USA?“, wurde zu diesem Thema ausführlich Stellung genommen. Es heißt dort richtig:
„Bei Manchen unserer Politiker fragt man sich manchmal wirklich, wo deren Verstand geblieben ist. Deutschland hat immer noch 80 Millionen Einwohner, die auf einer Fläche leben, die nicht einmal so groß ist wie die Frankreichs beispielsweise, welches nur 60 Millionen Einwohner hat. Niemand würde deswegen jedoch auf die Idee kommen, Frankreich als Einwanderungsland zu bezeichnen. Deutschland aber, mit einer größeren Bevölkerungsdichte, ist angeblich eines, und zwar neben den USA das zweitgrößte der Welt gar! Wo ist bei Leuten, die so etwas vertreten, der Verstand geblieben? Daß man sich angesichts solcher Aussagen selbst in einigen bürgerlichen Kreisen an den Kopf faßt, ist nicht verwunderlich. Die wahren Ursachen solchen Unsinns liegen aber ganz woanders. Sie liegen in der Struktur dieser Gesellschaft von 80 Millionen Menschen, wo sich seit einigen Jahrzehnten eine starke Überalterung breit macht, welche in der Tat den jugendlichen Nachwuchs vermissen läßt. Dies steht aber auf einem gänzlich anderen Blatt und hat ganz bestimmte, hausgemachte Ursachen.“
Auf diese Fragen wird auch noch in einer Reihe weiterer Statements in jüngerer Zeit eingegangen. Schon vor über einem Jahrzehnt schrieb Hartmut DickeAnm.2 in seinem Grundsatzartikel „Die Frage der politischen Entwicklung in Deutschland, die Klassenfrage und die nationale Frage“, dessen Analyse sich heute umso klarer bestätigt, vor über einem Jahrzehnt zu dieser Frage:
„Die stattfindende Internationalisierung, der Austausch von Bevölkerungsteilen von einem Land ins andere, ist unter den heutigen Bedingungen unbedingt normal. Sie hat erstens schon immer existiert seit den Anfängen der Staatenbildung und ist zweitens im Kapitalismus eine verstärkte logische und richtige Erscheinung. Das Kapital internationalisiert sich, und zwar im einzelnen und in seinen Gliederungen, und auch die Massen innerhalb eines Landes internationalisieren sich. Alles das ist absolut nicht schlecht. Die Internationalisierung der Gesellschaft ist ein Anliegen, das jede revolutionäre Organisation in einer fortgeschrittenen Gesellschaft haben muß. Die Frage ist aber, wie diese Internationalisierung verläuft. Nicht normal ist, daß dieser Prozeß mit einer Dezimierung der eigenen Bevölkerung einhergeht, dann liegt etwas ganz anderes vor. Die Kinderlosigkeit etwa in Deutschland, die übrigens auch hier länger lebende Bevölkerungsteile ausländischer Herkunft allmählich mit erfaßt, ist nicht mit Internationalisierung zu begründen. Ein Austausch würde bedeuten, daß auch deutsche Bevölkerungsteile in andere Länder gehen, wie auch umgekehrt, nicht aber, daß hier die bestehende Bevölkerung allmählich Schritt für Schritt durch eine andere mit anderer Nationalität ersetzt wird und selbst zur Auflösung gebracht wird. Dies ist ein ganz anderer Prozeß, ein Prozeß einer Fäulnis, der bekämpft werden muß. Es ist ein Prozeß der Schwächung der Arbeiterbewegung, der vorsätzlichen Schwächung der sozialen Kräfte gegen den Kapitalismus.“ (Seite 63 der vom Verlag Neue Einheit herausgegebenen Broschüre)
Für die FES sind das natürlich keine Fragen, die Erörterung verdienen. Man kennt das doch: Wenn hierzulande jemand die Frage nach der Zukunft der deutschen Nation stellt, dann wird er meist sofort in die rechte Ecke gestellt. „Das ist doch die Nation, die das Nazitum hervorgebracht hat, wen schert es.“ Eine Antwort in dieser Weise steht quasi schon im Raum, und wir haben Derartiges auch bei Diskussionen im Internet erlebt. Wie sich jüngst zeigte, weiß das auch Erdogan und versucht sich das zunutze zu machen, wenn er nicht bekommt, was er will. Aber das ist falsch, denn diese Nation brachte eben auch sehr vieles hervor, was die Weltzivilisation und Weltkultur wie auch die europäische Entwicklung bereichert hat, z.B. die Vertreter des wissenschaftlichen Sozialismus Marx und Engels und die erste organisierte Arbeiterbewegung, mit einem Programm das den Anspruch erhob, sich auf diese Grundlage zu stellen. Hier ergibt sich anschaulich aus dem hohen Stand der Entwicklung der Produktivkräfte die dringende Notwendigkeit, die Klassengesellschaft zu beseitigen. (Das ist allerdings für manchen Vertreter des Kapitalismus ein tatsächlicher Grund sie zu hassen, auch wenn selbst diese Leute nicht selten „Das Kapital“ gelesen haben.) Es gibt keineswegs nur die 12 Jahre Naziherrschaft, alles darauf zu reduzieren, nach nunmehr einem dreiviertel Jahrhundert, und die jüngere Geschichte erst damit beginnen zu lassen, ist die Fortsetzung von deren Tätigkeit mit anderen Mitteln.
Dementsprechend gab es in der Kommission, die das „Leitbild“ ausgearbeitet hat, die Festlegung, die Frage nach der aktuellen Definition von „nationaler Identität“ nicht zu behandeln. Dies wäre ein wichtiges Thema gewesen, wenn man die berechtigten Interessen der einheimischen Bevölkerung hätte berücksichtigen wollen, wenn man für gegenseitige Annäherung wäre. Stattdessen wird die neuere Soziologie herangezogen, in der heute eine historisch herausgebildete Gemeinschaft wie eine Nation gleichwertig neben Vereinigungen wie Fanclubs oder Straßengangs gestellt wird, so in der „Netzwerktheorie“. Dafür heben solche Theoretiker bisweilen gleichzeitig besonders die Wichtigkeit von Religionen hervor. Damit wird vor allem das Trennende in den Mittelpunkt gestellt und zum Maßstab gemacht, wobei noch außer acht gelassen wird, daß gerade die Entwicklung der Gesellschaft in Richtung Säkularismus, die kennzeichnend für die moderne Nation in Europa ist, eine große Toleranz erst möglich macht. Dem steht die Tendenz, der Religion wieder eine größere Bedeutung zu geben, direkt entgegen.
Das richtet sich auch nicht nur gegen wirkliche Wissenschaftlichkeit, sondern auch gegen grundlegende Prinzipien der bürgerlichen Demokratie. Demokratie heißt auf Deutsch Volksherrschaft. In der Vorgeschichte der französischen Revolution wurde konstatiert, so von Emmanuel Joseph Sieyès, einem der Haupttheoretiker der französischen Revolution, daß der „Dritte Stand“, das Volk, die Macht haben soll und nicht mehr eine privilegierte Schicht und ihre Günstlinge. Zu diesem Zweck sollte sich das Volk als Nation konstituieren, den Souverän der Demokratie bilden. Zu einer demokratischen staatlichen OrdnungAnm. 3 gehört ein solcher Souverän, der sich eine gemeinsame Verfassung gibt. Das kann auch eine Gemeinschaft von Nationen sein, die sich auf gemeinsame Grundsätze und Werte einigen kann. Natürlich kann man bemängeln, daß das nicht die Existenz von Klassen berücksichtigt, aber das ist jedenfalls der Rahmen in dem sich bürgerliche Demokratie entwickeln kann - und auch die arbeitende Klasse einen günstigen Boden für den Kampf für die eigene Emanzipation findet.
Und um das klarzustellen: Die Nazis waren entgegen ihrer Demagogie nicht Nationalisten, sondern Rassisten. Und das widerspricht sich erheblich, das ist etwas völlig anderes. Wenn sie, um ein einleuchtendes Beispiel zu wählen, aus rassistischen Gründen einen Albert Einstein aus dem Land jagten, der zu den besonders hervorragenden Deutschen gehört, wie viele jüdische Wissenschaftler damals, dann war das überhaupt nicht im Sinne der Nation, so wie ihre gesamte verbrecherische Tätigkeit dieser einen immensen Schaden zugefügt hat. Ihr Programm von „Blut und Boden“ wollte im Grunde zu einer Art von (phantasierter) Stammesgesellschaft zurück.
Zerstörung von Nationen nutzt heute in erster Linie hegemonialen Kräften und dem damit verbundenen international organisierten Monopolkapital, das sich am liebsten einer amorphen Masse von Einzelpersonen gegenüber sehen möchte, die sich individuell Konkurrenz machen und leicht gegeneinander ausgespielt werden können. Schon in den Zwanzigern des 20. Jahrhunderts war es eine richtige Erkenntnis: Das Monopolkapital will nicht Demokratie sondern Herrschaft. Auch die EU ist ein Bündnis von Nationen, mit deren Zerstörung der Zusammenhalt verloren ginge. Das würde gegenwärtig vor allem hegemonialen Kräften wie den USA oder Putins Rußland nutzen. In diesem Sinne ist die Initiative der Kraft-Regierung und der Grünen in NRW zu beurteilen, daß die Minister nicht mehr schwören sollen, „dem deutschen Volk zu dienen“, weil dies angeblich Menschen ausschließe, die nicht deutsche Staatsbürger seien. (Sie sollten dann auch aufhören, sich Volksvertreter zu nennen.) Und der Begriff „deutsches Volk“ soll auch aus der Verfassung getilgt werden. Oder kürzlich weigerte sich die Staatsanwaltschaft in Hamburg, eine unflätige rassistische Beleidigung aller Deutschen zu ahnden, weil man nicht definieren könne, wer das sei. Muß man sich da wundern, daß es hiesigen Politikern schwer fällt, die Angriffe eines Erdogan gebührend zurückzuweisen? Auch die Abkoppelung und Überflüssigmachung eines großen Teils der ursprünglich werktätigen Menschen in diesem Land im Rahmen des Klassenkampfes von oben (Hartz IV) geht in diese Richtung. Wo wird das von Herrn Schulz von der SPD wirklich aufgegriffen, der sich angeblich so für die „hart arbeitende Mitte“ einsetzt. Denen will er angeblich mehr Zeit verschaffen, bis sie in Hartz IV fallen, wenn sie ihren Job verlieren, aber danach sind sie - mit Verzögerung - anscheinend abgemeldet wie bisher. Von denen gehen viele, auch schon in der zweiten oder dritten Generation, auf die hart Arbeitenden hier zurück.
Daß man auch Immigranten, die lange hier leben und arbeiten und so auch Rechte und Pflichten erwerben, auch ohne die Staatsbürgerschaft z.B. an kommunalen Wahlen teilhaben läßt, ist dagegen - in der richtigen Weise umgesetzt - grundsätzlich durchaus diskutabel und braucht solche Änderungen überhaupt nicht. Eine Politik, wie sie bei den damaligen sogenannten „Gastarbeitern“ betrieben wurde, insbesondere in der ersten Zeit, ist nicht im Sinne der Demokratie und auch nicht des sozialen Fortschritts. Man sollte den Einwandern, die hier arbeiten und das Gemeinwesen mit tragen, den Erwerb der Staatsbürgerschaft möglichst erleichtern, sie dabei fördern sich einzuleben, und dementsprechend auch im Umkehrschluß Immigranten generell die Gelegenheit zur Teilhabe geben, nicht zuletzt durch Teilnahme am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben (Deutschen natürlich auch). Insofern ist das Hereinholen großer Zahlen von Immigranten, die dann hier arbeitslos und perspektivlos in Lagern leben, kontraproduktiv. Diese Menschen brauchen Arbeit und eine Perspektive, dann ist die Frage der Integration (nämlich in die Nation in einem modernen Sinne) weniger ein Problem. Das „Leitbild“ macht sich bezeichnenderweise in dieser Richtung keine Gedanken. Es geht eben bei der „Einwanderungsgesellschaft“, wie sie von diesen Kräften verstanden wird, nicht um eine normal sich entwickelnde Nation, die Einwanderer integrieren will, sondern um etwas ganz anderes.
Förderung des „politischen Islam“
In der Broschüre der FES befindet sich im Text des eigentlichen Leitbildes auf Seite 39 ein sehr gravierender Punkt unter der Überschrift „Religiöse Pluralität“, der auch noch eine ganz spezielle „Schlagseite“ dieser Kommission verdeutlicht:
„ Vorbehalte gegen den Islam bis hin zu islamfeindlichen Einstellungen sind in Deutschland in einem erheblichen Umfang verbreitet. Dies wurde auch durch eine in den vergangenen Jahren zu beobachtende „Islamisierung“ von Debatten und Konflikten befördert, die aber integrationshinderlich wirkt. Islamfeindlichkeit gehört, wie Antisemitismus und alle anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, als Bedrohung des Zusammenlebens klar benannt.“ (Hervorhebung von mir)
Gleichsetzung von „Islamfeindlichkeit“ mit Antisemitismus, also Rassismus, das wird hier untergejubelt, sogar lediglich Vorbehalte werden hier in einen negativen Kontext gestellt. Da konnte jemand anscheinend geschickt formulieren. Wie extrem das ist, kann man sich einfach klarmachen. Wenn jemand behaupten würde, die feindselige Einstellung gegenüber dem Christentum solle mit Antisemitismus gleichgestellt werden, wie wäre das denn? Wäre das kein Rückfall in finstere Zeiten? Zum Glück haben wir die Zeiten hinter uns, daß man die Kirchen hier nicht ernsthaft kritisieren durfte. Völlig unvorstellbar wäre das in einem Land, wo der Islam die dominierende Religion ist.
Daß Kritik am Islam mit Antisemitismus gleichzusetzen wäre, gar ein eigener Strafratsbestand werden sollte, wurde hier schon öfter gefordert, und hier haben sie erreicht, daß eine solche Position schriftlich verankert wurde. Das ist eine typische Forderung des „politischen Islam“, könnte zum Beispiel gut eine Parole der Muslimbrüder sein. Und diese Kräfte reklamieren auch die Hoheit zu definieren, was „Islamfeindlichkeit“ ist: Nicht selten einfach jegliche ernsthafte Kritik am Islam, denn nach ihrer Definition sind die Regeln des Islam direkt „göttlicher“ Weisung entsprungen und nicht kritisierbar. Ansätze, die eigene Religion historisch in die Zeit und die Umstände ihrer Entstehung einzuordnen und aus der damaligen Welt heraus zu erklären, werden rigoros unterdrückt. Allenfalls äußerliche Modernisierungen akzeptiert man eventuell. Die Kritik der Religion ist aber unerläßlich für eine wissenschaftliche Sicht der Welt und eine moderne Gesellschaft. Toleranz und Verständnis, wie sie diese Kräfte, die gelernt haben, sich in der Wortwahl an den Ton hiesiger Diskurse anzupassen, von anderen fordern, kann man da, wo sie selbst die Oberhand haben, nicht auch von ihnen erwarten.
In diese Richtung gab es schon mehrere Vorstöße. Wir leben in einem säkularen Land, wo die religiöse Überzeugung Privatsache ist, genauso wie keiner Religion anzugehören. Hier zählt nicht die Religionszugehörigkeit, sondern das Verhalten in der Gesellschaft. Hier wird in Wahrheit eine Sonderstellung für die selbsternannten Vertreter einer Religion gefordert, nach deren Grundsätzen die Menschen in Anhänger und Nichtanhänger dieser Religion einzuteilen sind, die also die Segmentierung des Landes nach religiösen Kriterien und im Falle der Richtung Erdogans zusätzlich nach völkischen Kriterien verfolgen. Also hinter den schönen Worten von Vielfalt und Toleranz wird hier etwas ganz anderes verfolgt, vielfältige Segmentierung und Spaltung und Toleranz nur in eine Richtung.
Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht unwichtig, von wem die Initiative für die Ausarbeitung dieses „Leitbilds“ ursprünglich ausging:
“...im Jahr 2014 schlug die junge Islamkonferenz in einem von vielen Personen und Institutionen unterstützten Aufruf vor, eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags solle „Leitbilder für die Einwanderungsgesellschaft in Deutschland entwickeln“. Diese Überlegungen und Vorarbeiten griff die Friedrich-Ebert-Stiftung auf...“ (Seite 9 der FES-Broschüre, unter „Erläuterungen zum Leitbild“)
Jedermann, der sich ein wenig mit der Frage befaßt, weiß, daß in dieser Islamkonferenz neben dem Innenminister vor allem die vier großen Islamverbände in Deutschland sitzen, die den sogenannten „organisierten Islam“ in Deutschland vertreten, also die türkische DITIB, der „Islamrat“, der „Verband der islamischen Kulturzentren“, der „Zentralrat der Muslime“, die wiederum eine Vielzahl von Vereinen und Organisationen, mit einer teilweise schwer durchschaubaren, verschachtelten Struktur repräsentieren. Die vier großen Verbände bilden dann einen „Koordinierungsrat“. In dieser Struktur sind in erheblichem Maße Einflüsse des so genannten „politischen Islam“ präsent. Da findet sich Erdogans Richtung in der Türkei, rechtsradikale türkische Kräfte, Saudi-Arabien oder auch die Muslimbrüder. Der Sprecher des „Koordinierungsrats der Muslime" , in dem die vier großen Dachverbände zusammengeschlossen sind, Ali Kizilkaya, also erster Ansprechpartner der Islamkonferenz, war beispielsweise vorher Vorsitzender der islamistischen Vereinigung „Milli Görüs“.
Dabei ist es gleichzeitig völlig unklar, wie viele Menschen muslimischen Glaubens von diesen Kräften des „organisierten Islam“ hier überhaupt vertreten werden. Viele eingewanderte Menschen in diesem Land haben einen muslimischen Glauben, weil sie eben einfach hineingeboren wurden. Niemand verbietet ihnen hier ihren Glauben. Wie sie dem folgen, sollte gemäß unserer säkularen Gesellschaft ihre Privatsache sein, soweit nicht die Rechte anderer Bürger ernsthaft betroffen sind. Nun lädt man aber gerade diese organisierten Kräfte in die Islamkonferenz ein, in denen Kräfte des „politischen Islam“ für eine allgemeine Durchsetzung von Regeln, die der Islam für jeden Lebensbereich erläßt, so wie sie selbst sie auslegen, vehement eintreten, einen eigenen Bereich anstreben, in dem sie ihre Regeln durchsetzen. Im Grunde steckt dahinter ein ungeheurer Machtanspruch. Diese Kräfte enorm aufzuwerten dient nicht der Integration, sondern der Separierung.
Bei der Gründung 2006 stellte ihnen der damalige Innenminister Schäuble in Aussicht, hier eine privilegierte religiöse Institution wie die katholische oder evangelische Kirche zu werden, so wie sie das wünschen, also mit erheblichen Sonderrechten ausgestattet, wenn sie sich zu einem gemeinsamen Dachverband zusammenschließen. Damit würden sie ihren Einfluß dann hier vom Staat garantiert bekommen. Selbst die hierzulande angesehene bürgerliche Zeitschrift IP (Internationale Politik) schreibt dazu:
«Die Diskussion um
die Institutionalisierung des Islams in Richtung einer einzigen Dachorganisation
wirft schließlich die entscheidende Frage nach der tatsächlichen
Repräsentanz der Dachverbände auf: Ihren eigenen Angaben zufolge
vertreten sie nicht mehr als 300 000 Mitglieder. Abgesehen davon, dass
es im Islam keine offizielle Mitgliedschaft gibt und deshalb solche Zahlenangaben
immer nur Schätzungen sein können, lässt
sich im Vergleich mit Einwanderungsstatistiken sagen, dass nur etwa zehn
Prozent der ca. drei Millionen Muslime in einem der Verbände aktiv
sind. Die Zahl der Sympathisanten dieser Organisationen wird auf etwa
eine Million geschätzt. D.h. mit anderen Worten: Nur ein Drittel der Bevölkerungsgruppe
in Deutschland, die zu den Einwanderern (und deren Nachkommen) aus islamischen
Ländern gerechnet werden, besucht von Zeit zu Zeit eine Moschee.
Die niederländische Regierung bestätigte diese Entwicklung in
einer 2004 veröffentlichten Studie über muslimische Lebensbedingungen:
„Nahezu zwei Drittel der Muslime in den Niederlanden sind der Meinung,
dass Religion Privatsache ist. […] Die überwiegende Mehrheit
dieser Gruppen will nicht, dass Religion die Oberhand über Politik
hat, und sie unterstützen nur legale und demokratische Formen der
politischen Mobilisierung.“»
Ist nicht die Aufteilung der Bevölkerung in verschiedene Segmente, quasi eine Art „Libanonisierung“ eher hier die Leitlinie? Das wäre auch im Sinne der Logik, wie hier anfangs die Industriearbeiter als „Gastarbeiter“ separiert gehalten werden sollten, immer „teile und herrsche“. Jetzt werden hier im Namen der Toleranz Kräfte gefördert, die die Separierung von der anderen Seite betreiben, sich auf Toleranz und Befürwortung von Vielfalt dabei berufend. Dabei sind sie sich untereinander oft nicht grün, aber im Interesse der Vergrößerung ihres Einflusses versuchen sie ihre Differenzen untereinander nach hinten zu schieben.
Was die angeblich bessere Integration betrifft, wenn man diese Kräfte institutionalisiert, dafür ist auch das Beispiel von Belgien nicht uninteressant. In Belgien gibt es bereits eine viel weiter gehende Institutionalisierung des Islam als hier. So kann man in der englischsprachigen Wikipedia unter „Islam in Belgium“ (Stand 13.03.17) lesen:
„In 1974, Islam was recognized as one of the subsidized religions in Belgium and the Muslim Executive of Belgium was founded in 1996. In 2006, the government gave €6.1 million (US$7.7 million) to Islamic groups.“ (Subsidized heißt „unterstützt“, „subventioniert“.)
2005 wurden Kräfte aus den USA in Belgien vorstellig und empfahlen „moderate Vertreter“ der Muslimbrüder als Gesprächspartner für einen Dialog. Belgien, hat das nicht kürzlich wegen seiner „vorbildlichen Integration“ Schlagzeilen gemacht, oder doch wegen etwas anderem?
Zu jener Zeit, unter der Präsidentschaft von Bush, selbst christlicher Fundamentalist, haben sich die USA überhaupt in Europa sehr als eine Art „Schutzmacht“ der Muslime aufgespielt:
« In late 2005, the U.S.State Department decided that European Muslims needed America’s help. Too many were living in parallel societies, cut off from the mainstream. [...] What Europe needed, the State Department figured, was help to set up an international network „to discuss alienation and extremism“. » („A Mosque in Munich“, Seite 222)
2007 haben sich die USA in Deutschland stark gemacht für die Gründung einer „Islamischen Akademie“ in Penzberg, unter Beteiligung von Kräften von „Milli Görüs“. Es ist kein Zufall, daß auch die Gründung der „Islamkonferenz“ etwa in diesen Zeitraum fällt (Auftaktsitzung 27.September 2006)? Das fällt auch in die Zeit, als sich die USA auch verstärkt für die Aufnahme der Türkei in die EU, damals schon mit Erdogan an der Spitze, stark gemacht haben. Auch in Deutschland gab es eine verstärkte Befürwortung, auch Merkel passte sich zunehmend dieser Tendenz an. In der CSU gab es am deutlichsten Vorbehalte, was dazu führte, daß der damalige Innenminister Friedrich (CSU) aus der Islamkonferenz herausgedrängt wurde.
Das war übrigens auch eine Zeit, in der in der linken Bewegung Bestrebungen zu verzeichnen waren, die Bewegung gegen den Irak-Krieg und die folgende Besatzung, die damals eine große Bedeutung hatte und einen erheblichen Aufschwung für die linke Bewegung brachte, auch weil viele sich angesichts der Unterstützung von Nato-Kriegen durch die Grünen von ihnen abwandten, auf eine Unterstützung des Islamismus festzulegen. Es hieß zynisch seitens eines gewissen Dimitri Tsalos:
"Aufgrund des Unterganges der kommunistischen Bewegung in der islamischen Welt blieb den verarmten Massen vielfach nur der politische Islam zur Schaffung und Verteidigung einer eigenen Identität. Dies erfolgte und erfolgt unter durchaus sehr fortschrittlichen Aspekten."
Absurder Weise wurde dabei ausgelassen, daß reaktionäre islamische Kräfte eine entscheidende Rolle für diesen Untergang spielten. So z.B. mit der Massakrierung der Kommunisten in Pakistan und Indonesien, wobei in Indonesien in den sechziger Jahren eine Million Kommunisten, die legal unter der damaligen Sukarno-Regierung gearbeitet hatten, von einem religiös aufgepeitschten Mob massakriert wurden. Hartmut Dicke wandte sich damals dagegen,
„daß die Bewegung gegen Irak-Krieg und Besatzung sich auch als eine Bewegung "gegen Islamfeindlichkeit" verstehen solle. Professoren und bekannte Publizisten sprechen nun, aber die anzustrebende Bewegung wird weiterhin als "Bewegung gegen Krieg, Rassismus und Islamfeindlichkeit" festgelegt.“ (Dieses und das vorherige Zitat aus dem Artikel „Was wird unter der Bewegung gegen Islamfeindlichkeit verstanden“, Internet Statement 2005-18, 10.03.2005, in dem Hartmut Dicke diese Bestrebungen einer grundlegenden Kritik und Abfuhr unterzieht und Tsalos Punkt für Punkt widerlegt. Auch heute unbedingt lesenswert.)
Dies war gleichzeitig eine Zeit, in der sich im Irak, in der Folge der Besatzung durch die USA islamistisch-terroristische Kräfte zu formieren begannen, die man auch als frühe Vorläufer des sog. „Islamischen Staates“ bezeichnen kann, die vom gleichen Charakter waren, das sollte die Linke als fortschrittlichen Widerstand anerkennen, was an Selbstmord gegrenzt hätte. Interessant ist, daß gleichzeitig, wie oben beschrieben, unter der Bush-Regierung die institutionelle Installierung des Islam in Europa gefördert wurde, wie überhaupt die Propaganda für Religion allgemein enorm verstärkt wurde. Das geht doch in die Richtung, den „Kampf der Kulturen“ à la Huntington in Europa anzufachen. Das war auch eine Zeit, in der unter den Augen der hiesigen „Sicherheitsorgane“ und ihrer V-Leute der NSU seiner mörderischen Tätigkeit nachgehen konnte. Die Frage, welche internationalen Zusammenhänge dabei eine Rolle spielten, die sich auch angesichts der möglichen Involvierung international tätiger rechter Netzwerke stellt, wird auffallend penibel umgangen. Das paßt jedenfalls ebenfalls in ein Szenario der Anheizung der Widersprüche.
Wen repräsentiert diese „Islamkonferenz“
In den verschiedenen Islamvereinen verbergen sich in dem unübersichtlichen Organisationsgeflecht die Einflüsse verschiedenster Kräfte, die über einflußreiche Vertreter teilweise auch mehr oder weniger im Hintergrund wirken: Staaten, nationale, europäische und globale Netzwerke und auch Firmen. Bei der Ausweitung und Institutionalisierung ihres Einflusses versuchen sie an einem Strang zu ziehen.
Da ist z.B. Saudi-Arabien, schon von seiner Gründung an ein Sektenstaat des Wahabismus, einer extremen Richtung des Salafismus, der eine weltweite muslimische Theokratie anstrebt, von der Art wie sie angeblich vor rund 1400 Jahren in Medina existierte. In Saudi-Arabien wird Atheismus mit Terrorismus gleichgesetzt. Manche Fäden islamistisch motivierten Terrors lassen sich in dieses Land verfolgen. Daß sie in der heutigen Welt mit dieser Einstellung nicht längst den Bach runter gegangen sind, verdanken sie ihrem Öl und der Verbindung mit den USA, von denen sie in der Region geschützt werden und die im Gegenzug den Einfluß auf dieses Öl, seine Verbindung mit der Dollarwährung und die Kontrolle über seine Verteilung für ihre Weltmachtstellung nutzen. Saudi-Arabien und sein besonders rückwärts gerichteter Islam werden seit langer Zeit als zuverlässiger Verbündeter gegen jegliche Bewegungen zum sozialen Fortschritt geschätzt. Saudi-Arabien ist auch ein wichtiger Verbündeter der Bundesrepublik (wie auch aktuell von Trumps Regierung, trotz seiner spektakulären Anti-Islam-Rhetorik, die sich eher gegen arme Einwanderer richtet), ist auch hierzulande mit Investitionen an großen Konzernen beteiligt. Die militärische Aufrüstung dieses Staates auch durch die Bundesrepublik findet ihre Grenzen nur in Ansprüchen Israels, seinen technischen Vorsprung nicht einzubüßen.
Da sind auch die Muslimbrüder zu nennen, die vielfach im Hintergrund wirken oder sich nicht als solche zu erkennen geben. Sie vertreten, daß Muslime unabhängig von den Gesetzen des Landes, in dem sie leben, sich in erster Linie der religiösen Gemeinschaft und ihren Regeln unterzuordnen haben. Zu diesem Zweck unterhalten sie auch Institutionen, die Richtlinien für jeden Lebensbereich entwickeln und verkünden. Dabei werden äußerliche Anpassung, Lernen der Sprache oder z.B. Lobbyarbeit im Anzug nicht abgelehnt, wie auch die hiesigen Vertreter äußerlich als angepaßt erscheinen. Ihnen wurde in der Nachkriegszeit in München ein wichtiges Zentrum eingerichtet, dessen Gründung Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre auch mit starker Unterstützung der USA erfolgteAnm. 4 . Von dort aus begannen sie ihre Aktivitäten in ganz Westeuropa zum Aufbau bis heute einflußreicher Netzwerke und sind darin Vorreiter. Im Kalten Krieg arbeiteten sie im Dienste der USA gegen die damals sozialistischen Länder, vor allem die Sowjetunion. Es gab auch schon eine Zusammenarbeit der frühen Muslimbrüder mit den Nazis im zweiten Weltkrieg, als in einer späten Phase des Krieges aus muslimischen Tataren- und Turkvölkern Hilfstruppen und SS-Formationen rekrutiert wurden und die Aufstachlung von religiösem Fanatismus unter den Völkern dort betrieben wurde. Teilweise wurden auch die deutschen Spezialisten der Nazis nach dem zweiten Weltkrieg von den USA mit übernommen und eingespannt.
Über die DITIB, der wegen der großen Zahl der hier lebenden Türken eine besondere Bedeutung zukommt, und deren Bestrebungen hier wurde in jüngster Zeit hierzulande einiges breiter bekannt. In der Kommission für das Leitbild saß auch ein Vertreter der DITIB. Sie ist der verlängerte Arm der türkischen Religionsbehörde, also des türkischen Staates, auch wenn man das immer abstreitet und bei Bedarf Unmengen Kreide frißt, weil DITIB eine öffentlich-rechtliche religiöse Institution in diesem Land werden will, wofür hier auch immer wieder deutsche Politiker eingetreten sind. In manchen Bundesländern ist sie dabei schon ein Stück vorangekommen. Von den hier lebenden türkischstämmigen Einwohnern gehören aber nur 13% nach Schätzungen irgendeinem der Verbände an.
Schon vor der DITIB waren islamistische Gruppen wie „Milli Görüs“ oder die faschistischen „Grauen Wölfe“ hier. Erdogan, dessen politische Heimat früher die Partei war, mit der auch „Milli Görüs“ zusammenhing, versucht heute diese Strömungen unter seiner Führung zusammenzuführen. Erdogan vertritt ganz offen, daß er die Hoheit über die hier lebenden türkischstämmigen Menschen habe, auch diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Wer Türke ist, bestimme er, das sei „eine Frage des Blutes“, wie er rassistisch argumentiert. Im Grunde ignoriert er die Souveränität dieses Landes. Das gehört ganz anders zurückgewiesen. Eine erfolgreiche Integration erfordert eine gegenseitige Anpassung und gegenseitige Toleranz. Wer aber jeden Deutschen, der einen Türken schief ansieht, berechtigt oder unberechtigt, als Rassisten beschimpft, gleichzeitig aber Erdogans rassistisch-völkische Richtung befürwortet, der will Anpassung und Toleranz nur in eine Richtung, der strebt letztlich mindestens die Hegemonie an. Chauvinismus und fanatischer Islamismus sind hier eng verbunden. Das Osmanische Reich, das als Leitbild neuerdings wieder hochgehalten wird, beanspruchte die religiöse Führung und nutzte den Islam als Rechtfertigung für sein Imperium. Und wie viel schlimmer wäre es, wenn die Türkei heute Mitglied der EU wäre, wofür sich die USA immer wieder stark gemacht haben, womit sie sich aber zum Glück nicht durchsetzen konnten. Und jetzt sieht es erst einmal gar nicht mehr danach aus.
Gegenüber der deutschen Öffentlichkeit werden bisweilen eher andere Teilnehmer an dieser „Islamkonferenz“ hervorgehoben, kleinere Organisationen und Einzelpersonen, die auch dort teilnehmen, sich moderner geben und auch teilweise Kritik an anderen Organisationen üben, aber deren Durchsetzungskraft gegenüber den anderen Organisationen doch eher schwach zu sein scheint. Manche lassen sich auch von Fall zu Fall im Namen der „Einheit des Islam“ disziplinieren und dienen, gewollt oder ungewollt, dem Einfluß von Organisationen, von denen sie sich offiziell abgrenzen. Diese „modernen islamischen Organisationen“, die von den anderen angesichts der in Aussicht gestellten Pfründe zeitweilig geduldet werden, werden allerdings gerne präsentiert, um der Versammlung nach außen einen toleranteren Anstrich zu geben. Vertreter wie Kizilkaya sind dagegen der Meinung, daß solche Kräfte gar nicht in die „Islamkonferenz“ gehören.
Der Einfluß der oben genannten Kräfte auf die neu eingewanderten Migranten, aber auch schon lange hier Lebenden, die keineswegs alle so rückständig sind wie die in der Islamkonferenz besonders einflußreichen Kräfte, wird faktisch durch diese so genannte „Islamkonferenz“ und deren Bestrebungen insgesamt gefördert, sie haben das größere GewichtAnm. 5 . Das zeigt sich letztlich auch in dem Leitbild. Das ist dem angeblichen Ziel der Integration nicht zuträglich. Speziell die Ministerin Özoguz ist auch schon in der Vergangenheit durch eine besondere Nachgiebigkeit und ein besonderes Verständnis für den „organisierten Islam“ hervorgetreten.
Warum und seit wann fördern Kräfte der Bourgeoisie hier den „politischen Islam“?
Um die Gründe zu verstehen, warum die hiesige Bourgeoisie aktuell solchen Kräften derart entgegenkommt, darf man den Klassenkampf in diesem Land nicht außer Acht lassen, der bei der Erörterung dieses Themas in manchen bürgerlichen Publikationen weggelassen wird. In diesem Land haben wir schon eine lange Geschichte der Klassenkämpfe, der Kämpfe für sozialen Fortschritt, die man heutzutage vergessen machen will. In diesem Land entwickelten Marx und Engels den wissenschaftlichen Sozialismus, wir haben eine Geschichte heftiger Klassenkämpfe. Die hohe Entwicklung der Produktivkräfte hat dieses Land schon bis an die Schwelle zur sozialen Revolution gebracht. Wenn es auch heute nicht modern ist, daran zu erinnern, überhaupt verpönt ist, gesellschaftliche Erscheinungen in ihrer geschichtlichen Entwicklung zurück zu verfolgen, ist doch eines klar: Die Bourgeoisie, national wie international, vergißt das nicht.
Deutschland ist ein hoch entwickeltes Industrieland, das sich bei seiner Entwicklung ursprünglich vor allem auf seine Industrieproduktion, auf effektive Ausbeutung der relativ disziplinierten Arbeitskräfte und zunehmend auf wissenschaftliche Innovationen gestützt hat. Es verfügt weder über besonders viele Bodenschätze, vielleicht abgesehen von Kohle und Eisenerz vor dem ersten WeltkriegAnm. 6 , noch hatte es ein großes Kolonialreich. Die stetige Entwicklung der Industrie garantierte auch der Arbeiterbewegung ein stetiges Wachstum. Das Proletariat, die besitzlose Klasse, die einen immer größeren Teil des gesellschaftlichen Reichtums erzeugte, stellte einen stetig wachsenden Anteil an der Bevölkerung dar. Die alte Sozialdemokratie, solange sie noch großenteils revolutionäre Arbeiterbewegung war, glaubte daher siegesgewiß, daß sie irgendwann automatisch die Oberhand in der Gesellschaft erringen würde und ihr der Sieg dann quasi in den Schoß fallen würde. Bis dahin müsse sie die legalen Möglichkeiten ausnutzen. Die soziale Revolution wurde mit der Zeit für viele Führer zu einer abstrakten Phrase. Karl Kautsky, angesehener Theoretiker der damaligen Sozialdemokratie, der aber auch in seiner Entwicklung ihre Degeneration und ihre Heuchelei verkörpert, schrieb z.B. in seiner Schrift „Zur Agrarfrage“: „Und die Sozialdemokratie darf ihre Siegeszuversicht schöpfen nicht nur aus der wachsenden Macht des Proletariats, sondern auch aus der wachsenden Macht der Industrie in der Gesellschaft.“ Angesichts der Stärke der Bewegung arbeiteten die herrschenden Klassen zunehmend auch mit Korrumpierung, was aber auch finanziert werden muß, also wurde auch Krieg um Kolonien und Einflußsphären eine Existenzfrage.
Bis zum ersten Weltkrieg hatten wir hier die anerkannt führende organisierte revolutionäre Arbeiterbewegung, verbunden mit der Arbeiterbewegung in den anderen, meist europäischen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, die hier nahe an die Möglichkeit zur Eroberung der Macht herangekommen war. Nach dem ersten Weltkrieg übernahmen zeitweise Arbeiter- und Soldatenräte die Macht. Die Jahre danach sahen hier große Bürgerkriege. Das will man in der allgemeinen Geschichtserinnerung eher in Vergessenheit geraten lassen, aber die Bourgeoisie vergißt das nicht und ihre Politiker sind seit damals bestrebt, es nie wieder so weit kommen zu lassen.
Der Nazifaschismus richtete sich vor allem gegen die revolutionäre Bewegung im eigenen Land, sowie gegen das erste sozialistische Land, die Sowjetunion, und insofern hatte er die Unterstützung der großen imperialistischen Länder nicht nur in Europa, sondern in der Welt. Er richtete sich auch gegen wesentliche Grundlagen der bürgerlichen Ordnung selbst, die nach der Meinung der Naziführer am Entstehen des wissenschaftlichen Sozialismus und der revolutionären Bewegung mit Schuld waren und brachte den „arischen“ Rassenwahn hervor, der über die Aussichtslosigkeit der eigenen Pläne für ein „tausendjähriges Reich“, ein großes Kolonialreich in Osteuropa, hinwegtäuschen sollte. Er brachte der revolutionären Bewegung eine große Niederlage und einen enormen Aderlaß bei und er brachte auch Korrumpierung und Demoralisierung: Der Klassenwiderspruch im Inneren sollte befriedet werden, indem zukünftig sogenannte Herrenvölker Sklavenvölker ausbeuten sollten. Während in den nazifaschistischen Phantasien auch Arbeiter als „Herrenmenschen“ andere Länder erobern, sich dort später als Wehrbauern ansiedeln sollten, (in der Realität waren sie aber doch Kanonenfutter) bevölkerten Millionen von Zwangs- und Sklavenarbeitern deutsche Fabriken und sollten sich dort buchstäblich zu Tode schuften.
Nach dem zweiten Weltkrieg, erlebte der Sozialismus international einen riesigen Aufschwung, vor allem durch den Sieg der Revolution in China. Hier in Deutschland hatten wir zeitweilig in einem Teil des Landes sogar eine Ordnung mit sozialistischem Anspruch, die aber auch erhebliche Mängel hatte. Mit der Verheizung der Arbeiterjugend im ersten Weltkrieg, mit Freikorps- und Naziterror, wieder Verheizung von Millionen im nächsten Krieg, hatte man die Bestrebungen zur sozialen Revolution einfach nicht ausrotten können. Und trotz des Revisionismus in der Sowjetunion entstanden in Westdeutschland aus der Jugend- und Studentenbewegung der sechziger- und siebziger Jahre heraus wieder Bestrebungen, an die revolutionäre Politik der KPD vor der Naziherrschaft neu wieder anzuknüpfen. Zehntausende junge Menschen waren in dieser Bewegung aktiv, wobei auch die internationale Ausstrahlung des Sozialismus in China eine Rolle spielte. Gleichzeitig war der Sozialismus in China, der auf die eigene Kraft gestützte Aufbau auch ein großes Vorbild für die Dritte Welt. Damals war es anschaulich, wie eine Parole des revolutionären China lautete: „Staaten wollen Unabhängigkeit, Nationen wollen Befreiung, Völker wollen Revolution.“ Der größte Horror der Herrschenden hier und international war damals, daß eine revolutionäre Politik unter den Arbeitern, die Ende der sechziger Jahre hierzulande sogar unabhängige Streikbewegungen gegen den Willen der Gewerkschaftsführung durchzusetzen in der Lage waren, wieder Fuß fassen könnte und sich international ausbreiten. Im Angesicht der sozialistischen Herausforderung in der Welt hatte man wieder eine gewisse Entwicklung der Industrie zulassen müssen. Das ließ weder die einheimische noch die internationale Bourgeoisie kalt. Das ist als Hintergrund unverzichtbar.
Um die arbeitende Klasse zu spalten, ihren Kampf für eine Verbesserung ihrer Lage zu schwächen, wurde eine massenweise Anwerbung von ausländischen Arbeitern betrieben, worunter die türkischen Arbeiter ab etwa Ende der sechziger Jahre die größte Gruppe waren. Das sollte zuerst in der Weise erfolgen, daß quasi unterhalb der deutschen Arbeiter, welche zum Teil auch in die Verwaltung abwanderten oder gezogen wurden, ein fast rechtloses Subproletariat etabliert werden sollte, die Arbeiter nach wenigen Jahren ausgetauscht werden sollten. Angeblich sollte das einen Arbeitskräftemangel beheben, von Einwanderungsgesellschaft war damals überhaupt keine Rede. Das war aber so, wie es betrieben wurde, absolut unakzeptabel. Das sollte doch offenkundig dazu dienen, hier die sozialen Standards zu senken, erst mal bei den ausländischen Arbeitern, gleichzeitig die deutschen Arbeiter zu korrumpieren, (es wurde vielen eine Aufstiegsperspektive vorgegaukelt, oder für ihre Kinder, die für einen Teil auch Realität wurde), wobei das Ganze natürlich dann am Ende wieder auf die Arbeitsbedingungen der Mehrheit durchschlagen mußte (wie es ja auch gekommen ist). Der Kampf dagegen war und ist gerechtfertigt und notwendig. Das war damals in der gesamten Linken unumstritten. (Aber auch die Gegenbewegung war schon aktiv, ein Jahr später begann in Whyl die grüne Kampagne.) Es war dabei klar: Nicht die angeworbenen Arbeiter sind die Gegner, sie sind Kollegen, mit denen wir uns zusammenschließen müssen, sondern die Kräfte der herrschenden Klasse, die solch ein Subproletariat etablieren wollen. Für die Gleichstellung, für gleiche Rechte dieser ausländischen Arbeiter zu kämpfen, das war damals klar eine Schlußfolgerung und war unbedingt richtig.
Aber die Dinge gingen weiter. Die Rotation, die anfänglich praktiziert wurde, erwies sich als Problem, die Unternehmer wollten gut eingearbeitete Kräfte nicht gegen ungeübte eintauschen müssen. Die ausländischen Kollegen wurden selbst schnell ein wichtiger Teil der Belegschaften und unter den Bedingungen der organisierten Industriearbeit zu organisierten und kämpferischen Kollegen, linke Kräfte gewannen unter ihnen EinflußAnm. 7, z.B. 1973 am Fließband bei Ford in Köln wurden die dortigen türkischen Arbeiter selbst zu einer kämpferischen und organisierten Kraft, die selbstständige Streiks organisierteAnm. 8 .
Ende 1973 gab es dann einen radikalen Kurswechsel, einen Anwerbestop für ausländische Arbeiter, und es wurden dann in der Folge vermehrt die Produktionsanlagen zu den billigeren und im Kampf unerfahreneren Arbeitern in den damals so genannten „Billiglohnländern“ verlagert. Aber das hatte natürlich schon einen Vorlauf. In dem Artikel von Hartmut Dicke „Die Verhandlungen der europäischen Union mit der Türkei - Symptomatisches über Machtverhältnisse und ihre Ursprünge (II)“ vom 23.September 2006 heißt es dazu:
„Von ca. 1970 an gibt es in den bürgerlichen Institutionen eine Diskussion, ob man nicht besser die „Arbeitsplätze zu den Arbeitern in ihren Ländern“ bringen sollte, anstatt die Arbeiter ins Land zu den Arbeitsplätzen. Ab 1973-74 wird von der Bourgeoisie offen diskutiert, große und größte Sektoren der Produktion aus Europa hinaus zu verlagern, damals zunächst vor allem nach Osteuropa sowie in verschiedene asiatische Länder, damals vor allem Hongkong und Korea. Diese Verlagerung zielte noch nicht unmittelbar auf China, dieses war zu diesem Zeitpunkt noch sozialistisch, aber man spekulierte bereits auf einen möglichen Umsturz der grundlegenden Linie, der der Bourgeoisie langerhoffte „Möglichkeiten“ eröffnen sollte. Man begann eine umfassende „Nord-Süd-Verlagerung“, wie es damals hieß. Im Lande selbst läuft parallel die Aufstachelung der Anti-AKW-Bewegung, die ersten bundesweit in den Medien behandelten Aktionen fielen auf den Herbst 1974. Diese Anti-AKW-Bewegung sollte wie ein Katalysator die Produktionsverlagerungen beschleunigen und steht in unzweideutigem Zusammenhang mit diesen Bemühungen.“
Die ausländischen Arbeiter, die gerade in den arbeitsintensiven Bereichen mittlerweile einen sehr großen Anteil stellten, das Bild der Belegschaften prägten, wurden als Puffer mißbraucht, nun massenweise in die Herkunftsländer zurückgeschickt, um diesen Vorgang zunächst nicht zu stark auf die einheimischen Arbeiter durchschlagen zu lassen und sie ruhig zu halten, gemeinsame Aktionen zu verhindern. Daß man vor allem die Kämpferischsten los werden wollte, dürfte selbstverständlich sein. Die Verlagerung von Industrie markierte einen Kurswechsel, der über kurz oder lang zu einer „strukturellen“, nicht mehr zeitweisen und konjunkturabhängigen Arbeitslosigkeit führen mußte, und hat es auch.
Daß man z. B. etwa von da an die fanatischen und „strengen“ muslimischen Kräfte förderte und auch verstärkt ins Land holte, um einen Keil zwischen die Arbeiter zu treiben, überhaupt hier auch ein türkisches Bürgertum, Kleinbürgertum und Lumpenproletariat entstehen ließ, hat durchaus seine Logik. Hartmut Dicke schreibt:
Darüber aber entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte ein Überbau, nicht nur ein Kleinhandel, sondern auch eine ausgedehnte religiöse Szene, ein beträchtlicher Teil von unbeschäftigten Jugendlichen, die ein Rekrutierungsfeld religiöser und rechter Kräfte bilden, somit die Herausbildung einer türkischen Gesellschaft innerhalb der deutschen Gesellschaft mit bestimmten spezifischen Merkmalen. Die Zahl der Wohnbevölkerung steigt im weiteren bis in die 2000er Jahre an. Die Polarität zwischen einem durchaus bestehenden bedeutenden Sockel aus dem Proletariat und der Angestelltenschaft, der ein wichtiges Element der Werktätigen in diesem Lande bildet, und andererseits einer heterogenen, letztlich auch von religiösen Elementen beeinflußten weiteren Szene bildet ein Charakteristikum der türkischen Gesellschaft in der Bundesrepublik. Man kann übrigens an diesen Fakten sehen, welches Gewicht es hat, wenn die türkischen angeblich linken Organisationen hier eine separierte türkische Organisierung betreiben, statt gemeinschaftlich an einer Partei aller Nationalitäten in diesem Land zu arbeiten. Die türkische Gesellschaft in Deutschland weist also selbst zwei Pole auf, deren einer zusammen mit anderen islamischen Gruppen in Richtung einer separierten, einer Sondergesellschaft sich entwickelt hat und nicht mehr vorwiegend von dem Element des türkischen Proletariats beherrscht ist, sondern von kleinbürgerlichen und freigesetzten wie von klerikalen Elementen. Die Freisetzung von Arbeitskräften und Arbeitslosigkeit durch den Kapitalismus in diesem Land, wirkt sich auch auf die türkische Gesellschaft aus. Gerade unter türkischen Jugendlichen, die keine Zukunft in der „Arbeitsgesellschaft“ mehr sehen, die zu den Freigesetzten gehören, greift eine Art Anarchismus um sich, Verwahrlosung oder auch der islamische Fundamentalismus finden hier ein weiteres Feld. (Die Verhandlungen der europäischen Union mit der Türkei Symptomatisches über Machtverhältnisse und ihre Ursprünge [II])
Der „Anwerbestop“ war keine Beendung der Immigration, sondern ein Eingriff in das soziale Gefüge. Tatsächlich wurde die Schaffung einer Parallelgesellschaft gefördert. Die fanatischen Kräfte eines politischen Islam hatten natürlich auch ihre eigenen Hintergedanken, wie das bei einer Zusammenarbeit von Reaktionären immer der Fall ist. Sie wollten über ihre Hilfsrolle, gestützt auf eine wachsende muslimische Bevölkerung, über die sie ja im Sinne der hiesigen Reaktionäre Einfluß erlangen sollten, ihre eigene Machtbasis ausbauen. Natürlich haben die Kräfte der hiesigen Bourgeoisie ein Problem, wenn diese Vorgänge zum Thema gemacht werden, zumal ja auch noch die Strategien der wichtigsten Hegemonialmacht dabei zur Sprache kommen können.
Auch die sogenannten„Grauen Wölfe“, fanatische türkisch-chauvinistische Faschisten, dienten der Aufhetzung gegeneinander und bei deren Terror gegen fortschrittlich gesonnene türkischstämmige Menschen sah man meist wegAnm. 9. Graue Wölfe und islamische Fanatiker verübten in jener Zeit zahlreiche Morde und Anschläge. Interessanterweise hatten die Grauen Wölfe hinten herum Verbindungen mit der NPD und anderen rechten Kräften, z.B. einem „Law and Order“-Vertreter Heinrich Lummer von der Berliner CDU, wie damals bekannt wurde. (Offenbar gibt es auch da eine Geschichte der Zusammenarbeit, die bis in die Nazizeit oder noch davor zurückgeht, das ist bisher wenig bekannt. Die chauvinistische, rassistische pantürkische Bewegung, die ein Großreich von China bis zu den Gebieten des ehemaligen osmanischen Reiches anstrebt, ist ideologisch eng verwandt mit dem Nazifaschismus und trat im zweiten Weltkrieg auch für eine Zusammenarbeit ein.) In der Separierung der deutschstämmigen und türkischstämmigen Bevölkerung voneinander war man sich mit der NPD einig. Solche Zusammenhänge werden natürlich von der AfD oder ähnlichen Kräften heute weitgehend ausgeblendet und auch in aktuellen Buchveröffentlichungen, die sich dem Thema widmen. Sie machen sich eher selbst zum Instrument der Spaltung. Die richtigen Kräfte müssen sich auf der richtigen Grundlage zusammenschließen, dabei kommt es nicht auf die Herkunft an, wenn eine vorwärtsweisende gesellschaftliche Stellung eingenommen wird.
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Fassen wir zusammen: Die Förderung des Islamismus in diesem Land hat eine lange Vorgeschichte. Einerseits gibt es eine lange Vorgeschichte der Kollaboration von Islamismus und Imperialismus gegen die Bestrebungen zum sozialen Fortschritt und nationaler Entwicklung. Das betrifft auch aktuell die entsprechenden Bestrebungen im Mittleren Osten. Der US-Imperialismus nutzt diesen Einfluß auch bei seinen Bestrebungen, seine Hegemonie gegenüber der EU durchzusetzen, auch mit dem Versuch, die Aufnahme der Türkei durchzudrücken, und dementsprechende Kräfte gibt es auch hierzulande, die sich dem anpassen oder auch solche, die zumindest ein Problem damit haben, diese Zusammenhänge aufzudecken. Sie stellen sich auf die Seite des vermeintlich Stärkeren und spielen mit. Das hat Ähnlichkeiten mit der Rolle einer Kompradorenbourgeoisie. Diese Kräfte werden auch durch folgende Ausführungen charakterisiert:
« Auch die Politik Europas, sich in den Windschatten der USA zu stellen, Friedensheuchelei zu betreiben und gleichzeitig in opportunistischer Weise an der internationalen Ausbeutung teilzunehmen und die USA dabei als Militärmacht vorzuschieben, muß in ihrer ganzen Heuchelei und Niedertracht entlarvt werden. Dies ist gerade das Typische des bürgerlichen und kleinbürgerlichen Spießers, auch des arbeiteraristokratischen Arbeiters in Europa, daß er sich hinstellt und sagt: wir sind nicht so aggressiv wie die USA; wir profitieren nur ein bißchen überall mit und sind eine „Macht des Friedens“, und man muß dann stillschweigend hinzufügen, eine Macht, die sich auf Kosten anderer bereichert. Diese Mentalität allerdings ist etwas, was als grundsätzliches stinkendes Übel in Europa in allen Ländern kritisiert werden muß.» ("Die Verhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei - Symptomatisches über Machtverhältnisse und ihre Ursprünge“ Kapitel 1 „Über die internationalen Widersprüche" von Hartmut Dicke, 24.Oktober 2005.)
Mit einer solchen Richtung haben wir es hier offenbar zu tun. Gleichzeitig hat die hiesige Bourgeoisie auch ihre eigene Kollaboration mit diesen Kräften, in früheren Zeiten, als auch im Klassenkampf der Bundesrepublik. Darauf sind wir hier näher eingegangen. In neuerer Zeit hat mit der Verschiebung der Produktion nach Asien und dem zeitweiligen Ende der sozialistischen Herausforderung die Wichtigkeit Europas abgenommen, und es gerät mehr ins Hintertreffen. Wäre Erdogan in der EU, hätte der Hegemonismus, ob von Seiten der USA oder Russlands, ein weiteres Bein in Europa. Eine Richtung, wie sie in dem Papier der FES zu Ausdruck kommt, ist wirklich selbstmörderisch. Die grünen und selbstverleugnenden Einflüsse müssen bekämpft werden wie die des Ausruhens und Profitierens unter dem Schirm des Hegemonismus. An dem Positiven in unserer Geschichte muß angeknüpft werden. Dazu gehört auch die heutige Weltoffenheit und Bereitschaft, mit Menschen anderer Herkunft zusammen zu leben, aber nicht Unterwürfigkeit gegenüber Kräften, die die Dominanz des Islamismus anstreben und dabei mit hegemonistischen imperialistischen Kräften zusammenarbeiten.
Die USA fördern den Islamismus schon lange als Kraft gegen den sozialen Fortschritt, gerade auch in der Region des Mittleren Ostens, die unterentwickelt und von ihnen abhängig bleiben soll, auch wenn sie ihn immer wieder gleichzeitig als globalen Gegner darstellen. Das gilt aber umgekehrt auch für die Seite der Islamisten. Man will auch anscheinend die Welt in völlig unfruchtbare, anachronistische religiöse Auseinandersetzungen hineinziehen, um die Kräfte der Massen zu spalten, die sozialen Fortschritt fordern, die eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen fordern. Internationale Solidarität mit diesen Bestrebungen ist überlebenswichtig. Wenn Angela Merkel als Gegenmaßnahme gegen den islamistischen Terror eine Rückkehr zur Frömmigkeit fordert, man solle Blockflöte lernen und religiöse Lieder singen, dann geht es genau in die Richtung der Segmentierung nach unfruchtbaren, anachronistischen Kriterien. Aber sie machen die Rechnung ohne die Milliarden auf der Welt, die eine Entwicklungsperspektive zu Recht fordern. Auch wenn da in der Kultur manche Unterschiede bestehen, gibt es doch auf dieser Basis die Möglichkeit zur Einheit. Insbesondere muß sich die Arbeiterbewegung international zusammenfinden.
Anm. 1 Die Broschüre mit dem Titel „Miteinander in Vielfalt“, die neben dem eigentlichen „Leitbild“ auch noch erläuternde Texte und ein Nachwort der Friedrich-Ebert-Stiftung enthält, kann als PDF-Ausgabe im Internet heruntergeladen werden unter der Adresse < http://library.fes.de/pdf-files/dialog/13185.pdf >. Eventuelle Seitenangaben nach dieser Broschüre. Anm. 2 Hartmut Dicke, langjähriger Vorsitzender unserer Organisation, hat in dieser Schrift „Die Frage der politischen Entwicklung in Deutschland, die Klassenfrage und die nationale Frage“ eine grundlegende Analyse vorgelegt, die man auch im Zusammenhang mit der Schrift „Proletarische Revolution und nationale Frage - Die Doppellage im Ausgang des ersten Weltkriegs“ sehen muß. Nicht lange nach Fertigstellung dieser Schrift wurde er im Frühjahr 2008 innerhalb kurzer Zeit buchstäblich aus dem Leben gerissen. Wie das herbeigeführt wurde, muß noch vollständig geklärt werden. Es gab ein hohes Interesse der Reaktion an seiner Beseitigung und das wäre nicht das erste Mal. Diese Analysen, wie auch andere von Hartmut Dicke, der in seiner politischen Praxis nie das Ziel der klassenlosen Gesellschaft aus den Augen gelassen hat, sind grundlegend für eine revolutionäre Politik hierzulande und darüber hinaus und bestätigen sich heute deutlich. Anm. 3 Die bürgerliche parlamentarische Demokratie ist eine Form der Diktatur der Bourgeoisie, die geeignet war, ihre Herrschaft gegen die vorher herrschenden feudalen Kräfte durchzusetzen und zu festigen, deren Ordnung der Privilegierung von Geburt an zur Auflösung zu bringen. (In Deutschland waren die demokratischen Bestrebungen der Bourgeoisie allerdings schwächer entwickelt, weil hier die Bourgeoisie bei ihrem Aufstieg aus Angst vor dem Klassenkampf einen Kompromiß mit den halbfeudalen Kräften schloß) Schon die Demokratie in Athen war gleichzeitig Diktatur der Sklavenhalter. Die Silbe -kratie bedeutet Herrschaft und Herrschaft ist immer Herrschaft über jemanden. Anm.4 Siehe auch das Buch von Ian Johnson „Die vierte Moschee“. (Englisch: A Mosque in Munich“) Der Titel kommt daher, daß der Autor in London eine Karte von Islamisten gefunden hatte, in der die vier für sie wichtigsten Moscheen auf der Welt markiert waren, die vierte war die in München, als ein wichtiges Zentrum der Muslimbrüder in Europa. Den Muslimbrüdern wird großer Einfluß auf globale terroristische Bestrebungen zugeschrieben. Ist das der Grund, warum in Deutschland relativ weniger islamistische Anschläge ausgeführt wurden? Weil man diesen Stützpunkt nicht gefährden will? Anm. 5 Erst vor kurzem hat ein gewisser Constantin Schreiber, ehemals Moderator eine Sendung für syrische Flüchtlinge, dem Tagesspiegel darüber berichtet, wie er 8 Monate lang in 20 Moscheen die Freitagspredigten besucht hat. ("Hoppla, was wird denn hier für eine Meinung verbreitet!") So hatte er mit einem Filmteam angemeldet an einer Predigt teilgenommen, die erstaunlich integrativ und Deutschland lobend gewesen sei, aber als an einem anderen Freitag jemand inkognito da war, da war der Inhalt entgegengesetzt. Auch hätten ihm Imame versichert, daß ihre Moscheen Orte der Integration seien, aber bis auf einen hätten sie alle kein Deutsch gesprochen. Er berichtete über die von ihm besuchten Predigten: „Der Aufruf zur Abgrenzung zieht sich wie ein roter Faden durch die Texte. [..] In einer anderen Moschee wurde sehr offen gegen Jesiden, Armenier und Juden gehetzt, und als ich mit dem Imam geredet habe, hat er ganz offen gesagt, dass für ihn Jesiden Symbol der Barbarei seien und es in keinem Land der Welt Jesiden geben dürfe.“ Zu einem Besuch einer Moschee in Potsdam, die von der Stadt für syrische Flüchtlinge eingerichtet wurde: „Als ich dort war, hielt ein sehr konservativer Imam die Predigt, den die syrischen Flüchtlinge von der Kleidung her als salafistisch bezeichneten. Und der predigte, man dürfe sich nicht mit Christen befreunden, sondern nur mit streng gläubigen Muslimen und solle den Islam verbreiten. Die syrischen Flüchtlinge, mit denen ich gesprochen habe, waren total überrascht, was hier für aggressive, rückwärtsgewandte Predigten gehalten werden, das kannten sie aus Syrien nicht.“ Anm. 6 Nach dem ersten Weltkrieg verlor Deutschland große Gebiete mit Kohle- und Erzvorkommen. Anm. 7 Einen negativen Einfluß hatten allerdings pseudolinke und revisionistische Kräfte unter ihnen, die die türkischen Arbeiter, die das stärkste Kontingent der ausländischen Arbeiter stellten, nur auf die sozialen Kämpfe in der Türkei orientieren wollten, sie separat organisierten und sie davon abbringen wollten, sich als Arbeiter in Deutschland auf den Klassenkampf in Deutschland zu orientieren. Die erhebliche Sprachbarriere tat auch ihren Teil und wurde zur Separierung genutzt. Anm. 8 Möglicherweise hat man dies extra provoziert, um das dann als Anlaß für den Anwerbestop zu gebrauchen. Anwerbestop und Verlagerung der Industrie stehen auf jeden Fall in einem engen Zusammenhang. Anm.9 Innerhalb der grauen Wölfe waren auch Kräfte des türkischen „Tiefen Staats“, mit dem Nato-Geheimdienst eng verbunden, sehr einflußreich, also Kräfte des damaligen Oberherrn (im Westen). Diese kämpften in der Türkei ebenfalls gegen die zeitweilig erstarkende revolutionäre Bewegung, gerade auch unter der Jugend. Auch das verschaffte ihnen in Westdeutschland, das gegenüber den USA sowieso nicht völlig souverän war, sehr viel Spielraum. Diese Kräfte existieren noch immer, stellen den Islam heute mehr in den Vordergrund, arbeiten z.Zt. in der Türkei mit Erdogan zusammen und haben auch verdeckt ebenfalls Anteil an der Islamkonferenz.
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