- NEUE EINHEIT   Extrablatt Nr.35 vom 31.12.98 / 1.01.99


Zum Jahreswechsel

Mit dem Jahreswechsel 1998/1999 erfolgt das letzte Mal ganz innerhalb dieses Jahrhunderts und Jahrtausends ein Jahreswechsel. Bereits heute erstrecken sich die Gedanken nicht nur darauf, was das nächste wichtige Jahr bringen wird, sondern auch welche Perspektiven für das nächste Jahrhundert bestehen, und sogar für das nächste Jahrtausend. Dies ist ein Anlaß, zum diesjährigen Jahreswechsel, an dem sich wichtige geschichtliche Daten in Erinnerung rufen, einen kurzen Rundblick zu tun.

In dem vergangenen Jahr 1998 hatte es einen tiefen Einschnitt dadurch gegeben, daß vielen Millionen von Menschen in Asien, in Rußland, in Lateinamerika und Afrika die Illusionen über einen "glückbringenden" Kapitalismus, einen Kapitalismus, wie er von den Menschenrechtlern und" Reformern" gepriesen worden ist, zunichte gemacht worden sind. Die Krise, die im Sommer dieses Jahres, nachdem sie bereits 1997 begonnen hatte, in großen Staaten wie Indonesien und Rußland ausgebrochen ist, enthält viele Hinweise, daß sie trotz der kolossalen Bemühungen, ihr mit allen Kniffen der Finanztechnik und Regulierung zu begegnen, in eine umfassendere Weltkrise führt. Bis jetzt deutet nichts darauf hin, daß die führenden Kräfte des Kapitalismus und der Finanzoligarchie hier irgendetwas korrigieren können.

Es hat sich gezeigt, daß die Grundgesetze des Kapitalismus, wie sie von Marx und Engels in dem Kommunistischen Manifest, das 1998 seinen 150. Geburtstag feierte, dargelegt wurden, nach wie vor hochaktuell sind. All die Gesetze über den Kapitalismus, die Konzentration des Kapitals und die widersprüchliche Haltung des Kapitals zu der von ihm selbst erzeugten gesellschaftlichen Realität werden drastischer vor Augen geführt, als es je im Kapitalismus im alten Europa von 1850 bis ca 1950 erkennbar war. Alle gesellschaftlichen Skrupel werden von den Zentren des Kapitals über Bord geschmissen, die Ausbeutung mit all ihren Erscheinungen betrieben, die wir schon vom Manchester-Kapitalismus kennen, sobald nur der Eindruck entstanden war, daß das internationale Proletariat und das Volk keine wirkliche Interessenvertretung mehr haben. Die Schutzfunktion der bürgerlichen Demokratie für das Volk, für die Interessen der Arbeiter erweist sich aber als fast Null. Das Kapital ist seiner Sache sicher in solchen sog. demokratischen Ländern, und kann es auch sein, denn es hält Parteien an der Macht, die man zwar abwechselnd wählen kann, die aber alle miteinander sich in der Lakaienhaftigkeit vor der internationalen Ordnung, die den heutigen Weltkapitalismus repräsentiert, zu überbieten trachten.

Wenn man heute das Kriterium für Progressivität stellt, dann muß man vor allem zwei Prüfsteine aufstellen:
Erstens, ist die betreffende Kraft bereit, dieser neuen internationalen Ordnung mit dem Finanzkapital an der Spitze die Stirn zu bieten, und zweitens, vertritt diese Kraft auch das Element der Moderne, das Element einer Gesellschaft, die dieser heutigen imperialistischen und kapitalistischen "Superordnung" progressiver gegenübersteht, als diese selbst ist.

Es gibt heute viele Arten der Opposition gegenüber diesem Kapitalismus und Imperialismus. Manche träumen von einem Kapitalismus, wie er noch vor einigen Jahrzehnten existierte, in der gewisse kapitalistische Kräfte, aber auch ein beträchtlicher Teil der Arbeiteraristokratie in relativ geordneten Bahnen steckten. Oder manche träumen auch von einer anarchistischen Gesellschaft, in der angeblich alle Bande aufgelöst werden, und die Produktion auch auf ein viel tieferes Niveau heruntergezogen wird. Manche reden von einer sogenannten alternativen Ordnung daher, von einer bewußten Beschränkung der Beherrschung der Natur und von der Selbstbescheidung des Menschen, wobei sie die zentralen Kräfte der heutigen internationalen kapitalistischen Herrschaft unangetastet lassen. Um eines klarzustellen: die Verwirklichung derartige Ziele, wie sie soeben genannt wurden, ist in jedem Fall noch um ein vielfaches schlimmer, als die jetzige herrschende Ordnung und ihre zu erwartende Entwicklung. Opposition gegen den Kapitalismus ist nicht gleich Opposition gegen den Kapitalismus. Dazwischen liegen Welten. Wie Lenin zurecht in Fortführung des Marxismus feststellte, ist der Imperialismus progressiv gegenüber allen früheren Formen des Kapitalismus, das Gleiche gilt auch für die Weiterentwicklung der kapitalistischen imperialistischen Welt, wie sie sich so imposant in den letzten 25 Jahren vollzogen hat.

Der Kapitalismus von heute benutzt alle gesellschaftlichen Tendenzen, um sich an der Macht zu halten, um sich selbst auch in anderen Ländern weiterzuentwickeln. Darunter sind insbesondere die verschiedenen fundamentalistischen Kampagnen zu erwähnen, von denen einige behaupten, sie würden den Kapitalismus kritisieren; in Wirklichkeit kratzen sie die Herrschaft des heutigen Kapitalismus und Imperialismus nicht im geringsten an. Da gab es die angebliche Bewegung zum Erhalt der natürlichen Bedingungen auf der Erde (Ökologismus), die heute nahezu vollständig in den Kapitalismus integriert ist. Da gab es fundamentalistische Kampagnen auf religiöser Basis, z.B. der neue Islamismus, auch dieser wandelte unter dem Vorzeichen des Antikapitalismus herum, aber er hat nicht im geringsten den Kapitalismus kritisiert. Allenfalls hatte er die Völker ins Elend gestoßen wie z.B. in Afghanistan. Überall wo der islamische Fundamentalismus regiert, regiert er auch in bester Symbiose mit dem internationalen Kapital. Der Kapitalismus ist pragmatisch, wendet jede Methode an, die ihm geeignet erscheint. Gestern kommt er in Form autoritärer Regime - sagen wir in Form eines Autoritarismus eines Ronald Reagan oder auch eines Autoritarismus, wie ihn die klassische katholische Kirche vertritt - heute aber kommt er in Form von Liberalismus, der angeblichen Freiheit von allem und jedem, in Wirklichkeit der Freiheit der gezielten Ausbeutung und der Freiheit der Zerstörung jeder Art von gesellschaftlichen Zusammenhängen und Substanz, einschließlich der Propagierung der Rauschgiftkultur oder völliger sexueller Zügellosigkeit, deren Kritik er dann in die Kategorie "kirchliche Einstellung" abzuschieben versucht, derweil er selbst gestern noch die autoritäre Kirche unverhohlen unterstützt hat. Alles ist ihm recht, wenn es nur zur Unterdrückung, wenn es nur zur Ablenkung, wenn es nur zur Zersetzung dient.

Manche Menschen werden an diesem Punkt erwidern, daß auch der Kommunismus die Menschen ins Elend gestürzt habe, und sie verweisen dabei auf Rußland oder andere Länder, die vor Jahrzehnten eine kommunistische oder annähernd kommunistische Gesellschaftsordnung hatten. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Revolution von 1917 und der sozialistische Aufbau von den Zwanzigern bis in die fünfziger Jahre der gesamten Entwicklung des 20. Jahrhunderts die Impulse gegeben haben, neue grundsätzliche Maßstäbe gegeben haben, die allen Menschen das Glück zubilligen. Der sozialistische Aufbau war großartig, hat den Kapitalismus selbst zu großen Anstrengungen getrieben, und auch weltweit die marxistische Erkenntnis und den Willen zur Fortentwicklung der Menschheit zu der grundlegenden, zur beherrschenden Strömung in der überwiegenden Zeit dieses Jahrhunderts gemacht. Wir profitieren heute noch davon. Der Kapitalismus hat, wie schon erwähnt, alle angeblichen sozialen Grundsätze sofort über Bord geschmissen, sobald er den Kommunismus überwunden geglaubt hat. Schließlich ist der große Aufbau in China, der Volkskrieg von 1927 bis 1949, der unglaubliche Volkskräfte entfaltet hat und der größten Macht des Kapitalismus, den USA, eine erste große geschichtliche Niederlage beigebracht hat, ein weiteres zentrales Ereignis dieses Jahrhunderts. Die Aufbauideen des sozialistischen China lernten bereits aus den Erfahrungen der Sowjetunion, und sie brachten die historische Kraft der ältesten und größten Nation der Erde zur Geltung. Auch wenn heute in China, nach dem Umbruch 1976-78, ein kapitalistischer Weg beschritten wurde, dessen Protagonisten sich verschiedene Einseitigkeiten der vorherigen Entwicklungen zunutze machten, der aber auch den politischen Schwung der Revolution für seine Ziele ausnutzte, so ist doch die Umwandlung Chinas das vielleicht markanteste Merkmal der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der sozialistische Aufbau der Sowjetunion hat, bis er in Revisionismus und Erstarrung verfiel, der Menschheit einen unermeßlichen Erfahrungsschatz gegeben, durch praktisches Beispiel, durch positives Beispiel, aber auch durch negatives, denn nur in der Praxis kann eine solche Gesellschaftsordnung ausgelotet werden. Auch die sozialistische Revolution in China und die Errichtung und Weiterführung der Volksrepublik konnte nur erreicht werden, weil die Sowjetunion so entschieden in der Stalinschen Epoche verteidigt wurde.

Mit den neunziger Jahren, mit der Entwicklung ganz neuer Produktivkräfte gab es auch, obwohl man unter dem Vorzeichen der alternativen Bewegung 20 Jahre zuvor zunächst einmal eigentlich zurückkehren wollte zur Kleinproduktion, eine neue Stufe der Internationalisierung. Die neuen Mittel der Kommunikation bringen auch eine Revolution in der Information und damit neue Möglichkeiten der Demokratisierung mit sich. Es gibt einige Ideologen des Kapitals, die darauf verweisen, daß die alten kommunistischen Systeme etwa unter Stalin oder Mao Zedong nicht Bestand hätten haben können, wenn eine solche neue internationale revolutionäre Kommunikation existiert. Und obwohl wir ja die historische Bedeutung dieser beiden Systeme so positiv einschätzen, so wollen wir konzedieren, daß bestimmte Momente der Schwerfälligkeit und der Abgeschlossenheit, wie sie damals existierten, in der Tat mit dieser modernen Entwicklung unverträglich wären. Aber das ist nur die eine Seite. Die andere ist, daß auch der Kapitalismus Information entschieden fürchtet, und es ist noch sehr die Frage, wer am Schluß mehr argumentieren kann und die Massen und damit die entscheidenden politischen Kräfte auf seiner Seite haben wird. In der Tat gab es einen nicht geringen Teil von Kommunisten, die rückwärts gewandt sind, die Gegner einer modernen Technik sind, und die heute nicht zufällig auf der Seite der Naturschutzbündler und Alternativen stehen, oder die sich sogar zu Anti-Wachstums-Aposteln entwickelt haben. Sie bilden in der Tat eine Sackgasse. Aber die Ideen der großen sozialistischen Führer stehen keineswegs im Gegensatz zu dieser modernen Technik, denn sie sehen eine möglichst weitgehende Auseinandersetzung letztlich auch als eine Fundierung einer tiefgehenden sozialistischen Bewegung an. Mao Zedong hätte eine solche Entwicklung nicht gefürchtet, und eine neue Kultur revolutionärer Entwicklung in China in die Wege geleitet, die nach Möglichkeit auf breiter Basis diese Technik auch angewendet hätte. Nebenbei bemerkt zeigt sich, daß gewisse Strömungen, wie sie bei der sogenannten Viererbande vorhanden waren und die in einer Geringschätzung der Technik und der Grundlagenforschung sich äußerten, in der Tat in der Geschichte zum Scheitern verurteilt gewesen wären.

Für die sozialistischen Ideen sind daher bessere Voraussetzungen gegeben als früher, und in einem gewissen Sinn kann man postulieren: der Sozialismus fängt erst richtig an. Die Pioniertaten des 20. Jahrhunderts werden sicherlich irgendwann einmal als mühsame Durchbruchsarbeit begriffen werden. Aber als solche sind sie natürlich schon sehr wichtig und werden den Menschen im Gedächtnis bleiben. Andere grundlegende gesellschaftliche Errungenschaften der Menschheit haben sich ebenfalls nur in einem mühsamen Hin und Her entwickelt, manchmal sogar noch viel komplizierter als in dem Fall unseres Jahrhunderts.

In der heutigen Lage gibt es auch Gefahren. Die modernen sozialen Widersprüche entwickeln sich in Ländern mit einer langwierigen feudalen oder asiatischen Tradition, in der es wenig demokratische Kultur gegeben hat. Der Kapitalismus wäre nicht der Kapitalismus, wenn er nicht versuchen würde, dies für sich auszunutzen und Mentalitäten des Fatalismus und Selbstverleugnung in diesen Ländern zu verfestigen. Er wird versuchen, da, wo sich Widerstand entwickelt, die Proletarier erneut zu verlassen und die Ausbeutung in andere Schichten und Regionen hineinzutragen, die vorherigen Arbeitskräfte sich selbst oder dem Verfall zu überlassen und so durch die Ausnutzung des Menschenreservoirs seine Herrschaft zu verewigen.

Auf die Arbeiterklasse in den entwickelten Ländern schlägt heute voll die Tendenz zurück, sich nur mangelhaft um die Ausbeutung dieser Länder zu kümmern und den Arbeiteraristokratismus zu akzeptieren. Heute sind neue Ansätze zu schaffen unter den Menschen, die die Folgen dieser neuen Entwicklung tragen. Die ganzen letzten drei Jahrzehnte sind durch keinen Vorgang mehr geprägt als den, daß aus entwickelten und kapitalistischen Ländern ganze Produktionszweige verlagert worden sind, und neue Produktions-Verhältnisse (im wahrsten Sinne des Wortes) weltweit geschaffen worden sind. Die Spaltung bezieht sich mehr denn je auf ganze Regionen in der Welt. Aufgabe heutiger Kommunisten ist es, die Menschen, das heißt natürlich die progressiven Menschen, auf die Verbindung mit dieser Ausbeutung in der 3. Welt hinzuweisen und sie für die Unterstützung des proletarischen Kampfes in diesem internationalen Sinne und für die Regeneration der sozialistischen Parteien in den alten kapitalistischen Ländern zu gewinnen. Die Verbindung zwischen beidem wird die Schlüsselaufgabe für die heutigen internationalen sozialistischen Parteien sein.
 


Einige historische Erinnerungen des abgelaufenen Jahres

Unsere Organisation legt an erster Stelle Wert auf die notwendigen Aufgaben, die sich in der konkreten Praxis stellen, die Weiterführung der Bewegung, die theoretische Erfassung der heutigen Realität usw. Dies ist ausreichend und auslastend für eine Gruppe wie unsere. Gedenktage haben für uns nur eine zweitrangige Rolle. Wir gehören nicht zu den Kommunisten, die jeden Geburtstag und jedes historische Jubiläum feiern, aber in den substantiellen Aufgaben vollkommen hinterherhinken. Leider gibt es diesen letztgenannten Typus des öfteren. Da nun die Jahre 1998 und 1999, zum Teil sogar zusammenhängend, so viele Jubiläen aufweisen, wollen wir hier kurz einmal auf einige wesentliche Aspekte eingehen, zumal einige in einem sehr konkreten Zusammenhang mit der heutigen Entwicklung stehen.

Wir gedenken zum einen der 150. Wiederkehr der Revolution von 1848/49. Diese Revolution war die erste gesamteuropäische Revolution, bei der sich in vielen Zentren in kurzer Abfolge zumeist sowohl die Bürger als auch die Arbeiter erhoben, um das aristokratische und finanzoligarchische Joch abzuschütteln, das sich seit der Französischen Revolution entwickelt hatte. Karl Marx und Friedrich Engels analysierten in dieser Revolution sehr deutlich die Rolle der verschiedenen Klassen, der Haute-Bourgeoisie, der industriellen Bourgeoisie, des Proletariats und des Kleinbürgertums. In ihren berühmten Schriften zur Revolution in Deutschland und den Klassenkämpfen in Frankreich brachten sie zum ersten Mal eine detaillierte Analyse der Klassenzusammenhänge hervor. (Sie setzen bei ihrer Analyse, das darf man nicht vergessen, die Struktur der europäischen Zivilisation als Grundlage voraus.) Der Februar 1848, der den Ausbruch der Revolution markierte, war zugleich das Datum der Veröffentlichung des Kommunistischen Manifestes, das zum erstenmal in programmatischer und populärer Form die historische Rolle des Proletariats und auch die Vergänglichkeit der Bourgeoisie formulierte. Inmitten der Entfaltung der bürgerlichen Kräfte meldete sich eine grundsätzlich andere Anschauung, nämlich die historisch bewußte Arbeiterklasse zu Wort. Dies geschah durch die damals fortgeschrittensten Intellektuellen, die mit dem bürgerlichen Regime gebrochen hatten. Seitdem hat sich aus diesem kleinen Funken in Europa ein weltweiter und wechselhafter Kampf entwickelt. Die Kommunisten mußten sich seitdem mit zahlreichen anderen gesellschaftlichen Formationen am Rande Europas oder außerhalb dieses Kontinents auseinandersetzen und zahllose neue Analysen entwickeln.

Unser Land im besonderen gedachte auch des Jahres 1648, denn 200 Jahre vor jenem Geschehen von 1848 fand in Münster und Osnabrück der Westfälische Frieden statt. Nach 30 Jahren verheerendsten Krieges kam es zu einem internationalen Vertrag, der unser Land politisch knebelte und zumindest zu einem beträchtlichen Teil regelrecht versklavte. Er war aber nicht nur ein Vertrag, der den 30jährigen Krieg beendete, sondern im Grunde genommen ein Schlußstein eines 130- jährigen Bürgerkrieges, der sich seit der Erhebung des großen Bauernkrieges um 1520 zugetragen hatte. Deutschland war als historische Kraft ausgeschaltet. Über 350 Einzelstaaten, zumeist unter der Führung kleiner Potentaten, konnten eigenmächtige Verträge abschließen, ausländische Mächte konnten nach eigenem Gutdünken innerhalb Deutschlands schalten und walten. Durch Deutschland ging der Riß der Konfessionen, der den ganzen Kontinent beherrschte. Das Land war ausgeliefert der verräterischen habsburgischen Macht im Süden. Diese hatte jegliche Rolle in der nationalen Frage verraten und sogar Hand an diejenigen gelegt, die es gewagt hatten, an dem Zusammenhang des Landes zu arbeiten. Auf der anderen Seite kündigte sich eine neue Großmacht an, Brandenburg-Preußen, das lange Zeit ebenfalls jede gesamtdeutsche Rolle leugnete, das an der Spaltung arbeitete und erst durch die napoleonischen Kriege und vor allem durch die Industrialisierung der dreißiger und vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts und schließlich durch die Revolution von 48/49 in einer beschränkten Weise sich die deutsche Einigung zum Ziele machte. Auf Deutschland lastete damals die eigene Vergangenheit. Einst die führende feudale Macht in der Zeit des Hochmittelalters in Europa, war sie gerade wegen ihres Feudalismus politisch zurückgeblieben und war nun ins Abseits gestellt. Nur in einigen einzelnen deutschen Staaten fand die Entwicklung Anschluß an die moderne bürgerliche Entwicklung, wie sie in den Niederlanden und England stattfand. Erst die Revolution von 1848 begann mit diesen Zuständen von innen heraus Schluß zu machen. Allerdings war sie viel zu schwach, um mit den spalterischen Mächten aufzuräumen. Die bürgerlichen Revolutionäre von 1848 waren nicht imstande, dem preußisch-österreichischen Doppelregime in Deutschland den Kampf anzusagen. Und Kräfte wie die von Marx und Engels geleiteten konnten diese Zielsetzung auch mehr oder minder nur propagieren. Das historische Erbe der besonderen Entwicklung hat auch auf den weiteren Revolutionen und unserer Entwicklung gelastet. Und es lastet sogar, wenn auch unter ganz anderen internationalen Bedingungen, noch heute auf uns. Es sei daran erinnert, daß Friedrich Engels das deutsche Kleinbürgertum als die Frucht einer gescheiterten Revolution (nämlich der des 16. Jahrhunderts) bezeichnete.

Vor 80 Jahren, von November 1918 an aber erhob sich nach dem 1. Weltkrieg das deutsche Proletariat. Die November-Revolution, mit der man meistens die Revolution vom November 1918 bis circa Januar-Februar 1919 beschreibt, ist in Wirklichkeit nur die erste Phase eines revolutionären Bürgerkriegs, der sich in mehreren Wellen bis 1923 und, wenn man so will, sogar bis 1933 hinzog. Er sollte das Thema einer anderen längeren Abhandlung sein. Auf jeden Fall ist es die bedeutendste Revolution, die wir in einem entwickelten kapitalistischen Land als bewaffneten Kampf des Proletariats, wie auch als politisch-propagandistischen Kampf innerhalb der bürgerlichen Republik haben. Die Erfahrungen dieses Kampfes sind bis heute noch nicht ausreichend beschrieben. Zum Jahreswechsel 1918/19, das heißt genau vor 80 Jahren, wurde die KPD gegründet. Dies geschah in großer Eile, aus der Notwendigkeit der Situation heraus. Wir wissen heute, daß die KPD es nicht wirklich schaffte, den Sozialdemokratismus zu kritisieren, und in vielem trotz bester Absichten und revolutionärer Ergebenheit die Unzulänglichkeiten und verräterischen Momente, die der Sozialdemokratie anhafteten, nicht ausreichend überwand.

Auf das brutalste wurden die Arbeiter in jenen Tagen unterdrückt, Tausende kamen bereits im Januar-Februar 1919 ums Leben, revolutionäre Führer, darunter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, wurden ermordet von ultrarechten Organisationen, die im Auftrage der Sozialdemokratie und bürgerlicher Parteien handelten. Als sehr bezeichnend kann man eine Situation nehmen, wie sie sich auf einem Kongreß der Arbeiter- und Soldatendeputierten im Dezember 1918 stellte. Die Mehrheitssozialdemokratie, die den imperialistischen Krieg Deutschland unterstützt hatte, und von der ein Teil jetzt offenbar die pazifistischen Phrasen vertrat, warfen der neuen revolutionären Partei nun vor, einen neuen Militarismus zu repräsentieren. Welch unglaubliche Verleumdung! Aber wir begegnen ihr nicht nur damals.

Das Jahr 1998 hatte noch einen anderen berühmten Vorläufer. Das ist das Jahr 1898. Es wurde seinerzeit als der Beginn des imperialistischen Zeitalters bezeichnet, des Zeitalters der um Verteilung der Kolonien und der Machteinflüsse ringenden kapitalistischen Mächte. Kennzeichen dafür war der spanisch-amerikanische Krieg, mit dem die USA endgültig ihre Herrschaft über den gesamten amerikanischen Kontinent absicherten, aber auch ihre dominante Rolle gegenüber anderen Erdteilen auszuspielen begannen. In der heutigen Zeit, in der die USA, zum Teil maßgeblich in Verbindung mit finanzoligarchischen Gruppierungen, die bis nach Großbritannien und anderen Staaten hinüberreichen, die einzige Weltmacht sind, ist es von Wert, an den Beginn dieser Entwicklung zu erinnern.

Schließlich sollte man noch an die sogenannte 68er-Bewegung erinnern, die vor 30 Jahren zu einem Ausgangspunkt einer neuen revolutionären Entwicklung wurde. Von der sogenannten 68er-Bewegung zu sprechen ist deshalb wichtig, weil sich die Studentenbewegung genau genommen bereits von Anfang 1966 bis ca. 1972 erstreckte. 1968 war allerdings ein Jahr, in dem sich international und im Lande in dieser Auseinandersetzung eine neue Qualität entwickelte. Die große Vergesellschaftung der Produktion, die Konzentration der Arbeiterklasse bildete das prägnanteste Merkmal der damaligen Zeit in den europäischen Ländern, war aber seit der Niederschlagung der revolutionären Bewegungen im Jahre 1933 politisch nicht mehr zur Geltung gekommen. In dieser Zeit sieht sie sich wieder in das öffentliche Gedächtnis zurückgerufen. Der Marxismus bekam mit einem Mal wieder rasche und populäre Verbreitung. Das ist die eine Seite der "roten" Sechziger. Aber bei weitem nicht die einzige.

Dazu kommen Erschütterungen, die die westliche sogenannte Demokratie belasten: die Barbarei des Vietnamkrieges, die Offenbarung, daß die "Demokratie" nicht die freie Entscheidung für den Kommunismus eines Volkes bzw. eines Landes beinhaltet. Weiter sind zu nennen die chinesische Kulturrevolution und der Marxismus-Leninismus vertreten durch Mao Zedong, die klarmachten, daß die chinesischen Revolutionäre entschlossen waren, aus Fehlentwicklungen der Vergangenheit Konsequenzen zu ziehen - es vollzog sich eine Volksrevolution unter den Bedingungen des Kommunismus und für dessen Erhaltung und Verbesserung. Auch wenn wir wissen, daß diese Kulturrevolution wie jede Revolution eine Reihe unbeabsichtigter, von Einseitigkeit beherrschte Eruptionen hervorgebracht hat, so stellt sie einen Maßstab setzenden Versuch der Revolution dar, neue Fortsetzer der Revolution in der Praxis hervorzubringen, die Revolution unter der Diktatur des Proletariats fortzusetzen. Nach fast 50 Jahren Revolution, und verschiedenen revolutionären Kampagnen, zeigten Mao Zedong und die kommunistische Partei Chinas unter Mao Zedong, daß sie gewillt waren, die Revolution nicht bei dem bisher Erreichten zu belassen und der Regeneration der ausbeutenden Klassen den Kampf anzusagen. Sie stützten sich dabei ohne Zweifel auch auf die Größe und auf die langen kulturellen Traditionen dieses Landes, die günstige Faktoren waren, aber die Sache hatte, wenn auch mit gewissen Variationen, Allgemeingültigkeit, sie zog eine Welterschütterung nach sich.

Nicht nur daß der Revisionismus vernichtend getroffen wurde, wie er in der Sowjetunion repräsent war, auch der Westen geriet ins Wanken. Hatte er nicht überall verkündet, die Degeneration sei unvermeidlich, die kommunistische Revolution nicht sinnvoll, so sah man ihn jetzt überall bemüht, alle negativen Entwicklungen zu unterstützen, auf der anderen Seite fieberhaft sich alle internationalen Verbindungen, möglichst in alle sozialistischen Staaten hinein, zu sichern, und zugleich das revolutionäre und vorwärts weisende Geschichtsbild zu verleugnen.

Der Westen wurde von einer Kulturkrise überrollt, die sich naturgemäß anders äußern mußte. Ein extremer Individualismus kam auf, sowohl aufgrund der historischen Traditionen als auch auf Grund der massenhaft in diese Länder strömenden Extraprofite. Dieser zum Teil exaltierende Individualismus wurde massiv gefördert, gerade gegen die neuen kollektivistischen Ideologien, die Platz griffen, zum Einsatz gebracht. Natürlich hatte die Entwicklung durchaus ihre positive revolutionäre Seite, denn die Infragestellung der verknöcherten patriarchalischen Verhältnisse, die Befreiung der geschlechtlichen Liebe von den Konventionen ist auch eine solche revolutionäre Zielsetzung. Ablehnung einer progressiven materialistischen Auffassung, Ablehnung von Revolution, schließlich Hinwendung zur Mystik und schließlich einer zersetzenden Rauschgiftkultur waren die Stufen einer immer weiter um sich greifenden Entwicklung, die den schließlichen völligen Kniefall dieser Bewegung vor dem etablierten Imperialismus prädestinierte.

Man sieht daran, wie sehr sich in dieser kurzen Periode verschiedene Sachen überlagerten. Niemals konnte auch in der kurzen Periode der "Unordnung" für alles eine Lösung gefunden werden.

In Europa kamen die Gesetze der Absprache der USA und der Sowjetunion zum Vorschein, letztere längst in einer kapitalistischen Entwicklung befindlich. Mit der Besetzung der CSSR kam die Absprache über die Hegemonialinteressen zwischen den USA und der Sowjetunion zum Vorschein. Auch dies führte zu massenhaftem Protest.

Das Jahr 68 ist auch das Jahr der Gründung der Roten Garde und anderer marxistisch-leninistischer Organisationen. Am 50. Jahrestag der Gründung der KPD kam es zur Gründung der KPD/ML, die sowohl an die eigene revolutionäre Geschichte wie auch an die chinesische Kulturrevolution anzuknüpfen suchte. Diese jährt sich daher gegenwärtig zum 30. Mal. Daraus gingen auch wir hervor. (Siehe:"Ausführliche Entschließung zur Abänderung des Organisationsnamens")

Schließlich noch ein Wort zu der 68er-Bewegung, an die man in den letzten Wochen und Monaten kaum mit ausführlichen Beiträgen gedachte, und zwar mit Grund. In der Tat ist der größte Teil der 68er-Bewegung heute längst in den Staat integriert. Diejenigen, die sich von ihr absetzten und zu einer tatsächlichen revolutionären Opposition vor allen Dingen während des Jahres 69 dann tendierten, wurden rigoros unterdrückt und ausgegrenzt in der Folgezeit. Wir selbst gehen auf diese letzteren Quellen zurück. In der 68er-Bewegung befanden sich sehr widersprüchliche Komponenten. Solche Bewegungen wie die sogenannte alternative Bewegung, der Anti-Industrialismus, Anarchismus und die sogenannte Fundamentalopposition gegen die moderne Gesellschaft waren auch schon in der Studentenbewegung im Ansatz vorhanden. Mit den letzten Monaten stehen wir vor der erwiesenen Tatsache, daß diese Komponenten sich heute in Form der grünen Bewegung sehr wohl in den Staat und in die NATO und in das imperialistische System insgesamt integrieren lassen. Geschulte Revolutionäre wundert dies nicht, sie hatten es lange vorhergesagt, aber es ist heute ein offenkundiger geschichtlicher Fakt geworden. Schließlich muß man daran erinnern, daß auch der "Club of Rome", der die Alternativbewegung von ganz oben, sozusagen von höchster kapitalistischer Seite propagierte, ein "68er" ist. Damit meldete sich von Anfang an die andere Seite zu Wort..

Gruppe Neue Einheit
31.12.98/ 1.1.99
 

Siehe auch unseren Artikel:  "Der 25. Jahrestag des 1. Mai 1972 in Berlin"
 

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© 1996 Verlag NEUE EINHEIT   (Inh. Hartmut Dicke)