Internet Statement 2007-55

Die sächsische Korruptionsaffäre

   
- die staatliche Verquickung

Hartmut Dicke       
18. Juni 2007         

Die sächsische Korruptions-, Justiz- und Politaffäre ist zu einem Ausmaß angewachsen, das zu einem bundesweit noch nicht gekannten Eklat geführt hat. Dies wird inzwischen von einigen namhaften Blättern und politischen Repräsentanten kleingeredet und zu einer sächsischen lokalen Angelegenheit gemacht. Indes sollte man sich vergegenwärtigen, was durch Äußerungen von Politikern wie auch von Zeitungen längst unbestreitbar auf dem Tisch liegt. Die landesweite Brisanz ist zwingend.

Um den 5. Juni herum äußerte sich der Innenminister Albrecht Buttolo unter anderem in einer Rede vor dem sächsischen Parlament in der Weise, daß eine ernsthafte Gefahr für die zentralen Entscheidungsträger im Lande Sachsen bestehe.[1]

So heißt es im „Spiegel“ sogar:

„Unterdessen warnte Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU), für die Aufklärer der Affäre bestehe eine Gefahr für Leib und Leben. Buttolo bekräftigte seine Warnung vor einem mafiösen Netzwerk. ‚Durch die aktuelle öffentliche Diskussion wissen alle, die sich eventuell vor Gericht verantworten müssen, worum es geht’, so der CDU-Politiker. Er rechne damit, dass die Verantwortlichen versuchen würden, sich der Verantwortung zu entziehen. Deshalb erwarte er entsprechende Aktionen. Diese Angriffe dürften ‚nicht unterschätzt werden’, betonte Buttolo.
(„Spiegel-online“ 7.6.2007)

Oder die „Sächsische Zeitung“ schrieb:

„Der Innenminister schilderte dabei ein bedrohliches Bild. Die Netzwerke würden mit ihren Mitteln zurückschlagen, um die Zerstörung ihrer Strukturen zu verhindern. ‚Die Organisierte Kriminalität wird verleumden, sie wird Misstrauen säen, sie wird Gerüchte streuen, sie wird einschüchtern’, warnte Buttolo. Auf Nachfrage bestätigte man im Innenministerium, dass Reaktionen aus dem Kreis der Beschuldigten spürbar seien.“ (6.6.2007)

Diese Sätze wurden in verschiedenen Artikeln fast wortgleich wiedergegeben, sodaß für Zweifel an diesen Ausführungen kein Anlaß besteht.

Wenn dies so ist, dann kann diese Affäre wohl kaum als eine Auseinandersetzung über ein paar schwarze Schafe gelten, wie das z.B. der Justizminister von Sachsen, Mackenroth, darzustellen versucht. Dies würde ein großes Ausmaß an Verquickung mit den staatlichen Organen zeigen, selbst diese Organe müßten offensichtlich fürchten, daß diese Kreise zuschlagen.

Handelt es sich vielleicht aber um eine aufgebauschte Drohung von Seiten Buttolos? Solche Ausführungen kann niemand machen, wenn er nicht einigermaßen Gewißheit hat, daß es sich so verhält, sonst würde er selbst zu einem Medium von Drohungen werden. In diesem Fall wäre diese Hochspielung selbst eine Form von Drohung, die dieser zu verantworten hätte. Für diese letztere These spricht allerdings bei der Einbeziehung der weiteren Fakten wenig.

Für diejenigen, die nur gelegentlich Informationen über diesen Streit bekommen haben, mögen diese Ausführungen übertrieben erscheinen. Es sei deshalb hier einmal auf einen konkreten Fall verwiesen, der ebenfalls in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit die Runde machte, bundesweit aber wenig bekannt ist. Er beschreibt, mit welcher „Qualität“ die Justiz in Sachsen arbeitet. Da gab es den Fall Klockzin in Leipzig, der am 17. Oktober 1994 Gegenstand eines Schußwaffenattentats wurde und schwerverletzt nur mit Mühe überlebte. Ein vorgeblicher Postbote schoß dreimal auf den Betreffenden, der selbst im Immobilienmilieu aktiv war. Dies wäre für die allgemeine Öffentlichkeit in der ganzen Republik nicht so bedeutsam, da bekannt ist, daß Auseinandersetzungen in den damaligen „Immobilienkämpfen“ um die materiellen Vorteile bei dem Erbe der früheren DDR nicht so etwas Besonderes waren. Interessant ist aber, wie die Justiz diesen Fall verfolgte. Organisiert wurde das Attentat von drei Leuten, die wiederum im Auftrag von zwei Unternehmern aus Bayern handelten. Der ausführende Täter selbst bekam einige Jahre, die Organisatoren des Attentats bekamen lebenslänglich - und die Auftraggeber – bekamen 2500 DM Zahlung an den „Weißen Ring“ auferlegt!!! Man braucht kaum noch mehr dazu zu sagen, was das für eine Justiz ist. Wenn ein Auftraggeber eines Anschlages auf einen solchen Beteiligten, wie immer man diesen einschätzen mag, mit 2500 DM Geldstrafe davonkommt, dann ist die Justiz selbst ein Komplize dieses Milieus.

Und diese Justiz soll jetzt auch wieder beauftragt werden, dieses Milieu, in das sie selber verquickt ist, zu untersuchen? Es gibt dazu zahlreiche Stimmen, die das zu verhindern gedenken.

Ein weiterer unleugbarer Hintergrund ist die Korruption mittels Prostitution bis in die Regierungsbehörden hinein. Immer wieder ist in Berichten von Kinderprostitution, die bis in die höchsten Etagen geht, die Rede – man sollte eigentlich meinen, daß eine Justizministerin oder die Bundesgesetzgebung, die doch angeblich gegen Diskriminierung Gesetze erläßt, mit spitzen Ohren die Angelegenheiten in Sachsen verfolgt, denn welch eine größere Diskriminierung, als Kinder zur Prostitution zu zwingen, gibt es denn. Im Jahre 1993 wurde sogar ein Bordell von der Polizei gestürmt, das massiv mit Kinderprostitution zu tun hatte, aber auch in neuerer Zeit gehen diese Dinge weiter.

II.

Nun steht gerade in dieser Angelegenheit der Verfassungsschutz des Landes Sachsen im Zentrum der Angriffe. Die Auseinandersetzung um die organisierte Kriminalität zieht sich durch Sachsen schon seit Anfang der 90er Jahre, so daß es Bestrebungen zur Eindämmung seit Jahren gab. Im Jahre 2003 war der sächsische Verfassungsschutz gesetzlich zur Verfolgung der Aktivitäten der organisierten Kriminalität verpflichtet worden. Dieser Paragraph wurde zu einem heftigen Streitpunkt. Im Jahre 2005 entschied das sächsische Verfassungsgericht, daß die generelle Beobachtung der organisierten Kriminalität durch den Verfassungsschutz nicht erlaubt sei, außer in den Fällen, in denen diese organisierte Kriminalität zu einer Gefahr für den Staat werde. Selbst wenn man auf der Grundlage dieses Staates argumentiert: die Aktivitäten, die seitens der organisierten Kriminalität in Sachsen zu beobachten waren, sind allerdings ein Angriff auf den Staat selbst, weshalb der Verfassungsschutz mit Leichtigkeit erklären konnte, seine Tätigkeit bewege sich hier auf dem Boden des vorhandenen Gesetzes.

Es ist ja auch zu merkwürdig. Parteien wie die der großen Koalition, die jede Art von Gesetzen beschließen, die den Bürger von morgens bis abends beschnüffeln, seine Internettätigkeit auf ein halbes Jahr lang registrieren, Pässe einführen, in denen der Bürger wie ein Krimineller seine Fingerabdrücke hinterlassen muß, die gleichen Parteien regen sich hier auf über den Verfassungsschutz, weil er gegen die organisierte Kriminalität Informationen sammelt. In dieser Angelegenheit müßte man einmal nicht unbedingt den Verfassungsschutz kritisieren, aber er wird angegriffen gerade in diesem Punkt, als wenn diese Aktivität diverse Parteien und Vertreter entschieden stört.

Im Jahre 2006 schließlich wurde von den Parteien SPD und CDU mit Unterstützung von PDS, Grünen und FDP überhaupt das Ende der Tätigkeit des Verfassungsschutzes bezüglich der organisierten Kriminalität beschlossen. Der Geheimdienst hatte inzwischen eine große Masse von Beobachtungen über die Verbindungen der organisierten Kriminalität in die führenden Reihen der Parteien, der Justiz, der staatlichen Organe überhaupt registriert. Die Masse der gesammelten Informationen bildete Brisanz, weil die Betreffenden wissen, daß, wenn diese öffentlich werden, vielleicht etwas Reales über die staatliche Struktur und wie es hier aussieht, herauskommt.
Von daher ist das Hin und Her, das Gezerre um die Akten – über 15.000 Seiten an der Zahl –, um diese nach Möglichkeit unter Kontrolle zu bekommen, sehr interessant.

Der Datenschutzbauftragte des Landes Sachsen, Schurig, versuchte, die Unterlagen des Verfassungsschutzes über die organisierte Kriminalität seit dem Jahre 2005 für illegal zu erklären und ihre Vernichtung zu erzwingen. Der Geheimdienst ist in allen Bundesländern eigentlich dazu da, vor allem politische Bewegungen zu kontrollieren, und so kann man ihn durchaus als typisches Repressionsorgan begreifen, aber in diesem Fall ist es ganz unverständlich, warum gerade diese Verfolgung der Unterwanderung des Staates durch die organisierte Kriminalität für illegal erklärt werden soll. Selbst aus der staatlichen Sicht dieses Landes gesehen, ist es doch geradezu die Pflicht eines politischen Organs, wenn eine Unterwanderung der Staatsorgane, politischer Parteien und Amtsträger stattfindet, dies aufzudecken und notfalls auch in die Offensive zu gehen und dies in der Öffentlichkeit zu behandeln. Dies hätte in jedem Fall gegenüber formalen Bestimmungen Vorrang. Wenn ein staatliches Organ feststellt, die Justiz ist korrupt, ist es absurd zu erklären, es dürfe das nicht und müsse die Aufklärung der Justiz selbst überlassen. Wer argumentiert, diese Akten sollten gerade ausschließlich an diese Justiz, die verdächtigt wird, von der Korruption durchsetzt zu sein, übergeben werden, muß sich nicht nur den Vorwurf der Naivität gefallen lassen, sondern bringt sich selbst in ein schiefes Licht.

Die verschiedenen Beschuldigungen untereinander haben zu einem wirren Knäuel von Verdächtigungen in alle Richtungen geführt. SPD, Grüne, PDS greifen vor allen Dingen de Maizière an, den früheren sächsischen Innenminister und jetzigen Geheimdienstbeauftragten auf Bundesebene, daß dieser diese Unterlagenbeschaffung betrieben habe. Dieser habe die parlamentarischen Gremien nicht informiert. Und in der Tat steht noch die detaillierte Darstellung des Betreffenden aus, welche Rolle er in Sachsen gespielt hat. Aber nicht zu verstehen ist, mit welcher Infantilität bestimmte Parteien hier über den Charakter der Justiz hinweggehen. Lesen wir z.B.:

„Angesichts der Vorwürfe gegen de Maizière, forderte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, André Hahn, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird.“

Welche Staatsanwaltschaft in Sachsen? Diejenige, die über zahlreiche andere Punkte hinweggesehen hat, die selbst mit unter Verdacht steht, möglicherweise mit den Strukturen der organisierten Kriminalität entweder in Verbindung zu stehen, oder zumindest sie in einer nachlässigen Weise verfolgt zu haben? Die Gegenfrage wäre nämlich: wie viel hat denn die Staatsanwaltschaft in Sachsen in den letzten 15 Jahren gegen die organisierte Kriminalität unternommen, was hat sie selber als Organ in dieser gesamten Zeit aufgedeckt, wie viele Paten, Führer von kriminellen Vereinigungen, Aktivisten usw. wurden von ihr dingfest gemacht und unter Anklage gestellt? Das wäre eine Gegenfrage, die man aufstellen sollte, und wenn sich das als sehr geringfügig erweisen sollte – und der Verdacht besteht hier –, decken die politischen Parteien, die das Vertrauen in die Justiz in dieser Weise fördern, diese Strukturen.

So zitiert die „Welt“ (11.6.07):

„Aber auch den Strafverfolgungsbehörden wurden die brisanten Vorgänge vorenthalten. ‚Es wird nun zu prüfen sein, ob durch diese schuldhafte Unterlassung möglicherweise schwere Straftaten aus den Jahren 1995 und 1996 verjährt sind’, sagte Linkspartei-Politiker und PKK-Mitglied André Hahn. ‚Wäre die PKK frühzeitig eingebunden und die Erkenntnisse zu Straftaten regelmäßig an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet worden, wäre dem Freistaat der Justiz- und Politikskandal vermutlich erspart geblieben.’“ [PKK: Parlamentarische Kontrollkommission für den sächsischen Verfassungsschutz]

Hinter dieses „vermutlich“ muß man allerdings ein Riesen-Fragezeichen setzen. Wieso sind denn die PKK und das Parlament insgesamt nicht viel eher gegen die organisierte Kriminalität, die in Sachsen ausgewuchert ist, vorgegangen? Wo ist denn die Resolution, etwa der früheren Regierung Biedenkopf, gegen die ausgewachsene organisierte Kriminalität in Sachsen entschiedene Maßnahmen zu ergreifen? Davon ist in der ganzen Bundesrepublik allerdings nichts bekannt geworden. Wer Vertrauen sät in die Parteien, die das mitgestützt haben, der hilft im Grunde schon der Verschleierung im weiteren.

„Wütend ist auch Sozialdemokrat Stefan Brangs, der für die SPD in der Geheimdienst-Kommission sitzt. ‚Die Öffentlichkeit wird – wie immer in Sachsen - nur scheibchenweise in Salamitaktik informiert’, kritisiert Brangs. Es liege die Vermutung nahe, dass Buttolo längst Vermerke des Geheimdienstes vorgefunden und nichts unternommen habe. ´’Wenn der Datenschützer die ganze Sache nicht beanstandet hätte, wäre das alles untergegangen’, so Brangs.

Aber dieser Datenschützer hat doch sogar die Vernichtung der Akten gefordert und das Ganze für illegal erklärt. Weiter heißt es zu Brangs:

„Er wirft dem Innenminister zudem vor, ein zu düsteres Bild von der Lage zu malen. ‚Es gibt einige schwarze Schafe in Sachsen. Aber wir leben nicht in Palermo.’“
Diejenigen, die angesichts des Ausmaßes von ‚einigen schwarzen Schafen in Sachsen’ reden beschönigen die Zustände in einer gefährlichen Weise und bringen sich selbst in Verdacht.

Es muß ferner hervorgehoben werden, daß das Zentrum der Korruption offenbar im Leipziger Rathaus liegt, in dem die SPD seit 17 Jahren regiert und in dem verschiedene namhafte Politiker der SPD als Oberbürgermeister den Vorsitz geführt haben, darunter Hinrich Lehmann-Grube und Wolfgang Tiefensee und jetzt Burkhard Jung. Die Beschuldigungen über die Zustände dort bewegen sich bis zum Bordellwesen im Rathaus selbst. Vielleicht wäre es interessant, wenn die Bürgermeister der Stadt Leipzig selbst detailliert zu den Beschuldigungen Stellung nehmen würden.

Wenn der sächsische Ministerpräsident Milbradt erklärt, man solle „brutalstmögliche Aufklärung“ betreiben, kann man allerdings wenig Hoffnung haben, daß dies ernsthaft umgesetzt wird. Vielmehr muß man nach aller Erfahrung leider davon ausgehen, daß die Dinge verschleiert, verschwiegen und auf die lange Bank geschoben werden, daß die Korruption in diesem oder jenem Umfang alle Kreise der Politik in Sachsen erfaßt hat. Es gehört gerade zum Wesen einer solchen organisierten Kriminalität, zu versuchen, möglichst viele Menschen, und sei es nur mit Geringfügigkeiten, an sich zu binden und sie zum Schweigen gegenüber ihren Aktivitäten zu bringen. Von daher kann man sich nur freuen, daß endlich dieses Thema in großem Umfang auf die Tagesordnung kommt, und darf nicht zulassen, daß Zeitungen wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ oder gar das „Handelsblatt“ die ganze Sache von vorn bis hinter verniedlichen wollen, weil sie ihren geschäftlichen und politischen Bestrebungen widerspricht.

Der Justizminister Mackenroth sprach davon:

„Auch in Sachsen entscheiden Gerichte, nicht Gerüchte.“ (FAZ 13.6.07)

Das muß man genau lesen. Was entscheidet denn über den Befund einer Angelegenheit? Eigentlich nur die Tatsachen und Beweise, die auf den Tisch gelegt werden. Gerichte sind keineswegs identisch mit der Wahrheitsfindung. Nicht nur in Sachsen, sondern überhaupt muß man feststellen, daß die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland viele Wahrheiten und Fakten unter den Tisch gekehrt haben. Man nehme nur einmal die berüchtigten Fälle der sog. Freikauf-Justiz, oder auch die merkwürdigen Urteile auf den verschiedensten zivil- und strafrechtlichen Sektoren, die oft darauf hinauslaufen, das zersetzerische Element in der Gesellschaft zu fördern. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht deutlich wird, daß Straftäter, die schwere Straftaten in der Vergangenheit begangen haben und längst als gefährliche Leute enthüllt wurden, mit auffällig milden Strafen entkommen und die nächste Tat vorbereitet wird. Deswegen ist eine solche selbstgerechte Feststellung, daß ‚Gerichte entscheiden’, was hier als wahr zu gelten hat und was nicht, eine gefährliche Sache. Gerichte, die sich nicht an die Fakten halten, Gerichte, die Fakten verstecken oder unmögliche dealende Prinzipien an den Tag legen, so wie das in den letzten Jahren immer deutlicher geworden ist, haben überhaupt kein Recht, für sich die Wahrheit zu pachten.

Die zugespitzte Lage in Sachsen führt zu interessanten Vorschlägen. So machte der Staatsrechtler v. Arnim den Vorschlag, eine unabhängige Ermittlung im Sachsen-Sumpf zu bestellen. Die „Leipziger Volkszeitung“ schrieb am 12.6. 07:

„Leipzig/Dresden. Der bekannte Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim warnt davor, die Aufklärung des sächsischen Korruptionsskandals der Justiz des Freistaats allein zu überlassen. ‚Manches spricht dafür, dass Richter und Staatsanwälte in den Filz verstrickt sind. Dann macht man den Bock zum Gärtner, wenn man die sächsische Justiz allein mit der Aufklärung betraut. Man sollte eine auswärtige oder sonst unabhängige Instanz die Aufklärung zumindest überwachen lassen’, erklärte der Staatsrechtler der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer gegenüber der Leipziger Volkszeitung.
Der Korruptionsexperte bezweifelt den Aufklärungswillen der Justiz: ‚Die Politiker haben zwar von Anfang an davon gesprochen, sie würden die brutalstmögliche Aufklärung betreiben. Aber wenn die Politik solche deftigen Vokabeln gebraucht, dann spricht das nach meiner Erfahrung dafür, dass sie nur öffentlich Eindruck machen und das Misstrauen beseitigen will. Sollte sich der Verdacht erhärten, ‚dass wirklich Vertreter aller drei Gewalten zusammen kungeln und sich bei der Begehung strafbarer Handlungen gegenseitig stützen und ein korruptives und kriminelles Netzwerk unterhalten, dann wäre das ein demokratischer Supergau’.“

Das wäre in der Tat ein wichtiges Pilotprojekt, das in diesem Lande Schule machen könnte: einen Untersuchungsausschuß zu schaffen, der von Sachsen unabhängig ist, der auch nicht nur aus Juristen besteht, ein größerer Ausschuß, in dem auch Leute aus dem Volk gewissermaßen wie Schöffen hinzugezogen werden, die gesamte Sache aufzuarbeiten und zu erfassen. Dann könnte sich die Justiz nicht mehr hinstellen und sagen: was Recht ist, entscheiden wir, sondern würde sich selbst einmal der objektiven Prüfung zu stellen haben. Denn die Unabhängigkeit der Justiz kann keineswegs die Unabhängigkeit zu jeder Art von unsinnigem Urteil bedeuten. Überhaupt ist die Frage, wie Rechtsbruch und Rechtsbeugung durch die Justiz selbst in der Bundesrepublik faktisch nicht anzufechten sind, eine der Kernfragen, um auf den Charakter von Demokratie oder Nicht-Demokratie zu sprechen zu kommen.

Es wird im weiteren notwendig sein, detailliert auf die Stellung der Parteien einzugehen. Die Stimmen aus der Politik über die zugespitzten Vorgänge in Sachsen lassen Schlußfolgerungen auf ihre Urheber zu. Wenn Georg Milbradt erklärte, er habe erst im Februar oder März 2007 von den brisanten Verfassungsschutz-Akten erfahren (LVZ 12.6. 2007), so kann man sich das kaum vorstellen, denn ein Ministerpräsident eines Landes, der seit Jahren aktiv ist, kennt im konkreten Zusammenhang viele Vorgänge, sodaß man kaum annehmen kann, daß derartig gravierende Gegensätze, die ja auch schon zwischen dem Verfassungsschutz, dem Verfassungsgericht und den Parteien längst diskutiert wurden, erst im Februar oder Märze 2007 klargeworden sind. Milbradt wird deswegen auch in der Presse ziemlich offen angegriffen.

Warum findet die Vorgeschichte – die Rolle Biedenkopfs - keine Beachtung?

Ein anderer Punkt steht dagegen, der noch auf eine Lücke in der Presseberichterstattung hinweist. Der jahrelange Oberpate der Politik in Sachsen, Kurt Biedenkopf, der am Aufbau der Strukturen seit Beginn der 90er Jahre den größten Anteil hat, wird im Zusammenhang mit der heutigen Aufdeckung der Strukturen nicht erwähnt. Erst im April 2002 wurde Biedenkopf als Ministerpräsident durch Milbradt abgelöst. Die Strukturen, die heute agieren, sind zu Zeiten von Kurt Biedenkopf gelegt worden. Biedenkopf gehörte schon in den 80er Jahren zu den Propagandisten von alternativer Politik innerhalb der CDU-CSU und er hat den Aufbau maßgeblich in diese Richtung gedrängt.

Eine andere Stimme schließlich aus der FDP:

„Der Vorsitzende des Berliner Kontrollgremiums, der FDP-Politiker Max Stadler, sagte, er habe geprüft, ob Bundesbehörden betroffen seien, die das Bundestags-Gremium zu kontrollieren habe. Es handele sich aber um einen ‚reinen Vorgang des Freistaates Sachsen’.“ (LVZ 12.6.2007)

Auch dies ist ein Versuch, das Ausmaß dieses Skandals zu verniedlichen. Unter dem Umstand, daß sich die Korruption jahrelang entwickelt hat, zu besonderen Parlamentsbeschlüssen und für jedermann auffälligen absurden Urteilen geführt hat, waren schon lang die Bundesbehörden und die Bundesjustiz gefragt, nehmen wir ihren eigenen Anspruch zur Grundlage.

Der sächsische Justizminister Mackenroth erklärte:

„Die Staatsanwaltschaft hat zwischenzeitlich schriftlich um die Herausgabe der Akten bis zum 1. Juli ersucht. Es wird Zeit, dass wir aus dieser unendlich schädlichen Gemengelage von Gerüchten, Unterstellungen und Vermutungen herauskommen.“ (FAZ 13.6.2007)
Ist die Veröffentlichung der in Sachsen enthüllten Gegensätze, wie immer auch sich die einzelnen Verantwortlichkeiten verteilen mögen, denn eine „unendlich schädliche“ Sache? Eigentlich rüttelt doch dies die Bevölkerung auf und gibt die Möglichkeit, immer tiefer in die Vorgänge einzudringen. Eine solche Denunziation der Veröffentlichung von Problemen muß zurückgewiesen werden.

„Aus der sächsischen Justiz ist die Klage zu hören, die Staatsregierung lasse die Richter und Staatsanwälte in der hitzigen Affären-Debatte ‚allein in der Jauche des Generalverdachts’ stehen...“ (so der Interviewer der FAZ zu Mackenroth , 13.6.2007)
Eine bittere Klage der Angehörigen der Justiz, die man hier heraushört, die aber selbst aufklärend wirkt. Denn daß „die Jauche des Generalverdachts“ solche Ausbreitung findet, hängt mit den Erfahrungen der Menschen zusammen. In der Tat müssen nicht alle an den Dingen beteiligt sein, aber die Gegenfrage haben wir schon gestellt: was hat denn die Justiz unternommen, um das Ausmaß der Korruption in Sachsen zu bekämpfen? Und diese Frage müßte bei ihnen ganz vorne stehen.

Im Resümee kann man jetzt schon feststellen: wir haben es mit Sicherheit mit einem Auswuchs der organisierten Kriminalität zu tun, der ein entsprechendes Licht auf die staatlichen Organe und auch auf die Justizorgane wirft. Diesen Organen steht es nicht zu, auf diejenigen zu zeigen, die auf diesen Zusammenhang hinweisen und die entsprechenden Fragen stellen. Diesen Organen steht es jetzt vielmehr zu, zu erklären, wie und wo wie erfolgreich sie in der Vergangenheit gegenüber der organisierten Kriminalität vorgegangen sind.

Schließlich aber ist das, was in Sachsen aufgrund von Gegensätzlichkeiten so manifest geworden ist, indem jeden Tag neue zugespitzte Meldungen in den Medien erscheinen, letztlich nur die Spitze des Eisbergs. Sachsen ist in Wirklichkeit überall. Es gibt so viele Punkte der Justiz in allen Bundesländern, in denen zwar nicht gleich die Frage der organisierten Kriminalität an die Oberfläche tritt wie in diesem Fall, in denen aber die Urteile nicht nach Recht und Gesetz zustande kommen, sondern nach Dealerprinzipien ausgehandelt werden und die Unterdrückung von Fakten in der Beweisführung der Alltag ist, daß man nur hoffen kann, daß diese Affäre noch viel weiter geht, noch viel mehr Anstöße liefert, gegenüber der staatlichen Macht und der Justiz aufzuwachen und sich nicht einschüchtern zu lassen. Unter einem solchen System kann man gar nicht leben.

 

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[1] Das Protokoll dieser Rede erschien nach der redaktionellen Erarbeitung dieses Beitrages im Netz am 18.6.2007, s. http://www.landtag.sachsen.de/SLT_Online/de/infothek/index.asp?page=aktuelles/index.html

 

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Nachrichten zur
Korruptionsaffäre in Sachsen

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