Internet Statement 2006-106

 


 

Der nächste Akt von Putin und Gasprom gegenüber Weißrußland

 

30.12.2006      

 

Nach längerem Streit hat Rußland unter der Führung von Putin und unter der faktischen Kontrolle von Gasprom Weißrußland gedroht, zum 1. Januar 2007 die Gaszufuhr abzustellen, wenn die extreme Preiserhöhung von 46,67 $ pro 1000 Kubikmeter auf sage und schreibe 200 $ nicht akzeptiert wird. Nach öffentlichem Protest der Enthüllung der Rolle Rußlands waren sie dann gnädig bereit, auf 105 $, d.h. mehr als eine Verdopplung, zurückzugehen, unter der großzügigen Bedingung, daß ihnen faktisch die Kontrolle über das weißrussische Pipeline-Netz zugestanden würde.

Dieser Vorgang enthüllt erneut den Charakter Rußlands als Macht der Bodenschätze. In Rußland wurde die Arbeiterklasse nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion keineswegs  befreit, sondern radikal gedemütigt von einem Kapitalismus und Bürokratismus, der die meisten Betriebe dichtmachte und große Teile der Arbeiter und Angestellten auf die Straße setzte. Die Zahl der Opfer, der Verarmten, ins Elend, in Alkoholismus oder in die Prostitution Getriebenen läßt sich nicht benennen. Rußland konnte diese Entwicklung überhaupt nur bestehen, weil es über enorme Bodenschätze verfügt, die zum einseitigen Standbein der russischen Ökonomie wurden.

 

Das heutige Verhalten Rußlands hat seine Bundesgenossen, die ihm dabei behilflich sind

 

Es gehört zu den deutlichsten Merkmalen der gegenwärtigen Entwicklung, daß hohe Kapitalvertreter und Regierungen in Westeuropa sich dieser russischen Regierung andienern und mit ihr engste gemeinschaftliche Sache machen.

Auch zahlreiche sog. Linke decken diese Politik, die heute sich als direkter Nachfolger der russischen Großmachtpolitik zeigt.

 

Weißrußland und Rußland haben einen Vertrag über die Union zwischen den beiden Ländern, und offensichtlich will Rußland diesen Vertrag beseitigen und sich Weißrußland auf diese oder jene Weise einverleiben. Ein Akt des blanken Chauvinismus. Dieser Vertrag sichert Weißrußland zu, daß es Energiepreise bekommt wie die Nachbarregion in Rußland selbst, d.h. des Smolensker Bezirks (Oblast). Demnach müßte es nur 54 $ auf 1000 Kubikmeter Gas bezahlen. Alle diese Dinge werden einfach mißachtet und ein Diktat eröffnet. Das muß doch die europäischen Länder warnen! Aber die Warnung wird unterdrückt. Man braucht nur in die Äußerungen entsprechender erfahrener Kapitalkreise schauen. So gab vor kurzem der BASF-Vorstandsvorsitzende Jürgen Hambrecht ein Interview (FAZ 21.Dez.2006) mit bezeichnenden Äußerungen. Auf die Frage, ob BASF mit den Russen gute Erfahrungen gemacht habe, antwortete er:

„Über viele Jahrzehnte hinweg beziehen wir in Europa Öl und Gas verläßlich aus Rußland. Wir sollten im Verhältnis zu Rußland mehr auf Kooperation als auf Konfrontation setzen, denn wir sind abhängig von Rohstoffen, auch von russischen.“

Die Pläne gehen wohl weiter:

„Wir reden mit Gasprom ständig darüber, wie wir unsere Kooperation ausbauen können.“

Über die Wintershall ist die BASF mit Gasprom eng verknüpft.
Zu dem Konflikt mit der Ukraine meinte Hambrecht:

„Die Ängste um Gasknappheit sind stark übertrieben. Nehmen Sie nur das Beispiel Ukraine Anfang des Jahres. Das tatsächliche Problem war nicht, daß die Deutschen kein Gas erhielten und froren, sondern daß in der Ukraine Gas aus der Pipeline ohne Bezahlung entnommen wurde. Das Gas wurde dann zu Weltmarktpreisen weiterverkauft. Einige haben damit viel Geld verdient.”

Ein deutscher Konzernchef macht sich den russischen Standpunkt zu 100% zueigen und vertritt ihn so offen, wie ihn mancher russische Vertreter nicht zu vertreten wagt! Die Forderung Rußlands, alle Pipelines und Zugänge nach Westeuropa  unter Kontrolle zu bekommen und auch tief in die Verteilernetze in Westeuropa einzudringen, müßte jeden verantwortlichen, auch nur auf Selbständigkeit bedachten bürgerlichen Politiker in Westeuropa zu entschiedenem Widerstand veranlassen. Dies ist aber nur bei einer Minderheit solcher Vertreter der Fall. Ein früherer Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der für den Abwicklungsbeschluß gegen die Kernenergie in Zusammenarbeit mit hiesigen Energieversorgern verantwortlich ist, ist gleich direkt in die Dienste von Gasprom getreten!

Über den Hintergrund des Gegensatzes

Weißrußland hat in vielem eine andere Entwicklung als Rußland genommen. Weißrußland wurde zu einem Land in Europa, in dem diese Art von katastrophaler sog. Privatisierung wie in Rußland nicht betrieben wurde und die industrielle Produktion sogar einen erheblichen Aufschwung erreicht hat. Viele Konsumgüterwaren und Maschinen, Kühlschränke, Fernseher u. a. werden in guter Qualität für den Export in Weißrußland produziert. Das System der radikalen Verarmung und Verwerfung der Arbeitenden wurde dort zumindest gebremst, ja man kann sogar sagen, vermieden. Auch wenn sich verschiedene alte Strukturen lange Zeit gehalten haben, kann nicht bestritten werden, daß hier ein gewisser Sozialstandard bewahrt wurde.

An dieser Entwicklung in Weißrußland haben offensichtlich Leute in West und Ost keinen Gefallen. Man kann es spüren, wie Kapitalisten des Westens und das bürokratische Regime Rußlands an einem Strang ziehen, um dieses Land zu Fall zu bringen  Sie arbeiten an der Liquidierung. Wenn vernichtet werden würde, was dort erreicht worden ist, würden zahlreiche Arbeiter und Angestellte in Weißrußland in das Schicksal der Arbeitslosigkeit und der völligen Erpressung durch westliches Kapital und Gasprom fallen bei gleichzeitig bestehender faktischer russischer Oberherrschaft.

Für die Zusammenarbeit des Westens mit der russischen Putin-und Gasprom-Gruppe gegen Weißrußland gibt es noch einen anderen deutlichen Hinweis. Dem Leser ist sicher noch erinnerlich, wie der Konflikt mit der Ukraine zwischen der sog. orangenen Revolution und Janukowitsch, dem engen Bündnispartner Rußlands, hochgespielt wurde. Heute tritt die ukrainische Regierung unter Juschtschenko und Janukowitsch beflissen auf, um Rußland anzubieten, es könne vermehrt durch ukrainische Pipelines Gas leiten, falls die weißrussische Regierung die Gas-Transitleitungen als Gegenmaßnahme gegen die Erpressung schließt. Das ist eine direkte Beistandsleistung von seiten dieser Regierung in der Ukraine für Rußland und Gasprom. Juschtschenko ist der Mann des Westens, der dortigen Kapitalisten, und Janukowitsch der Mann der russischen Regierung. Beide sind sich offensichtlich in dieser Aktion einig, eine schändliche Sache übrigens auch gegen das ukrainische Volk.

Zur Rolle der sog. Opposition in Weißrußland

 

Der vom Westen hochgejubelte sog. Oppositionelle Aleksjandar Milinkewitsch in Weißrußland lobt (!) Gasprom für die gegen sein Land gerichtete Erpressung. Als er bei der letzten Wahl eine vernichtende Niederlage erlitt, hieß es, das liege daran, daß die Wahl manipuliert sei und keine wirkliche Wahl stattgefunden habe. Aber man kann sich leicht davon überzeugen, daß – was immer es an Schwächen in dem weißrussischen System gibt-  Milinkewitsch keine Alternative für das weißrussische Volk ist. Etwas derartig Armseliges hat Europa wenig gesehen. Das ist die niedrigste Form der ohnehin niedrig stehenden sog. menschenrechtlichen Opposition, die in Wirklichkeit überall nur dem Kapital die Tore öffnet, um dann um so brutalere Folgen für die Massen in die Wege zu leiten, dabei aber niemals aufhört, von Menschenrechten und sog. Menschlichkeit zu reden.

Auch die russische orthodoxe Kirche - sehr bemerkenswert – gab durch einen „Internationalen Fonds für die Einheit der orthodoxen Völker“ bekannt, daß Gasprom für seine Verdienste um die geistige Einheit Rußlands, Weißrußlands und der Ukraine ausgezeichnet werden soll. („Frankfurter Allgemeine Zeitung“ 30.12.2006, S. 1)

 

Wie die Dinge ausgehen werden, wissen wir (am 30. Dez. 2006) nicht, aber wir wissen auf jeden Fall, daß das Verfahren gegen Weißrußland alarmieren muß. Auch eine sog. friedliche Lösung, bei der die räuberischen Ziele durchgesetzt werden, würde die Sache nicht besser  machen. Hier wird mit Energieerpressung gearbeitet, um ein Land  abhängig zu machen und zu unterdrücken, und diese Methoden werden weiter und auch gegen andere zur Anwendung kommen.

 

Die von Rußland geforderten Preise sind eindeutig Monopolpreise. Wenn Milinkewitsch davon redet, daß Weißrußland „Marktbedingungen“ akzeptieren müsse, und somit unterstellt, daß die russischen Preise „Marktpreise“ seien, dann zeigt er, wes Geistes Kind er ist. Die russischen Gaspreise sind Monopolpreise, die weltweit aufgrund des Mangels an Energie und der jahrelangen Behinderung des Ausbaus der Energieproduktion auf der Welt heute erzwungen werden können.

 

Die russischen „Marktpreise“

 

Was die russischen sog. „Marktpreise“ bei Gas und Öl betrifft, so gibt es hier noch wirklich ein Hühnchen zu rupfen. Es war die Sowjetunion - in der Rußland dominierte -, die in den 70er und 80er Jahren massiv die Anti-Kernkraft-Kampagne in der Bundesrepublik Deutschland mit vorangetrieben hat, mit Auswirkungen auf das gesamte Europa. Derweil sie selbst die Kernenergie ausgebaut hat, hat sie über Kräfte, die mit ihr zusammenhingen (und das war nicht nur die DKP), auf die Schleifung der Kernenergie im Westen hingearbeitet. Heute nützt Rußland die Resultate aus, um Energieerpressung in großem Umfang zu betreiben. Auch jetzt noch werden Kräfte unterstützt, die mit den absurden Alternativideen die Deindustrialisierung im Westen vorantreiben. Obwohl die Quellen für diese Bewegung in der Reaktion in unserem eigenen Land liegen, kann die Unterstützung Rußlands und seine Intervention in dieser Richtung nicht außer Acht gelassen werden.

Die Katastrophe von Tschernobyl, die auf massive menschliche Eingriffe in diesem Atomreaktor zurückging, war einer der Haupthebel, mit dem die Anti-Kernkraft-Kampagne ab 1986 vorangetrieben wurde. Das KKW in Tschernobyl stand unter der Kontrolle der Sowjetunion, der sowjetischen Militärbehörden, in denen die russischen Kräfte das entscheidende Wort hatten. Es ist ungeheuerlich, mit welch einer Skrupellosigkeit Rußland die Folgen der Lahmlegung der Kernenergie in Deutschland und einigen andere europäischen Länder ausnutzt, um heute die Monopolpreise durchzusetzen. Kaum noch zu erwähnen dabei, daß eine Reihe von sog. linken Organisationen faktisch noch heute die Fortsetzung dieser Politik betreiben. Auch heute will Rußland – und zwar mittels der Einkünfte aus der Gas - und Ölproduktion – selbst ein Kernenergieprogramm vorantreiben, während hierzulande die Folgen der Anti-Kernkraft-Kampagne ständig weiterwirken.

Wir erleben in diesem Konflikt erneut, wie die Macht des Bodens - sei es Rußland, seien es Saudi-Arabien und die Golfstaaten - weltweit bei der Abkassierung eine große Rolle spielt und die industrielle Entwicklung in vielen Ländern drosselt, die Profite einseitig in ihre Länder zieht und dann allenfalls eine nachgezogene Industrialisierung gewissen Grades in ihren Länder ermöglicht. Sie schädigen damit international die Wirtschaft und die Entwicklung, was letztlich die arbeitende Klasse in allen Ländern auszubaden hat. In Rußland selbst ist das System völlig marode; trotz des Reichtums an Mitteln aus dem Verkauf der Bodenschätze sind 80% aller Gelder nur in der Hauptstadt Moskau konzentriert, die Provinz darbt in vielen Punkten. In Minsk in Weißrußland trugen Demonstranten ein Transparent „Gasprom Jaswa“ - „Gasprom Eiterbeule“, und sie sprechen damit sicher auch vielen in Rußland aus der Seele. Vielleicht erkennen dort manche das nicht, weil die Armut dort subventioniert wird durch relativ niedrige Gaspreise, die dann durch relativ hohe Gaspreise im Ausland kompensiert werden. Die Einkünfte in Rußland sind extrem niedrig. Würden dort die Energiepreise weiter steigen, wäre das für sehr viele Menschen eine blanke Katastrophe.

Weitere Beispiele von Komplizenschaft

Es ist interessant, wie große Teile der sog. Linken zu diesem Konflikt schweigen und sich nicht gegen diese blanke Erpressung eines Landes vor unserer Haustür äußern. Es gibt noch Weitere, die rechtfertigen diese Politik direkt in einer dreisten Weise. So gab z.B. Jürgen Elsässer einem ultrarechten Literaten, Peter Scholl-Latour, ein Interview in der „Jungen Welt“, und darin lesen wir wortwörtlich:

„Rußland muß in gewissem Maße autokratisch regiert werden, anders geht das gar nicht. Ohne starke Zentralgewalt bilden sich an den Rändern des Riesenreiches lauter Ganovenrepubliken, die auf eigene Rechnung wirtschaften.“ ( 27.11. 2006)

Hier erleben wir die dreisteste  Rechtfertigung russischer neuimperialer Politik durch einen sogenannten etablierten Autor, der schon viele Male im Fernsehen aufgetreten ist und von den renommiertesten Buchverlagen bevorzugter Autor ist. Er gibt gewissermaßen die Gesinnung auch von russischer Politik wieder, und läßt uns auch über das Verhalten zum „Randstaat“ Weißrußland etwas erahnen.

Dieses Interview, das in die Postillen irgendwelcher Neozaristen passen würde, wurde ohne jede Kritik in der „Jungen Welt“ wiedergegeben! Wir haben schon verschiedentlich auf die Nähe einiger Autoren der „Jungen Welt“ zum russischen Imperialismus und dessen Strategie hingewiesen.

Ein anderes Beispiel ist Günter Ackermann, der auf dem von ihm betriebenen Internet-Forum „kommunisten-online“ wagt zu schreiben,  es sei Unsinn zu behaupten, Rußland betreibe Energieerpressung, gerade dieser Tage, wo sie besonders deutlich hervortritt.

„Auch das Gerede von der Abhängigkeit Europas vom russischen Gas zeigt, was die Herrschenden denken. Russland ist heute wieder ein Land, in dem das internationale Kapital das Sagen hat. Also ein verlässlicher Partner der EU.“

Gerede von der Abhängigkeit vom russischen Gas? In Rußland hat das internationale Kapital das Sagen? Dies verschweigt, daß Rußland selbst eine imperiale Macht ist, mit unzweideutigem Verhalten und immerhin einer Rüstung, die nach der der USA die größte der Welt ist. In Verbindung mit der Macht der Bodenschätze, die in 2006 deutlich hervorgetreten ist, ist das eine erhebliche imperialistische Macht. Hat man in diesem Internet Forum schon mal etwas darüber gelesen?


Hier gibt es noch Spuren zu verfolgen. Es konnte ja sein, daß Menschen in der Vergangenheit vom Sozialimperialismus der späten Sowjetunion getäuscht wurden, daß sie die sozialistischen Phrasen wörtlich nahmen. Irren ist menschlich, das kann man vielleicht verzeihen. Aber Rußland hat heute überhaupt nichts Sozialistisches mehr, hat noch nicht einmal einen Anschein, und es ist interessant, daß eine Reihe von Leuten weiterhin diesem Staat gegenüber so gefügig und absolut unkritisch sind, daß man den Verdacht nicht ausschließen kann, daß die alte zaristische Bestechung bestimmter Literaten und Politiker, die man schon im 19. Jahrhundert und im folgenden beobachten konnte, hier ihre Fortsetzung erlebt.

 

Hartmut Dicke

Redaktion Neue Einheit

 

www.neue-einheit.com


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