Internet Statement 2008-35

 

Wie Steinbrück und Co. die Krise kleinreden

Walter Grobe, 16.9.2008    

Das Zittern der internationalen Finanzwelt erreicht in diesen Tagen den bisherigen Höhepunkt seit dem Ausbruch der Finanzkrise im August 2007. Angesichts eines Zusammenbruchs wie dem der Lehman-Bank und noch viel größeren Zusammenbrüchen, wie sie z.B. bei der US-Firma AIG, der weltgrößten Versicherung, anstehen, werden noch ganz andere Schockwellen als bisher immer wahrscheinlicher. Hier eine Stimme von vielen:

„Der weltgrößte Versicherer American International Group (AIG) steht vor dem Kollaps, wenn es ihm nicht gelingt, innerhalb kürzester Zeit 75 Milliarden Dollar aufzunehmen. Das ist eine schockierende Nachricht. Denn AIG ist für das globale Finanzsystem eine größere Nummer als die Investmentbank Lehman Brothers. Die Auswirkungen auf die Finanzmärkte könnten katastrophal sein. Es ist kaum zu glauben, dass der einst als Vorbild für die Branche und auch für Konkurrenten wie die deutsche Allianz geltende Branchenstar derart an der Wand steht. Immerhin ist die Bewertung von Risiken doch das ureigene Geschäft von Versicherern – und hier haben die Manager der AIG vollkommen versagt. Dafür zahlen aber nicht nur sie die Quittung, sondern möglicherweise der gesamte Finanzmarkt. Dort hoffen inzwischen alle Akteure, dass es AIG gelingt, das nötige Kapital von privaten Geldgebern so schnell wie möglich aufzutreiben. Andernfalls wird sich die Abwärtsspirale an den Märkten rapide beschleunigen. Schon ist davon die Rede, dass dann nur noch konzertierte Rettungsaktionen aller Notenbanken der Welt eine Panik verhindern könnten.“
(So liest man unter dem Titel „Die AIG-Katastrophe“ in der FAZ vom 17.9.2008)

Der gesamte weltweite Kapitalismus rechnet mit schweren Rezessionserscheinungen und den sozialen und politischen Unruhen, die daraus mit Sicherheit erwachsen werden, und er hat allen Grund dazu. Nicht nur weil derartige Verwerfungen im Kreditwesen die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen müssen – was viele zunächst zu leugnen versucht hatten, jetzt nicht mehr – sondern auch, weil die Monstrositäten des Finanzwesens im gesamten kapitalistischen System wurzeln, von daher verursacht sind und keineswegs bloß in der Finanzspekulation.

Doch halt: es gibt ja immer noch kleine Gruppen von Politikern und sog. Wirtschaftsfachleuten, die die Krise standhaft kleinzureden suchen, sicher wird alles nur halb so schlimm. Heute versuchte z.B. Finanzminister Steinbrück im deutschen Bundestag für diese Spezies die Fahne zu liften. Seine Ausführungen bei der Vorlage des Entwurfs zum Bundeshaushalt 2009 verdienen für die Nachwelt festgehalten zu werden.

„Es gibt keinen Anlass, an der Stabilität des deutschen Finanzsektors zu zweifeln.“

Nein, gibt es nicht. Nachdem in der letzten Zeit die deutschen Steuerzahler mit 10 Milliarden Rettungsgeldern für die IKB, mit noch mehr Milliarden für Pleiten von Landesbanken wie Sachsen, Bayern, West-LB in die Bresche zu springen gezwungen wurden von dem koalierten Sachverstand und dem sozialen Engagement der CDU-CSU-SPD, steht dieser Sektor wahrlich außerhalb jedes Zweifels.

In einem Artikel der FAZ-Net vom 16.9.2008 heißt es über die kärglichen Summen, mit denen künftige Bankenpleiten in Deutschland „abgesichert“ sind:

"4,5 Milliarden Euro für die Absicherung der Einlagen
Mit Einlagen ist zum Beispiel das Geld auf dem Girokonto oder dem Sparbuch gemeint. Gedeckt sind auch Namensschuldverschreibungen der Bank, nicht aber von der Bank begebene Inhaberpapiere. ....Für die Absicherung der Einlagen stehen in Deutschland geschätzt – die genaue Zahl halten die Banken geheim – rund 4,5 Milliarden Euro bereit. Das reicht leicht für einige kleine Institute und möglicherweise für eine mittelgroße Bank. Sollte es noch schlimmer kommen, wofür es derzeit keine Anzeichen gibt, könnten die Einlagensicherungen der Banken eine Insolvenzwelle nicht auffangen. Dann bliebe nur der Staat. In Kreisen der Frankfurter Banken wird kolportiert, dass die Industriebank IKB auch deshalb im vergangenen Jahr gerettet wurde, weil sonst die Forderungen aus Namensschuldverschreibungen der IKB die Einlagensicherung der privaten Banken überfordert hätte.“

Steinbrück sprach auch von einer „positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt“, wie auch so mancher deutsche Wirtschaftsanalytiker in diesen Tagen:

„Wir befinden uns in einem Abschwung, es gibt Abwärtsrisiken aus der internationalen Entwicklung. Aber eine Wirtschaft mit einer positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist nicht in einer Rezession.“

Wie die – ohnehin nur angeblich vorhandene – „positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt“ durchgehalten werden soll, wenn die vom Export extrem abhängige deutsche Wirtschaft in lauter Rezessionsländer rund um die Welt verkaufen soll, das weiß ein Steinbrück sicher tief im Herzen. Erklären kann und will er es wohl lieber nicht, da könnte ihn wohl kaum jemand folgen. Der innere Markt ist ohnehin seit Jahren und schon vor der Finanzkrise in deutlichem Verfall begriffen, auch ein deutliches Indiz einer „positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt“. Als Beispiel: die Autoverkäufe sind derart zurückgegangen, daß ganze Konzerne wie BMW wackeln und Importeure wie Toyota mit weiter stark sinkenden Verkaufszahlen rechnen.

Man sollte annehmen, daß die schlechten wirtschaftlichen Aussichten, die fortschreitenden Lohnsenkungen, das weitere Schrumpfen des inneren Marktes auch für die Steuereinnahmen des Staates sich deutlich negativ auswirken. Aber wer so denkt, hat nicht mit den überlegenen Eingebungen Steinbrücks und seiner Mitkämpfer und Stützer wie Merkel etc. gerechnet. Er <halte am Ziel fest, bis 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt ohne neue Schulden zu erreichen. Dieses Ziel rücke in eine „realistische, greifbare Nähe“.>, wie das „Handelsblatt“ berichtet.

Diese Regierung hat trotz einer zeitweise sich ein wenig erholenden Konjunktur in den letzten Jahren die Neuverschuldung noch immer weiter erhöht, im Entwurf für 2009 immerhin nochmals um 10,5 Milliarden. Nur übernatürliche Inspiration kann eingefuchste Pleitiers wie Steinbrück dahin geführt haben, angesichts einer massiv wie nie sich abzeichnenden weltweiten Wirtschaftskrise zu erklären, zwei Jahre weiter habe man den „ausgeglichenen Haushalt“. Das Geschwätz wäre allerdings selbst dann nichts wert, wenn es tatsächlich so käme, denn von „ausgeglichenem Haushalt“ angesichts eines weiter bestehenden Schuldenbergs von etwa 1600 Milliarden und jährlicher Zinszahlungen in Höhe von etwa 50 Milliarden zu reden ist in jedem Fall ein Witz. (Zitate Steinbrücks und Wiedergaben nach „Handelsblatt“ 16.9.2008)


Es ist nicht besonders schlimm, wenn ein bürgerlicher Wirtschaftsprofessor augenwischerisches Blech redet. Auch wenn es mehrere sog. „Institute“ sind, kann man das verkraften. Die hartnäckige Spinnerei einer Regierung aber kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ihre Widerlegung besteht auch nicht vorwiegend im Nachweis der Beklopptheit, sondern im offenen Widerstand derer, die dafür bezahlen und in den nächsten Jahren noch viel mehr bezahlen sollen, d.h. der Mehrheit der Bevölkerung, der Arbeiter, Angestellten und nicht zuletzt der Jugend, die ganz besonders getroffen wird.

 

 

 

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