Internet Statement 2007-46

 

Die Realität der Anti-G8-Demonstration am 2.6.2007

Hartmut Dicke, 26.05.2007    

Die Unzufriedenheit im Lande ist groß, und wenn auch die Formen des Widerstandes noch schwach sind, so entwickelt er sich doch in vielen kleinen Aktionen, die hoffentlich zu mehr führen werden. Die Politik der sozialen Beschwichtigung bei gleichzeitigem immer weitergehendem Ruin der Existenzgrundlagen der arbeitenden Menschen, die während der letzten 30 Jahre dominant war, kommt an den Punkt der Offenbarung.
Nun führen eine Reihe von Organisationen wie Attac und sog. NGOs (Non Governmental Organizations) sowie zahlreiche weitere Gruppierungen, die in einem Zusammenhang damit stehen, die schon traditionelle Demonstration. gegen einen „G8-Gipfel“ durch. Diese wird seit Monaten vorbereitet, zahlreiche Gruppen und Aktivitäten werden auf dieses Ereignis fokussiert, was auch eine beträchtliche Unterstützung durch die Medien findet.

Ein solcher Beratungs-Gipfel der 8 etablierten Industriestaaten ist keineswegs eine solch wichtige Angelegenheit, als die er in der Öffentlichkeit verkauft wird. Die wesentlichen Entscheidungen werden ohnehin auf der Ebene von Kommissionen und bilateralen Verhandlungen durchgebracht. Er hat eine wichtige Funktion bei der Präsentierung einer Art Show der sog. Einheit und Diskussionsbereitschaft verschiedener Länder, die in Wirklichkeit nicht in dieser Form existiert. Wir wissen, daß sich die Gruppe der 8 überhaupt nicht einig ist, und daß auch ihre führenden Vertreter auf solch einem Event keine Einheit herbeiführen können. Obendrein ist einer der wichtigsten Industriestaaten, der mit jedem Tage größer und stärker wird, nämlich China, auf dieser Konferenz gar nicht vertreten. Auch Indien, Brasilien und andere wichtige Staaten sind dort nicht repräsentiert.

Dennoch ist es unter Umständen nicht falsch, gegen die Absprachen und Aushandlungen beabsichtigter weiterer Repressionen durch ein solches Gremium zu demonstrieren. Die Frage ist jedoch: wie und unter welchen politischen Vorzeichen geschieht dies?
Es haben sich in der ganzen Republik die verschiedensten Gruppen herausgebildet, die alle jetzt den G8-Gipfel benutzen wollen, um ihre Position klarzumachen oder wenigstens Auswüchse des Kapitalismus anzugreifen. Das zu versuchen, ist in jedem Fall nicht falsch , aber es darf nicht übersehen werden, in welchen politischen Zusammenhang dies gestellt wird.
Wenn in zentralen Aufrufen eine Politik vertreten wird, die ausgerechnet der führenden Bundeskanzlerin oder anderen Repräsentanten der gegenwärtigen großen Koalition den Rücken steifen, indem sie in der Substanz genau die gleichen erzreaktionären Thesen vertreten, dann ist das etwas ganz anderes als Kritik an den bestehenden kapitalistischen Zuständen.
Denn von was redete Angela Merkel in den letzten Monaten mehr als von der „Klimakatastrophe“, die uns alle bedrohe und deren Bekämpfung wir alles andere unterordnen müssen. Wenn es nach diesen Kräften ginge, müssen wir allesamt getreu dem Kapital hinterherlaufen, damit dieses den Kampf gegen die Klimakatastrophe „für uns alle“ organisiert. Genau die gleichen Thesen von „Klimakatastrophe“ finden wir in dem zentralen Aufruf „Eine andere Welt ist möglich“. „Für einen schnellen und radikalen Wechsel zu den erneuerbaren Energien“, heißt es da.

Genauso stemmt sich die Bundeskanzlerin oder noch fanatischer der Umweltminister Gabriel (SPD) gegen die weitere Anwendung der Atomenergie auf der ganzen Welt. Die Bundesregierung nimmt eine Oppositionsstellung gegen fast sämtliche anderen Staaten ein, nicht nur die der G8, sondern auch gegen solche Staaten wie China, Südafrika, Iran, Indien und viele andere, die die Atomenergie entwickeln. Was lesen wir aber in dem Aufruf:

„Die G8-Staaten sind die größten Klimazerstörer. Sie allein sind für 43% des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich und stehen zudem für eine Renaissance der Atomenergie, die wir entschieden ablehnen.“

Nun, diese Renaissance des Eintretens für die Atomenergie ist bei den Herren des Kapitals doch recht begrenzt. Aber wahr ist, daß Attac und andere, die diesen Aufruf herausgegeben haben, hier denselben reaktionären Wind ausbreiten, wie er von Angela Merkel und vorher schon von der Schröder-Regierung mit Nachdruck vertreten worden ist. Die Propagierung der sog. erneuerbaren Energien ist ein zentrales Kettenglied der heutigen Bundesregierung, die diese so stark wie keine andere Regierung auf der Welt propagiert. Wenn heute ein führender Minister oder der Bundespräsident in ein anderes Land fährt, was bringt er dann vor? Daß möglichst sog. erneuerbare Energien auch in dem besuchten Land vermehrt Anwendung finden sollen. Ist das nun eine Demonstration gegen den G8-Gipfel oder eine Demonstration. zur Unterstützung der Thesen der Angela Merkel, Gabriel und Co.?

Und dann die ganze Tonlage dieses Aufrufes, der verkündet:

„Für eine friedliche Welt! Schluss mit der militärischen Durchsetzung wirtschaftlicher und machtpolitischer Interessen durch die G8-Staaten!“

Als ob man das herbeibitten könnte. In seinem Wesen ist das wie Kirche, die vollkommen jenseits der Realität absurde Friedensthesen vertritt. Solch ein Appell stellt die Verbreitung von Naivität in großem Umfang dar. Es kann niemand glauben, daß auf Grund irgendwelcher Bitten solche Kräfte, die auf ihre Machtpolitik und ihre militärische Politik angewiesen sind, verzichten. Das ist absurd, und es führt auch hinter die tägliche Erfahrung der Menschen zurück.
Denn welche Erfahrung machen die Menschen heute zum Beispiel in ihrem Betrieb oder Büro? Sie gehen zur Arbeit, obwohl sie krank sind, weil sie wissen, sie werden sonst entlassen. Sie halten ihren Mund, obwohl sie starke Mißstände sehen, weil sie alle unter der Erpressung mit der Arbeitslosigkeit leiden. Selbst große Menschengruppen, die sich gemeinsam wehren, haben Schwierigkeiten, dem Druck des Kapitals zu trotzen. Was sollen also hier diese paar Bittgesänge, dieses allgemeine Bitten, die Herren des großen Kapitals möchten doch bitte auf die militärische Durchsetzung wirtschaftlicher und machtpolitischer Interessen verzichten? Das glaubt doch kein Mensch. So etwas Naives vorzutragen, ist selbst die bitterste Ergänzung dieser abstoßenden Konferenz der Kapitalgewaltigen.

Und noch mehr, kann man denn hoffen, daß die heutigen führenden Staaten „friedlich“ miteinander auskommen. Abgesehen, daß dies nicht möglich ist, sind die Gegensätze unter ihnen gerade die Ursachen, daß sie ihre eigene Herrschaft untergraben und den Weg für Umwandlung und Revolutionen freimachen. Diejenigen, die die Einheit des Kapitals und der großen Länder herbeiflehen, sind die, die am meisten und radikalsten die Verhältnisse der Ausbeutung verewigen wollen. Sie sind die letzten, die die gegen Unterdrückung und Herabsetzung kämpfenden Massen in allen Ländern unterstützen sollten.

Mit keinem Wort ist von der „neuen“ kapitalistischen Realität, die die Menschen ungeschminkt zu Objekten der Vernutzung durch das Kapital erklärt, die Rede. Sie breitet sich heute überall aus und wird zu Norm und Alltag. Davon ist in den offiziellen Aufrufen nichts zu merken. Das führt die Menschen eher zurück als nach vorne. In der Globalisierung liegt zugleich auch ein revolutionäres Element, das genutzt werden muß, diese grundlegende Tatsache ist bei diesen Autoren mit einem Tabu belegt.

Eine weitere Komponente der Angelegenheit besteht darin, daß der Staat offensichtlich selbst die Demonstration als große Übung für seinen Polizei- und sogar Militärapparat benutzen will. Es gibt unter diesen Gruppen Kräfte, die inhaltlich das Gleiche wie Attac und die NGOs vertreten, aber meinen, man müsse diese in der Substanz reaktionäre Politik mit Militanz verstärken. Diese Gruppen wurden in einer Polizeiaktion am 8./9. Mai von einer großen landesweiten Durchsuchung heimgesucht, um angeblich „die Gefahr des Terrorismus“ zu bekämpfen. Bis dahin war wenig Leben in den Vorbereitungen dieser seit Monaten propagierten Veranstaltung. Durch die Durchsuchungen und die darauf folgende Empörung wurde bewirkt, daß in die ganze Sache des Anti-G8-Gipfels überhaupt Leben kam.

Niemand weiß zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wie die Sachen ablaufen werden. Der Staat hat ohnehin durch seinen riesigen Mauerbau und seine Schutzvorrichtungen die größte polizeiliche und innenpolitische Übung in Angriff genommen, die dieses Land je gekannt hat. Vermutlich werden diejenigen „friedlichen“ Demonstranten, die eh schon in ganz ähnlichen Tönen wie Frau Merkel agieren, dort als „die Guten“ begrüßt, während es mit einigen Militanten dann die entsprechenden Aktionen der Polizei gibt.
Oder aber man führt den militanten Konflikt noch weiter, um dann die Lage im Land allgemein weiter zuzuspitzen, um ein Klima verschärfter Repression zu schaffen. So etwas hatten wir schon mal in den siebziger Jahren. Die wachsende Unruhe, die Unzufriedenheit mit dem Staat, die Behandlung der Arbeitslosen und nicht zuletzt Streikaktionen, sind der wahre Grund, warum es zu einer wachsenden Aufrüstung des Staates gegen den „inneren Feind“ kommt.

Die Telekombeschäftigten führen den ersten großen und umfassenden Streik durch. Der Bankrott der Politik läßt sich trotz des international getragenen Aufschwunges nicht verbergen. Dieser Streik und andere Aktionen im Lande könnten sich durchaus plötzlich Repressionswellen gegenübersehen, die von irgendwelchen Zusammenstößen bei dem Kampf an der Mauer von Heiligendamm ihren Vorwand und Ausgangspunkt genommen haben.

Diese Streiks, ebenso wie die Aktionen der Studenten gegen die Studiengebühren und den immer weiter gehenden Prüfungsterror, müssen unterstützt werden. Zugleich muß den vollkommen reaktionären abstoßenden Phrasen der Initiatoren dieser in Szene gesetzten öffentlichen Opposition, mit ihrem Begleitkonzert zum G8-Gipfel, die Maske heruntergerissen werden. Ihre Opposition ist zu nichts nutze, außer den Staat in seinen reaktionärsten Bemühungen zu unterstützen und ihm eine Art demokratische Legitimation, ein Alibi zu verschaffen. Aber selbst das gelingt ihnen nicht besonders gut.


 

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