Internet-Statement 2004-18
Großdemonstration und Kundgebung am 3.4. in Köln Eindrücke eines Teilnehmers Als wichtigste Ergebnisse dieses - zusammen mit den anderen Demonstrationen - großen Ereignisses ist zum einen die Teilnehmerzahl zu nennen, die mit 100.000 bis 120.000 die Erwartungen und organisatorischen Vorkehrungen des DGB offenbar weit übertraf. Anscheinend gehörte die Mehrzahl der mittleren und jüngeren Generation und den arbeitenden und von Arbeitslosigkeit betroffenen und bedrohten Schichten an. Weiter die zahlreichen Stimmungsäußerungen aus dieser Menge, die die Ablehnung der sog. Reformen und der Parteien, die sie tragen oder noch verschärfen wollen, und das Verlangen nach Kampfmaßnahmen deutlich werden ließen. Die DGB-Spitzen von NRW hatten keinen Vertreter der Bewegung von unten, aus den Betrieben oder den Anti-Hartz-Bündnissen als Redner zugelassen, aber Norbert Blüm, dem Ex-Arbeitsminister der früheren CDU-CSU-FDP-Kohl-Regierungen einen prominenten Platz auf der Rednerliste eingeräumt. Das hatte schon im Vorfeld des 3.4. zu Protesten und Debatten geführt. Erhebliche Teile der Menge haben Blüms Auftritt zurecht als Affront empfunden und sich dementsprechend gewehrt. Seine Worte wurden von vornherein mit einem derartigen Lärm blockiert, daß nur ein Teil davon, gestützt auf eine mächtige Lautsprecher- und Video-Anlage, verstanden werden konnte, wenn überhaupt. Jedenfalls gilt dies nach meinen Beobachtungen für den größeren Teil der Demonstranten, die in der Zielmeile der Demo versammelt waren. Diese Konfrontation müßte auch denjenigen Kräften in der DGB-Führung, die ihn nominiert hatten, eine Lehre sein, und auch den - vereinzelten - Stimmen aus der sozialen Bewegung, die empfohlen hatten, sich über Blüms Auftritt nicht aufzuregen. Ich konnte die Rede von J. Peters nicht hören, weil ich mit einem späteren Teil des Demonstrationszuges erst nach ihrem Ende auf der Zielmeile eintraf. Nach dem offiziell erhältlichen Text geht diese Rede zwar in scharfen Worten darauf ein, was alles an Unzumutbarkeiten aufgehäuft wird, aber sagt überhaupt nichts dazu, wie die IGMetall dagegen zu kämpfen gedenkt. Die übrigen Reden, die sich im zweiten Block nach Blüms durchgefallenem
Auftritt noch anschlossen, waren ebenfalls nicht unbedingt wegweisende
Beiträge. Die Kirchenvertreter sprachen viel davon, wie die soziale
Gerechtigkeit verletzt werde, und daß sie wiederangestrebt werden
solle. Die Frage, wie mit einem derartigen Kapitalismus als Gegenpart,
wie er sich jetzt weltweit enthüllt, etwas Derartiges wie Gerechtigkeit
überhaupt vorstellbar sein soll, behandelten sie allerdings nicht.
Sie erhielten aber immer dann auch Beifall, wenn sie deutliche Worte dafür
fanden, wie mit den arbeitenden und arbeitslosen Menschen hier jetzt umgegangen
wird. Der Studentenvertreter forderte u. a. den freien Zugang zur Bildung als Bedingung der allgemeinen gesellschaftlichen Emanzipation der unteren Schichten und sprach von einem "Kapitalismus, der kaputt ist und kaputt macht". Die Produktionsverlagerungen und die Lage der Arbeiter in anderen Ländern
wurden mehrfach als wichtiges Problem erwähnt, allerdings ohne daß
schon klar gesagt wurde, daß der Zusammenschluß mit den Arbeitenden
der anderen Länder daraus die Konsequenz sein muß. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Planung von Demo und Kundgebung seitens des DGB eigentlich eher dazu angetan war, ein wirkliches großes politisches Zusammenkommen von Interessierten und Aktiven aus den Gewerkschaften, den sozialen Bündnissen und der Bevölkerung überhaupt und eine demokratische Interaktion zwischen Rednern und Demonstranten zu behindern. So etwas wie einen Kundgebungsplatz gab es nicht, sondern die Rednerbühne war am Ende einer ca. 500 m langen Strecke eines innerstädtischen Boulevards aufgebaut, sodaß in ihrem unmittelbaren Vorfeld sich nur wenige Tausend Menschen versammeln konnten, während -zigtausende auf Distanz bleiben mußten und die Reden nur über große Videowände in 10 m Höhe gebeamt bekamen. Vielen blieb unter diesen Umständen nichts übrig als eben den Boulevard entlang sich zu schieben, der mit zahllosen Imbiß- und Getränkebuden bestückt war und dem bösen Ausdruck "DGB-Bratwurstfest" viel eher entsprach als einer kämpferischen Großveranstaltung. Trotzdem überwog letztlich dieser Charakter doch, getragen von vielen Teilnehmergruppen und Aktivisten und von der allgemeinen Stimmung. Die Aktionskonferenz, die sich in Dortmund zu den Europäischen Aktionstagen am 2. und 3. April gebildet hatte, und ihr Umkreis waren mit einem großen Transparent nach Köln gefahren: "Schluß mit der Mitarbeit der Gewerkschaftsspitzen an den Hartz-Gesetzen!" Während der Kundgebung wurde das Transparent durch die große Masse der Demonstranten in der Zielmeile getragen und schließlich während des zweiten Redeblocks unübersehbar in der Nähe der Rednertribüne aufgestellt. Mehrere Demonstranten sagten, dieses Transparent sei richtig. Es war nach meinen Beobachtungen fast das einzige, das kritisch auf die Frage der Stellung der Gewerkschaftsführung selbst aufmerksam machte. Chr. Klein, GNE, Ver.-di-Mitglied, aktiv in der Dortmunder Aktionskonferenz
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