Internet Statement 2007-52

 

Die Folgen des 2. Juni 1967 – einiges aus der Erinnerung

Hartmut Dicke     
3.Juni 2007         

Obwohl ich mehr durch einen Zufall bei den Ereignissen vor der Oper am 2. Juni 1967 nicht dabei war, so hat sich dieses Ereignis dennoch in der raschen sich ändernden Entwicklung damals eingeprägt.

Seit über einem Jahr rumorte es an der Freien Universität in Berlin, obwohl doch gerade diese erst 17 Jahre zuvor in Opposition zur Humboldt Universität mit deutlicher Unterstützung der USA und Großbritanniens aufgebaut worden war. Des öfteren hörte man von den älteren Besuchern und Absolventen der FU aus den fünfziger Jahren, diese Universität sei ja nicht wiederzuerkennen. Das geschah vor dem Hintergrund der Erfolge der Dritten Welt, China hatte endgültig die Umkreisung durch die USA durchbrochen, in Osteuropa gab es ganz widersprüchliche Entwicklungen, jedenfalls setzte die Jugend sich mit Kommunismus und Sozialismus facettenreicher auseinander, als es etwa in den fünfziger Jahren der Fall war. Immerhin konnte sich die DDR seit dem Mauerbau in einem beträchtlichen Umfang auch ökonomisch konsolidieren. Die Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika hatten mit wenigen Ausnahmen die Unabhängigkeit erreicht. Und auch die zunehmende Gegensätzlichkeit der Bundesrepublik selbst mit den USA machte sich bemerkbar.

Es gab bereits Ansätze einer Kritik an dem gemeinsamen „Kondominium“, der Zusammenarbeit der USA und der Sowjetunion. In wenigen Jahren schon sollten die Theorien der sozialistischen „Klassiker“ begierig aufgegriffen werden und ein schneller Radikalisierungsprozeß, ein Verlangen, den Dingen auf den Grund zu gehen, einsetzen. Das wußte man zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht.

Ich selbst war Anfang Juni mit der Befassung mit der Politik noch ganz am Anfang, die ständigen Auseinandersetzungen führten trotz intensiven Physik- und Mathestudiums unentwegt weiter. Ein Buch von Marx etwa hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in der Hand gehabt.

Am Abend des 2. Juni wurde ich bei einem physikalischen Versuch im Praktikum von Kommilitonen befragt, ob ich nicht mitkommen wolle, es sei dringend, es gebe eine wichtige Demonstration gegen den Schah, der sich als Henker des iranischen Volkes betätige, und der in Berlin weile. Ich wollte, war aber noch nicht fertig, und sagte, daß ich nachkomme. Der Versuch, den ich durchführen mußte, erstreckte sich außerordentlich lang, und schließlich war es so spät, daß ich mich entschloß, nach Hause, d. h. zu meinem Zimmer zu fahren.
Am nächsten Morgen herrschte helle Aufregung dort in dem Haus in Schmargendorf. Meine Zimmerwirtin erzählte, sie habe gerade gehört, die Studenten hätten einen Polizisten erstochen. Tatsächlich grassierte diese Meldung vielleicht noch zwei Stunden weiter. Die ganze Stadt sollte sich über die Untaten der Studenten empören, und man traute sich kaum was zu sagen, da man doch zu ihnen gehörte.

Und dann kam die Meldung, wie es tatsächlich war, ein Student war an der Oper im Zusammenhang mit den Protesten erschossen worden, und das geschah, obwohl es keinerlei in der Öffentlichkeit zu vertretenden Grund dafür gab.

Was sie anderen unterstellen, das treiben sie selbst, dies war eine wichtige und nachhaltige Erkenntnis. In der Universität wurden dann die Einzelheiten am Vorabend geschildert und diskutiert. War es nun die Tat eines Einzelnen gewesen, oder war es gewollt? War nicht die Stimmung bewußt in eine solche Richtung aufgeheizt worden? Umgekehrt führte es zu einer erneuten Erfahrung, zusammengeschlossen als Masse eine Kraft zu sein, zu einer Vertiefung der Erkenntnis in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Sie kam nicht das erste Mal, schon ein Jahr zuvor bei dem großen 'Sit-in' am 22. Juni 1966 trat sie hervor, dann immer wieder in kleinen Aktionen.

Wenige Tage darauf gaben in einer riesigen Manifestation die Studenten kurz vor dem Grenzübergang Dreilinden Benno Ohnesorg das letzte Geleit, er wurde in seinem Sarg aus Berlin heraus in seine westdeutsche Heimat gefahren.

Die Ereignisse des 2. Juni 1967 wühlten die Studenten zutiefst auf und erschütterten die staatliche Gewalt in Berlin. Wie jetzt in den vielen Artikeln zu Recht festgestellt, begann hier die Mobilisierung der Studenten, die in schnellem Tempo zu einer Ausbreitung revolutionärer Ideen, zu dem Jahr 1968 führte.

Nur vier Tage darauf brach der Nahostkrieg 1967 aus. Wieder wurden binnen kurzem die Ansichten in den Köpfen umgebrochen. Wohl die Mehrheit der Studenten glaubte, so wie auch ich damals, bei Ausbruch an das berechtigte Anliegen Israels. Sehr bald geriet diese Ansicht an die heftige Abwehr der arabischen Studenten in den folgenden Diskussionen an der Universität, lernte die Mehrheit nun einen ganz anderen Standpunkt kennen, und die pro-israelische Einstellung verschwand nach und nach und verblieb nur noch bei einer winzigen Minderheit.

Die einsetzende Massendiskussionsbewegung, sowohl an den Universitäten wie auch in Form von Straßendiskussionen und Aktionen – darunter die später vielmals bespöttelten Kuhdammdiskussionen – hatten in der Stadt durchaus eine Wirkung, die die öffentliche Meinung Monat für Monat veränderte. In Berlin gab es alle Vierteljahr sozusagen „eine andere Republik“, obwohl von einer Minderheit ausgehend, schob die Umwälzung die ganze Stadt vor sich her. Ein Jahr später war schon Rosa Luxemburg ein Symbol der neuen Bewegung.

Eine revolutionäre Bewegung muß diskutieren können und ihren Standpunkt in der Öffentlichkeit verteidigen können, das war auch eine Lehre jener Tage. Eine revolutionäre Partei, die alles in schematisierte Formen preßt und darüber hinaus ihre eigene Geschichte verstecken muß, kann nicht gewinnen. Der 2. Juni 1967 war einer der Auftakte für den Umschwung einer revolutionären Bewegung, die in den folgenden Jahren das ganze Land erfaßte, jedenfalls die westliche Bundesrepublik, und die in ihrer Tiefenwirkung in der Geschichte Ihresgleichen sucht. Kein Verständnis der heutigen Situation ohne den damaligen Umbruch. Erst in den siebziger Jahren gelang es dem Staat, durch die ökonomische Umschichtung in der Gesellschaft, durch alle Mittel der Korrumpierung wie auch der Repression, wie auch durch die später folgende aufgesetzte Bewegung der Grünen, diesen Erdrutsch in der Gesellschaft weitgehend unter Kontrolle zu bekommen. Diese Konsequenzen sah an jenem Abend des 2. Juni 1967 wie in den folgenden Tagen noch niemand voraus.


 

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Dokumente zur Studenten- und revolutionären Jugendbewegung 1966-1972

Resolution der Studenten der Freien Universistät Berlin vom 22./23. Juni 1966

Informationen über Vietnam und Länder der dritten Welt  - Nr.1 -   Mai 1966

Informationen über Vietnam und Länder der dritten Welt  - Nr.2 -   Juni 1966