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Statement 2001-29
Der Fall Rosa von
Praunheim -an Hand von Selbstzeugnissen und Erläuterungen aus seinem
Umfeld -
Teil I
zu
Teil II
Der Filmemacher Rosa von Praunheim ist der bekannteste Pionier der sogenannten
Homosexuellenbefreiung in der Bundesrepublik und zugleich jemand, der
jahrzehntelang die Protektion aus den Medien dieses Landes genoß.
Nachdem wir in dem ersten Beitrag einen Überblick
gegeben haben, gehe ich nun daran aus naher Quelle über ihn und von
ihm selbst zu zitieren, was trotz der Unannehmlichkeiten, die damit verbunden
sind, sehr aufschlußreich sein kann.
Rosa von Praunheim, mit eigentlichem Namen Holger Mischwitzky, ist 1942
in Riga geboren, kam 1944 schon nach Berlin, wuchs zwischen 1954 und ca.
1960 in Frankfurt a.M. auf und ist seit 1962 eng mit dem Westberliner
Kunstbetrieb verknüpft. 1983 schrieb Klaus Kreimeier in der Reihe
"Film", Nr.30, Carl Hanser Verlag, unter dem Titel "Das
große hermaphroditische Tableau-Theater" eine Art Hommage und
Übersicht über das bisherige Werk von Praunheims.
Er versucht, dieses Werk intellektuell zu erfassen und in seinen Kernpunkten
zu beschreiben, was für uns durchaus von Wert ist.
Ohne Umschweife kommt Kreimeier gleich zu Anfang seines Artikels zur Sache,
indem er den ersten Film von Praunheims, "Rosa Arbeiter auf Goldener
Straße", als Anti-Panier zu der damaligen revolutionären
Bewegung erklärt.
"ROSA ARBEITER
AUF GOLDENER STRASSE: schon der Titel verkündet lauthals, daß
hier Unvereinbares erstaunlich kopulieren wird. Die Farben sind Symbole;
sie sind wie Banner in dem Bild, das der Titel beschreibt. Was sie signalisieren,
ist Dissonanz. 1968, im Jahr der Studentenrevolte, der systemsprengenden
Programme und der roten Fahnen auf den Straßen Westberlins, pflanzt
das Bild ROSA ARBEITER AUF GOLDENER STRASSE ein Anti-Panier auf, formuliert
es ein Gegenprogramm, verheißt es eine verquere, nicht ganz astreine,
irritierend flackernde Sinnlichkeit: das schwule Rosa gegen das proletarisch-revolutionäre
Rot!".
(S.7)
Als Kreimeier dieses bemerkenswert offene Bekenntnis 1983 schrieb, glaubte
er die revolutionäre Bewegung in diesem Land weit hinter sich. Die
New Age Welle rollte in den entwickelten Ländern unter der Jugend,
und die Produktion wanderte ins Ausland ab. Warum also nicht direkt schreiben,
was sich damals getan hatte. Allerdings ist diese Aussage, zu Anfang seiner
Abhandlung, noch sehr moderat gewählt, wie wir noch sehen werden.
Dahinter liegt noch eine ganz andere unverblümte Aggressivität,
wenn wir zu den Aussagen des von Praunheim selbst übergehen.
Wir wenden uns zunächst aber den prinzipiellen Anschauungen von
Praunheims zur Ästhetik zu, seinem Verhältnis zur Natur, weil
darin das Symptomatischste liegt. Eine Anschauung, die parallel liegt
zu den sog. sexuellen Anschauungen dieser Leute und die uns zeigt, daß
diese keineswegs nur für sie selbst privat wichtig sind. Kreimeier
führt aus:
"Das sogenannte Natürliche ist nicht natürlich, sagt
Rosa von Praunheim. Zu ergänzen wäre: das sogenannte Schöne
ist nicht schön. Daß wir die Natur natürlich nennen,
ist ein Ergebnis unserer kulturellen Sozialisation - eine Übereinkunft,
die sich einer Kette von Abstraktionen verdankt. Das Naturschöne
und das Kunstschöne, die Vermengung des Ästhetischen mit dem
Ethischen, die krönende Dreifaltigkeit des Guten, Schönen
und Wahren - all dies sind die Kartenhäuser des Intellekts, die
in sich zusammenfallen, wenn wir sie an den Realerfahrungen der Menschheit
in der Geschichte - und an den dunkleren, weil verdrängten Erfahrungen
unseres Körpers messen. Gerade diese erheben den entschiedensten
Einspruch gegen die Kopf-Konstruktionen der Klassik wie gegen die libertären
Strategien des Medienbetriebs, der die idealistischen Trugbilder nun
als 'atmosphärisches Gemisch aus Kosmetik, Pornographie, Konsumismus,
Illusion, Sucht und Prostitution' (Peter Sloterdijk) zynisch zu Markte
trägt." (S.24)
Alles fällt also an der Realerfahrung der Menschheit in sich zusammen?
Was für ein Unsinn! Die Geschichte ist seit der Steinzeit eine ständige
Höherentwicklung der Menschheit, noch viel weiter gibt es eine ständige
Höherentwicklung des Lebens seit dem Beginn auf der Erde. Daß
die Perspektiven der Menschheit dunkel seien, ist schon ein uraltes Credo
von Reaktionären, mit dem sie sich an jeder geschichtlichen Wendung
dem Lauf der Dinge entgegenstemmen. Und diese Einschätzung dient
ihnen vor allem auch zur Rechtfertigung und Selbstrechtfertigung ihrer
dunklen Praxis im Leben. Dunkel ist die Erfahrung des deutschen Militarismus
und des deutschen Imperialismus des kaiserlichen Preußen, weil er
eine vernichtende Niederlage in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
erfuhr. Gerade in dieser Epoche des Imperialismus erfuhr der Homosexualismus
auch eine bedeutende Aufwertung. Dunkel ist auch die Erfahrung weiterer
Reaktionäre, etwa der Faschisten oder der heutigen Neuen Weltordnung,
weil die Dinge absolut nicht so laufen, wie sie sich das vorgestellt haben.
Das "sogenannte Natürliche ist nicht natürlich". Der
Satz ist für sich genommen allerdings eine Tautologie. Wesentlich
ist hier wohl, daß mit dem "sogenannten Natürlichen"
das tatsächlich Natürliche gemeint ist.
Das wird mit dem nächsten Satz klar:
"Daß wir die Natur natürlich nennen, ist ein Ergebnis
unserer kulturellen Sozialisation - eine Übereinkunft, die sich
einer Kette von Abstraktionen verdankt."
Der Begriff "natürlich" erscheint hier nur als Übereinkunft,
als Ergebnis unserer kulturellen Sozialisation, und eben nicht aus der
Auseinandersetzung mit der Natur resultierend. Der Begriff bezeichnet
etwas als "natürlich", um die Übereinstimmung mit
der Natur zu postulieren, er leitet sich aus dem Vergleich mit der Natur
ab. Die Behauptung, daß die Begriffsbildung des Menschen außerhalb
der Natur erfolgt, wird hier mit Radikalität zugespitzt. Das ist
die Substanz des extremsten philosophischen Idealismus.
Es liegt darin auch die Grundannahme, man könne sich über materielle
Bedingungen, zu denen die Natur gehört, hinwegsetzen. Aber selbst
wenn solche Leute wie von Praunheim die Natur, die Realität "ausblenden",
werden wir es nicht nur bei der Betrachtung der Konstituierung der theoretischen
Anschauung belassen, sondern die Herkunft dieser Anschauungen, die die
Realität leugnen, analysieren.
Wenn Menschen erklären, sie könnten sich über alles hinwegsetzen,
jeder könne machen was er wolle, so möchten sie sich über
die Realität hinwegsetzen. Mehr als 80 % der Menschheit, ja sicherlich
mehr als 95 % bekommen durch die konkrete Realität elementar diktiert,
was sie zu machen haben, daß sie jeden Tag zur Arbeit gehen müssen,
oder noch schlimmer ohne Arbeit sich das Notwendigste besorgen müssen,
daß sie ihren Verpflichtungen nachkommen müssen. Nur ein Bruchteil,
der gewissermaßen auf dem Parasitismus der Gesellschaft schwimmt,
kann sich solch eine Devise leisten wie "ich kann machen, was ich
will", in Wirklichkeit sind natürlich auch sie von den gesellschaftlichen
Bedingungen abhängig.
Die Realerfahrungen der Menschheit in der Geschichte sind die, daß
die Menschheit in den letzten Millionen von Jahren einen in der Natur
beispiellosen Aufstieg genommen hat, daß die Entwicklung der menschlichen
Fähigkeiten und des menschlichen Bewußtseins sich weit über
alle anderen Elemente der Natur auf diesem Planeten erhoben hat. Ganz
besonders groß ist der Fortschritt während der letzten Jahrtausende,
als sich die Menschheit beschleunigt entwickelte und dies in die wissenschaftlichen
Erkenntnisse der letzten 200 Jahre sich verdichtete. Ferner ist die menschliche
Rationalität ausreichend, um sich das Phänomen des Widerstandes
gegen diese Entwicklung in einem Teil der menschlichen Gesellschaft zu
erklären, denn diese teilt sich in soziale Formationen, in Klassen,
die neu aufkommen oder untergehen. Heute - da internationaler als früher
- mehr denn je zuvor!
Schon immer haben diejenigen Klassen, die von der weiteren Entwicklung
bedroht werden, erklärt, diese sei unmöglich, oder sie haben
gar die gesamte Entwicklung geleugnet oder in Frage gestellt. Immer sind
sie aber trotzdem überwunden worden. Die Ästhetik aber ist dabei
notwendiger Bestandteil der Weiterentwicklung der Menschheit in all ihren
Schritten und in ihrer Gesamtheit. Die Ästhetik ist auch nicht vom
Menschen erfunden. Sie ist in der Natur schon vor ihm und außer
ihm vorhanden. Die gesamte Tierwelt, ja Kristallbildungen haben Ästhetik,
ganz anders aber noch der Mensch, der aus all dem entwachsen ist. Die
Realerfahrung der Menschheit zeigt, daß er die Ästhetik braucht,
daß sie ihn weiterführt und daß er sie weiterführt.
All dies ist eigentlich trivial. Warum muß man es trotzdem verteidigen?
Weil im 20. Jahrhundert eine Reaktion mit Brachialgewalt versuchte zu
dekretieren, Wirklichkeit sei nicht Wirklichkeit, sie könnten alles
manipulieren, im Interesse des Parasitismus müsse absolute Willkür
herrschen, in seinem Interesse müßten die Menschen gezwungen
werden, sich zu jeder Niedrigkeit zu bekennen. In seiner Substanz ist
das der größte Angriff gegen jede Art von Werktätigen,
gegen jede Art von irgendwie progressiven Klassen, im Interesse des niedrigen
äußersten reaktionären Drecks, den die Bourgeoise und
vor allem die Reste der untergegangenen früheren Klassen hervorgebracht
haben. Der Versuch seiner Durchsetzung muß zum Kriege führen,
zum Kriege gegen die Kräfte, die Derartiges betreiben.
Daß diese Dinge mit derartiger Vehemenz in der Gesellschaft vorangetrieben
werden, hängt vor allem mit dem Rückschlag der Entwicklung durch
den Umsturz der chinesischen Revolution zu Ende der siebziger Jahre zusammen,
der diese Kräfte der Subversion ungeheuer dreist gemacht hat, und
mit der vorhergehenden Degeneration der Sowjetunion bis hin zu ihrer schließlichen
Auflösung. Infolge dieser Ereignisse erlitten auch eine Reihe anderer
Bewegungen auf der Welt einen Rückschlag. Aber gemach. Solche Rückschläge
haben bisher noch immer dazu gedient, Fehler zu beseitigen und einen neuen
Vorwärtsschritt auf breiterer Ebene einzuleiten.
Gehen wir zurück zu den Behauptungen von Kreimeier und Praunheim.
Als Einzelpunkte finden wir darin:
"Die Vermengung des Ästhetischen mit dem Ethischen"
sei ein Kartenhaus des Intellekts.
Das Problem liegt im Begriff des Ethischen, denn es ist ein Begriff, der
sehr gern im Sinne einer über der Gesellschaft und über den
Dingen stehenden Moral benutzt wird. Nicht diese Kritik an einer losgelösten
Ethik ist jedoch der Gegenstand bei Praunheim oder Kreimeier, sondern
sie fordern die Loslösung oder die Isolierung des Ästhetischen
von dem Ethischen, im Sinne einer Loslösung von jeder Gesellschaftlichkeit,
letztlich im Sinne einer brutalen Vernichtungsideologie.
Für Menschen des schon zur Vergötzung erhobenen Analverkehrs
wie von Praunheim ist eine solche Devise allerdings logisch. Es gibt in
der Tat eine von der Wirklichkeit losgelöste Ästhetik, die sich
losgelöst von der Wirklichkeit versteht, die nur auf die äußerliche
Form achtet, die in gewisser Weise formal ist. Praunheim und Kreimeier
negieren diese allerdings auf eine besondere Art, sie setzen an die Stelle
der formalen Ästhetik gleich den Ekel und den Dreck und erklären
kurzerhand, die Gesellschaft sei schuld, daß diese zu solchem erklärt
worden seien. Ersteres bewahrt den Anschein, letzteres greift die Ästhetik
gleich direkt an und behauptet, es gäbe sie gar nicht, oder umgekehrt:
sogar alles und jedes, und sei es noch so unästhetisch, sei in Wirklichkeit
ästhetisch, wenn wir es nur dazu erklären wollen.
Schließlich sollte auch noch eine Bemerkung zu der geschmähten
Klassik erfolgen: die Klassik des Zeitalters um 1800 hatte vielleicht
eine gewisse stilisierende Abgehobenheit, eine Abstraktheit, aber sie
nahm auch durch ihren Anspruch an den Menschen, mit ihrer Forderung nach
seiner Weiterentwicklung und Vervollkommnung den Aufstieg der folgenden
zweihundert Jahre vorweg, erfaßte ihn aus der ganzen Grundstimmung
dieser Zeit heraus. Die bürgerliche Revolution mit ihrer Befreiung
der Potentiale, aber auch der Rückgriff auf die über 1000 Jahre
alte durchgehende Zivilisation der Europäer mit Rückgriff auf
über 3000 Jahre, wenn wir die Antike mitrechnen, hatten diese Kunstrichtung
ermöglicht. Sie besteht keineswegs nur aus "Kopfkonstruktionen",
sondern sie hatte das aufgestoßene Tor der Menschheitsentwicklung
dieser Zeit erfaßt.
Wir sehen in diesen sehr prinzipiellen Ausführungen Kreimeiers, daß
es in den Grundlagen des Auftretens von Praunheims schon sehr lange bekannte
Elemente gibt, die absolut nicht neu sind. Neu ist aber der Radikalismus,
die Absolutheit, mit der diese "Kunstrichtung" auftritt, was
übrigens in diesem Fall der öffentlichen Förderung absolut
keinen Abbruch tat.
Die anfangs zitierte Passage zu der politischen Stellung seiner Filme
steht damit im Einklang. Wir werden noch sehen, wohin sich diese Stellung
immer weiter bewegt. Gegen was richtete sich diese Stellung nun eigentlich
genau? Diese Frage muß sich noch stärker aufdrängen, wenn
die sog. "Homosexuellenbewegung" noch als links ausgewiesen
wird.
Kennzeichnend für die damalige Zeit war die Hinwendung der revolutionären
Bewegung zur materialistischen Anschauungsweise, wie sie in der ML-Bewegung
seit 1969 zum Ausdruck kam. In der zweiten Hälfte des Jahres 1968,
das heißt erst nach der bekannten 68er Bewegung, kam es in erheblich
breiteren Teilen zu einem Run auf den Marxismus. Die erste Studentenbewegung
war idealistisch, oder genauer genommen war sie gemischt, enthielt verschiedene
Komponenten; je mehr Kräfte aber von unten nachdrängten, desto
stärker wurde damals der Einfluß von Revolutionären, die
das Proletariat wiederentdeckten, und die vor allem die Entwicklung der
Dritten Welt sahen, die zu dem Haupthort des neuen Proletariats, so wie
wir es heute vorfinden, werden sollte. Damals aber gab es noch eine millionenfache
Arbeiterklasse, in einer industrialisierten Welt, die ihren Hauptschwerpunkt
immer noch im Lande selbst hatte, und die Entscheidung über die proletarische
Revolution in den alten "klassischen" industrialisierten Ländern
war noch nicht gefallen. Das radikale Wiederaufkommen des Marxismus binnen
kürzester Frist beweist das sehr deutlich. Und gerade weil er aufkam,
mußte sowohl auf dem ökonomischen Sektor als auch auf dem kulturellen
einiges geschehen.
Hier bei Praunheim und Kreimeier aber lebt das ganz alte Abgestorbene
wieder auf, kommt aus seiner Gruft und behauptet, daß weiß
nicht weiß und dunkel nicht dunkel sei, daß was verrottet
und verkommen ist, frisch und neu sei. Die homosexuelle Natur ist gewissermaßen
sine conditio der ganzen politischen Einstellung nach auf die
Verkehrung der Wirklichkeit gerichtet, auf die Perversion eben, das liegt
schon im Kern des Wortes.
Wenn Rosa von Praunheim sagt, daß das Schöne nicht schön
und das Natürliche nicht natürlich sei, stellt sich eigentlich
die Frage, was denn dann das "Schöne" , das Ästhetische
ist, was denn dann das Natürliche sei. Und man bekommt eigentlich
nur eine Antwort, daß es dies gar nicht gibt. Das aber greift im
Wesen die gesamte Kultur an. Denn die menschliche Kultur kennt als einen
wesentlichen Teil der Äußerung und der Reflexion des Menschen
auch die menschliche Ästhetik. Die Ästhetik ist keine Erfindung
des Menschen. Sie existiert objektiv schon in der Gesetzmäßigkeit
der unorganischen Natur, etwa bei Kristallen, sie existiert bei Tieren
und Pflanzen, die sich ebenfalls ohne sie nicht entwickelt hätten,
also gar nicht existieren würden, und erst recht existiert sie beim
Menschen. In ihrer Substanz greifen die Anschauungen dieser Leute jede
Form von Leben an.
Hartmut Dicke
6.August 2001
Teil II: Georges Bataille, schwarze Messe
u.a.
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