Internet Statement 2000-21
 

Dieses Internet-Statement enthält die Antwort von H. Dicke auf die Frage von N. Dudda, die er in seiner Re (von reply = Antwort) auf unser IS 2000-20 "Weg mit der Ökosteuer!" in der Newsgroup de.talk.tagesgeschehen  an uns gestellt hat. Seine Re ist unten angeführt. UM
 
 

Die entscheidenden Kapitalkreise 
- Antwort an N. Dudda -

Werter Nils Dudda,

So eine kleine Frage ist das nicht, sondern eine ganz zentrale.

"Die entscheidenden Kapitalkreise" sind die Kreise des internationalen Kapitals, bei denen die weltweiten Einflußlinien des Kapitals zusammenlaufen. Dieses Kapital reicht auch nach Deutschland hinein, und ein Teil des deutschen Kapitals ist Teil von diesem Kapital. Das ist eine ziemlich komplexe Frage, und ich werde mich bemühen, das für die Redaktion Neue Einheit zusammengefaßt zu beantworten.

Diese Hauptknotenpunkte liegen seit langem bei dem internationalen Finanzkapital, zu denen man auch die Allianz-Deutsche Bank-Gruppierung rechnen kann, um die größte und einflußreichste in Deutschland zu nennen, die bis vor kurzem sich auch als Unterstützer der gegenwärtigen Regierung hervorgetan hat. Man kann davon ausgehen, daß dieses einflußreiche Kapital sich weltweit heute auf einige wenige Hundert Familien konzentriert. Von der Zeit etwa Anfang dieses Jahrhunderts bis in die fünfziger Jahre waren die Kapitalgruppen mit dem größten Einfluß relativ übersichtlich und bekannt: die Morgan Gruppe, die Rockefeller Gruppe, eine weitere die Mellon Gruppe. Seitdem hat sich dieses Kapital teilweise aufgesplittert und ist im Zuge der industriellen Umwandlung neue Verbindungen eingegangen. Diese Gruppierungen sind dadurch undurchsichtig geworden, aber ihre Handschrift ist immer noch spürbar. Die Politik der Demokratischen Partei der USA, die Partei Clintons, ist bis heute der unmittelbarste Ausdruck der finanzoligarchischen Interessen, der USA.

Bezüglich Deutschland spricht man spöttisch von der "Deutschland AG", damit meint man, daß das deutsche Kapital sich in einem gewissen Grad gegen den Zugriff von ausländischem Kapital abzuschirmen suchte. Obwohl die USA und Großbritannien natürlich seit dem zweiten Weltkrieg ihre Positionen in Deutschland hatten, versuchte die "Deutschland AG", sich gegen ein weiteres Eindringen einzuigeln. Die Kohl-Regierung und überhaupt die CDU/CSU entsprachen in der Tendenz dieser Richtung in vergangenen Jahrzehnten, nach dem Prinzip: Bündnis ja, aber eine gewisse Position wollen wir noch behaupten. Die SPD ist schon immer hinter ihrer sozialen Attitüde, bis auf Ausnahmefälle viel stärker angepaßt an die Finanzoligarchie der USA und Großbritanniens. Vor der Hand soziales und demokratisches Gerede, in der konkreten Praxis dann eine knallharte Politik im Interesse des internationalen Kapitals, eine Beobachtung, die nicht erst seit Schröder und Blair ihre Gültigkeit hat.

Die Einigelung ist nicht mehr haltbar, sie bricht unweigerlich im Zusammenhang mit der Globalisierung auf. Und das ist gut so. Das sagen fast alle, selbst die proletarische Partei unterstützt diese Umwandlung, weil Formen der Erstarrung nun mal der Entwicklung entgegenstehen. Natürlich versucht auch das deutsche Kapital sich zu internationalisieren und tritt dabei erneut in Konkurrenz zu anderem ausländischen Kapital. International haben sich in den neunziger Jahren weitere Änderungen ergeben. Es kommt zu einer Vernetzung des internationalen Kapitals, die einzelnen nationalen Kapitale lösen sich in der Tendenz auf. Der Schwerpunkt in den USA aber ist geblieben.

In Asien sind neue Finanzgruppen entstanden, "Tycoons", die zu den angelsächsischen in deutlichen Widerspruch getreten sind. Manche glaubten, wie zum Beispiel der Buchautor John Naisbitt ("Megatrends Asien"), sie hätten die Zukunft in der Tasche. Die Krise von 98 hat aber gezeigt, daß die "Alten" aus den USA plus London und den Ablegern in Europa immer noch an der Spitze stehen. Die USA bilden heute die Macht, die fast alles, das größte Kapital, die größten Verbindungen und die bei weitem größte Militärmacht repräsentieren.

"Einflußreiche Wirtschaftsvertreter" meinten wir?. Das ist schon richtig. Fragt sich nur was man darunter versteht. Die meisten verbinden nämlich Leute wie v. Pierer (Siemens), Olaf Henkel oder Stiehl damit. Nur der erstere davon hat internationale Bedeutung. Und ob er aber zu den Kräften gehört, die ich hier beschreiben habe? Ich würde sagen, allenfalls am Rande.

Früher waren detaillierte Darstellungen des Kapitals erschienen, vor allem in der DDR. So etwas fehlt hier. Das ist heute ein Tabuthema. Und die bürgerliche Soziologe ist viel zu lakaienhaft, um sich an das Thema heranzuwagen. Das fehlt heute, und ich richte meine Frage selbst an das Net, ob eine moderne detailliertere Darstellung bekannt ist.

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>Nur welches Interesse haben die an einer Drosselung der wirtschaftlichen Entwicklung?
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Die Bourgeoisie hat eine ambivalente Stellung zur Entwicklung der Produktivkräfte. Das stellten schon Marx und Engels seit dem Kommunistischen Manifest dar. Das ist nicht neu. Auf der einen Seite muß die Bourgeoisie die Entwicklung der Produktivkräfte fürchten, auf der anderen Seite ist sie auf eben dieselbe Entwicklung angewiesen. Sie müssen fürchten, daß letztlich aus der Entwicklung der Produktivkräfte unterstützt von großen Verschmelzungen der vergesellschafteten Produktion auch die Kräfte erwachsen, die sie überwinden. Und für die Spitzen der Bourgeoisie, von denen ich vorher sprach, gilt das in einer besonderen Weise. Schon Ende der sechziger Jahre traten die Überlegungen der Bourgeoisie, die diese Aspekte verkörpern, in einer besonderen Weise hervor. Ein Sprachrohr davon war der sogenannte "Club of Rome". Er legte 1972 einen sogenannten Bericht vor, in dem er mit einem ominösen Zahlenwerk zu beweisen suchte, daß bis 1975 unbedingt ein Wachstumsstop erreicht werden sollte. Auch weiterhin geisterten bei verschiedenen Presseerzeugnissen der Bourgeoisie die Ideen von "Nullwachstum" und "gebremstem Wachstum" in allen möglichen Variationen herum. Später korrigierte sich der Club of Rome, mußte seine unhaltbaren Thesen abändern.

Was Deutschland direkt angeht, so setzte ziemlich genau mit dem Regierungsantritt des Bundeskanzlers Schmidt eine öffentliche Kampagne ein, die auf Demontage der Kernenergie hinauslief und auf Angriffe auf andere moderne Produktionszweige. Sie diente von Anfang an als Katalysator bei der Hinausverlagerung von Industrie aus Deutschland in andere Regionen. Natürlich hat es keinen weltweiten Wachstumsstop gegeben, dazu sind sie garnicht fähig, aber in Deutschland selbst ist die Produktion zum Teil beträchtlich eingeschränkt worden. Der relativ enge innere Markt ist ein Phänomen bei uns, gemessen an dem ständig sich erweiternden Exportvolumen, das durch die internationale Produktion des deutschen Kapitals erzeugt wurde.

Als diese Entwicklung Mitte der siebziger Jahre in Gang gesetzt wurde, wurde auch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Deutschland nicht nur gedrosselt, sondern auch "verbogen", wie es in dem Extrablatt hieß. Damit wollte der Verfasser Walter Grobe ausdrücken, daß die Verunglimpfung der eigenen Industrie und die Verunglimpfung der eigenen technischen Potenzen, wie sie in der Anti-AKW-Kampagne und in anderen "alternativen" Ideologien hervortrat, eine Liquidation ganzer Produktionszweige und die Liquidation bestimmter Wissenschaften, eine regelrechte Verbiegung der ökonomischen und auch der kulturellen Landschaft beinhaltete.

Es ist noch einmal daran zu erinnern, daß die sogenannten grünen Ideen der Drosselung der Entwicklung, ja sogar der Propagierung des Stillstandes, wie sie bei ihnen in den achtziger Jahren durchweg vertreten wurden, nicht etwa aus der Studentenbewegung oder aus der linken Bewegung gekommen sind, sondern daß diese Ideen aus Kapitalskreisen gekommen sind. Sogenannte "Linke" und solche, die die eigene revolutionäre Existenz aufgegeben haben, haben diese Ideen aufgegriffen und nachgeredet. Wir sind übrigens gerne bereit, an anderer Stelle einmal ausführlich zu zitieren, wie diese Ideen schon in früheren Jahrzehnten vor den siebziger Jahren aus Kapitals- und rechten Kreisen geboren wurden, dort gepflegt wurden, längere Zeit ein wenig ein Mauerblümchendasein führten, und später von der sogenannten "linken Bewegung" als "ihre Thesen" ausgegeben wurden.

Die Drosselung der Industrie im eigenen imperialistischen Land und die Verlagerung der Produktion in andere Länder ist nicht völlig neu, nicht etwa erst im letzten Quartal des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden. Lenin berichtet schon über die Politik des Cecil Rhodes in Großbritannien, der schon gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts verkündet hat, daß die "Arbeiterfrage" so brennend geworden ist, daß man die Industrie aus den entwickelten kapitalistischen Ländern wie England herausverlagern solle, die Klassenwidersprüche an der Entfaltung im eigenen Land hindern solle, und zur Ausbeutung der unterdrückten Völker und Nationen in den damaligen kolonialen Ländern übergehen sollte. Heute sind es nicht mehr die direkten kolonialen Länder, sondern die wirtschaftlich abhängigen Länder, die diese Rolle spielen.

>"Seit Mitte der siebziger Jahre" beinhaltet aber im Wesentlichen 16 Jahre Kohl.

Ja, das ist nicht falsch, aber davor liegen acht Jahre der Regierung Schmidt, in der diese Entwicklung schon eingeleitet wurde, die von der Regierung Kohl in der Hauptsache auch so fortgesetzt wurde. Allerdings hat es die Regierung Kohl unter den konkreten Bedingungen Ende der achtziger Jahre erreicht, die deutsche Einheit durchzusetzen, was von der Sozialdemokratie und auch von den mit ihr verbündeten Presseorganen lange Zeit als eine völlige Abwegigkeit, als Wunschdenken oder gar als "Lebenslüge der deutschen Nation" bezeichnet wurde.

Auch während der Regierung Kohl waren die SPD und die Grünen immer die "Ultras", die diese Entwicklung forciert haben, die die antiindustriellen Ideen in die Bevölkerung getragen haben und sich auch in Länderregierungen in einer besonderen Weise hervorgetan haben.

Ich möchte jetzt hier auf mein Memorandum zum sogenannten "Ausstieg aus der Kernenergie" und zu dem "Konsens" verweisen.

Die Gruppe Neue Einheit hat übrigens als einzige linke Organisation diese Frage der Produktionsverlagerungen und der Veränderung der industriellen Zusammensetzung seit Ende der siebziger Jahre zu einem Zentralpunkt all ihrer Betrachtungen gemacht, wie es angesichts der objektiven Rolle, die dies spielt, auch sein muß.

Dies ist natürlich eine kurzgefaßte Antwort, weil ich jetzt auf Ihre Anfrage kein ganzes Buch schreiben kann, aber es ist ein Thema für ein ganzes Buch, die soziale Entwicklung etwa seit 1968 zu behandeln. Dazu gehört auch die Bevölkerungsentwicklung, die Gastarbeiterfrage zwischen 1968 und 1973, die Entwicklung der Verlagerung und die neue Entwicklung der internationalen Verschmelzung und schließlich die Veränderung durch die neuen Techniken.

Salut

Hartmut Dicke 21.September 2000

C 2000 Hartmut Dicke

 
 

----- Original Message -----

From: Nils Dudda <nils@duddi.de>
Newsgroups: de.talk.tagesgeschehen
Sent: Monday, September 18, 2000 11:49 AM
Subject: Re: Neue Einheit: Weg mit der Ökosteuer !

verlag@neue.einheit.com teilte uns mit:
> Die Rentenversicherung wie auch die anderen Sozialversicherungen
> sind vor allem deswegen so teuer, weil durch die Politik des Staates
> und der entscheidenden Kapitalkreise schon seit Mitte der siebziger
> Jahre die wirtschaftliche und soziale Entwicklung gedrosselt und
> verbogen wurde, weil das Land bereits in starkem Maße
> desindustrialisiert worden ist und noch viel weiter werden soll,
> insbesondere wenn es nach den Grünen und der SPD geht.

"Seit Mitte der siebziger Jahre" beinhaltet aber im Wesentlichen 16 Jahre 
Kohl.

Und mal so ‚ne Frage: Wer sind "die entscheidenden Kapitalkreise"? Ich 
vermute, damit sind einflußreiche Wirtschaftsvertreter gemeint. Nur 
welches Interesse haben die an einer Drosselung der wirtschaftlichen 
Entwicklung? Vielleicht bin ich zu blöd, aber das verstehe ich nicht.

MfG
Nils Dudda

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