Internet Statement 2008-32

 

Zur These von der sogenannten „Privatisierung des Elends“

Maria Weiß  3./28.8.2008   

Die folgende Abhandlung wurde angeregt durch eine Zuschrift auf das IS... (Fall Lea-Sophie- Das Urteil) hin, in der bei einer ansonsten bekundeten Übereinstimmung kritisiert wurde, daß eine angebliche „Privatisierung des Elends“-Tendenz zu wenig berücksichtigt worden sei. Sie soll zugleich eine Antwort auf diesen Einwand als auch Anregung zu weiterer Überlegung und Diskussion sein.

In einer Gesellschaftsordnung, in der kapitalistische Ausbeutung herrscht, ist in gewisser Weise das Elend immer privat, genauso wie der Reichtum privat ist. Die Gesellschaft basiert auf der Aneignung der Arbeit zwecks privater Profitmacherei, infolgedessen ist auch das Gegenteil von Profitmacherei, nämlich Verelendung durch Arbeitslosigkeit [1], persönlicher Bankrott und alles andere naturgemäß von der Gesellschaftsordnung her privater Natur. Dieser grundlegende Umstand steht also schon mal im Gegensatz zu der Annahme einer angeblich stattfindenden „Privatisierung des Elends“.

Eines der obersten Prinzipien unseres sog. Grundgesetzes lautet, daß das private Eigentum unter dem Schutz des Staates steht. Das ist auch nicht verwunderlich, denn das Grundgesetz ist das einer Gesellschaft, die von ihrer ökonomischen Struktur her darauf beruht, daß zwar eine gesellschaftliche Produktion existiert, die Früchte dieser Produktion sich aber privat aneignet werden, sprich die kapitalistische Produktionsweise. Ob ein Mensch in einer solchen Gesellschaftsordnung im Elend lebt oder nicht, hängt zum einen davon ab, inwieweit er an diesem Aneignungsprozeß beteiligt ist oder nicht, sei es als Eigentümer von Besitz von Produktionsmitteln, von Grundbesitz oder von Kapitalbesitz in anderer Form, oder ob er sich in einer Situation befindet, zwar nichts zu besitzen, aber seine Arbeitskraft, die jeder Mensch besitzt, zu verkaufen,. so daß ihm ein gewisser Lohn zuteil wird. Gelingt ihm dies dauerhaft nicht oder nur unzureichend, ist zunächst einmal für ihn das Elend angesagt.

Nun mag manch einer vielleicht erwidern: Aber es gibt doch den Staat, der dafür sorgt, daß niemand ins Elend verfällt. Der hat doch die (öffentliche) Aufgabe dies zu verhindern. Zunächst ist, wie man sehen kann, dieser Staat keineswegs neutral, denn er schützt an oberster Stelle die private Aneignung der Arbeit, welche die Profitvermehrung zum Ziel hat und auf der Auspressung der Arbeitskraft beruht. Davon auszugehen, daß unter diesen Umständen das Elend grundsätzlich etwa nicht privater Natur ist, ist Unsinn. Und beruht auf der Illusion, daß der Staat in einer solchen Gesellschaft soviel von den (privaten) Profiten abbekommt, daß es ihm möglich ist, diese Art von Elend zu vermeiden. Das geschieht aber nicht freiwillig, sondern es wurde ihm von Anfang an durch zwei Jahrhunderte hinweg von der Arbeiterbewegung abgerungen. Und es geschah auch nicht umsonst, wie die weitere Erfahrung zeigt.

Es war sogar längere Zeit der Fall und wurde international hervorgerufen durch den einige Zeit bestehenden Gegensatz zwischen Sozialismus und Kapitalismus, der sich seit den 50er Jahren weltweit verschärfte, daß es für den Staat einer solchen Gesellschaft wie der unsrigen notwendig erschien, nach Möglichkeit das allzu offene und krasse Elend zu vermeiden. Dies geschah in einer vielfältigen Weise durch Zuwendungen, auf die man teilweise sogar einen „Rechtsanspruch“ bekam, z.B. das sog. Recht auf Sozialhilfe für jemand, dem es nicht möglich war, auf andere Weise seinen Lebensunterhalt zu gewährleisten. Der Staat und die Bourgeoise, bzw. die verschiedenen Parteien, die diese repräsentieren, waren über längere Zeit hinweg in unterschiedlichem Grade bemüht, dieses schöne Bild aufrecht zu erhalten, insbesondere während und nach den Unruhen der sechziger Jahre, die in diesem Land wie in vielen anderen Ländern aufgekommen waren. Sie waren insbesondere daran interessiert, die Arbeiter, Studenten und andere Volksmassen zu beruhigen, die damals in zunehmendem Maße in Bewegung gerieten und unverhohlen ihre Forderungen stellten und Fragen prinzipieller Art aufwarfen. Seht doch wie gut es uns hier geht, lautete es von Seiten der Herrschenden, niemand braucht zu hungern, niemand braucht im Elend zu leben, alle haben die gleiche Chance. Niemand kann bei uns ernsthaft existentiellen Schaden nehmen. Wer eben mal keine Arbeit hat, der kriegt erst mal sein Arbeitslosengeld, es gibt ja auch eine Versicherung dafür, die ja auch rechtfertigt, daß es weiter gezahlt wird, und wenn das dann irgendwann aufhört, dann greift eben das sog. „soziale Netz“, sprich die „Sozialhilfe“. Und mit dieser sogenannten Sozialhilfe wurde jahrzehntelang in diesem Land wie auch in einigen anderen Ländern in Europa zeitweise relativ großzügig umgegangen. Es war nicht allzu schwierig, daran zu kommen und es wurde auch nicht besonders genau kontrolliert, ob der Anspruch berechtigt war und was damit passierte. Das ist allerdings, wie richtig vermerkt wurde, seit 6, 7, 8 Jahren, genaugenommen seit Einführung der sog. Hartz-Gesetze durch die Rot-Grüne Regierung anders geworden.
Das hängt damit zusammen, daß international wie auch innerhalb des Landes sich die Gegensätze und damit das ganze soziale Klima erheblich verschärft haben, die Konkurrenz unter den international agierenden Kapitalien viel schärfer geworden ist, auf Grund der weltweiten Entwicklung, so daß im Inneren dieser Staat die Notwendigkeit sah, nicht mehr ganz so „freigiebig“ mit gewissen Ansprüchen umzugehen, vor allem mit solchen, die „das Elend“ betrafen. Natürlich ist damit nicht gemeint, daß auf der anderen Seite die Verschwendung in ihren eigenen Reihen etwa irgendwelche Grenzen kannte. Hier wird nach wie vor, egal ob grün, rot, gelb oder schwarz, gepraßt was das Zeug hält. Was das Elend angeht, so sind sie jedoch inzwischen sehr knauserig geworden.

Wichtig ist aber, daß diesem Vorgang der „Verknauserung“ in punkto Elend (nicht etwa einer „Privatisierung“ !) in diesem Land ein ganz anderer sozialer Vorgang vorweg ging, welcher sich ursächlich auf die Vermehrung des Elends ausgewirkt hat. Das ist der Vorgang, daß die Produktionsstätten hier zunehmend weg gewandert sind, in Länder, wo mehr Profit rauszuholen war und ist für das Kapital, und hier auch nichts Entsprechendes nachgewachsen ist, so daß die Arbeitslosigkeit, die aus diesem Vorgang resultiert, über Jahre und Jahrzehnte hinweg Millionenhöhe erreicht hatte und immer noch hat. Sie stieg zuletzt unter der Schröder/Fischer-Regierung auf über 5 Millionen an, bekanntlich, und ist inzwischen unter der jetzigen Koalition angeblich bei „nur“ 3,5 Millionen angekommen, was sich schwerlich als wirklichen Erfolg verkaufen läßt.
Diesen ökonomischen Vorgang, der diesen ganzen Verhältnissen einer zunehmenden und sichtbaren Verelendung ganzer Schichten, wie wir sie jetzt hier haben, zugrunde liegt, den muß man sich verdeutlichen, was das eigentlich darstellt. Es wurden millionenfach Menschen Jahr für Jahr aus ihrer Arbeit „freigesetzt“ – und das passiert immer noch tagtäglich- und hatten ( und haben) auf Grund dessen, daß die Produktion weggewandert ist und dieser Einschränkungsvorgang nach wie vor anhält, großenteils wenig oder keine Möglichkeit, einen anderen Arbeitsplatz sozusagen zu finden. Dieser Vorgang hält seit ungefähr 30 Jahren hier an und der hat eben auch seine Konsequenzen gehabt (in punkto „Elend“.)

Begleitet wurde er von der sog. Ökopropaganda, d.h. einer allumfassenden gesellschaftlich betriebenen Hetze gegen Industrie und vor allem gegen eine bestimmte fortgeschrittenen Energieform, die Kernenergie. Ohne diese öffentlich betriebene und permanent auf die Menschen heruntergelassene, in sämtlichen Schulklassen und selbst im Kindergarten bereits weit verbreitete Hetze wäre dieser „Freisetzungs“-Vorgang sicherlich nicht in solch einer Form abgelaufen wie das der Fall gewesen ist. Widerstand gegen diese Deindustrialisierung und die sie begleitende Ökohetze wurde in unserem Land regelrecht stigmatisiert. Willst du etwa für Kernenergie sein, lautete es überall, dann bist du verrückt, dann bist du für die Vernichtung der Umwelt für zig Tausende von Jahren. Das kannst du doch nicht ernsthaft vertreten, du machst ja die Umwelt für deine Kinder kaputt und lieferst diese der Vernichtung aus. So und ähnlich lautete es in Hunderten Variationen. Dafür müssen eben Opfer gebracht werden. Ja, und wenn es die Zukunft der eigenen Generation ist, und natürlich auch der zukünftigen, das muß dann eben sein. Es gibt sowieso schon viel zu viele Menschen hier, sieh mal, sogar auf der ganzen Welt gibt es zu viele, es ist unvernünftig, so viele Kinder in die Welt zu setzen, das lassen wir wenigstens hier mal lieber bleiben.

Die Grünen, die sozusagen parallel zur Anti-AKW-Richtung und großenteils identisch damit großgezogen wurden, propagierten sogar in ihren extremen Auswüchsen, daß der Mensch in Wirklichkeit eine Fehlentwicklung der Natur sei und propagierten eine Art feindlichen Gegensatz zwischen Mensch und Natur, so daß man den Eindruck bekam, wenn man dieser Richtung folgen wollte, daß es nicht ratsam sei, noch mehr Menschen in diese Welt zu setzen, weil ich dadurch ja der Natur Schaden antun würde. Diese perverse Propaganda lief jahrzehntelang und ging mit dem sog. Management des durch den industriellen Abbau verursachten Elends einher. Eine krassere und wirksamere Abschneidung des natürlichen Bestrebens nach Weiterentwicklung ist kaum vorstellbar, außer durch eine unmittelbare gewaltsame Vernichtung beispielsweise durch einen Krieg. Dies wurde hier sozusagen „verinnerlicht“. Es ist historisch festzuhalten, daß diese verbrecherische Richtung durch fast sämtliche linken und sich als fortschrittlich bezeichnenden Organisationen, inklusive der meisten gewerkschaftlichen Richtungen massiv unterstützt wurde und ihr nachgelaufen wurde und bis zum heutigen Tag wird.

Eine derartig omnipräsente Hetze gegen die Menschheit in der Zeit der siebziger und auch noch der achtziger Jahre hat aber ihre Konsequenzen gehabt. Es wurde von „Überbevölkerung“ und „Überindustrialisierung“ geredet, was sicherlich viele geneigt machte, zunächst einmal den Widerstand gegen den Abbau zurückzustellen, was noch durch die scheinbare Abfederung durch z.T. relativ großzügige Sozialpläne etc. unterstützt wurde. Überdeckt wurde damit der materielle Vorgang. Es gab immer weniger industrielle Arbeitsplätze, abgefangen wurde das z.T. durch eine überdimensionale Aufblähung des Dienstleistungssektors. Was schrumpfte, waren jedoch nicht nur die industriellen Arbeitsplätze, sondern es schrumpfte auch der Nachwuchs. Er schrumpfte so stark, daß sozusagen die Gesellschaft sich generationsmäßig auf den Kopf stellte. Es entstand ein zunehmender Anteil an Älteren und alten Menschen, welchen nur noch ein relativ geringer Teil junger und jüngerer Menschen gegenübersteht, so daß der sogenannte Generationenvertrag völlig aus dem Ruder geriet. Zum Vergleich: in anderen Ländern zum Beispiel im Mittleren Osten oder in Asien beträgt der Anteil der sehr jungen Menschen zum Teil mehr als die Hälfte der gesamten Gesellschaft. Bei uns ist es mindestens umgekehrt inzwischen und es verschlimmert sich noch, trotz einer gewissen Trendwende in der allerletzten Zeit.

Aber zurück zum Thema Elend und wie die Gesellschaft damit umgeht. Es wurde lange Zeit versucht, über diese Verhältnisse hinwegzutünchen, indem eben jeder der es notwendig hatte, diese öffentliche Unterstützung bekommen konnte und diese auch nicht derartig kraß gering ausfiel, wie es in neuerer Zeit der Fall ist, es war schon insgesamt möglich durch die ganzen Zusatzanträge, die man stellen konnte und die jetzt sämtlichst gestrichen wurden, wenigstens einigermaßen über die Runden zu kommen, ohne die wirklich krasse Armut zu spüren, wie es jetzt seit einigen Jahren bei Vielen der Fall ist.

Das alles steckt in dem sozialen Vorgang, der mit dem Begriff der sogenannten „Privatisierung des Elends“ zugedeckt wird, in Wirklichkeit drin, bzw. geht diesem vorweg .

Ein Mensch, der seinen linken Anspruch ernst nimmt, sollte derart verschleiernde Begriffe verwerfen und statt dessen die materiellen gesellschaftlichen Vorgänge analysieren, wie sie tatsächlich vonstatten gegangen sind und gehen. Um etwas zu ändern muß man erst mal sehen, wie es wirklich ist. Wenn das nicht durchgesetzt wird, dann geht der soziale Betrug immer weiter und das wirklich große Elend, und zwar für die Mehrheit, in gewisser Weise sogar für die ganze Gesellschaft, wird erst ermöglicht. Was selbstverständlich mit inneren und internationalen Untaten des herrschenden Kapitalismus und seiner politischen Vertreter einhergehen wird.

Das Ziel muß sein: Wir wollen keine Almosen, keine alten und auch keine neuen (keine Rückgängigmachung oder Minderung der angeblichen „Privatisierung des Elends“), die uns nur erneut an diese Gesellschaft anketten, sondern wir wollen die auf unserem Engagement und unserer Arbeit und unseren Fähigkeiten basierende Inbesitznahme der Gesellschaft als Ganzes samt ihrer Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung und selbstverständlich der Abschaffung des Elends! Und wir verbinden uns mit allen Menschen auf der Welt, die dieses auch so sehen und zunehmend sehen werden.

Wie das vonstatten gehen kann, darüber wird noch gesondert zu sprechen sein.

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(1) Gemeint sind hier ebenso die Formen verdeckter Arbeitslosigkeit – Minilöhne, sog. 1-Euro-Jobs usw. – d.h. Entlohnungen von denen hierzulande eigentlich keiner leben kann, die vom Kapital aber zunehmend hier eingeführt worden sind. Auch dies sind natürlich Formen der Verelendung.

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