Internet Statement 2007-26

 

 

Die Aufrufe zu einer "Anti-EU-Demo" am 25. 3. in Berlin

 

- von welcher Warte aus wird hier die EU angegriffen?

Walter Grobe, 21.3.2007

 

Unter den Hauptparolen „Nein zum Europa des Kapitals / Stoppt die Militarisierung der EU“ werden einige Slogans ausgebreitet, die oberflächlich an der Empörung über den Kapitalismus ansetzen, aber in Wirklichkeit vor allem die Unfähigkeit und auch den fehlenden Willen der Verantwortlichen bekunden, sich mit dem Kapitalismus zentral auseinanderzusetzen.

 

Wer „Nein zum Europa des Kapitals“ sagt, muß die Frage beantworten, wie das Ja zum nichtkapitalistischen Europa oder, anders ausgedrückt, zum Europa des Sozialismus verwirklicht werden soll. Und da sieht es trübe aus, vor dieser Frage gibt es nur Ausweichen. Statt dessen sollen wir uns für einige hübsche (manchmal auch weniger hübsche) Reförmchen begeistern, als würde ihre Durchsetzung in der Summe das Kapital in Europa schachmatt setzen. Hier wird so getan, als brauche man bloß

- „Löhne und alle sozialen Standards an das oberste Niveau angleichen“,

- das „Aufenthaltsrecht für alle“ zu gewähren,

 

 und schließlich noch

 

-  „Schwule, Lesben und Transgender“ extralieb zu behandeln

---- und dann wären wir schon so ziemlich paletti mit dem Kapitalismus. Was für ein Kinderkram. Wo bisher in der Geschichte das Kapital in die Schranken gewiesen werden konnte, wo in Teilen der Welt und immerhin schon für längere Perioden massendemokratische und sozialistische Gesellschaftsordnungen verwirklicht wurden, waren Revolutionen der arbeitenden Massen, Klassenkriege in größtem Umfang nötig gewesen. Hat der Weltkapitalismus seitdem etwa abgerüstet?!

 

Diese Leute verwechseln auch großsprecherische Papiere bestimmter EU-Politiker mit den Realitäten der heutigen Welt. Sie porträtieren eine EU, die dabei sei, sich „zum konkurrenzfähigsten und stärksten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.“ Da lachen ja die Hühner, besonders in USA und China. Die konkurrenzfähigsten und stärksten Wirtschaftsräume der heutigen Welt sind jene, während die EU abfällt, und sie sind nicht nur Wirtschaftsräume ähnlich der EU, sondern auch, ganz anders als diese, zentralisierte politische und militärische Mächte. Von den USA nimmt aber dieser ganze Aufruf systematisch keine Kenntnis, genausowenig wie von China, dem im Aufstieg begriffenen zukünftigen Hauptkonkurrenten der USA.

 

So sehr man die kapitalistische Ausbeutung bekämpfen muß, die die europäischen Firmen und Konzerne an der eigenen Bevölkerung sowie an der internationalen Arbeiterklasse und den armen und abhängigen Ländern verüben, so kann man doch nicht verkennen, daß dieses europäische Kapital politisch zersplittert, zu gemeinsamen größeren politischen Aktionen insbesondere gegenüber den USA unfähig ist.

 

Man kann doch nicht verkennen, daß der eigentliche oberste Strippenzieher in Europa immer noch die USA sind. Auch die europäischen militärischen Potentiale werden in letzter Instanz noch immer von den USA kontrolliert. Sämtliche internationalen imperialistischen Militäraktionen der EU oder bestimmter EU-Mitgliedsländer stehen bislang unter der Kontrolle dieser angemaßten Supermacht. „Stoppt die Militarisierung der EU im Sinne der imperialistischen Abenteuer, ob sie nun in größerer oder geringerer Abhängigkeit von den USA stehen“ - so etwa müßte es heißen.

 

Der Aufruf verrät die dahinterstehenden Interessen gerade auch durch diese wirklich höchst eigenartige Sicht, in der die Auslandseinsätze und die Militarisierung von EU-Ländern behandelt werden. Seit wenigstens einem Jahr üben die USA Druck auf die BRD aus, in Afghanistan endlich sich voll unter US-Oberkommando zu stellen und sich in diesem verbrecherischen Krieg an den Kampfhandlungen direkt und vollständig aktiv zu beteiligen. Jeder weiß, daß der Tornado-Einsatz unter diesem Druck zustande kommt, wenn er nicht noch verhindert wird. Aber gerade diese Forderung unterläßt der Aufruf. Und die US-Raketenstationierung in Polen und Tschechien ist wohl kein Beitrag zur Militarisierung der EU? Auch dieser selbstherrliche und gefährliche militärpolitische Eingriff der USA in die strategische Lage Europas wird stillschweigend übergangen. Hier geht es anscheinend darum, von der internationalen terroristischen Militärdiktatur der USA abzulenken und die EU als den Hort des Kriegstreibens erscheinen zu lassen.

 

Es ist zwar in der Tat notwendig, die Friedensheuchelei der EU-Oberen zu demaskieren, schon einmal weil jeder Kapitalismus und Imperialismus Kriegstreiben hervorbringt; aber wenn der Aufruf das mit dem Argument tut: „der letzte Krieg in Europa ist gerade einmal 8 Jahre her“, dann übt er vor allem Ablenkung davon, daß der Jugoslawienkrieg von 1999 ohne das politische Treiben und die Militärmaschinerie der USA nie zustande gekommen wäre. Die Verfilzung der BRD-Oberen mit dem albanischen Banditentum allein hätte diesen Krieg nicht auslösen können. Ebensowenig kann man vergessen, daß die jugoslawische Bundesregierung 1991 bei der versuchten militärischen Vergewaltigung Sloweniens und Kroatiens 1991 die Rückendeckung der USA hatte, und daß der brutale jahrelange Bosnienkrieg 1992-95 durch die USA bewußt provoziert wurde.

Alles, was dieser Aufruf zu Fragen der Militärpolitik der EU sagt, ist im Grunde dummdreiste CIA-Schreibe. Hier wird nach der Methode gearbeitet: ‚Einmal Mitverbrecher – immer Mitverbrecher; wenn ihr nicht weiterhin die Juniorpartner bei unseren zukünftigen Verbrechen sein wollt, machen wir Euch vor der Welt mit den bisherigen Verbrechen herunter. Ihr dürft imperialistische Politik betreiben - aber nur unter unserer Oberherrschaft und zu unserem Nutzen. Die Kräfte des Banditentums müssen bekanntlich beisammen bleiben, und wir wollen weiterhin den größten Profit daraus ziehen.’

Für diese Propaganda braucht man zwar etwas Vergessen was die Rolle der USA betrifft, aber bei Berliner „Antifa“-Kräften, die - teilweise sogar offen - den Irak-Krieg unterstützt haben, liegt diese Vergessensarbeit in guten Händen.

 

Wir finden es bemerkenswert, daß auch trotzkistische und sog. marxistisch-leninistische Organisationen wie auch weitere die Propaganda aus dieser Kiste mit unterschreiben.

 

Unter dem Strich läuft dieser Aufruf auf die Bekämpfung des Zusammenschlusses der europäischen Staaten hinaus, ohne daß ihrem Kapitalismus und Imperialismus etwas Revolutionäres von innen her entgegengesetzt würde. Das heißt, Kapitalismus und Imperialismus werden geschont, aber die noch größere Zersplitterung Europas würde es den USA oder auch Rußland - und in der Perspektive auch China – noch stärker ermöglichen, die Länder gegeneinander auszuspielen, sie für sich zu benutzen - und natürlich den Kapitalismus gegenüber der Bevölkerung weiter zu stützen.

 

Es verdient festgehalten zu werden, daß dieser Anti-EU-Aufruf in dem Moment kommt, wo gerade die USA, wie bspw. mit ihren Raketenplänen in Polen und Tschechien, besonders unverschämt an der Sprengung der ohnehin schwachen Einheit der EU arbeiten. Die EU-Einigung ist ohnehin am Wackeln, mit solchen Führungen wie der CDU/CSU­-SPD-Koalition in Deutschland, den Kaszynskis in Polen, mit rechten Umtrieben wie seitens des französischen Präsidentschaftskandidaten Sarkozy ist kein EU-Staat zu machen. Die große Koalition tritt insbesondere mit hektischen Bemühungen hervor, in der EU den Ökowahn noch höher zu treiben und die ganze EU international in die Rolle des Ökobüttels zu drängen, was die europäischen Völker in einen Ruin eigener Art führen würde. Aber das ist kein Kritikpunkt für die Autoren dieses Aufrufs, und die Autoren des ergänzenden Anti-Kernenergie-Aufrufs sind offen mit von der Partie. Es ist kaum nötig zu erwähnen, daß die genannten bürgerlichen Regierungskräfte sich sämtlich der besonders engen Anbindung an die USA befleißigen, und das sind keine leeren Bekenntnisse.

Diese Politik wird ergänzt, gerade im Falle Deutschland, durch eine Schaukelei zwischen den USA und Rußland, das seinerseits unverhohlen auf der Basis der Rohstoffexporte neue Spaltungen und Abhängigkeiten in Europa zu schaffen sucht. Nicht anders als die USA trachtet Rußland die europäischen Länder gegeneinander auszuspielen.

 

Im Aufruf wird auch angemahnt:

 

 „Der angebliche Kampf gegen Islamismus und Terrorismus ist in Wirklichkeit die Verbreitung von Rassismus, z.T. mit christlich-fundamentalistischen Ansichten“.

 

Es steht außer Zweifel, daß auch in Europa sich christlich-fundamentalistische Kräfte rühren, wenngleich sie, das muß man ebenfalls feststellen, keineswegs eine Mehrheitsströmung darstellen. Aber wie kann man denn solche Bestrebungen zum Kriterium der Auseinandersetzung mit dem Islamismus machen? Die sog. Linken, die so etwas schreiben, schreien bei jeglicher Kritik am Islamismus auf, nach dem Motto: ‚christlicher Fundamentalismus: böse; islamischer Fundamentalismus? - da haben wir keine Meinung zu haben’. Es gibt nicht wenige „Linke“, die nicht nur jegliche Kritik am Islamismus, sondern auch am Islam überhaupt verbieten wollen als angeblichen Ausdruck „eurozentristischer Überheblichkeit“. Damit fallen sie der großen Mehrheit der Massen in vielen Ländern der Welt, die von der islamischen Theokratie brutal unterdrückt werden, in den Rücken, kündigen die Aufklärung und den Marxismus völlig auf und machen sich zu Unterstützern der aufgepäppelten islamistischen Reaktion im Inneren Europas. Es sind schlimmste Kräfte des europäischen und des internationalen Kapitalismus, die dergleichen in den islamischen Ländern wie auch in Europa seit Jahrzehnten fördern und sich mit dem Islamismus offen oder verdeckt verbinden. Die reaktionärsten Kräfte in den bürgerlichen Parteien der BRD, in der protestantischen wie der katholischen Kirche, biedern sich dem Islamismus an und versuchen ihn als Stütze der religiösen Verdummung und der antidemokratischen Kontrolle der Massen selbst mit hier aufzubauen, weil sie selbst diese ihre Aufgaben allein nicht mehr schaffen. 

 

In solchen Passagen des Aufrufs begegnet uns das ganz, ganz  feste Zukneifen der Augen. Typisch für den Islam ist die Vorstellung einer Gesellschaft, in der schon der Gedanke an die soziale Emanzipation des modernen Proletariats und aller arbeitenden Menschen gegenüber Ausbeutung und Knechtung tabuisiert ist, in der die sozialen und kulturellen Verhältnisse auf eine derartige Primitivität zurückgeschraubt werden, daß eine moderne revolutionäre Arbeiterbewegung von vornherein unmöglich ist. Nur so etwas wie eine völlig abgestumpfte Alternativ-Linke schafft es, davor die Augen zu verschließen, wie dergleichen in bestimmte Strategien der kapitalistischen Konterrevolution paßt, und der Kritik daran den Mund zu verbieten.

Imperialistische Kriege gegen islamisch geprägte Länder müssen bekämpft werden. Es darf künftig keine militärischen Kontingente irgendwelcher EU-Staaten für solche Verbrechen mehr geben, mit oder ohne die USA. Man darf aber auch nicht vergessen, daß es gerade der Islam selbst ist, der diese Völker mental und politisch am Boden hält, mit dem Imperialismus schmutzige Deals schließt, um sie niederzuhalten, und jeden wirklichen Widerstand gegen Kapital und Imperialismus sabotiert.

 

Solche und andere Forderungen zeigen, daß in den Führungen der Organisationen, die diesen Aufruf unterstützen, auch nicht der Ansatz einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Kapital und seinen politischen Strategien vorliegt. Hier werden keine Ansätze zu einem revolutionären Vorgehen gesucht. Was stört es denn das internationale Kapital, selbst wenn es Hunderttausende sein sollten, die sich zum immer wiederkehrenden Anti-Globalisierungs-Ritual, diesmal in Heiligendamm, versammeln? Im Gegenteil, es fördert so etwas, wenn die potentiell revolutionären Energien in solchen events verpulvert werden. Was stört es den EU-Kapitalismus eigentlich, daß auf dem Papier die 35-Stunden-Woche und höhere Löhne gefordert werden, wenn man sich im Alltag völlig unfähig zeigt, die 40- und die 50-Stunden-Woche für immer mehr Beschäftigte im Lande zu verhindern, wenn man keinen Finger krumm macht, ja nicht einmal daran denkt, die Kollegen in Osteuropa und anderswo gegen die völlige Rechtlosigkeit und die Billiglöhne zu unterstützen, mit denen das EU-Kapital alle früheren Standards im Westen angreift, schon längst vor jeder Bolkestein-Richtlinie?

 

In einem ergänzenden „Aufruf zum internationalistischen Block“ werden bestimmte Leute in bekanntem Tonfall „radikal“:

 

„Für den Klassenkampf in Betrieb, Schulen und Universitäten, gegen Sozialabbau, Arbeitszeitverlängerungen, Lohn- und Rentenkürzungen!“

 

Klingt gut, solange man nicht weiß, daß dies vorwiegend sog. autonome und antifa-Kräfte schreiben, die in der Praxis mit Klassenkampf sehr wenig am Hut haben und hinter der Bourgeoisie herlaufen bei deren ganzer Politik der Liquidation der inländischen Produktion, der Streichung und Verlagerung der industriellen Arbeitsplätze, des Ökowahns und der Verachtung von Wissenschaft und Technik, und vorwiegend von der Verallgemeinerung des Prinzips der Staatsknete schwärmen. Wer mit der Bourgeoisie daran arbeitet, die Grundlagen von Produktion und modernem Klassenkampf im Lande zu liquidieren, damit umsomehr der Profit aus anderen Völkern herausgepreßt wird, in dessen Munde klingt „Klassenkampf“ ziemlich seltsam.

 

An anderer Stelle heißt es in diesem vorgeblich klassenkämpferischen Aufruf, die Große Koalition bemühe sich, mit der EU-Verfassung einen

 

„imperialistischen Block Deutschlands und Frankreichs zu schaffen, der den USA die Herrschaft über die Welt streitig machen kann, der auf ‚gleicher Augenhöhe’ die Lohnabhängigen und die Unterdrückten ausbeuten kann.“

 

Wenn man auch anerkennen muß, daß hier wenigstens ein kleiner Gedanke an die Oberherrschaft der USA auftaucht und es nicht falsch ist zu erwähnen, daß unter europäischen Kapitalisten solche Wunschvorstellungen, Erster zu werden, sich entwickeln (wie das unter Kapitalisten überhaupt zwangsläufig ist), so bleibt doch festzuhalten, daß auch hier das  internationale Kräftespiel völlig verzerrt dargestellt und die Rolle der USA abgeschirmt wird. Und außer den USA wären jedenfalls auch China und Rußland  zu nennen als weitere Mächte, denen ebenfalls selbst ein fester imperialistischer Block Deutschland-Frankreich, wenn er denn zustande käme, das Wasser nicht reichen könnte. Aber davon lassen sich solche „Internationalisten“ nicht abhalten, ihn als den imperialistischen Unruhteufel schlechthin darzustellen. Festere politische Zusammenschlüsse  in Europa könnten die USA und andere zur internationalen Dominanz strebende Kräfte allerdings stören, und das dürfte ein entscheidender Hintergrund solcher Mobilisierungen sein, deren Propaganda systematisch die berechtigte Wut auf den Kapitalismus mit den fragwürdigsten kapitalistischen Strategien und den Interessen des Überlebenskampfs des Oberherrn vermischt.

 

 

 

 

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Mit ganz ähnlichen Argumenten und derselben Stoßrichtung wie nun auch in den Aufrufen zur Demo gegen die EU kamen bestimmte "Autonome" und "Antifa" bereits im Mai 2003. Von daher lohnt sich durchaus ein Blick in unsere damalige Entgegnung und Zurückweisung:
Offene US-imperialistische Parolen auf einer sog. Antifa-Mai-Demo
IS 2003-22 - 30.4.2003

"...Wenn wir in den ökonomischen und sozialen Auseinandersetzungen gegen die deutsche Bourgeoisie und die EU-Bourgeoisie kämpfen werden, dann tun wir es mit Sicherheit nicht dafür, daß die US-Imperialisten ihre Hegemonie behalten. Selbstverständlich muß vielmehr die oberste Spitze des Imperialismus, gegenwärtig der USA-Imperialismus, von allen revolutionären Kräften auf der Welt zusätzlich zur eigenen Bourgeoisie ebenfalls angegriffen werden..."

"...Die Behauptung, daß die EU in den letzten Jahren im Wettlauf um die ökonomische und geostrategische Aufteilung der Welt zu einer ernsthaften Konkurrenz der USA erwachsen sei, ist auch deswegen eine absurde Behauptung, weil es neben der EU auch noch Rußland, China und Indien gibt, und diese konkurrieren in dem Machtkampf ebenfalls mit..."