Internet
Statement 2004-46
Was waren und
was sind Montagsdemonstrationen?
Wenn der Protest gegen die soziale Entrechtung der Empfänger der
Arbeitslosenhilfe durch Hartz IV sich artikuliert und als breite Stimme
sowohl gegen die Regierung Schröder wie auch gegen alle Parteien, die
diese Gesetzgebung mittragen, auf eine breite Ebene kommt, dann ist das
ein wichtiges Ereignis in unserem Land, das wir außerordentlich begrüßen.
Nach wie vor stellt sich aber die Frage, wo die Kräfte gesammelt werden,
daß die Weichen in eine bessere Richtung gestellt werden.
Daß das Kapital, die Regierenden und die Parteien die Verschlechterung
der Lebenslage der arbeitenden Bevölkerung wie der Freigesetzten durchsetzen
können, ist Folge dessen, daß sie über Jahrzehnte hin die Positionen dieser
arbeitenden Bevölkerung geschwächt haben. Sie wurde geschwächt durch die
forcierte Verlagerung, durch die Internationalisierung der Produktion,
ohne daß die Arbeiterbewegung sich ebenfalls internationalisiert hat.
Nun trifft das Kapital mit seiner ganzen unmittelbaren Macht auf die große
Mehrheit der Bevölkerung, die für solch einen Angriff zunächst einmal
nicht gewappnet ist.
Gegenwärtig werden Montagsdemonstrationen entwickelt, die an den verschiedensten
Punkten einigen Zulauf aus der Bevölkerung haben. Welche aufklärende Wirkung
geht aber von diesen Montagsdemonstrationen aus? Was sind Montagsdemonstrationen
eigentlich?
Die Montagsdemonstrationen des Jahres 1989 sollte man doch in ihrem widersprüchlichen
Charakter sehen. Was die ausgehende DDR unter Erich Honecker sich lange
Zeit an Verknöcherung, bedingungsloses Lakaientum gegenüber dem sowjetischen
Revisionismus und Hegemonismus geleistet hatte, war in der Tat dergestalt,
daß es breiteren Widerspruch hervorrufen mußte. Der ökonomische Zerfall
der DDR hatte schon in den 70er Jahren begonnen. Bis 1985 war die Ökonomie
bereits in gefährliche Abhängigkeiten geraten. Als Gorbatschow Generalsekretär
und Präsident in der Sowjetunion wurde, bekam der Westen Hebel in die
Hand, den Unmut und den Widerstand in seine Kanäle zu leiten, die tatsächlich
nur ein bißchen formale Freiheit, aber sehr viel soziales Verderben brachten.
Der Widerstand aber stand am Schluß nun dagegen auf tönernen Füssen.
Die Bewegung von 1989 in der DDR setzte dies fort. In ihr kommt eine Menge
berechtigte Empörung zum Ausdruck, aber im Wesen leitet diese Bewegung
in die westliche Herrschaft über, die sich alsbald in ihrer ganzen Nacktheit
und Brutalität zeigen sollte.
Jahrelang hatte doch z.B. das bundesdeutsche Kapital sich schon in der
DDR etabliert, enge Beziehungen über verschiedene Kanäle in das Leben
der DDR hinein sich verschafft. Ein Teil der Aushebelung der DDR wurde
über Jahre hinweg vorbereitet. Die Beziehungen von Franz Josef Strauß
zu Schalck-Golodkowski sind nur ein Phänomen, das in der Öffentlichkeit
bekannt wurde. Das war nur ein Symptom für eine viel breitere Entwicklung.
Und was hat nun also diese Bewegung, die dabei mitgewirkt hat, in dieser
Form Osteuropa umzuwälzen, erreicht?
Sie hat erreicht, daß Osteuropa und ganz Europa in dieser Weise kapitalistisch
umgewälzt worden sind, wie wir es heute vorfinden, wovon die Hartz-Gesetze
nur einer der Ausdrücke sind. Diese Form von Bewegungen, die naiv dem
Kapitalismus hinterhergelaufen sind und Hurra zum Kapitalismus geschrieen
haben, haben nichts anderes bewirkt als die Verhältnisse, die wir heute
haben. Deshalb gibt es durchaus etwas zu hinterfragen, wenn ausgerechnet
die Montagsdemonstrationen, die dann diese weitere Entwicklung genommen
haben, heute als Vorbild genommen werden. Schon damals gab es internationale
Ausbeutungsverhältnisse, agierte die Bundesrepublik als einer der reichsten
Staaten auf der Erde, der übrigens im Inneren viele der Lohnabhängigen
und der Jugend auf ein aussichtsloses Gleis schob. Wo hat diese Bewegung
damals die notwendigen Fragen gestellt? Vielleicht konnte sie das nicht
anders, weil sie sich erst mal auf die aktuellen Aufgaben konzentrieren
mußte. Jede Naivität gegenüber dem Kapitalismus jedenfalls führt ins Verderben,
jede Spekulation, man möge an ihm teilhaben, ist zu verurteilen und führt
zweitens nicht selten zu gefährlichen Irrtümern.
Mit von der Partie war damals auch die Kirche, die lange Zeit viele Mißstände
des Revisionismus, des zerfallenden Sozialismus gedeckt hat und gleichzeitig
ihre Fäden immer in Richtung Kapitalismus ausgerichtet hat. Ihr sogenannter
Widerstand konnte in nichts anderem als in neokapitalistischen Richtungen
enden. Wie hieß es doch damals? „Kommt die D-Mark nicht nach hier, gehen
wir zu ihr!“. Nun, die D-Mark ist gekommen, und was hat sie gebracht,
bitteschön? Die Welt sah etwas anders aus, nachdem die D-Mark „gesiegt“
hatte, oder heute der Euro, zusammen mit dem Dollar, als es sich mancher
erträumt hatte, der vorher gehört hatte, wie es hier im Westen aussehe,
der seine Informationen von ehemaligen DDR-Bürgern im Westen bekommen
hatte, die hier im Westen einigermaßen passable oder manchmal ganz angenehme
Bedingungen vorgefunden haben. Aber das hatte politische Hintergründe.
Für die Mehrheit der Bevölkerung in Osteuropa und jetzt auch in Westeuropa
sieht jetzt der Kapitalismus ganz anders aus. Ist der Sozialismus erst
einmal platt, springt das Kapital auch mit Arbeitern so um, wie es das
von seiner Natur her gewohnt ist.
Deswegen ist es etwas merkwürdig, daß auf die Formen dieser Montagsdemonstrationen
zurückgegriffen wird. Hier wird beim Worte genommen, daß angeblich diese
Art von Protest den Sturz einer Regierung herbeiführen würde. Es ist die
Frage, wohin denn diesmal mit den Montagsdemonstrationen der Zug nach
rechts gehen soll? Denn wieder stehen die Fragen, die eigentlich das Land
bewegen, der radikale Kapitalexport, die Logik mit der das Kapital hier
seine internationale Strategie verfolgt, nicht zur Debatte.
Es ist absolut notwendig, daß man die wirklichen Hintergründe der heutigen
Veränderungen wie Hartz-Gesetze und soziale Umschichtung im Sinne des
Kapitals sieht. Der internationale Konkurrenzkampf des Kapitals zwingt
die Kapitalisten, unabhängig von ihrem eigenen Willen, zur verschärften
Akkumulation. Das Streben des Kapitals nach unumschränkter Herrschaft
zwingt sie dazu, die Entrechtung so weit wie möglich durchzuführen. Einen
Ausweg gegenüber diesem Kapital gibt es nicht, es sei denn, man bekämpft
es selbst direkt. Ohne eine Auseinandersetzung um das, was das Kapital
bewegt, was es will, wird man keinen einzigen Schritt weiterkommen, es
sei denn nach hinten.
In den jetzigen Redebeiträgen auf den Anti-Hartz-Kundgebungen sprechen
Leute, die manchmal ehrlich ersten Protest ausdrücken. Aber diese Bewegungen
sind nicht imstande, die Illusionen zu begraben, die sie überhaupt in
die heutige Lage geführt haben. Die Montagsdemonstrationen von 1989 predigten
auch Illusionen, viele Illusionen, katastrophale Illusionen, die heute
das Schicksal einer ganzen kommenden Generation bestimmen. Auch schon
1989 hatte die Bundesrepublik eine katastrophale ökonomische Struktur,
eine katastrophale Freisetzung von großen Teilen der Arbeiterklasse und
rücksichtslose Deprivierung von Teilen der Jugend. Die Verlagerungen waren
voll im Gange. Vieles hat die deutsche Einheit in den ersten Jahren überdeckt,
die Arbeitskräfte aus der DDR konnte man erst einmal gut gebrauchen. Aber
das alles war nur zwischendurch, bis das Kapital sich aufrappelte und
heute international mehr ausbeutet als je zuvor. Heutige große Konzerne
ziehen bis zu 80% ihres Profits aus dem Ausland. Und ihre ehrgeizigen
Ziele sind zwangsläufig weiter auf die ganze Welt gerichtet. Wir stehen
auf dem Abschiebegleis, auf dem Erniedrigungsgleis, wer weiß, wann wir
nach ihrer Denkweise überhaupt wieder drankommen, um als bezahlte Arbeitskräfte
zu dienen. Die ganzen sogenannten Sozialreformen, die Einrichtungen
von Pseudojobs überdecken nur die Tatsache, daß sie diese Bevölkerung
erst mal abgeschrieben haben. In ganz Europa steht es unter solchen Bedingungen
an, mit dem Kapital als solchem abzurechnen und über Illusionen über das
gesamte kapitalistische System mitsamt seinen revisionistischen Auswüchsen
ins klare zu kommen.
Man muß schließlich auch berücksichtigen, daß keine einzige der parlamentarischen
Parteien bei der Bewältigung der Probleme irgendwelche Erfolge verbuchen
kann. Dies gilt auch für die PDS, weil sie da, wo sie an der Regierung
ist, sich sehr schnell verschleißt, und dann vielleicht Rechte irgendwelche
Erfolge haben. Aber was können Rechte denn an der sozialen Situation ändern?
Gar nichts. An der vom internationalen Monopolkapital beherrschten Situation
können sie gar nichts ändern, sie können aber die politische Situation
für dieses Land radikal verschlechtern, in dem sie dazu beitragen die
Nationen aufeinanderzuhetzen, letztlich aber die Spaltung Europas hervorrufen.
Was haben die Jugendlichen, die heute in irgendwelchen entvölkerten Städten
sitzen und nicht wissen, was sie machen sollen, wenn sie nicht schon nach
Westen abgehauen sind, von dieser Bewegung gehabt, die naiv das westliche
System in den Himmel gehoben hat? Und es ist gerade dieses Nichts, die
Aussichtslosigkeit, die den rechten Propheten Auftrieb gibt. Mit einem
von ihnen propagierte „Ausbrechen“ aus Verzweiflung tritt
ein Ergebnis mit katastrophalen Folgen ein. Nachdem die Rechten sich sowohl
auf Grund der historischen Erfahrungen, als auch auf Grund ihres phrasenhaften
Charakters diskreditiert hatten, wäre es fatal, von größtem Schaden, wenn
ihnen nun auf Grund von solcher Bewegung eine Brücke gebaut würde.
Deshalb ist es durchaus eine berechtigte Frage, warum jetzt wieder eine
solche Bewegung, solche Formen des Protestes gefördert werden, die das
Hinterfragen der Verhältnisse unterbinden, die Hintergründe verschleiern,
und angepaßte kleinbürgerliche Illusionen predigen.
Wenn sich nun die Bewegung in diesen Formen entwickelt, dann muß dies
auch objektive Gründe haben, darüber kann man nicht lamentieren, aber
es ist die Pflicht aller Kräfte, die über diese Bewegung hinausblicken,
diese Fragen unnachsichtig hineinzutragen und schonungslos unter anderem
die Geschehnisse, die am Anfang der neunziger Jahre in der vormaligen
DDR herrschten, beim Namen zu nennen.
Redaktion Neue Einheit, 20.8.2004
www.neue-einheit.com |
neue-einheit.com
16.
August, Montagsdemo gegen Hartz IV in Berlin -
eigener Bericht
-------------------
Gruppe Neue Einheit:
Unsere
Position zum Kampf gegen soziale Entrechtung (sog. Hartz-Politik)
IS 2003-16 4.04.03
Das
Kapitel der Entrechtung Nr.2
- Das Hartz-Konzept in seiner endgültigen Form
IS 2002-24 10.9.2002
Rubriken:
Das
Hartz - Konzept
ein massiver Angriff auf die Erwerbstätigen und Arbeitslosen
Soziale
Bewegung
- Statements
- Dokumente
- Termine
|